Landtagsdebatte über 8. Mai 1945 - "Verstehe nicht, warum man in die Schützengräben der 50er Jahre zurück will"

Do 27.03.25 | 21:12 Uhr | Von Stephanie Teistler
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Blick auf die Mauer der Nationen mit der Skulptur "Frauengruppe" auf dem Gelände des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück (Quelle: DPA/Jens Kalaene)
Bild: DPA/Jens Kalaene

Bei einer Debatte zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Brandenburger Landtag spricht ein AfD-Politiker nahezu ausschließlich von deutschen Opfern. Dabei wird ein Historiker zitiert, der nun von einer Verzerrung seiner Forschungsarbeit spricht.

Der Landtag in Brandenburg hat am Donnerstag heftig über die Bedeutung des 8. Mai 1945 debattiert. Anlass war ein Antrag von BSW und SPD, die prüfen wollen, ob der Tag des Kriegsendes alle fünf Jahre zum Feiertag erklärt werden könne.

Mehrfach wurde dabei der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker zitiert. Der hatte 1985 eine bis heute bedeutende Rede vor dem Deutschen Bundestag gehalten, in der er vom 8. Mai als "Tag der Befreiung" sprach. Er war damit nicht der Erste - trotzdem gilt die Rede als Meilenstein in der deutschen Sicht auf das Kriegsende. Weizsäcker erkannte das Leid deutscher Opfer an, ohne dabei die Verbrechen des Nationalsozialismus und seiner Täter und Täterinnen als Voraussetzung für dieses Leid auszublenden.

Für die AfD-Fraktion hielt unter anderem Dominik Kaufner eine Rede, in der er beklagte, dass hingegen das "Leid deutscher Opfer durch alliierte Kriegsverbrechen" in der Erinnerungskultur kaum vorkomme. Andere als deutsche Opfer sparte Kaufner größtenteils aus. Im Plenum wurden dieser und andere Beiträge der AfD deshalb scharf kritisiert, als geschichtsvergessen, würdelos oder vereinnahmend.

Kaufner untermauerte seine Aussagen zum 8. Mai auch, in dem er die Forschung des Historikers Michael Schwartz zitiert. rbb|24 hat mit Schwartz darüber und über den 8. Mai gesprochen.

rbb|24: Herr Schwartz, der Brandenburger Landtag hat über die Bedeutung des 8. Mai 1945 debattiert. Der AfD kam das Wort der "Befreiung" dabei nicht über die Lippen. Was ist der Kontext für diese Debatte?

Michael Schwartz: Richard von Weizsäcker hat Mitte der 1980er für die damalige Bundesrepublik das Wort der Befreiung als Deutungskategorie eingeführt. In seiner damaligen Rede zum 8. Mai vor dem Bundestag verwies er auch darauf, dass viele Deutsche im Jahre 1945 den 8. Mai nicht als Befreiung, sondern als Gewalt - etwa durch millionenfache Vertreibung - und als Niederlage erlebt haben.

Aber in einer übergreifenden Deutung dieses Ereignisses bleibt der 8. Mai für unser Volk längerfristig eine Befreiung vom Nationalsozialismus. Wenn diese auch mit Gewalt verbunden war.

Für die frühere DDR kommt etwas hinzu, was im Westen oft vergessen wird: Dort hat die SED-Diktatur den 8. Mai als "Tag der Befreiung" auf höchst einseitige Weise gefeiert – quasi als Huldigung an die sowjetische Armee. Die tiefe Ambivalenz zwischen Befreiung und Gewalt, die Weizsäcker so wichtig war, konnte und sollte durch diese DDR-Ideologisierung gar nicht erfasst werden.

Sie werden in der Rede des AfD-Politikers Dominik Kaufner zitiert. Die Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Deutschen zwischen 1944 und 1950 sei die größte ethnische Säuberung Europas gewesen. Finden Sie Ihre Forschung im Zitat wieder?

Dass es im Vergleich die zahlenmäßig größte ethnische Säuberung innerhalb Europas war, ist korrekt. Aber man muss sehen, dass das nicht voraussetzungslos erfolgt ist, sondern mit den NS-Verbrechen im engsten Zusammenhang steht. Schon seit 1938/39 gab es Vertreibungen und Zwangsaussiedlungen, ausgelöst durch die NS-Diktatur. Erst wenn man das in Zusammenhang miteinander bringt, bekommt das Ganze keinen falschen Zungenschlag.

Worin liegt der falsche Zungenschlag, den Sie hier heraushören?

Der Satz ist nicht falsch, aber in meiner Forschung betone ich die Zusammenhänge. In dieser Rede wird ein Fakt isoliert herangezogen - mit dem Ziel, den Status einer einzigen Gruppe besonders hervorzuheben. Das ist aber nicht Sinn meiner Forschung. Die Vertreibung der Deutschen war zwar die größte Einzelmaßnahme, die sich aber im Zusammenhang mit den vielen anderen Gewaltmaßnahmen befunden hat. Insbesondere der Umvolkungs- und Germanisierungspolitiken der Nationalsozialisten.

Also halten Sie es für sinnentstellend, wie Ihre Forschung hier zitiert wird?

Den Sinn einer solchen Einschätzung kann man im Rahmen wissenschaftlicher Forschung nur erkennen, wenn man die Kontexte mitberücksichtigt. Den Gewaltzusammenhang, der durch Hitlers Politik entscheidend vorangetrieben wurde. Der alleinige Blick auf deutsche Vertriebene darf nicht der Wiederbelebung eines deutschen "Opferexzeptionalismus" dienen, wie wir ihn schon in Westdeutschland in den 1950er Jahren hatten.

Da wurde auf andere Opfer wenig Wert gelegt und nicht auf NS-Verbrechen geschaut. Die Vertreibung der Deutschen begann in solcher Sicht 1945 aus heiterem Himmel, ohne Vorgeschichte. Von daher kann man das als historische Verzerrung sehen. Es ist eine Instrumentalisierung einer historischen Feststellung. Mir ist die Botschaft wichtig: Man darf nicht das Eine gegen das Andere ausspielen und man muss die Verantwortung des NS-Regimes benennen.

Zur Person

Michael Schwartz

Michael Schwartz ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört unter anderem die Geschichte ethnischer "Säuberungen" im 20. Jahrhundert. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung.

Haben Sie das Gefühl, dass man hier erinnerungspolitisch das Rad zurückdrehen will?

Ich finde erstaunlich, wie einseitig die jeweiligen Argumentationen im AfD-Antrag, aber auch im Ursprungsantrag des BSW sind. Bei den Anträgen frappiert, dass man beide Opfergruppen – die Opfer der Nazi-Diktatur und die deutschen Opfer nach Kriegsende - nicht zusammendenkt. Ich dachte, wir sind in der gesellschaftlichen Debatte über den Umgang mit Flucht und Vertreibung der Deutschen inzwischen viel weiter, als es sich in den Anträgen widerspiegelt.

Ich verstehe nicht, warum man in die Schützengräben der 1950er Jahre zurück will. Die einen in die frühe DDR, die anderen in die frühe Bundesrepublik. Wir können und müssen die Dinge zusammendenken, nicht voneinander isolieren.

Das Interview führte Stephanie Teistler für rbb|24.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 27.03.2025, 19.30 Uhr

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13 Kommentare

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  1. 13.

    Mir fehlt ein Bericht über die Debatte an sich. Was haben denn die anderen so gesagt?

    Ansonsten ein vernünftiger Antrag.

  2. 12.

    Die heutigen Schüler können mit dem Nazi-Zeugs eh nichts mehr anfangen. Sie wollen damit auch nichts zu tun haben, denn ihre Historie ist eine ganz andere. Auch wenn man mal nach der Mauer fragt, werden nur große Augen gemacht.

  3. 11.

    Na ja, wenn das NAZi - Regime in der Schule im Geschichtsuntericht weitgehend keine Rolle spielt, und auch ansonsten das Aufarbeiten nur auf den Holocoust reduziert wurde, dann...............

    Übrigens auch das SED - Regime wurde nicht aufgearbeitet, und heutige Jugend wird mit DDR-Ostalgie konfrontiert.

    Dann wundert man sich über die Wahlergebnisse.

  4. 10.

    Inwiefern die Wiedervereinigung kein wertiger Feiertag sein soll bleibt wohl Ihr Geheimnis.

    Ich bin für ein Gedenken am 08. Mai.. Ein Feiertag für das Ende der NS Zeit hätte es auch sein können, war aber leider der Start der sozialistischen Diktatur auf dem deutschen Boden, vor den Gnaden Stalins, auch einem der größten Massenmörder überhaupt.

    Krieg ist nie gut, aber angesichts der Entwicklungen im Osten müssen wir wehrhaft werden. Alles andere ist Dummheit oder Realitätsverweigerung.

    Die Ukraine wird nicht befreit, sondern wehrt sich gegen einen Genozid durch Putin und seine Schergen.

  5. 9.

    Der 8. Mai könnte dabei in der Tat als ein Tag der selbstgewählten inneren Demut, der 9. Nov. als der Tag des systematischen Schreckens und des unerhofften Aufbruchs begangen werden.

    Der 3. Oktober findet seine einzige Begründung darin, dass der 1. Jahrestag einer wirklich demokratischen DDR vermieden werden sollte. Unausgesprochenes Motto: ´Es darf keine zweite deutsche Demokratie geben, neben uns.´

  6. 8.

    In der Tat markierte die bundesdt. Weizsäcker-Rede 40 Jahre nach Kriegsende mit der Vokabel "Tag der Befreiung" auch einen gewissen Lernprozess, der überfällig, doch auch notwendig war. Doch eben nicht für alle. ;-

    In der DDR hingegen kam es zu einer Einschwörung, zu einem faktischen Herauswinden, per Beschluss mit dem Vorgängerstaat nichts mehr zu tun zu haben. Doch die Menschen, die für das NS-Regime einstanden, die sich ihm gefügig machten, die Befehle ungeachtet alles Verbrecherischen penibel ausführten, die waren ja noch da.

    Die Wirkmächtigkeit des NS-Regimes ist nur erklärbar im Zusammenspiel von einem unendlichen Hass, einer Aufstachelung und dem eingeschliffenen, typisch-deutschen Regelvollzug, gleich, was es sei, es bis zum letzten Punkt und Komma auszuführen.

    Der Boomerang kehrte zurück, Ausgangspunkt war Deutschland. Und doch ist "Sowas kommt von sowas" die hasserfüllte Antwort auf Hass, kein Naturgesetz. Genannt werden muss alles. Unverrechenbar.

  7. 7.

    Die Deutschen haben unendliches Leid über die Völker gebracht. U.a. sind Millionen von Deutschen jüdischen Glaubens erfordert worden. Ja, auch den Deutschen ist Leid angetan worden. Nun scheint es so zu sein, dass die AFD Ursache und Wirkung nicht mehr wahrhaben will. Die AFD ist die neue braune Gefahr. Wehret den Anfängen!

  8. 6.

    Wen man sich nicht die Ursachen für Vertreibung und Gewalt anschaut kann man nur zu falschen , verkürzten Ergebnissen Meinungen kommen.

    Hier wird der NS Rassismus , der Imperialismus der Nazis etc. ausgeblendet.

    Auch der Israel-Palestinenser Konflikt lässt sich nicht ohne den Holocaust denken.

    Wer den nicht mitberücksichtigt kann nicht seriös dazu Stellung nehmen.

    Ähnlich ist es bei Kriegen. Der 2 Weltkrieg wurde geplant genauso wie andere Kriege und kam nicht aus heiterem Himmel. Wer Krieg führen will plant diesen vorher u.a. durch die Ideologie Abschreckung und Stärke.

    Sehen wir heute auch wieder. Wer Kriege führen will MUSS die Infrastruktur aufbauen und die Menschen ideologisch auf Krieg vorbereiten ( Opferbereitschaft, Opfermentalität, Nationlismus und Patriotismuss .... )

    Zivilisten sind IMMER die ersten Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft.

    Deshalb sind der 8. MAI , der 9. November die bessern , einzigen sinnvollen historischen Feiertage nicht der 3. Oktober .

  9. 5.

    Es ist doch hinlänglich bekannt, wer die Opfer der Nazidiktatur waren, Deutsche und Menschen in ganz Europa. Diese Gruppen gegen einander auszuspielen, frei nach dem Motto „Welche Opfer sind wichtiger?“ ist doch unanständig! Der 8. Mai kennzeichnet das Ender dieser Diktatur. Den Begriff der Befreiung haben die Sieger gewählt. Aber von AFD und BSW kann man nichts erwarten.

  10. 4.

    Befreit wurden die wenigen in Berlin versteckten jüdischen Deutschen (Hans Rosenthal), Hunderttausende KZ-Häftlinge, Millionen Zwangsarbeiter ...- "die" Deutschen jedoch nicht!
    19 Millionen deutsche Männer dienten in Wehrmacht und Waffen-SS - um direkt oder indirekt den Holocaust zu ermöglichen, Hunderttausende deutsche Beamte waren größere oder kleinere "Rädchen" im Vernichtungsgetriebe. Millionen deutsche Familien profitierten von den Verbrechen (z.B. befinden sich in etlichen Haushalten noch immer Gegenstände aus arisiertem jüdischen Besitz, die nach der Deportation der deutsch - jüdischen "Mitbürger" ersteigert wurden - in Hamburg bereicherten sich 400.000 Einwohner an jüdischem Besitz).
    Die heute oft medial kolportiert Aussage " Die Nazis haben..." entlastet Millionen Deutsche, als ob "die Nazis" einfach so über die Deutschen gekommen wären.
    Trotzdem sollte der 8. Mai Gedenktag werden - befreit wurden "die" Deutschen nicht. Und das muss ehrlicherweise auch in die Festreden!

  11. 3.

    Wir leben schon lange nicht mehr in Ost- und West-, was da Mal in der Schule gelehrt wurde, sollte keinen Belang mehr haben. Und auch ältere Semester dürfen gerne Sachbücher und Fachliteratur lesen, um sich weiterzubilden. Die von der AfD scheinen aber nur den Kopp-Verlag zu lesen.

  12. 2.

    Tja, aber woher soll diser Kontext kommen, wenn er in der schulischen Bildung ausbleibt.
    So wurde in Westdeutschland nur die Vertreibung, durch den Vertriebenen.selbst thematisiert, aber die Nazi Verbrechen gegen die Bevölkerung in besetzten Ländern weitgehend unter den Teppich gekehrt, und so schien es, als wenn es dort "nur" jüdische Opfer gab.

  13. 1.

    Der deutsche Opfermythos ist ja an sich nichts neues, aber wie Herr Schwartz richtig sagt, muss man historische Gegebenheiten immer im Kontext sehen.