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"Ein anderes Land", das war der große Wunsch vieler jüdischer Exiliant:innen, die nach Krieg und Shoah die DDR mit aufbauten. Die neue große Ausstellung erzählt ihre Geschichte und zeigt den Alltag in der DDR, die Politik, den offenen und versteckten Antisemitismus. Die Ausstellungsmacher:innen haben viele Zeitzeug:innen befragt und so ist ein einzigartiges Mosaik entstanden.
Ruth Zadek
"Der Verdienst ist es, dass man überhaupt mal gefragt wurde. Es hat sich doch keiner dafür interessiert, wie wir als Juden oder jüdischer Abstammung oder mit unserer Vergangenheit in der DDR gelebt haben."
Das Interesse ist groß bei der Pressekonferenz. "Jüdisch in der DDR" – diese Ausstellung stößt in eine Lücke vor. Darin: Keine Schlagwörter, Kategorien, Chronologien. Es gibt viele Stimmen und viele Erzählungen.
"Dass ein gutes Deutschland blühe…"
Hanns Eislers Kinderhymne und eine Dia-Show stehen am Anfang – Impressionen jüdischen Lebens. Nach der Katastrophe der Nazizeit stand die Hoffnung auf ein neues, besseres Deutschland. Manche kamen gezielt in die DDR – auch die Eltern der Künstlerin Ruth Zadek, vorher im kommunistischen Widerstand in Großbritannien. Das Foto mit ihrer Mutter auf der damaligen Stalinallee ist das Leitbild der Ausstellung.
Ruth Zadek
"Sie waren mit dem festen Willen, dass sie ein neues Deutschland aufbauen wollten. Sozialistisch, kommunistisch auf jeden Fall. Für alle, die frei denken können. Und sowieso, dass Juden frei leben können."
Jüdisches Leben hat viele Spielarten – von weltlich bis religiös. Renate Aris ist Jahrgang 1935, unter dramatischen Umständen ist sie als Kind in Dresden der Deportation entgangen. Für sie war es das größte Glück, nach dem Krieg ihre Bar Mitzwa feiern zu können. Für eine Vitrine hat sie Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt.
Renate Aris
"Es war die erste Bat und Bar Mitzwa nach dem Krieg. Ein Freudentag, man wird aufgenommen. Und plötzlich war hinter mir ein furchtbares Schluchzen. Und ich fragte dann nach dem Gottesdienst die ältere Dame, warum habt ihr alle… Ja, die waren jahrelang im KZ. Die haben gesagt: wir haben nicht zu hoffen gewagt, in unserem Leben noch einmal so etwas zu erleben."
Die jüdischen Gemeinden in der DDR aber waren klein, sehr klein. In Chemnitz beziehungsweise Karl-Marx-Stadt, erzählt Renate Aris, waren sie anfangs gerade einmal zwölf Gemeindemitglieder. Und kaum Nachwuchs.
Renate Aris
"Chemnitz hatte bis 1989 überhaupt kein Kind. Gar kein Kind! Und das war die Hauptaufgabe: etwas jüdische Religion zu pflegen, zu erhalten."
Während die einen versuchen, jüdische Religion zu pflegen – erleben andere nach den Aufbruchsjahren schon Enttäuschungen. Stalinistischer Terror, Antizionismus. Ruth Zadeks Vater, der Journalist Gerhard Zadek, bekommt hier noch einen Orden verliehen – wenig später wird er entlassen.
Ruth Zadek
"Für sie war das klar: sie gehen in den sowjetisch besetzten Teil, weil: Sie wollten einen neuen Staat aufbauen. Das war immer ihre große Vorstellung. Und das dann natürlich peu à peu dieser Staat sich so verändert hat, dass viele dort nicht mehr leben wollten, war für meine Eltern ne große Enttäuschung."
Aktuelle Kamera, 1967
"Durch die Rückendeckung des amerikanischen Komplizen ermutigt, setzt Israel seine Aggressionsakte fort!"
Die Ablehnung Israels gehörte zum Wesenskern der DDR. Am schärfsten während des Sechs-Tage-Kriegs 1967.
Aktuelle Kamera, 1967
"Methoden, die den Praktiken der Hitlerfaschisten nahekommen."
Antisemitismus wiederum gibt und gab es weltweit – auch in der antifaschistischen DDR. Aber die Erfahrungen damit sind sehr individuell.
Renate Aris
"Ich habe den nicht vernommen und gespürt – natürlich im Wissen, dass unter der Decke sowas schwillt."
Ruth Zadek
"Als ich ein kleines Mädchen war und ich gehe in eine Eisdiele und da sagt der Eisverkäufer, weil wir so laut waren: Is‘ ja hier wie inna Judenschule!“
Cathy Gelbin
"Antisemitismus in der DDR war eher verdeckt und man hat ihn viel deutlicher und offener in der Bundesrepublik gespürt."
Cathy Gelbins Großmutter war Amerikanerin, der junge Exilant Stefan Heym wurde dort ihr zweiter Ehemann. Mit ihm kam die Familie in die DDR. Cathy Gelbins Davidsternkette wurde später nach Ostberlin geschmuggelt – in der DDR gab es so etwas nicht. Für den Ausstellungskatalog hat Cathy Gelbin einen Artikel über den Jüdischen Friedhof in Weißensee geschrieben. Honecker und Co. planten Mitte der 80er Jahre, in diesem Teilbereich eine Schnellstraße Richtung Wandlitz zu bauen. Doch umfangreiche Proteste haben das verhindert.
Cathy Gelbin
"Hier war eigentlich das erste Mal, dass so ein Protest gelang, dass so eine Wirkung erzielt wurde. Und dass die einzelnen Menschen, die daran beteiligt waren, hinterher auch stolz darauf waren."
"Es spricht jetzt zu Ihnen der Nestor unserer Bewegung."
Als die DDR dann auf ihr Ende zutaumelte, war Stefan Heym einer von denen, die ihr die Grabrede hielten.
Stefan Heym, 4.11.1989
"Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen, nach all den Jahren der Stagnation."
Heute liegt Cathy Gelbins Familie, auch ihr Stiefgroßvater Stefan Heym, hier begraben – die Geschichte des jüdischen Lebens in der DDR endet nicht 1990.
Cathy Gelbin
"Nur da, wo gelebt wird, wird auch gestorben. Als es kaum noch Juden gab, wurden auch kaum noch… Also, dieses Feld war ja ganz schön leer bis vor ein paar Jahren. Und jetzt werden hier wieder ganz viele Leute beerdigt, weil es auch wieder ein stärkeres jüdisches Leben in Berlin gibt."
Autor: Steffen Prell