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Berlin Mitte der 1990er Jahre. Die junge Technoszene erobert einen stillgelegten Schlachtbetrieb in Friedrichshain. Drei Techno-Kids feiern dort am 1. Mai 1993, noch nicht ahnend, dass diese Nacht ihr Leben verändern wird. Auf der Bühne sind über 30 Jugendliche in Aktion, die ein längst verblasstes Lebensgefühl wieder aufleben lassen.
Paula Thielecke, Regisseurin
"Die sechste Reihe von oben."
"Ja."
Es ist Paula Thieleckes erstes Stück am Deutschen Theater und was für eins. 30 Menschen performen auf der Bühne – so viel wie noch nie an diesem Haus. Paula Thielecke vereint Schauspielerinnen und Schauspieler vom jungen Ensemble des DT und von der Street University, einer Einrichtung für benachteiligte Jugendliche. Dazu Tänzerinnen und Tänzer aus der Nachwuchs-Company von Sasha Waltz und Artist*innen aus dem Zirkus Cabuwazi.
Paula Thielecke, Regisseurin
"Und bei den Tüchern wollte ich noch sagen, pass mal auf, dass du nicht zu weit oben turnst. Weil von ganz oben sieht man dann nicht mehr deinen Kopf. Weil da das Portal dazwischen ist."
Paula Thielecke ist nach der Wende in Berlin Köpenick aufgewachsen. Als Jugendliche spielte sie am Deutschen Theater und an der Volksbühne, seit vielen Jahren schreibt und inszeniert sie selbst. Das DT wünschte sich von Ihr ein authentisches Berlin-Stück.
Paula Thielecke, Regisseurin
"Und dann haben haben wir gesagt, ok was ist 100 Prozent Berlin und was is `ne Zeit nach der sich sowohl `ne junge als auch `ne ältere Generation sehnt und eigentlich alle. Und da haben wir gesagt, ok das sind halt die Clubs, das ist halt Techno."
Ihr Stück spielt 1993 in der Berliner Techno-Szene. Paula Thielecke hat dafür viel recherchiert und Gespräche mit Zeitzeug*innen geführt. So ist ihr eigenes Bild von damals entstanden. Vom Berlin kurz nach der Wende. Als die vielen Freiräume im Osten der Stadt Kreative aus der ganzen Welt anziehen und Techno in Berlin durchstartet.
In "Mein Herz dein Bunker - 290 BPM" gründet eine Gruppe von Freunden in einem alten Schlachthof der DDR einen Club. "Wursthof" nennen sie ihn.
Szene aus "Mein Herz dein Bunker - 290 BPM"
"Ich verändere Dinge!"
"Wow!"
"Ich bin initiativ!"
"Come down to us."
Paula Thielecke, Regisseurin
"Das sind halt erstmal Leute, die sind Außenseiter*innen. Die müssen, um stattzufinden, sich ihre Nischen suchen. Und ich finde das in `ner Zeit, also damals wie heute, in der es eigentlich um `ne Produktivkraft von `nem Menschen geht oder um Humankapital oder so, ist das `ne Agenda, die ich total gut finde. Zu sagen, meine Ideen sind wertvoll. Das, was ich mit anderen zusammen erschaffe, ist wertvoll."
Zusammen überlegen sie, wie ihr Club sein soll, was die gemeinsamen Werte sind. Sie sind wie eine Familie. Leben Polyamorie. Sehnen sich nach Liebe, Leben und Ekstase. Sie kommen aus Ost und West.
Szene aus "Mein Herz dein Bunker - 290 BPM"
"Was wir brauchen, ist Geld!"
"Wuuuahhh!"
"Ich komme aus dem Osten, Kollege, und ich erbe nichts. Nichts. Aber du aus dem Westen, deine Alten, Freund Nase, haben `ne Hütte im Grunewald, du Vogel."
"Jetzt hör mal auf so rumzulabern hier."
Das Stück erkundet, wie es sich anfühlt neben der Gesellschaft her zu leben - eine Gegenkultur zu sein. Etwas, das im heutigen Berlin kaum noch spürbar ist, wo Techno- und Clubkultur längst Mainstream geworden sind.
Paula Thielecke, Regisseurin
"Ich hab da natürlich `ne Meinung zu. Aber wertfrei ist das eigentlich ein normaler Kreislauf, der eigentlich immer passiert. Und ich denk halt so: ja ok, go with the flow. Das sind halt die Regeln des Kapitalismus, so. Das kann ich scheiße finden. Aber das ist es. Das ist das game, in das wir hier rein geboren werden, so."
Szene aus "Mein Herz dein Bunker - 290 BPM"
"Wenn die Snobs, die Stadt regieren…"
"Ahhh"
"…dann ist es aus, Kollege! Aus ist es dann!"
Auch dem "Wursthof" droht das Aus. Konservative rechte Kräfte wollen seine Schließung erzwingen. Aber die Freunde schaffen es, ihn davor zu bewahren.
"Mein Herz dein Bunker" verbindet die Kraft und das Empowerment der jungen Generation von heute mit der Aufbruchsstimmung und der Freiheit von Berlin in den 90ern. Diese Anfänge der Berliner Club-Kultur werden gerade wieder viel erzählt. Die Sehnsucht ist groß nach einer Zeit, in der das Feiern so leicht war und die Freiheit scheinbar unbegrenzt.
Paula Thielecke, Regisseurin
"Das Thema Feiern und das Leben feiern, in Zeiten wo der Druck so groß wird auf Menschen, also auch der Konkurrenzdruck und der Schaffensdruck und so weiter, das ist so richtig, finde ich, `ne soziologische Beobachtung, dass es jetzt so `nen Hype darauf gibt, weil das Bedürfnis scheint da zu sein. Und die Weltpolitik zeigt wahrscheinlich warum, so."
Autorin: Lilli Klinger