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Jovana Reisinger ist Glamour-Girl, Feministin, High-Heel-Fan, Influencerin, Trash-Queen, Intellektuelle. Sie schreibt Bücher, macht Theater, dreht Filme und konzipiert Ausstellungen. Ihr jüngstes Buch "Pleasure" dreht sich um Mode, Essen, Luxus und Schlafen. Scheinbar mühelos verbindet die gebürtige Münchnerin diverse Gegensätze. Da passt es, dass sie jetzt vor allem in Berlin lebt.
Jovana Reisinger musste heute früh aufstehen – wie fast jeden Tag, obwohl das gar nicht ihr Ding ist. Dafür gibt’s jetzt erstmal das Glow Up bei Frisörin Reza Rage. Es ist dringend nötig, denn Reisinger ist überarbeitet: sie schreibt Kolumnen für die FAZ und die Vogue, steht in einem Theaterstück auf der Bühne und ihr viertes Buch "Pleasure" ist gerade erschienen. Bei Reisinger wird Nachdenken über Luxus und Genuss zur politischen Diskussion.
Jovana Reisinger, Autorin und Künstlerin
"Wenn prekär lebende Personen oder arme Menschen sich etwas gönnen, sorgt es viel eher für Aufregung und für Ablehnung, als wenn das zum Beispiel sehr reiche Leute machen. Wir haben einen schönen Pool und da rundherum liegen irgendwelche heißen Personen in hotten Bikinis, dann ist es sofort sowas wie: Ah, ja, das ist Wohlstand, das haben die sich erarbeitet. Wenn wir jetzt aber an so einen kleinen Motel-Pool denken, der irgendwie so ein bisschen schäbig ist und so ein bisschen abgefuckt und abgeranzter, und die Leute, die dort leben, die sind dann faul."
Die 35-Jährige ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Früher verheimlichte sie ihre Herkunft, doch nun schreibt sie offen über ihren Aufstieg aus der Arbeiterklasse. Sie feiert ihren Genuss, gutes Essen und Mode. Davon fühlen sich manche angegriffen und schieben die Schriftstellerin in die Schublade "oberflächliche Tussi".
Jovana Reisinger, Autorin und Künstlerin
"Das hat was mit dem Äußeren zu tun, aber auch mit Klassismus, etwas mit Geld zu tun. Und wenn dann Leute so erzählen: Oh, deine Bücher werden nur gekauft, weil es so viele tolle Fotos von dir gibt. Und diese tollen Fotos gibt es natürlich nur oder Beiträge, weil Reza so schön... Ja, weil ich aussehe wie Abba. Nee, weil Reza mich so schön fertig macht."
- "Ja, stimmt, ja, auch."
"Nein, das stimmt nicht, da steht auch Inhalt drin."
Die gebürtige Münchnerin hält seit drei Jahren meistens in Berlin auf. Hier kann sie gut arbeiten: Aus ihrem letzten Roman "Enjoy Schatz" hat die Schaubühne ein Theaterstück gemacht. Reisinger spielt sich selbst - als Erzählerin, die über das Leben einer Schriftstellerin berichtet.
Enjoy Schatz, Quelle: Schaubühne Berlin
"Die Schriftstellerin hat wie nebenbei einen Liebhaber gefunden, tatsächlich in der Schlange vor einem Geschäft. Es sei ihr gegönnt, war doch der Ehemann gar nicht mehr von der Geschäftsreise nach Hause gekommen. Huch!"
Autorinnen wird gern unterstellt, sie könnten nur aus dem eigenen Leben erzählen. Reisinger wehrt sich auf ihre Art.
Jovana Reisinger, Autorin und Künstlerin
"Ich spiele damit so ein bisschen und führe das Ganze so ad absurdum und habe dann "Enjoy Schatz" geschrieben, wo ich ja dann wirklich eine Figur erschaffen habe, die so ist wie ich. Die krassesten Stellen sind natürlich gelogen, naja oder so."
Inhaltlich gehe es in ihren Texten um das Überleben im Patriarchat, sagt sie. Sie schreibt über toxische Beziehungen, die Abwertung von Frauen und deren Arbeit. Dabei ist der Tonfall meist lustig, die Texte voll von Wortwitz. Reisinger genießt ihr Leben trotz allem.
Jovana Reisinger, Autorin und Künstlerin
"Ich muss immer sehr viel rausgehen, um meine Arbeiten zu machen. Also diese Idee von: ich sitz den ganzen Tag alleine am Schreibtisch greift nicht ganz so gut. Ich muss mal richtig viel erst mal so mich rein stürzen, so eine Art von Leben und dann kann ich erst mal wieder mich an den Schreibtisch setzen oder ins Bett in meinem Fall - aber das macht so Berlin schon aus."
Das hier ist so ein Ort, an den Jovana Reisinger oft zur Recherche kam. Das Delikatessengeschäft Rogacki gibt es seit fast 100 Jahren. Hier fühlt sich die Künstlerin, die einige Jahre ihrer Kindheit im Gasthaus der Familie aufwuchs, ganz zu Hause.
Jovana Reisinger, Autorin und Künstlerin
"Die seit den 1970er Jahren gleich gebliebene Einrichtung ist eine dankbare Abwechslung zur überstylischen Gestaltung zeitgenössischer Bistros und Etablissements, die ich natürlich ebenfalls besuche und schätze. Bei Rogacki beschleicht mich außerdem das Gefühl, problemlos zwischen den Welten - das meint zwischen den Schichten - existieren zu können."
Jovana Reisinger, Autorin und Künstlerin
"Die war sehr groß. Herkunft und Klasse wird so lange ein Thema sein, so lange das ungelöst ist, solange neoliberale Leistungsslogans geballert werden wie: mit viel Anstrengung und harter Arbeit und viel Motivation und dem richtigen Mindset wird es jede Person nach oben schaffen. Solange das immer noch dafür sorgt, dass das Individuelle, das Versagen ist individuell, das Scheitern ist individuell, Krankheiten sind individuell und so weiter - solange das noch so erzählt wird, wird die Ungleichheit oder die Ungerechtigkeit immer größer werden."
Jovana Reisinger muss zum nächsten Termin, leider nicht ins Bett, an ihren Wohlfühlort. Doch bald kann sie dort das nächste Buch schreiben. Der Verlag wartet schon.
Autorin: Vera Drude