Interview l Gefährlicher Freizeitlärm - Stadionbesuch: Ein Fall für den Gehörschutz?
Ein Stadionbesuch bei der Bundesliga - und es gibt wieder ordentlich was auf die Ohren! Trommeln, Fanfaren, Flüstertüten und Gegröle heizen die Stimmung an – und belasten unser Gehör. Wie sehr welcher Lärm schadet und wie man sich schützt, darüber hat die rbb Praxis mit Dr. Dr. Christian Conrad gesprochen, Hals-Nasen-ohrenarzt aus Berlin-Lichterfelde.
Herr Dr. Conrad, wie laut wird es eigentlich im Stadion?
Im Schnitt liegt die Lärmbelastung für die Zuschauer bei 105 Dezibel. Mit durchschnittlich 90 Dezibel gehören die deutschen Fußball-Fans laut einer Studie aus dem Jahr 2018 übrigens zu den lautesten in Europa.
Bis zum Eintrag in Guinness Buch der Rekorde haben es die Anhänger von Besiktas Istanbul geschafft: dort wurden 2017 141 Dezibel gemessen.
Womit sind diese Lautstärken vergleichbar?
In einer ruhigen Wohnung liegt der Schalldruckpegel bei 45 Dezibel, im Gespräch wird es 60 Dezibel laut, beim Staubsaugen um die 70 Dezibel, auf einer verkehrsreichen Straße 80 Dezibel.
Menschen, die bei der Arbeit dauerhaft einem Lärm von mehr als 85 Dezibel ausgesetzt sind, müssen einen Gehörschutz tragen. Ohrenbetäubend sind die Geräusche einer Schlagbohrmaschine mit 105 Dezibel. Ein startender Düsenjet bringt es auf 130 Dezibel.
Was sind die Folgen?
Entscheidend beim Lärm sind die Lautstärke, der sogenannte Schalldruckpegel, und die Dauer, wie lange der Lärm auf unser Gehör wirkt. Je lauter und je länger wir Lärm ungeschützt ausgesetzt sind, um so größer ist das Risiko für einen Gehörschaden.
Reicht schon ein Besuch im Stadion?
Nach akuter Lärmüberlastung erleben wir einen vorübergehenden Hörverlust. Wir empfinden Lautstärke nicht mehr so stark, haben vielleicht ein Ohrgeräusch, Geräusche klingen dumpfer. Wenn sich die sogenannten Haarzellen im Innenohr zwischen den Lärmphasen nicht vollständig erholen können, sind dauerhafte Schäden wie Lärmschwerhörigkeit oder Tinnitus die Folgen.
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es eine Art kumulierenden Effekt bei Lärm gibt. Also auch häufiger, kurzeitiger Lärm kann zu einer anhaltenden Lärmschwerhörigkeit führen. Lärm schädigt übrigens nicht nur unsere Ohren, er stresst auch den Körper, indem er Blutdruck und Herzfrequenz in die Höhe treibt.
Was erzeugt den meisten Lärm bei Sportereignissen?
Tröten und Fanfaren stellen eine echte Gefahr für die Ohren dar. Pyrotechnik, Trommeln und andere fußballtypische Instrumente sind zusätzliche Risikofaktoren.
Die Gefahr wird auch davon mitbestimmt, wie weit die Lärmquelle entfernt ist: Es macht einen Unterschied, ob der Fan direkt hinter mir lärmt oder ob er zehn Meter entfernt sitzt. Aufblasbare Klatschhilfen erreichen bei den Fans in der Nähe beispielsweise ein Schallpegel von 120 Dezibel.
Wie können sich die Zuschauer vor Schäden schützen?
Wir HNO-Ärzte empfehlen, bei jedem Stadionbesuch konsequent einen Gehörschutz zu tragen. Man weiß nie, was der Fan in der Reihe hinter einem auspackt. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen scheint es so zu sein, dass einige Menschen besonders empfindlich auf Lärm reagieren. Diese fünf Prozent der Bevölkerung sollten immer einen Lärmschutz dabei haben.
Wie kann der helfen?
Er verringert den Schalldruck, also den Lärm, der auf die Ohren und damit auf die Haarzellen einwirkt. Es gibt weiche, formbare Schaumstopfstöpsel, einfache Silikonstöpsel oder Wachs-Watte-Propfen. Sie senken den Schalldruck um etwa 20 Dezibel.
Im Fall der Fälle, wenn einen der Lärm völlig unvorbereitet trifft, kann man sich auch den zusammengeknüllten Zipfel eines Papiertaschentuches vorsichtig ins Ohr stopfen. Der dämpft immerhin um 10 bis 15 Dezibel.
Woher bekomme ich den Gehörschutz?
Schaumstopfstöpsel gibt es in Baumärkten und Apotheken, die einfachen Silikonstöpsel oder Wachs-Watte-Propfen in Apotheken und Drogeriemärkten. Das sind Pfennigartikel. Hörgeräte-Akustiker bieten individuellen Gehörschutz mit entsprechender Beratung an. Er kostet pro Ohr zwischen 50 und 100 Euro.
Was macht diese Art von Schutz so teuer?
Ein individuell angefertigter Gehörschutz vom Hörgeräte-Akustiker passt anatomisch perfekt, er gleicht einem Passstück für ein Hörgerät und wird mit einem Abdruck des Ohres individuell angepasst. Dieser Gehörschutz lässt sich mit einem Frequenzfilter erweitern und ist dann für bestimmte Töne und Laute durchlässig. Das erleichtert die Kommunikation und macht sie bei Musikern so beliebt.
Empfehlen Sie auch Produkte aus dem Netz?
Für das Interview habe ich mich mal im Internet umgeschaut. Es gibt dort zahlreiche, zumindest auf den ersten Blick seriöse Produktangebote. Man findet beispielsweise Silikonstöpsel, die durch ihren Aufbau mit Membranfiltern eine effiziente Dämpfung erreichen, gerade in den kritischen hohen Frequenzen. Sie kosten im Schnitt 25 Euro.
Wer ist besonders gefährdet für den Lärm?
Kinder, denn sie können Lärm noch nicht einschätzen und benötigen im Stadion unbedingt Gehörschutz. Für sie empfehlen wir Kapselgehörschützer, auch als Mickey-Maus-Schützer bekannt, die bis zu 25 Dezibel dämpfen.
Kann ich den Lärm in meiner Umgebung auch selber messen?
Ja, im Zeitalter des Smartphones gibt’s zahlreiche Apps, mit denen ich den Schalldruck vor Ort annäherungsweise bestimmen kann. Das hilft, die Lärmbelastung besser einzuschätzen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Constanze Löffler