Süßstoff auf einem Löffel (Quelle: imago/blickwinkel)
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Interview | Süßstoffe - Geraten Süßstoffe in Verruf?

Süßstoffe sind für Menschen, die abnehmen wollen, oft ein Lichtblick, um doch ein wenig Süße ins eigene Leben bringen zu können. Neue Studien bringen den gesundheitlichen Aspekt dieses Zuckerersatzes nun ins Wanken. Sind Süßstoffe gesundheitsschädigend? rbb Praxis hat dazu Dr. Stefan Kabisch befragt. Er ist Studienarzt in der Abteilung für Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke.

Süßstoffe helfen beim Abnehmen. Ein Werbeslogan, von dem man sich verabschieden muss?

Diese Frage lässt sich zurzeit noch nicht eindeutig beantworten, da die Studienlage hierzu nicht eindeutig ist. Manche Studien untermauern, dass Süßstoffe die Gewichtsreduktion unterstützen, weil sie anders als Zucker eben keine Kalorien haben. Andere Untersuchungen sehen keinen Vorteil oder deuten sogar an, dass Süßstoffkonsumenten ihre Kalorienersparnis nicht nur mit anderen Lebensmitteln wieder ausgleichen, sondern aus der Nutzung von Süßstoffen sogar Gewichtszunahme und Stoffwechselverschlechterung resultieren können. 

Studien scheinen einen negativen Einfluss auf den Stoffwechsel des Menschen zu beobachten. Sind alle spannenden Fragen dazu bereits beantwortet?

Nein, im Gegenteil. Viele Fragen sind noch offen. Ziemlich sicher beantwortet ist, dass Süßstoffe in üblicher Dosis weder akut toxisch sind, noch langfristig zu Krebserkrankungen führen. Weniger gut wissen wir, inwieweit das komplexe menschliche Hormonsystem auf Süßstoffe reagiert. Und auch der Darm bzw. die Darmbakterien verändern ihre Aktivität möglicherweise unter dem Einfluss von Süßstoffen.

Ist angesichts des möglicherweise erhöhten Diabetesrisikos bald eine Neubewertung der Süßstoffe nötig?

Falls Süßstoffe zum Diabetesrisiko beitragen, ist dieser (statistische) Effekt nicht besonders groß. Einige Hinweise gibt es darauf, aber sie sind noch nicht eindeutig zu interpretieren. Zu einer Neubewertung braucht es größere Studien, die insbesondere nicht nur zurückblickende Fragebögen zum Essverhalten bzw. zu Ernährungsgewohnheiten auswerten, sondern sehr gezielt die Wirkung der Süßstoffe über einen langen Zeitraum untersuchen. Solche Studien sind sehr langwierig und teuer, aber eben notwendig, um einen schädlichen Effekt eindeutig einer bestimmten Ursache, z.B. den Süßstoffen, zuschreiben zu können. Hinzu kommt, dass es sehr viele verschiedene Süßstoffe gibt. Inwieweit diese sich in ihrer biologischen Wirkung unterscheiden, müsste dabei auch geklärt werden. Möglicherweise sind nicht alle Süßstoffe gleichermaßen schädlich oder nützlich.

Immer mehr Süßstoffe sind in Fertignahrungsmitteln zu finden. Kann das weiterhin als "unbedenklich" eingestuft werden?

Fertignahrungsmittel sind aus verschiedenen Gründen problematisch. Süßstoffe, sofern sie sich als eindeutig nachteilig erweisen sollten, sind da nur ein Faktor. Ob sie nachteilig sind, ist wie gesagt noch nicht abschließend geklärt. Hochverarbeitete Produkte (z.B. Fertigmahlzeiten) enthalten aber meist auch wenig Ballaststoffe und Vitamine, dafür mehr Salz, Konservierungsmittel und andere Zusatzstoffe und ein ungünstiges Nährstoffverhältnis: schnell-verdauliche Kohlenhydrate und tierisches Fett, aber wenig Eiweiß. Es gibt also genug andere Argumente, um lieber frisch zu kochen und Produkte zu kaufen, die so wenige Verarbeitungsschritte wie möglich hinter sich haben.

Von der WHO wurden Tageshöchstmengen für Süßstoffe festgelegt. Wie gut sind die Daten, auf die sich die Angaben zu den Höchstmengen beziehen?

Die Tageshöchstmengen für Süßstoffe sind mit einem großen Sicherheitsspielraum ausgelegt. Studien zur Gefährlichkeit von Süßstoffen werden meist an Versuchstieren mit deutlich höheren Stoffmengen durchgeführt. Um über die alltägliche Nahrung die Tageshöchstdosis zu überschreiten, muss man relativ große Mengen an Softdrinks oder Fertigprodukten zu sich nehmen. Außerdem nutzen viele Hersteller ein Gemisch von Süßstoffen, um einerseits den Geschmack zu optimieren und andererseits die Menge jedes einzelnen Süßstoffs reduzieren zu können.

Werden Süßstoffe im Körper abgebaut?

Süßstoffe sind chemisch sehr verschieden, es gibt zig Varianten mit anderer Molekülstruktur. Das beeinflusst letztlich, wie sich Süßstoffe im Körper verhalten. Drei Beispiele: Während Saccharin in den Körper aufgenommen und wieder ausgeschieden wird, wird z.B. Aspartam von Darmenzymen gespalten. Die Spaltprodukte, ganz normale ungiftige Aminosäuren, dienen dem Körper als herkömmlicher Baustoff oder Energieträger. Sucralose wiederum wird in der Regel weder verdaut noch aufgenommen, sondern unverändert mit dem Stuhl ausgeschieden.  

Süßstoffe im Grundwasser – wie kommen die da hin?

Einige Süßstoffe sind sehr stabil, gegenüber unseren eigenen Verdauungsenzymen, aber auch gegenüber Bakterien und industriellen chemischen Abbauvorgängen. Genauso wie bestimmte Hormone oder Medikamente durchlaufen manche Süßstoffe unseren Körper und verlassen ihn wieder über Stuhl und Urin. Da selbst in Kläranlagen nicht alle Substanzen bereinigt werden können, sammeln sich diese über die Zeit im Grundwasser an. Ob dabei langfristig eine gefährlich hohe Konzentration erreicht wird, hängt von der Substanz ab.

Für wen sind Süßstoffe sinnvoll?

Süßstoffe haben ihr Haupteinsatzgebiet vor allem in der Prävention und Behandlung des Übergewichts. Wer sein Gewicht halten oder reduzieren will, kann auf Süßstoffe zurückgreifen. Auf diese Weise kann man weiterhin süße Lebensmittel konsumieren, spart aber die Kalorien des Zuckers ein. Allerdings bekräftigt man damit auch die Vorliebe für Süßes; das kann u.a. den Nutzen der Süßstoffe schmälern (s.o.).

Was ist Ihre liebste Süßspeise?

Besonders gern greife ich zu richtig bitterer Schokolade. Die schmeckt einerseits spannender als eine rein süße Nascherei und setzt außerdem dem Heißhunger auf Süßes damit ganz natürlich eine Grenze.

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Pia Kollonitsch.

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