Interview l Neue Hilfe gegen Epilepsie - Mit Laserstrahlen gegen die Anfälle
Seit 2019 bietet die Universitätsklinik Magdeburg, als erste Klinik in Deutschland, ein neuartiges Verfahren im Kampf gegen Epilepsie an: Mit Hilfe einer Lasersonde wird pathologisches Hirngewebe millimetergenau entfernt. So können Patienten eine offene Operation vermeiden und sind schneller wieder fit. Wie funktioniert das genau und für wen? Antworten von Prof. Dr. Jürgen Voges, Direktor der Universitätsklinik für Stereotaktische Neurochirurgie in Magdeburg.
Von einer aktiven Epilepsie sprechen Experten, wenn die Anfälle von selbst - also ohne besonderen Anlass - immer wieder auftreten. Jeder 100. Deutsche ist von Epilepsie betroffen. Dabei entladen sich Nervenzellen ganz plötzlich und reißen gesunde Nervenareale oder das gesamte Gehirn mit sich in den Ausnahmezustand.
Als Behandlung einer Epilepsie standen bisher hauptsächlich Medikamente oder eine Operation zur Verfügung. Doch Forscher an der Uniklinik Magdeburg haben ein neues Verfahren per Lasersonde entwickelt, das für Patienten besonders schonend sein kann, gerade imVergleich zu vorherigen Methoden. Allerdings ist es nicht für jeden geeignet.
Prof. Voges, was ist das Problem bei der Epilepsie?
Das Gehirn ist ja im Wesentlichen ein elektrisches Organ. Es funktioniert, weil elektrische Entladungen von Nervenzellen geordnet zwischen den verschiedenen Hirnregionen und verschiedenen Nervenzellen ausgetauscht werden. Bei Epilepsie dagegen tritt diese elektrische Aktivität ungeordnet und anfallsartig auf. Befällt sie eine einzelne Hirnregion, sind die Patienten meist noch wach, haben aber je nach Region typische Störungen.
In anderen Fällen sind mehrere Hirnregionen betroffen, dann sprechen wir von einem generalisierten Anfall. Diese Patienten werden bei einem Anfall oft bewusstlos, beißen sich auf die Zunge oder nässen ein. Und dann gibt es noch Patienten, bei denen ein Anfall an einer bestimmten Stelle beginnt und dann auf das ganze Gehirn übergreift.
Wie ist das Gehirn bei Epilepsie verändert?
Man unterscheidet ja im Gehirn zwischen grauer und weißer Substanz. Eine typische Veränderung bei Epilepsie kann sein, dass die graue Substanz an der Oberfläche der Hirnrinde verdickt ist. Oder aber, dass graue Substanz in der Tiefe des Gehirns neben den Hirnkammern liegt, wo sie aber eigentlich gar nicht hingehört.
Bei Kindern sehen wir gelegentlich Veränderungen im Hypothalamus, sogenannte Hamartome. Sie liegen in Bereichen in der Mitte des Gehirns, die man operativ schlecht erreicht.
Wie ist die klassische Therapie bei Epilepsie?
Zuerst wird eine Epilepsie mit Medikamenten behandelt. Man schaut, ob die Anfälle dadurch weniger werden oder ob der Patient sogar anfallsfrei wird. Spricht er auf zwei verschiedene Medikamente nicht an, geht man davon aus, dass die Erkrankung medikamentös nicht beherrschbar ist. Das trifft auf etwa ein Drittel aller Patienten zu.
Man kann dann noch verschiedene Medikamente kombinieren. Aber im Prinzip kann man bei einem Patienten, bei dem man auf MRT-Bildern Gewebeveränderungen sieht, die für die Anfälle verantwortlich sein könnten, ziemlich rasch überlegen, ihn neurochirurgisch zu behandeln. Klassischerweise passiert das in einer sogenannten offenen neurochirurgischen OP, bei der das Hirngewebe, das für die Anfälle verantwortlich ist, herausgeschnitten wird.
Seit diesem Jahr setzen Sie jedoch an Ihrer Klinik ein neues Verfahren ein, die Laserablation. Was ist das?
Bei der Laserablation schieben wir eine Lasersonde durch ein nur drei Millimeter großes Loch im Schädel der Patienten und können dann das Gewebe durch Hitzeeinwirkung abtragen. Das Prinzip Hitze kam auch früher schon zur Anwendung: Das nennt sich Radiofrequenz-Thermoablation. Wenn relativ viel Hirngewebe abgetragen werden muss, stößt diese Methode jedoch an ihre Grenzen.
Da ist der Laser besser geeignet. Bei manchen Stellen im Gehirn macht er es überhaupt erst möglich, dort zu operieren. Außerdem – und das ist ein sehr wichtiger Vorteil – kann der Fortschritt beim Laser während der OP live per MRT kontrolliert werden. Damit ist es auch möglich, ein Temperaturlimit zu setzen. Erhitzt sich das Gewebe in der Umgebung durch den Laser zum Beispiel auf eine bestimmte kritische Temperatur, schaltet das Gerät automatisch ab, um nichts zu zerstören. Auch das ging vorher nicht.
Wie läuft der Eingriff ab?
Zuerst implantieren wir im OP die Lasersonde in das Gehirn des Patienten. Danach wird der Patient ins MRT gefahren, wo er auch während des gesamten Eingriffs in Narkose verbleibt. Dann machen wir eine Probeablation, indem wir das Gewebe nur ein wenig erhitzen. Die Veränderungen, die dadurch auf dem MRT-Bild zustande kommen, nutzen wir sozusagen als Ausgangspunkt für die Erhitzung während des eigentlichen Eingriffs, während dem wir die Sonde auch neu positionieren können. Beendet ist der Eingriff, wenn das Gewebe, das die Epilepsie verursacht hat, vom gesunden Hirngewebe abgetrennt ist.
Wie lange dauert die Laserbehandlung?
Mit allen Schritten, die dazu gehören - also der vorherigen Implantation der Sonde und auch den Kontrollen danach - etwa fünf Stunden. Und wir brauchen dazu ein ganzes Team mit Vertretern verschiedener Disziplinen: Neurochirurgie, Anästhesie, Neuroradiologie und auch Physik.
Was sind die Vorteile gegenüber der klassischen Operation?
Gerade in der Tiefe des Gehirns ist die Laser-Methode möglicherweise präziser, weil der Operateur auf dem MRT-Bild direkt sehen kann, wie viel Gewebe er schon wegoperiert hat. Vor allem aber ist das Vorgehen weniger invasiv. Dadurch reduzieren wir bei der Lasermethode zum Beispiel das Risiko für Wundheilungsstörungen oder Nachblutungen nach dem Eingriff. Die Patienten sind schneller wieder fit. Aber wir behalten sie nach dem Eingriff sicherheitshalber trotzdem eine Woche auf Station.
Gibt es schon Zahlen dazu, wie gut die Methode wirkt?
Erste Daten deuten darauf hin, dass die Lasermethode die epileptischen Anfälle ähnlich gut reduziert wie eine offene OP – allerdings eben bei geringeren Nebenwirkungen. Ob sich das bei den verschiedenen Epilepsie-Lokalisationen so erhärtet, werden wir erst sagen können, wenn wir mehr Patienten mit einer Laserablation behandelt haben.
Wie viele Laser-Eingriffe haben Sie schon gemacht?
Wir haben lange auf die Zulassung gewartet. In den USA wird die Methode schon seit 2007 angewendet, dort behandelt man damit auch schon kleinere und gut begrenzte Tumoren. Aber hierzulande hat der Laser erst 2019 ein CE-Zertifikat und damit eine Zulassung bekommen. Bis Ende des Jahres werden wir auf acht Patienten kommen, für Anfang nächsten Jahres sind auch schon zwei Termine verplant.
Hätten Sie mehr Patienten und OPs erwartet, ein größeres Interesse?
Ein wenig mehr schon, ja. Wir können uns das nur so erklären, dass sich vielleicht einige Patienten schon mit ihrer Erkrankung arrangiert haben – mit allen Nachteilen. Wir hoffen, dass mit dem neuen Verfahren auch die Angst bei den Patienten etwas zurückgeht und die Akzeptanz für eine operative Behandlung steigt. Ich kann nur an die behandelnden Ärzte appellieren, die Patienten auf diese Option hinzuweisen.
Es ist ja bereits gut dokumentiert, dass eine frühe Operation die Ergebnisse verbessert. An der Charité haben wir beispielsweise eine Kooperation mit Professor Holtkamp von der Klinik für Neurologie, der auch Medizinischer Direktor des Epilepsie-Zentrums Berlin-Brandenburg ist. Dort wird bewusst geschaut, ob ein Epilepsie-Patient für eine OP infrage kommen würde. Wenn ja, dann kann es sein, dass wir ihn hier in Magdeburg etwas später mit dem Laser behandeln. Die Kosten dafür übernimmt übrigens die Kasse.
Danke für das Gespräch, Professor Voges.
Das Interview führte Florian Schumann.