Radio-Interview | Hilfe für Menschen mit Depression - Leben mit Depression in Zeiten von Corona
Über fünf Millionen Erwachsene in Deutschland leiden an Depressionen. Die Krankheit gilt hierzulande als häufig. Eigentlich gibt es gut wirksame Therapien, aber was passiert mit Patienten in Zeiten von Corona? Was macht das Abstands-Gebot mit Betroffenen und ihrer Therapie?
Berlin Alexanderplatz, die Brandenburger Straße in Potsdam oder der Altmarkt in Cottbus - viele Orte haben sich komplett gewandelt. Wo früher viel Menschengewusel war, ist es leer. Wo Menschen sind, gehen sie auf Abstand.
Für Menschen mit Depression, ist die Situation gerade besonders schwer, sagt Prof. Dr. Andreas Bechdolf, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie am Berliner Vivantes Klinikum Am Urban, Abteilung Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik: "Was wir wissen ist, dass Menschen mit Depression Information eher daraufhin filtern: Was kann belastend sein. Oder was ist vielleicht eher negativ. Diese Art von Information spricht Menschen mit Depression mehr an oder sie interpretieren Informationen in diesem Sinne. Und das wissen wir ja alle: Diese Informationen sind ja jetzt viel um uns alle rum, die uns potentiell beunruhigen können."
Der Zwang zur Kontaktbeschränkung ist für Betroffene besonders bitter, weil es ihnen in depressiven Episoden ohnehin schwer fällt aktiv zu sein und soziale Kontakte aufzunehmen, sagt Andreas Bechdolf: "Von daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt depressive oder ängstliche Symptomatik mehr wird, größer als in Nicht-Corona-Zeiten. Das wissen wir auch aus Untersuchungen in China, wo ja die Pandemiewelle schon war."
Umso wichtiger ist deshalb nun: trotzdem weiter Kontakte zu pflegen - z.B. in Videokonferenzen oder per Telefon. Auch die Behandlung durch Psychotherapeuten ist online möglich - und diese Möglichkeiten wurden stark ausgeweitet sagt Prof. Bechdolf: "Das ist eine Veränderung, die jetzt in den Corona-Zeiten getroffen wurde: Niedergelassene Psychotherapeuten können die Sitzung als Video-Sitzung anbieten. Und das ist ja für Menschen, die den Therapeuten schon kennen, eine gute Möglichkeit. Wenn ich jetzt ganz neu anfange ist es vielleicht eine Schwelle, aber wir wissen auch aus der Wissenschaft, dass Videositzungen gut wirken, also das ist wirklich nochmal eine Chance für die Betroffenen."
Was Menschen - nicht nur mit Depressionen - psychisch durch diese besondere Zeit hilft ist vor allem:
- Eine Tagesstruktur aufbauen,
- Bewegung und Atemübungen als feste Rituale einplanen
- Kontakte pflegen: digital, aber auch ein Lächeln über den Balkon kann helfen.
- Und: Sich täglich Aufgaben stellen, z.B. im Haushalt
Auch wer die Diagnose Depression nicht hat, sollte aufmerksam bleiben, um sich im Zweifel Hilfe zu holen, ergänzt Prof.Dr. Thomas Fydrich, Mitglied der Kommission für Psychologie und Psychotherapieausbildung: "In dem Moment in dem ich merke, dass meine inneren Sorgen, dass mein Grübeln, dass mein Alltag sehr sehr breit davon bestimmt wird, dass ich schlaflos werde, dass ich mir größte Sorgen mache - die ja teilweise berechtigt sind - aber damit selbst nicht mehr klar komme und meine Funktion, also meine Alltagsfunktionen, deutlich eingeschränkt sind - das ist ein Punkt, wo man Hilfe aufsuchen kann."