Blick in Metallkiste mit Tablettenblistern, Sprays & Co (Bild: imago images/Jochen Tack)
Bild: imago images/Jochen Tack

Interview l Heilende Must-haves und wie sie zu lagern sind - Hausapotheke mit System

Für den Stiftung-Warentest-Ratgeber "Die Hausapotheke" haben Prof. Gerd Glaeske und sein Team 700 rezeptfreie Medikamente getestet. Das Ergebnis: Die Hälfte ist wenig geeignet. Mit uns hat Prof. Glaeske darüber gesprochen, warum viele Hausapotheken einer Sondermülldeponie ähneln und wie Sie es bei Ihrem Exemplar besser machen können.

Sie könnte der Retter in der Not sein - wenn sie denn richtig ausgestattet wäre: Die Hausapotheke. Was braucht man wirklich? Und welche rezeptfreien Medikamente wirken wirklich und sollten deshalb dabei sein in der eigenen Notfall-Reserve? Für die Stiftung Warentest haben Prof. Gerd Glaeske und sein Team 700 rezeptfreie Medikamente unter die Lupe genommen - etwa die Hälfte fiel durch.

Herr Prof. Glaeske, mit dem Ratgeber "Die Hausapotheke" wollen Sie Systematik in die Medizinkramschubladen bringen. Warum ist das nötig?
 
Die üblichen Hausapotheken sind oft ein großes Durcheinander, ich nenne sie auch liebevoll "Sondermülldeponie".     

Erklären Sie mir das, bitte!

Ich stelle immer wieder irritiert fest, dass Hausapotheken voll sind von Arzneimitteln, die dort nicht hineingehören. Sprich: Reste – teilweise bereits abgelaufen – von verschreibungspflichtigen Salben, Tabletten, Sprays oder Kapseln, die irgendwann irgendwer in der Familie verordnet bekommen hat.
 
Das ist problematisch, weil das Arzneimittel für einen ganz bestimmten Menschen in einer ganz bestimmten Situation gedacht war – und nicht ohne ärztliche Absprache einfach so von einem anderen Familienmitglied genutzt werden sollte.
 
Aber auch nicht verschreibungspflichtige Mittel, wie abschwellende Nasensprays, gehören nach der Behandlung in den Müll, um zu verhindern, dass darüber Viren an andere gelangen.

Wie oft sollte ich schauen, ob die Medikamente in meiner Hausapotheke noch gut sind - und woran erkenne ich das?
 
Am besten Sie kontrollieren einmal in Jahr, was abgelaufen ist und was sich in der Konsistenz verändert hat: Wenn Cremes flüssig werden oder eingetrocknet sind, Tabletten anfangen zu bröseln, weil sich ihre Struktur geändert hat, dann sollten Sie diese über den Hausmüll entsorgen.
 
Schauen Sie auch nach, ob die Pflaster noch vernünftig aussehen und kleben. Wenn etwas fehlt, besorgen Sie Nachschub und schauen auch da noch einmal: Was hat sich in dem Jahr verändert? Brauche ich für das Kind jetzt andere Mittel, weil es älter geworden ist?

Gerd Glaeske

Die Reste gebrauchter Arzneimittel nach der Behandlung direkt entsorgen – und zwar über den Hausmüll. Medikamente gehören nicht in die Toilette oder das Waschbecken!

Stichwort Lagerung: Irgendwie haben sich Medizinschränkchen oder -schubladen in Badezimmern etabliert ...
 
Eine Hausapotheke gehört nicht ins Badezimmer, wo die Luftfeuchtigkeit durch Duschen und Baden sehr hoch ist. Besser sind trockene, niedrig temperierte Räume, wie das Schlafzimmer oder Abstellräume.
 
Wichtig ist auch, dass sich die Hausapotheke abschließen lässt. Oft sind Kinder im Haus, die gerne mit den bunten Pillen spielen und sie dann leider auch oft in den Mund stecken, was zu schweren Vergiftungen führen kann.

Haben Sie Tipps, wie ich die Hausapotheke übersichtlich gestalte?
 
Hilfreich ist es, das Kaufdatum auf die Verpackung zu schreiben und am besten auch noch, für wen das Arzneimittel gekauft wurde: Sind es Fieber-Zäpfchen für das Kleinkind? Oder Magenmittel für den erwachsenen Sohn?
 
Das ist wichtig, um zu verhindern, dass Arzneimittel unsystematisch und in falscher Dosierung eingenommen werden, frei nach dem Motto: "Ich habe Magenschmerzen, also nehme ich das mal".

Wir haben nun darüber gesprochen, was nicht in eine Hausapotheke gehört. Was sollte denn rein?
 
Das ist individuell verschieden: Eine Familie mit mehreren Kleinkindern braucht andere Dinge, als ein Rentnerehepaar. Deshalb sollte man sich gezielt fragen: Welche Arzneimitteln brauchen diejenigen, die im Haushalt wohnen, häufiger?

Zum Beispiel gehören in eine Hausapotheke:
 
· Schmerz- und Fiebermittel (für Säuglinge und Kleinkinder andere, als für Erwachsene)
 
· Mittel gegen Verdauungsbeschwerden, wie Erbrechen oder Durchfall
 
· Elektrolytmischungen (insbesondere wichtig für Kinder mit Durchfall)
 
· Wunddesinfektionsmittel
 
· Verbandszeug, Pflaster
 
· Fieberthermometer
 
· Mittel gegen Insektenstiche, Sonnenbrand und Juckreiz
 
· Mittel bei Erkältungen, wie Hustenbonbons oder Tropfen, die das Immunsystem stärken können, Nasenspray
 
Man muss nicht alles vorrätig haben, aber vielleicht ein paar Dinge, die für Krankheiten genutzt werden können, die im Haushalt öfter auftreten und auch etwas für Notfälle. Ich empfehle auch, eine Art Gebrauchsanleitung im Medizinschränkchen zu befestigen.

Faustregel

Schmerzmittel sollten nicht länger als an vier aufeinander folgenden Tage eingenommen werden und maximal an zehn Tagen im Monat.

Was sollte auf dem Waschzettel für das Medizinschränkchen stehen?
 
Dort steht alles, was man in einem wichtigen Moment richtigerweise tun soll. Deshalb stehen da zum einen wichtige Telefonnummern, wie der allgemeine Notruf oder die Vergiftungszentrale, damit ich im Notfall genau und schnell weiß, wen ich am besten anrufe.
 
Außerdem stehen dort kurze Anleitungen für Notfälle. Zum Beispiel, dass man bei Verbrennungen kühlendes Wasser über die betroffenen Stellen laufen lässt. Bei Schürfwunden kann man ein leichtes Desinfektionsmittel anwenden. Bei Verletzungen mit Glas, sollte das Glas mit einer feinen Pinzette aus der Wunde gezogen werden. Aber auch, in welchen Situationen man rasch einen Notarzt rufen sollte, wie z.B. bei starken allergischen Reaktionen.

Gibt es eine Faustregel, wann die Hausapotheke zum Einsatz kommt und wann ich doch lieber gleich zur Ärztin gehen sollte?
 
Eine direkte Faustregel gibt es nicht. Sie sollten sich die Frage stellen: Was kann ich selbst tun? Und damit verbunden: Wie lange setze ich Arzneimittel ein, unter welchen Bedingungen, mit welchen Dosierungen und welche Wirkungen kann ich erwarten?
 
Fieber ist ein gutes Beispiel, wo man eine Grenze ziehen kann: Bis 38,5 Grad Celsius spricht man von erhöhter Körpertemperatur, die für das Immunsystem nicht unwichtig ist, weil dadurch auch heilende Kräfte angeregt werden. Anderseits kann Fieber ab 39 Grad eine behandlungsbedürftige Situation darstellen. Insbesondere bei Kindern und immer dann, wenn man keine äußeren Anlässe für das Fieber erkennt, sollte man zu einer Ärztin oder einem Arzt gehen.

Gleiches gilt auch für unerklärliche Schmerzen oder Magenbeschwerden, die plötzlich auftreten und die ich nicht einordnen kann – ein Fall für Mediziner. Da sollten Sie sich genau untersuchen lassen und fragen, welche Diagnose dahinter steckt und nicht selbst behandeln. Haben dagegen fast alle in der Familie akut eine Erkältung und ich bekomme auch Kopf- und Gliederschmerzen, dann kann ich davon ausgehen, dass ich mich angesteckt habe und kann zu meiner Linderung zum Beispiel Ibuprofen oder Paracetamol aus der Hausapotheke nehmen.

Im Test haben Sie sich auch mit der Wirkung von Arzneimitteln auseinandergesetzt. Wie gut haben pflanzliche Mittel abgeschnitten?
 
Viele Menschen scheinen zu glauben, dass nicht rezeptpflichtige Arzneimittel, ob pflanzlich oder nicht, immer gut verträglich sind. Nach dem Motto: Wenn sie Nebenwirkungen hätten, müssten sich auch rezeptpflichtig sein. Das ist nicht so. Es gilt ein Lehrsatz in der Pharmakologie: Wenn für Arzneimittel behauptet wird, sie hätten keine unerwünschten Wirkungen, dann haben Sie wahrscheinlich auch keine Hauptwirkungen.
 
Leider konnten wir viele der pflanzlichen Mittel nur als wenig geeignet einstufen, weil es keine Studien gab, die einen Nutzen für die Patientinnen und Patienten beleget hätten. Vieles wird eben nur traditionell angewendet. Teilweise sind das auch Mittel, die stark beworben und auch in den Apotheken sehr stark nachgefragt, empfohlen und gekauft werden – das überrascht uns immer wieder.
Pflanzliche Präparate mit nachgewiesener Wirkung sind zum Beispiel Johanniskraut bei depressiven Verstimmungen oder bestimmte Baldrian-Produkte zur Behandlung von Unruhezuständen oder Schlafstörungen.
 
Insgesamt sind wir zum Ergebnis gekommen, dass die Hälfte der rezeptfreien Medikamente wenig geeignet ist. Wir mussten viele Arzneimittel abwerten, weil wir keine vernünftigen Daten finden konnten, die einen Nutzen belegt hätten. Darunter viele stark beworbene Produkte in so wesentlichen Gruppen wie Erkältungspräparaten, Mittel gegen Hals- und Magenschmerzen oder auch Rheumasalben.

Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Glaeske!
Das Interview führte Ariane Böhm

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