Resistenzen vermeiden - Welche Antibiotika sind wann sinnvoll?
Antibiotika waren einst die Revolution in der Medizin, doch die Mittel gegen hartnäckige Erreger drohen immer knapper zu werden - auch weil immer noch zu leichtfertig und oft ungezielt Antibiotika eingesetzt werden, mahnen Experten. Wie sieht ein verantwortungsvoller Umgang mit Antibiotika aus? Wann braucht es sie wirklich und wie können Erreger-Tests dabei helfen, Resistenzen zu vermeiden?
Sie sind der Albtraum für Arzt und Patient: Multiresistente Keime. Bakterien, die gegen viele Antibiotika immun sind, im schlimmsten Fall auf keines mehr reagieren. Das Immunsystem ist beim Kampf gegen sie deshalb sich selbst überlassen - eine extreme Gefahr.
Auf Basis der Daten der Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) des RKI und der Prävalenzstudie im Jahr 2013 gehen Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) davon aus, dass pro Jahr 30.000 - 35.000 Menschen in Deutschland an multiresistenten Keimen sterben. Je mehr Resistenzen entstehen, desto größer wird die Gefahr einer Infektion, gegen die am Ende nur noch wenige, schlimmstenfalls kein Antibiotikum mehr hilft. Doch wie lässt sich das verhindern?
Wann sind Antibiotika unnötig?
Ein wichtiger Schritt: Der sparsamere Einsatz von Antibiotika. Denn in vielen Fällen, in denen sie verschrieben oder von Patienten eingefordert oder eingenommen werden, könnte man darauf verzichten. Zum Beispiel bei vielen Erkältungskrankheiten - einerseits, weil es hier oft auch andere Behandlungsmethoden gibt, andererseits, weil viele Erkältungen durch Viren verursacht werden, gegen die Antibiotika unwirksam sind - sie helfen nur bei bakteriellen Infektionen. Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse erhielten trotzdem 2016 rund 27 Prozent der Beschäftigten, die wegen einer Erkältung krankgeschrieben waren, Antibiotika. Zu viel, mahnen Experten, auch wenn die Zahl glücklicherweise gegenüber einer Erhebung von 2008 um rund 10 Prozent gesunken sei.
Wann braucht es Antibiotika wirklich?
Als wirklich wichtig gelten Antibiotika dagegen bei schweren Erkrankungen, wie Lungenentzündung, Blutvergiftungen, Harnwegsinfektionen, Nierenbeckenentzündungen oder auch Nebenhöhlenentzündung (Sinusitis). Allerdings: Auch hier können Antibiotika "eingespart" werden - vor allem, in dem der Arzt schnell das wirksamste gegen den jeweiligen Erreger findet und weniger mit sogenannten Breitspektrumantibiotika arbeiten muss. Das sind Antibiotika, die viele Bakterien aus dem grammpositiven und grammnegativen Bereich umfassen, in besonders breiten Varianten auch z.B. Chlamydien, Mykoplasmen oder Protozoen. Erreger-Tests vor dem Einsatz könnten hier helfen.
Was können Antibiogramme?
Um Resistenzen zu verhindern, haben Berliner Hygieneärzte ein Konzept entwickelt, das nun in einem Modellversuch mit der BKK Nordwest z.B. in NRW erforscht wird. Ansatzpunkt: das Antibiogramm. Dabei wird der Keim analysiert, bevor Antibiotika eingesetzt werden, erklärt Klaus-Dieter Zastrow, Chefarzt und Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Vivantes Klinken Berlin: "Das heißt: Wir versuchen herauszukriegen welches Antibiotikum wirkt und warten nicht eine Woche ab oder behandeln auf Verdacht - denn das sind die Ursachen für die Katastrophen. Wir merken: Der hat etwas, nehmen Blut ab, machen eine Kultur. Nach zwei, drei Tagen wissen wir, dass dieses oder jenes Antibiotikum wirksam ist - dann kann dem Patienten nichts mehr passieren."
Das Antibiogramm soll Resistenzen verhindern, indem nur die Antibiotika eingesetzt werden, die auch sicher eine große Wirkung entfalten können. Beim Modellversuch der Krankenkasse BKK in Nordrhein-Westfalen wird das Antibiogramm dabei von der Kasse bezahlt, um Ärzten einen Anreiz zu schaffen. Studien hatten nämlich erst Ende 2016 wieder gezeigt: 95 Prozent der Antibiotika werden auf Verdacht, also ohne diagnostische Absicherung verschrieben.
Antibiogramm - keine Hilfe für jeden, aber für immer mehr?
Zwar kommt das Antibiogramm nicht für jeden Patienten in Frage - je nachdem, wie akut der sofortige Handlungsbedarf durch eine Krankheit ist. Aber Prof. Klaus-Dieter Zastrow ist überzeugt: In den meisten Fällen könne der Arzt es sich leisten ein bis zwei Tage Laboruntersuchung abzuwarten, um dann gezielt den Keim zu bekämpfen. Und: neue, schnellere Tests sind in der Entwicklung. In den USA haben Wissenschaftler des California Institute of Technology (Caltech) sowie von der University of California gerade einen Test in der Zeitschrift Science Translational Medicine vorgestellt, der bei Harnwegsinfektionen binnen nur 30 Minuten feststellen kann, welche Antibiotika wirken. Möglich wird das laut Experten durch genetische Verfahren in Verbindung mit klassischen Zellkulturen.
Was tun gegen die "Keime auf Reisen"?
Antibiotikaresistente Keime wurden in den deutschen Medien in der Vergangenheit vor allem mit MRSA in Verbindung gebracht. Doch die Resistenzen dagegen sind seit wenigen Jahren stagnierend, sogar leicht rückgängig. Im Ausland dagegen sind andere Keime in dieser Hinsicht auf dem Vormarsch: Vankomyzinresistente Keime und grammnegative multiresistente Erreger. Sie kommen zum Beispiel häufig in Indien, Südostasien, aber auch Südamerika, und sehr häufig zum Beispiel in Brasilien und Afrika vor. Das geht auch aus aktuellen Studien von Prof. Dr. Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene der Charité, hervor. Sie ist auch Direktorin des Nationalen Referenzzentrums für Surveillance, das seit rund 20 Jahren Infektionen mit nosokomialen Keimen (Krankenhauskeimen) und multiresitenten Keimen überwacht. Auch die "Keime aus dem Urlaub" können Atemwegsinfektionen, Wundinfektionen oder Sepsis hervorrufen und lebensgefährlich werden.
Gegen diese Keime gibt es speziell wirksame Antibiotika. Das Problem: Bis die zum Einsatz kommen, weil der Keim identifiziert ist, vergeht oft wertvolle Zeit und andere - zum Beispiel Breitbandantibiotika - werden eingesetzt.
Antibiotika richtig einnehmen
Ist das richtige Antibiotikum gefunden, kommt es auf den Patienten an, es richtig anzuwenden: Nur mit Hilfe der richtigen Dosierung über den richtigen Zeitraum kann das Medikament seine volle Wirkung entwickeln. Antibiotika zerstören Bakterien und/oder verhindern deren Vermehrung - aber das kann nur dann gelingen, wenn der Wirkstoff in der richtigen Menge im Körper vorhanden ist. Insbesondere das zu frühe Absetzen von Antibiotika kann dazu führen, dass hartnäckige Bakterien überleben und Resistenzen bilden.
Aber: Auch in Sachen Wechselwirkungen ist es wichtig, dass der Patient alle Informationen an den Arzt weitergibt. So können Magensäurehemmer die Aufnahme des Wirkstoffs hemmen. Umgekehrt können manche Antibiotika zum Beispiel bei Diabetikern die Blutzuckerwerte beeinflussen. Für unseren künftigen Schutz vor Keimen, gegen die nichts mehr hilft, kommt es also auch auf jeden Einzelnen an Antibiotika - zusammen mit dem behandelnden Arzt - sinnvoll einzusetzen.