Interview l Zukunftsforschung - Chancen für Gewebenachbau per 3D-Drucker
Mit dreidimensionalen Drucktechnologien lassen sich längst z.B. Gerüste entwickeln, auf denen Zellen angesiedelt werden können, die Gewebe bilden. Könnten so bald Organe oder sogar eine menschliche Netzhaut per Drucker "nachgebaut" werden? Wissenschaftler treffen sich zur Zeit auf einer digitalen Konferenz des Exzellenzclusters "3D Matter Made to Order" (3DMM2O) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Uni Heidelberg zu diesen Themen. Wir haben bei den Konferenzvorsitzenden nachgefragt.
Herr Prof. Wittbrodt, Prof. Bastmeyer, gerade kommen internationale Forscher aus Physik, Biologie, Medizin, Informatik und noch mehr Fächern digital zusammen. Bioprinting, also mit Hilfe des 3D-Druckers am Ende Gewebe zu erzeugen, ist ein zentrales Thema. Auf was sind Sie besonders gespannt?
Prof. Dr. Joachim Wittbrodt: Vielleicht nochmal zu Bioprinting: Das klingt ja immer nach dem Motto "Ich druck mir mein Schnitzel", so in dem Stil. Und das haut nur sehr, sehr bedingt hin. Ich glaube, die Ansätze, die wir jetzt mehr und mehr sehen sind nicht, dass man die Zellen Schicht für Schicht für Schicht wie bei einem Haus aufeinandersetzt, weil man genau weiß, was sie tun, wenn man sie so und so zusammensetzt. Das wäre eigentlich dumm und ignorant - die Natur weiß es viel besser. Und ich glaube, worauf wir bauen ist eher neue Strukturen und Umgebungen zu drucken, die die Zellen und das Selbstorganisationspotenzial der Zellen so stimulieren, dass am Ende das rauskommt, was wir gerne hätten.
Also es ist nicht so, dass wir Schicht für Schicht für Schicht was aufbauen, wie das in einem normalen 3D-Drucker vielleicht passieren würde. Sondern es geht darum, dass in 3D ein Environment - eine Umgebung - gedruckt wird, vielleicht am besten noch mit Feedback der Zellen. Und dieses Konstrukt bringt die Zellen dann dahin das zu tun, was wir gerne von ihnen hätten. Wir rufen eigentlich über den Druck nur das zellendogene Potenzial ab und daraus passiert dann was. So stellt es sich für mich mehr und mehr dar.
Im Begriff "Bioprinting" steckt die Erwartung, die vor vielen Jahren vielleicht auch noch da war: Jeder hat einen 3D-Drucker daheim, [was man da mit Plastikrohstoffen kann], das machen wir jetzt mal mit Zellen und Gelatine, und ich weiß nicht was außen rum - dann drucken wir uns ein Ohr oder noch besser eine Retina – So einfach wird es nicht.
Prof. Bastmeyer: Ja, vielleicht kann ich ergänzen: Wenn man sich anschaut, was in den letzten zehn Jahren gerade in Bezug auf Organoide passiert ist - das ist absolut spannend und wird weltweit erforscht. Und das Faszinierende an Organoiden ist, dass die Zellen das Potenzial zur Selbstorganisation haben. Also wenn man den Zellen die geeigneten Bedingungen gibt, entsteht – sage ich jetzt mal salopp - ein Gehirn in der Kulturschale. Das ist schön und faszinierend, aber für uns als Grundlagenforscher hilft das nicht so richtig weiter, weil wir dann immer noch nicht verstanden haben, wie das genau reguliert wird. Wir wollen verstehen: Wie entwickelt sich ein Gewebe und was sind da die wichtigen Regulatoren? Wie können wir die Entwicklung beeinflussen? Das ist, glaube ich, eher die Idee dahinter. Wir wollen den Zellen mit einer kontrollierten Umgebung helfen, das besser zu tun, was sie eigentlich auch schon im Prinzip können.
Also mit Bioprinting kann man eine Arena erschaffen, in der Zellen sich selbst organisieren - das kann man einerseits beobachten, um mehr über die Mechanismen zu lernen. Und man kann versuchen andererseits aktiv die Zellaktivität zu lenken – mit der Art wie man diese Arena mit dem 3D-Drucker baut sozusagen. Beobachten einerseits, selber steuern andererseits – wie bewerten Sie die Gewichtung? Was spielt in den Wissenschaften die stärkere oder wichtigere Rolle?
Prof. Wittbrodt: Wir wissen, dass die Zellen es tun können. Und jetzt geht es, wie Sie richtig sagen, darum, ihnen den Weg dahin zu weisen, wo wir sie gerne hätten. Für uns hat das zwei Aspekte: Das eine ist mehr der Engineering-Aspekt - wie kriegen wir das systematisch gemacht? Und das Zweite ist der Grundlagen-Aspekt der uns sagt: Warum geht es überhaupt so? Was sind die Signale, die die Zellen dahin bringen? Wir wollen am Ende in unserem Cluster, aber auch mit der Konferenz, beides anpieksen, in beide Richtungen gehen. Wer am Ende schneller sein wird? Keine Ahnung, darum geht’s uns nicht.
Sondern einerseits geht es darum, über das Verstehen Engineering zu ermöglichen. Wenn wir das verstehen, dann kann man sagen: Das sind die Blocks, mit denen kann man wie ein Ingenieur (oder ein Kind mit Legosteinen) bauen – wenn man das systematisch macht, das wäre die ideale Welt, dann könnte das jeder tun. Was sich aber zeigt ist, dass das Ganze, na ja, nicht so geht wie Lego. Nicht: 1+1=2, sondern eher: Wenn man die richtige Mondphase erwischt und der Experimentator gerade die richtigen Wellen aussendet, usw., usw., dann klappt es. Also die Systematik ist schon reproduzierbar, aber nicht mit der höchsten Effizienz. Das Verständnis wie es geht ist überhaupt nicht da. Und aus meiner Sicht ist das aber schon Voraussetzung dafür, dass man am Ende richtig druckt. Zu sagen: OK, die Retina ist aufgebaut aus so und so vielen neuronalen und nicht-neuronalen Zelltypen und jetzt lasst uns das mal drucken. Ganz unten macht man eine Reihe Fotorezeptoren, dann legen wir da drüber die Horizontalzellen und die Bipolarzellen, dann kommen die Ganglienzellen und die Amacrinzellen und dann mach mal! Das wird so nicht gehen. Das sehe ich vielleicht bei einem Muskel, aber nicht bei einem komplexen neuronalen Organ.
Also komplette komplexe neuronale Gewebe mit Hilfe des 3D-Druckers halten Sie für nicht machbar? Zum Beispiel also eine ganze Retina, richtig?
Prof. Bastmeyer: Es gibt da verschiedene Extreme, wenn man vom Zellen-Drucken oder dergleichen spricht. Zum Beispiel: Auf der einen Seite ist die Leber. Das ist für mich ein sehr einfach organisiertes Organ mit nur wenigen Zelltypen. So ein Organ kann man mit zellulären Drucktechniken - also dass man einzelne Zellen verdruckt – in gewisser Weise realisieren. Am anderen Ende ist für mich neuronales Gewebe, also eine Retina, oder eine Großhirnrinde. Das sind geschichtete Strukturen, die aus ganz bestimmten, unterschiedlichen Neuronentypen aufgebaut sind. Aber der Witz an der Sache ist die Konnektivität über Synapsen: Also jede Zelle muss mit einer großen Anzahl bestimmter anderer Zellen verknüpft sein, damit das neuronale Gewebe als Gesamtheit funktioniert [und dies sind gewachsene Kontakte]. In der Großhirnrinde z.B. erhält jede Zelle mindestens 1000 Synapsen. So was wird man nicht drucken können.
Wir sind beide Grundlagenforscher und wollen verstehen, wie die neuronale Entwicklung reguliert wird. In meinem Labor arbeiten wir mit embryonalen Stammzellen der Maus. Das Labor von Jochen Wittbrodt konzentriert sich auf embryonale Stammzellen aus dem Fisch. Und es gibt natürlich Entwicklungsprozesse, die in der Fischnetzhaut anders verlaufen – vielleicht auch besser laufen, weil die Fischretina regenerieren kann.
Ein Ansatz wäre, Prozesse, die in der Fischretina gefunden werden, auf die Retina der Säugetiere] zu übertragen. Was muss man verändern, um die Maus-Netzhaut zum Regenerieren zu bringen. Solche Ansätze lassen sich sehr gut mit Organoiden (und somit außerhalb eines biologischen Körpers) verfolgen. Für die Retina benötigen wir daher zusätzliche Techniken, um diese Organoide in Kultur zu halten.
Das Ziel ist es also am mit Hilfe von 3D-Druckern entwickeltem bzw. Gewachsenem Gewebe zu lernen. Sie hatten ja schon angesprochen: Vielleicht etwas über die Übertragbarkeit von Fähigkeiten anderer Lebewesen auf menschliches Gewebe. Welche Möglichkeiten gäbe es da noch?
Prof. Wittbrodt: Ich denke, was wir an der artifiziellen, gedruckten Retina lernen könnten, wie Martin das sagt - wenn wir das machen würden und hätten humane Zellen, dann lassen sich darauf natürlich Medikamente testen, die möglicherweise das zelleigene regenerative Potenzial stimulieren, das wir auch im Fisch zu einem guten Teil verstehen und gerade dabei sind zu übertragen auf Säugerzellen.
So etwas lässt sich, wenn man eine gedruckte Fläche hat, natürlich in viel größerer Zahl und mit statistischer Aussagekraft testen. Am Ende kommt man dann idealerweise eher mit [Wissen und Testergebnissen zu] Medikamenten heraus, die - naja, Selbstheilung klingt immer ein bisschen naiv, aber genau das ist - eine Selbstheilung wieder zum Leben bringen, die es in unserem Auge eigentlich gar nicht mehr gibt. Wenn man wirklich so einen biomedizinischen Wunschtraum hätte, dann wäre das meiner. Aber es wird nicht die Transplantation der [künstlichen, gedruckten] Retina geben und dann sieht der Patient hinterher wieder - das geht nicht. Im Moment ist das kein reales Ziel.
Prof. Bastmeyer: Richtig und was die Wenigsten wissen ist: die zeitliche Rekapitulation der Entwicklung in Organoiden entspricht auch dem, was man in der Embryonalentwicklung findet. Das heißt: Retinale Organoide aus embyonalen Stammzellen der Maus sind nach drei Wochen ausdifferenziert, mit humanen induzierten Stammzellen dauert dieser Prozess über drei Monate, und beim Fisch nur drei Tage. Ein Zebrafisch schlüpft ja auch nach drei Tagen, sieht bereits und fängt Beute!
Und regeneriert seine Retina lebenslang?
Prof. Wittbrodt: Lebenslang, ja.
Prof. Bastmeyer: Deswegen ist es ja interessant, mit unterschiedlichen Modellorganismen zu arbeiten. Man kann Erkenntnisse von einem Modell auf das andere übertragen.
Und es geht am Ende um den Faktor Geschwindigkeit für die Forschung - wie genau?
Prof. Wittbrodt: Die Grundidee ist einfach die, dass wir mit einem schnellen System wie beim Fisch, erstmal die Grundparameter bestimmen und sehen, inwieweit die übertragbar sind. Und wenn wir eine Übertragbarkeit sehen, dann können wir ja von da aus verfeinern. Wenn wir es immer im schnellsten System machen und dann übertragen auf Maus oder Mensch, dann kann man den Test oder das Testfenster so gering wie möglich halten.
Ich denke, es ist absolut eine Beschleunigung [für die Forschung] und das ist in Bezug auf menschliche Retina eigentlich am Ende auch der einzige Weg. Wenn das Printing - und ich nenne es jetzt mal nicht Bioprinting - am Ende dazu führt, dass sich die Differenzierung der Stammzellen sehr reproduzierbar in Richtung Netzhaut treiben lässt, dann haben wir ein System etabliert, das mit hoher Effizienz auch große, repetitive Studien zulässt, um damit tatsächlich auf dem Weg eine Testung zu haben, die relativ nah an der Situation im menschlichen Auge ist.
Herr Prof. Bastmeyer, Herr Prof. Wittbrodt, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici