Künstliche Gelenke, Organe und Gewebe - Menschliche "Ersatzteile" aus dem 3D-Drucker
Menschen werden immer älter - und immer häufiger müssen Gelenke, Organe oder Gewebe ersetzt werden. Die Medizintechnik hat dabei einiges zu bieten: Künstliche Gelenke können teilweise jahrelang wichtige Funktionen übernehmen. Mit der 3D-Drucktechnik sollen diese Entwicklungen noch deutlich weiter getrieben werden.
Jedes Jahr werden in Deutschland rund 165.000 künstliche Kniegelenke eingesetzt. Ein Großteil von ihnen besteht aus vorgefertigten Endoprothesen. In 15 Prozent der Fälle passen solche Modelle nicht perfekt, weil der Patient zu groß oder zu klein ist. Dann müssen Einbußen bei der Funktion gemacht werden, oder der Chirurg muss bei der Operation mehr Knochen wegnehmen als eigentlich notwendig.
Seit etwa drei Jahren gibt es künstliche Kniegelenke, die speziell für den einzelnen Patienten hergestellt werden. "Besonders bei Patienten, deren Knochenbau vom Durchschnitt deutlich abweicht, lassen sich auf diese Weise häufig bessere Ergebnisse erzielen", sagt Prof. Dr. Christian Lüring, Direktor der Orthopädischen Klinik am Klinikum in Dortmund, die schon etwa jedes dritte Kniegelenk individuell anfertigen lassen.
Ein Knie aus dem Drucker
Grundlage des individuellen Knies ist eine CT-Aufnahme von der Hüfte bis zum Fuß, um mögliche Fehlstellungen gleich in die Konstruktion des künstlichen Gelenks einfließen lassen zu können. Dann wird zunächst ein dreidimensionales Kniemodell am Computer erstellt. Eine US-amerikanische Firma erzeugt aus diesen Daten mit dem 3D-Drucker eine Schablone, die als Gussform für das eigentliche Kniegelenk aus Chrom-Kobalt dient. Der 3D-Drucker stellt zudem passende Schablonen zur Implantation des individuellen Kniegelenks her, die dem Chirurgen zum Beispiel genau anzeigen, wo Schnitte und Bohrlöcher im Knochen gesetzt werden müssen.
Dieses neue Verfahren hat bislang viele Vorteile für die Patienten: Die Operation geht schneller, es muss weniger vom Knochen entfernt werden, was sowohl den Eingriff schonender macht als auch mögliche, spätere Wechseloperationen erleichtert. Denn dann hat der Operateur mehr Knochen zur Verfügung, um die Wechselprothese einzusetzen. Und nicht zuletzt funktionieren individuell angefertigte Prothesen in der Regel besser.
"Wir beobachten, dass die Patienten bereits in einer Frühphase nach dem Eingriff eine bessere Beweglichkeit des Gelenks erreichen", sagt Prof. Dr. Bernd-Dietrich Katthagen, der bis vor kurzem Direktor der Orthopädie am Klinikum in Dortmund war. Allerdings gibt es noch keine Langzeitdaten zu den neuen individuell angefertigten Kniegelenken, und sie sind rund 1.000 Euro teurer als herkömmliche Endoprothesen.
Gewebe und Organe – auf die "Architektur" kommt es an
Gewebe und Organe, die nicht im 3D-Drucker entstanden sind, gibt es schon länger. Grundlage dafür sind häufig Stützgerüste, die mit menschlichen Zellen besiedelt werden und zu einem Körperteil oder sogar zu einem Organ heranwachsen. Will man diese Strukturen mit dem 3D-Drucker herstellen, gibt es unterschiedlich komplexe Herausforderungen.
Haut lässt sich zum Beispiel recht einfach herstellen, weil ihre "Architektur" einfach ist und "es vor allem einen Zelltypen gibt", wie Anthony Atala, Direktor des Wake Forest Institute for Regenerative Medicine in North Carolina vor kurzem auf dem Hauptstadtkongress in Berlin erläutert hat. Die nächste Ebene seien hohle Röhren, also Blutgefäße oder die Harnröhre. Dann kommen, so Atala, hohle Organe wie Blase oder Magen. Die vierte und anspruchsvollste Ebene seien Organe wie Herz, Leber und Niere. Sie hätten sowohl eine komplexe Architektur als auch viele verschiedene Zelltypen und Funktionen.
Herzklappe per Druck
Bei komplexen Organen spielt unter anderem die gute Blutversorgung eine Rolle. Bei dem 3D-Druck dürfen die Abstände zwischen den Zellen, aus denen später Blutgefäße entstehen sollen, nicht zu groß sein. Denn die Strecke, die Nährstoffe und Sauerstoff zwischen den Gefäßen per Diffusion zurücklegen können, beträgt nur einige 100 Mikrometer.
In Berlin arbeitet ein Team der Technischen Universität gemeinsam mit dem Deutschen Herzzentrum daran, künstliche Herzklappen aus dem 3D-Drucker zu entwickeln. Dabei wird bislang noch nicht die gesamte Herzklappe mit dieser Technologie hergestellt. Vielmehr erstellen die Forscher eine individuell auf den Patienten abgestimmte Gitterstruktur in Form einer Herzklappe, die dann im Deutschen Herzzentrum mit bestimmten menschlichen Zellen besiedelt wird. Die Gitterstruktur aus einem Spezial-Kunststoff wird vom Körper so langsam aufgelöst, bis eine lebensfähige Herzklappe aus den menschlichen Zellen gewachsen ist.
Zellen statt Tinte - die 3D-Drucktechnik
Klar, ein 3D-Drucker benutzt keine Tinte, sondern verschiedenartige Zellen, Gelatine, Fibrinogen, Enzyme und Wachstumsfaktoren. Diese "Zutaten" erzeugen nicht sofort ein fertiges Gewebe, sondern aus Zellen entstehen zum Beispiel Blutgefäße, die ein künstliches Organ überhaupt erst funktionieren lassen.
Bei der Entwicklung der 3D-Drucktechnik kommt es auf Details an: Wie eng können die Zellen, aus denen Blutgefäße entstehen, gesetzt werden? Wie vermeidet man, dass die Zellen bei der Passage durch die Düsen des Druckers nicht verletzt werden? Je mehr die Technik in diesem Bereich fortschreitet, desto wahrscheinlicher ist es, dass in Zukunft vielleicht tatsächlich künstliche Organe aus dem 3D-Drucker erzeugt werden können. Hinter dieser Technologie steht ein großer Markt mit ständig steigenden Umsatzzahlen. Marktführer sind unter anderem die Firmen Stratasys, 3D-Systems oder Ultimaker.
In Dresden hat sich eine Firma auf die Herstellung von Hand-, Finger-, Fuß- und Zehenprothesen aus medizinischem Silikon spezialisiert – hergestellt mit Hilfe eines 3D-Druckers. So können die Prothesen nicht nur besonders individuell auf die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden, sondern sind auch reproduzierbar und verbrauchen weniger Material.
Medikamente und andere Zukunftsvisionen
Vor einem Jahr wurde erstmals in den USA ein Medikament zugelassen, das per 3D-Druck hergestellt wird. Bei diesem Medikament handelt es sich um ein Mittel gegen Epilepsie, welches durch die 3D-Drucktechnik deutlich poröser und wasserlöslicher ist als konventionell hergestellte Tabletten. Das ist vor allem für Kinder und Patienten mit Schluckstörungen von Vorteil.
Gewebe und winzige Organsysteme, sogenannte Organoide, können auch bei Medikamentenstudien hilfreich sein. Sie sind so winzig – etwa 150 mal 250 Mikrometer groß – dass sie keine Blutgefäße brauchen. Dennoch kann man an ihnen, auf einem Chip angeordnet, die Wirksamkeit bestimmter Medikamente testen. Das Team um Gewebezüchter Anthony Atala will mit dieser Technik auch Krebspatienten besser helfen. Die Forscher wollen aus Tumorzellen von Patienten gezüchtete Organoide herstellen, auf denen man austesten kann, welches Medikament dem Krebskranken am besten hilft. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung der individualisierten Krebstherapie.