Wechsel von Endoprothesen - Auf der Suche nach mehr Patientensicherheit
Jedes Jahr werden in Deutschland rund 390.000 neue Knie- und Hüftgelenke eingesetzt. In Europa zählen wir zu den Spitzenreitern bei den Implantationszahlen. Die Operationen sind planbar, die Prothesen entwickeln sich schnell weiter – und doch müssen tausende Gelenke jedes Jahr aus anderen Gründen als ihrem Verschleiß gewechselt werden. Zentral für die Patientensicherheit sind Daten, mit denen sich diese anderen "Wechselgründe" erforschen und eindämmen lassen.
Gelenkprothesen sind Medizinprodukte der höchsten Sicherheitsstufe und immer mehr Menschen brauchen sie. Einerseits, weil wir statistisch gesehen immer älter werden, aber auch, weil wir dabei länger mobil sind und auch bleiben wollen. Besonders in Deutschland wird deshalb auf die Möglichkeiten der Endoprothetik zurückgegriffen: Mittlerweile landet etwa jede fünfte Prothese, die auf der Welt eingesetzt wird, im Körper eines Deutschen. Am häufigsten werden Knie- und Hüftgelenke ausgetauscht.
In Brandenburger Kliniken wurden 2014 rund 5.000 künstliche Hüften und etwa 3.500 Kniegelenke eingesetzt. In Berlin waren es im Jahr davor rund 7.000 künstliche Hüft- und 3.600 Kniegelenke, so die Zahlen der Techniker Krankenkasse (TK) Berlin-Brandenburg. Ein Teil dieser Operationen sind allerdings sogenannte Wechsel- oder "Revisions-OPs", also Eingriffe, bei denen Prothesen auf Grund von Verschleiß oder anderen Problemen ausgetauscht werden mussten. Diese Eingriffe machen laut dem Deutschen Endoprothesenregister (EPRD) rund zehn Prozent der OPs aus. So wichtig diese Daten und die dazugehörigen Hintergründe sind - an die Zahlen ist schwer zu kommen. Der Grund: Die Weitergabe durch z.B. Krankenhäuser oder Kassen ist freiwillig. Trotzdem geht das frisch an den Start gegangene ERPD einen wichtigen Schritt in Richtung Patientensicherheit.
Register sollen Fehler aufspüren
Die Haltbarkeit künstlicher Knie- und Hüftgelenke liegt heute bei 15 bis 20 Jahren. Trotzdem werden viele von ihnen deutlich früher, nämlich binnen der ersten fünf Jahre ausgetauscht. Ein lange bekanntes Problem, dessen Aufklärung u.a. in Deutschland lange unter anderem an mangelnden Daten scheiterte. Bereits 2010 ging deshalb das Endoprothesenregister EPRD im Probebetrieb an den Start, eine Tochter der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chrirurgie (DGOOC). Ziel: Die Versorgungsqualität und damit auch die Patientensicherheit zu verbessern und unnötige Wechseloperationen zu vermeiden.
Das Register kann von allen deutschen Krankenhäusern genutzt werden, die Daten werden digital übermittelt. Schließlich hat mittlerweile jedes Implantat einen leicht zu scannenden Barcode. Nach dem Einlesen des Codes werden Implantatdaten und verschlüsselte Patientendaten an das EPRD weitergeleitet und in einer Datenbank gesammelt und ausgewertet. An rund 1.200 Klinken im Land werden solche Implantations-OPs durchgeführt, 684 von ihnen sind inzwischen beim Endoprothesenregister angemeldet. Mit den Daten konnte das Register nun erstmals einen Jahresbericht herausgeben. Die Daten dazu betreffen das Jahr 2014. Das Ergebnis: Der häufigste Wechselgrund für eine Prothese ist nicht der Materialverschleiß, sondern mit 46,7 Prozent eine Lockerung der Implantate. Inwiefern das z.B. mit einer Vorerkrankung des Patienten (Athrose), der Technik der Operateure im Krankenhaus oder dem Implantat selbst zusammenhängt, ist noch unklar. Zweithäufigster Grund für die "Revisions-OP" ist eine Infektion, sie trete in etwa zehn Prozent der Fälle auf. Bei rund 70.000 Protheseneingriffen, die das EPRD für 2014 registriert hatte, sind das tausende Betroffene.
Das Problem mit der Pflicht
Prothesenregister ermitteln aber nicht nur die Gründe für Wechseloperationen, sondern können auf Grund ihrer Daten auch feststellen, welche Prothesen-Typen und da sogar genauer: welche Produktserie auffällig häufig Folge-OPs auslösen. Eine wichtige Information für Patienten, aber auch Ärzte, Krankenhäuser und z.B. Krankenkassen. Aber obwohl die Prothesendaten so wichtige Informationen liefern könnten, ist die Anmeldung in einem Register wie dem EPRD nicht verpflichtend in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern. In Brandenburg sind es laut Daten der TK 15 Klinken, in Berlin 22, die sich registriert haben. Die 684 bundesweit bei der EPRD gemeldeten Krankenhäuser machen einerseits nur knapp über die Hälfte der Prothesen einsetzenden Einrichtungen aus - und nicht alle registrierten Häuser liefern auch regelmäßig Daten. Längst fordern deshalb Krankenkassen, wie die TK oder die Barmer GEK, eine verpflichtende Teilnahme an Prothesenregistern.
Positive Beispiele
Wie viel das zur Patientensicherheit beitragen kann, zeigt ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: der Skandal um ASR-Implantate des Herstellers DePuy, der 2008 bekannt wurde. Bereits kurz nach der Einführung des Produktes in den USA erreichten hunderte Beschwerden die amerikanische Prüfbehörde FDA. 2010 gab der Vetreiber der Implantate, Johnson & Johnson, eine überdurchschnittlich hohe Fehlerrate zu – bei rund zwölf Prozent der Patienten sei eine Revisions-OP notwendig. Schließlich rief der Hersteller die ASR-Implantate im August 2010 zurück. Die hohen Zahlen waren durch Studien aufgefallen, die sich unter anderem auf die Daten eines australischen Implantationsregisters stützten.
Weiteres Positiv-Beispiel: Die Prothesenregister in Schweden und Finnland, die bereits Ende der 70er Jahre eingeführt wurden. Seitdem hat sich in unseren europäischen Nachbarländern die sogenannte Wechselrate, also der Austausch von Prothesen, fast halbiert.
Die Ansätze stimmen
Trotzdem - die ersten Schritte sind gemacht: Einerseits ist das Endoprothesenregister 2016 nach langer Aufbau- und Probephase endlich an den Start gegangen. Es gibt einen ersten Jahresbericht und eine Liste teilnehmender Kliniken, die auch eine Art Qualitätszeichen ist.
Außerdem gibt es weitere vielversprechende Initiativen, wie die des Instituts für Angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA). Mit Hilfe von anonymisierten Abrechnungsdaten, sowie Daten über die OP-Prozeduren und Patientenerkrankungen von den Krankenkassen soll es auch möglich werden, Entwicklungen bei Prothesenpatienten nach dem Krankenhausaufenthalt und vor der möglichen Wechsel-OP sichtbar zu machen.
"Erscheint ein Patient etwa nach dem Eingriff wegen einer Thrombose oder Lungenembolie erneut im Krankenhaus, fehlt die Verbindung zur vorangegangenen Operation in der Qualitätssicherung", erklärt Professor Joachim Szecsenyi, Geschäftsführer des AQUA-Instituts in einer Pressemitteilung. Das soll sich ändern. Wie schnell und wie der verantwortungsvolle Umgang mit den Daten sichergestellt werden kann, ist noch nicht ganz klar. Das AQUA hatte im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses das Verfahren entwickelt und Ende Januar 2016 vorgestellt. Die Ansätze stimmen, aber das Ziel ist noch nicht erreicht: das künstliche Gelenk für den Patienten so sicher zu machen, wie es nach menschlichen Maßstäben möglich ist.