Kleinkind greift in einen Putzschrank unter Spüle (Bild: imago/BE&W)
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Interview - Giftnotruf: Schnelle Hilfe bei Verdacht auf Vergiftung

Egal ob durch Haushaltsreiniger, Medikamente oder giftige Pflanzen - Vergiftungen sind nicht zu unterschätzen! Im Notfall bietet der Giftnotruf rund um die Uhr eine schnelle Hilfe.

Welche Maßnahmen Betroffene wann ergreifen sollten, darüber hat rbb Praxis mit der klinischen Toxikologin, Daniela Acquarone vom Giftnotruf Berlin gesprochen.

Wann sollten man bei einem Verdacht auf eine Vergiftung den Giftnotruf anrufen?

Immer wenn ein Verdacht auf Kontakt mit Giftstoffen besteht. Also z.B. wenn Eltern von Kleinkindern merken, dass diese Kontakt mit potentiell giftigen Substanzen hatten. Es kann sich um einen Haushaltsreiniger, ein Medikament oder eine giftige Pflanze handeln. Das gilt natürlich auch für Erwachsene, bei denen der Verdacht besteht, giftige Stoffe (z.B. Medikamente in Überdosis) in selbstschädigender Absicht eingenommen zu haben. Dann ist eine Kontaktaufnahme natürlich auch sofort geboten.

Zögern Betroffene bei einem Verdacht auf eine Vergiftung manchmal zu lange, den Giftnotruf anzurufen?

Eher selten. Es ist eher so, insbesondere bei Eltern von Kleinkindern, dass die Übersorge groß ist. Das ist aber auch gut so. Wenn ein Verdacht vorliegt, lieber einmal zu viel als zu wenig anrufen. Oft kann man den Verdacht dann auch ausräumen.

Wie gehen Sie bei der Beratung vor?

Das Wichtigste ist immer eine gute Anamnese. Das ist die Basis einer guten Beratung, damit wir dann eine klare Handlungsanweisung geben können. Wenn es sich um Eltern handelt, beruhigen wir die Eltern erst einmal, weil sie sich oftmals in einem Ausnahmezustand befinden.

Welche Informationen benötigt der Giftnotruf bei einem Verdacht auf eine Vergiftung?

Wir sprechen von den "W-Fragen" in der Giftberatung, weil wir viele Fragen mit "W" stellen. Nämlich:
 
- Wer?
- Was?
- Wie?
- Wie viel?
- Wann?
- Welche Symptome?
 
Also wer hat sich vergiftet: Da ist es wichtig, das Alter und das Gewicht zu erfahren und ob Vorerkrankungen bei der betroffenen Person vorliegen. Was bezieht sich auf das Produkt, das eingenommen wurde, also zum Beispiel Haushaltsreiniger, Arzneistoffe oder Pflanzen. Hier wird ein exakter Produktname benötigt. Die Frage wie bezieht sich auf die Einnahme, also wurde das Produkt geschluckt oder eingeatmet? Oder handelt es sich um einen Kontakt über die Haut oder die Augen? Bei der Frage wie viel geht es darum, die maximal mögliche Einnahmemenge abzuschätzen. Und eben die Fragen nach dem Zeitpunkt des Kontakts mit dem Giftstoff und den bisher aufgetretenen Symptomen. Diese gesamten Informationen benötigen wir, um eine vernünftige Beratung am Telefon durchzuführen.

Was ist bei einem Verdacht auf eine Vergiftung, wenn Eltern oder Angehörige nicht genau wissen, was eingenommen wurde?

In so einem Fall ist es besser, direkt einen Arzt aufzusuchen oder die Kinderklinik. Dann wird in einem zweiten Schritt der Kontakt zum Giftnotruf aufgenommen. Das ist natürlich auch immer vom Gesundheitszustand des Betroffenen abhängig. Ein Arzt muss grundsätzlich immer sofort hinzugezogen werden bei richtigen Notfällen wie Bewusstlosigkeit, Krampfanfällen, Kreislauf- und Atemstillstand. Dann muss immer erst ärztliche Hilfe vor Ort sein und in einem zweiten Schritt der Giftnotruf kontaktiert werden. Das machen dann in der Regel die Ärzte, wenn sie einen Verdacht auf Vergiftung haben.

Bei Giftunfällen mit welchen Giftstoffen kann es zu schwerwiegenden Symptomen kommen?

Bei bestimmten Arzneistoffen, bei Rauchvergiftungen - Kohlenmonoxid ist ein sehr gefährlicher Stoff. Bei der Aufnahme von Lampenölen wie Petroleum, wenn dieses in die Lunge gerät. Das kann eine schwere Atemstörung zur Folge haben. Und die Aufnahme von ätzenden Stoffen wie Rohrreinigern kann auch zu einem medizinischen Notfall führen.

Bei leichten Symptomen und wenn die Substanz bekannt ist, empfiehlt es sich aber, zunächst den Giftnotruf anzurufen?


Genau. Also zum Beispiel wenn das Kind einmalig erbrochen hat oder ein wenig müde ist. Denn unter Umständen ist das Aufsuchen einer Klinik gar nicht notwendig. Diese Entscheidung kann der Giftnotruf aber erst nach der Erhebung einer guten Anamnese treffen. Bei den genannten schwerwiegenden Symptomen ist jedoch sofort ein Notarzt zu rufen.

Welches sind die häufigsten Giftnotrufe, die bei Ihnen eingehen?

Die versehentlichen Giftunfälle betreffen überwiegend Kleinkinder – meist im Lebensalter von etwa zwei Jahren. Bei den Notrufen nach versehentlicher Aufnahme von Giftstoffe stehen sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen an erster Stelle Haushalts-, und Drogerieprodukte. Am häufigsten sind das Produkte, die schäumen. Also Spül- und Waschmittel, Allesreiniger etc., die oftmals überall offen zugänglich im Haushalt herumstehen. An zweiter Stelle stehen bei den Kindern Medikamente, zum Beispiel Ibuprofen, das häufig in den Haushalten vorhanden ist. An dritter Stelle kommen Pflanzen, insbesondere deren Früchte. Bei Notrufen nach Vergiftungen in suizidaler Absicht stehen an erster Stelle die Medikamente.
 
Außerdem werden die Giftinformationszentren nicht nur von Laien kontaktiert, sondern auch von Fachkreisen. Ca. 55 bis 60 Prozent der Anfragen kommen von Eltern und Angehörigen von Erwachsenen, die bei Verdacht auf Vergiftung anrufen. Der Rest umfasst Anfragen von Kliniken, Notärzten oder Arztpraxen, die auch auf unsere Expertise zurückgreifen. Zum Beispiel bei der Frage, welche Dosis eines Giftstoffes gefährlich ist, welche Symptome zu erwarten sind und wie dann vorzugehen ist. 

Was wäre ein klassisches Bespiel für einen Giftnotruf, bei dem ein Kind betroffen ist?

Ein klassisches Beispiel ist, dass ein Kind ein bisschen Spül-, Waschmittel oder Shampoo eingenommen hat. Wenn das Kind keine Symptomatik entwickelt, also kein Erbrechen und keinen Husten, kann man sich zu Hause um das Kind kümmern. Wir empfehlen dann die Gabe eines Entschäumers. Das sind Tropfen, die die Schaumbildung verhindern; häufig haben Familien mit Kleinkindern solche Tropfen zu Hause, weil diese auch bei Bauchschmerzen oder bei den sogenannten Dreimonatskoliken im Säuglingsalter gegeben werden. Ansonsten können die Tropfen auch schnell in der Apotheke rezeptfrei besorgt werden. Dann ist das Aufsuchen einer Klinik nicht notwendig.

Erhalten Sie auch öfters Anrufe von Angehörigen, wenn Demenzkranke Giftstoffe eingenommen haben?

Ja, das kommt auch vor, dass verwirrte ältere Menschen Giftstoffe zu sich nehmen; bei dieser Risikogruppe ist der Geschmacksinn häufig verändert, was zu der Einnahme von größeren Mengen schädlicher Stoffe führen kann. Es kann sich um Produkte handeln, die im Haushalt verwendet werden, ähnlich wie bei den Kleinkindern. Medikamente spielen ebenfalls eine Rolle.

Was empfehlen Sie zu tun bei Verdacht auf eine Vergiftung?

Einfach einen Schluck Wasser trinken. Die Flüssigkeitsgabe ist praktisch so gut wie immer richtig. Es sollte sich aber immer um eine wässrige Flüssigkeit handeln, also Wasser oder Tee. Keine Milch oder andere Getränke! Und es sollten auch keine sehr großen Mengen Flüssigkeit sein. Denn ansonsten besteht – das ist zwar selten – auch die Gefahr einer Wasservergiftung. Bei der Aufnahme eines Übermaßes an Wasser in kurzer Zeit kommt es im Körper zu einem Ungleichgewicht des Wasser-Salzhaushalts, das zu einer lebensgefährlichen Situation führen kann. Richtig ist also die Gabe von einigen Schlucken oder einem Glas Flüssigkeit. Und wenn es sich um schäumende Substanzen handelt, sollte man dem Kind vor der Einnahme von Wasser einen Entschäumer geben. Denn wenn die Substanz im Magen schäumt, dann kommt es in der Regel zum Erbrechen, was man verhindern will.

Wie viel Wasser soll man bei einem Verdacht auf Vergiftung trinken?

Ja, also für Erwachsene reichen in der Regel ein bis zwei Gläser Wasser, für Kinder ein halbes bis zu einem Glas.

Welches sind die häufigsten Fehler, die gemacht werden?


Das Provozieren von Erbrechen. Eltern stecken gelegentlich den Finger in den Hals des Kindes, um das Erbrechen herbeizuführen. In Einzelfällen wird auch Salzwasser gegeben. Das ist hochgefährlich! Unter Umständen sogar gefährlicher als die Gifte, die eingenommen wurden. Wenn das Erbrechen mit dem Finger herbeigeführt wird, könnte es sein, dass die Eltern das Kind verletzen. Außerdem könnte beim Erbrechen - das passiert insbesondere bei schäumenden Mitteln - die Substanz in die Lunge gelangen. Dort kann der Schaum eine Lungenentzündung hervorrufen. Bei der Gabe von Salzwasser kommt noch hinzu, dass es auch zu einer Salzvergiftung kommen kann. Denn Salz ist insbesondere für Kleinkinder bereits in sehr kleinen Mengen toxisch.

Warum wird davon abgeraten, bei einem Verdacht auf Vergiftung, Milch zu trinken?

Zum einen, weil Milch auch Erbrechen hervorrufen kann und das will man doch verhindern. Und zum anderen, weil Milch die Aufnahme von bestimmten Giftstoffen zusätzlich fördern kann.

Wie kann man Giftunfällen am besten vorbeugen?

Erstens sollte man Medikamente und Chemikalien immer in den Originalverpackungen aufbewahren, damit es keine Verwechslungen geben kann. Chemikalien dürfen also nie in Trinkflaschen umgefüllt werden! Das passiert leider häufig, dass zum Beispiel Frostschutzmittel für das Auto in eine alte Wasserflasche umgefüllt wird, und Frostschutzmittel ist ein sehr gefährliches Produkt! Und Medikamente und Chemikalien sollten immer unerreichbar für Kinder aufbewahrt werden. Außerdem sollte man keine giftigen Pflanzen im Umfeld von Kindern aufstellen oder pflanzen. Wir haben auch Informationsmaterial für Eltern, das wir auf Anfrage per Mail zusenden können.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Acquarone!


Das Interview führte Nadine Bader.
 

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