Schlafendes Baby mit leicht abstehenden Ohren (Quelle: imago/Science Photo Library)
Bild: imago/Science Photo Library

Verfahren bei Ohrfehlbildung - Ohrkosmetik ohne Schnitt

Ein neues Verfahren erlaubt das Ohrenanlegen ganz ohne Skalpell. Kleine Plastikschienen korrigieren Fehlbildungen der Ohrmuschel, solange die Kinder nicht älter als sechs Monate sind.

Zufrieden lächelt der kleine Carl aus seinem Bettchen. Als er das Köpfchen zur Seite dreht, blitzt ein weißes Röhrchen hinter seinem Ohr auf. Wie eine kleine Kaugummiwalze klebt es am Innenrand der Ohrmuschel, bedeckt von einem Pflasterstreifen. Vor vier Monaten war er mit einer eingerollten Helix zur Welt gekommen. Der obere Teil seiner Ohrmuschel war eingeklappt. Das weiße Plastikröhrchen richtet sie wieder auf.

Häufigste angeborene Fehlbildung

Carl gehört zu den rund 30.000 Kindern, die hierzulande jedes Jahr mit einer Ohrfehlbildung zur Welt kommen. Sie reichen von einfachen abstehenden Ohren bis hin zur komplett fehlenden Ohrmuschel. Für leichtere Fälle wie bei dem kleinen Jungen gibt es neuerdings eine Therapiealternative zur OP: das sogenannte Earmoulding oder Ohrformen. Katrin Stork, Oberärztin der HNO-Klinik am Ernst von Bergmann Klinikum in Potsdam sah das Verfahren erstmals vor zehn Jahren bei einem Besuch in Neuseeland, während sie in Australien einen Teil ihrer Ausbildung absolvierte. "Danach dauerte es noch ein paar Jahre, bis ich meinen Chef in Potsdam davon überzeugt hatte", schmunzelt die 45-Jährige.
 
In den USA und Großbritannien nutzen Ärzte das Verfahren routinemäßig seit mindestens 15 Jahren. Mit gutem Erfolg: Eine schottische Studie konnte zeigen, dass die Zahlen für plastische Eingriffe am äußeren Ohr gesunken sind.

Keine OP notwendig

Deutsche Ärzte behandeln solche Fehlbildungen bislang noch immer mit mehr oder weniger aufwendigen Operationen. Abstehende Ohren beispielsweise werden ab dem Schulalter korrigiert. "Zuerst setzen wir einen Schnitt an der Ohrmuschelrückseite. Mit unterschiedlichen Techniken wird dann der Ohrknorpel geformt, teilweise entfernt und in die gewünschte Form gebracht", erklärt HNO-Ärztin Stork. Mit dem neuen Verfahren bleiben den Kindern der Eingriff und die Narkose erspart.

Formbarer Knorpel

Wie das sogenannte Earmoulding funktioniert? In den ersten Wochen nach der Geburt ist der Ohrknorpel von Neugeborenen noch weich und formbar. Experten gehen davon aus, dass dafür das Östrogen der Mutter verantwortlich ist, das noch bis zu sechs Wochen nach der Geburt im Blutkreislauf der Babys zirkuliert. Offenbar erhöht das Hormon die Konzentration von Hyaluronsäure im Knorpel und macht ihn dadurch formbar.

Schmerzfrei fürs Baby

Die Therapie selbst ist simpel: Die Eltern schicken der HNO-Ärztin Bilder der Ohren ihrer Babys. In einem ersten Telefonat klärt Stork, ob sich das Kind für das Earmoulding eignet. Beim Termin in der Klinik hilft Stork den Eltern dann, dem Nachwuchs die Schienen anzulegen. "Das bedarf manchmal etwas Ausdauer und Geduld." Zum Schluss werden die neu geformten Ohren mit einem Pflaster fixiert."Es ist wirklich beeindruckend, wie toll das klappt", sagt Stork. "Auch die Eltern sind begeistert und schreiben mir E-Mails, wie glücklich sie mit dem Ergebnis sind."

Abgesehen von selten auftretenden leichten Druckstellen und Hautrötungen birgt das Verfahren keine Komplikationen. Wegen der guten Resultate hofft Stork, dass das nahezu unbekannte Verfahren unter den Neonatologen, Kinder- und HNO-Ärzten hierzulande zunehmend Anklang findet.

Links: Vor dem nicht-chirurgischen Verfahren, rechts: Fixierung des Ohres mit einem Röhrchen (Quelle: Klinikum Ernst von Bergmann)
Erfolgsrate: 90 Prozent

Beitragen dazu will Stork mit ihren eigenen Forschungen. Vergangenen Mai stellte die Ärztin als erste bundesweit Ergebnisse mit deutschen Kindern vor. Zwischen 2015 und 2017 hatte die Potsdamer HNO-Ärztin 18 Babys mit dem EarBuddies-Verfahren sowie "Eigenbauvarianten" behandelt. "Die betroffenen Kinder litten unter abstehenden Ohren, Stahlohren, Tassenohren, hatten eine eingerollte Helix oder eine kombinierte Deformität", sagt Stork. "Mindestens 80 Prozent der Ohren sahen nach der Behandlung deutlich besser aus." Oft sehe das Ergebnis natürlicher aus als nach einer operativen Korrektur.
 
Die Literatur bestätigt die guten Ergebnisse der Potsdamer Klinik: Die Erfolgsrate liegt insgesamt bei über 90 Prozent. Besonders gut lassen sich Ohren behandeln, bei denen alle Anteile vorhanden, jedoch nicht ausgeformt sind. Mittelfristige und Langzeit-Daten aus England, Neuseeland und den USA zeigen, dass die Resultate von Dauer sind.

Zwei offizielle Hersteller

Immer wieder hatten Ärzte und Eltern in der Vergangenheit versucht, durch unterschiedliche Klebetechniken Ohrfehlbildungen zu korrigieren – mit teils überraschend guten Ergebnissen.
 
Neben zahlreichen Eigenbau-Varianten bieten aktuell zwei Hersteller medizinisch geprüfte Systeme an: EarWell und EarBuddies. EarWell stammt aus den USA. Das mehrteilige System können Ärzte Babys bis zu sechs Wochen nach der Geburt anpassen. EarBuddies ist ein englisches Produkt. Die kleine weiße Silikonschiene lässt sich bis zum Lebensalter von sechs Monaten anpassen. "Die Kinder sollten die Ohrformer in etwa so lange tragen, wie sie bei der Erstanpassung alt sind", erklärt Stork. Die HNO-Ärztin, selbst Mutter von zwei Kindern, hat mittlerweile so viele Erfahrungen mit der Therapie gesammelt, dass sie selbst an einem optimierten Anwender-Kit arbeitet.

Eltern zahlen selbst

Noch müssen die Eltern für die Therapie selbst zahlen. Je nach Hersteller kostet das Set 150 oder 500 Euro. Dazu kommen – abhängig vom Arzt – Kosten für die Anpassung. Sollten später Restdeformitäten stören, können diese, so Stork, auch noch operativ korrigiert werden. Bei Baby Carl wird das nicht nötig sein. Zwei Monate hat der Kleine seine Schienen getragen. Heute sehen seine Ohren völlig normal aus.

Beitrag von Constanze Löffler

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