Junge Frau spaziert durch eine Straße (Quelle: imago / Westend61)
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Jeder Schritt zählt - Wie Gehen uns gesund hält

Sie Sprinten, Joggen und Traben durch Berlin & Brandenburg: Die Coronakrise hat so manchen wieder neu zum Lauftraining motiviert. Dabei muss es gar nicht so schnell gehen, um das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Depressionen oder sogar das Sterberisiko deutlich zu senken. Denn viele Studien zeigen: Das Gehen kann uns gesundheitlich weiter nach vorn bringen, als wir denken. Wie das geht, warum es nicht auf die viel gepriesenen 10.000 Schritte ankommt und was der Gang z.B. über unser biologisches Alter aussagt, haben wir hier zusammengetragen.

Der Feind der meisten Deutschen hat eine Lehne - das stand schon vor dem Auftreten des neuen SARS-CoV-2-Virus fest. Denn ob bei der Arbeit oder in der Freizeit - die Deutschen verbringen einen großen Teil ihres Lebens im Sitzen. Das hat fatale Folgen, z.B. für Rücken, Leber und Herz. Jeder Schritt kann helfen - und es muss ganz und gar nicht gleich der Marathon sein. Schon eine halbe Stunde spazieren zu gehen, kann die Gesundheit deutlich fördern und sogar Sterberisiken senken, wie Studien zeigen.

Gehen - wertvoller, als viele denken
Seniorin und Tochter gehen spazieren (Quelle: imago /Westend61)

Bewegung fördert die physische und psychische Gesundheit - so weit, so bekannt. Trotzdem wird das tägliche Gehen seit langem und immer wieder unterschätzt - dabei konnte schon eine große Kohortenstudie 2015 mit Teilnehmern aus zehn europäischen Ländern, die sogenannte EPIC-Studie, zeigen: Menschen, die sich in ihrer Freizeit täglich bis zu einer halben Stunde mäßig bewegen, zum Beispiel durch Spaziergänge, hatten eine 20-30 Prozent geringere Gesamtsterblichkeit, als inaktive Menschen - also z.B. solche, die im Beruf viel sitzen und sich auch in der Freizeit so gut wie gar nicht bewegen. Am deutlichsten war dieser Effekt übrigens bei Normalgewichtigen, also Menschen mit einem BMI zwischen 18,5 und 24,9 - sie profitierten bei mäßiger Aktivität gegenüber den ganz Inaktiven sogar durch ein über 40 Prozent niedrigeres Gesamtsterberisiko.
 
2019 konnte eine amerikanische Studie einen ähnlichen Effekt bei älteren Frauen zeigen: Dabei untersuchte die Harvard Medical School knapp 17.000 US-Amerikanerinnen, das Durchschnittsalter lag bei 72 Jahren. Ihre tägliche Schrittleistung wurde über sieben Tage erhoben, nach gut vier Jahren wurden die allgemeinen Mortalitätsraten der Teilnehmerinnen verglichen. Ergebnis: Frauen, die im Schnitt 4.400 Schritte/Tag schafften, hatten ein signifikant niedrigeres Sterberisiko als solche, die es nur auf rund 2.700 Schritte brachten. Der positive Effekt erhöhte sich bis etwa zu einer täglichen Schrittzahl von 7.500. Ob auch die Schrittintensität dabei eine Rolle spielt, konnte die Studie allerdings nicht beweisen.

Es profitiert, wer sich steigert - egal von welchem Level

Und auch eine neue US-Studie mit rund 5.000 Probanden, die 2020 im JAMA Network erschien, konnte zeigen, dass sich das allgemeine Sterberisiko nach zehn Jahren um 50 Prozent bei denen reduzierte, die ihre Schrittzahl von der ersten Datenerhebung von 4.000 auf 8.000 Schritte am Tag steigern konnten. Mehr Schritte pro Tag standen demnach z.B. in Zusammenhang mit einem geringeren Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wer es sogar auf rund 12.000 Schritte pro Tag brachte konnte sein Sterberisiko im zehn-Jahres-Zeitraum sogar um über 60 Prozent senken. Und auch hier galt: Die Schrittintensität spielte für die Risikosenkung keine Rolle - auch wer langsam geht, profitiert also.

Besonders interessant auch an dieser Studie: Es kam nicht darauf an, ob Probanden ohnehin viel Sport machten - und auch nicht darauf, ob z.B. die 10.000-Schritte-Marke vieler Apps geknackt wurde - sondern schlicht darauf die Schrittzahl zu steigern und im besten Fall die wie auch immer geartete Aktivität bestenfalls zu verdoppeln, um für die Gesundheit etwas zu tun.

Der Mythos um die 10.000 Schritte

Diese Marke dürfte vor allem denen bekannt sein, die einen Schrittzähler am Handgelenk oder auf dem Smartphone haben: 10.000 Schritte sind da meist die voreingestellte Grundbasis. Aber warum eigentlich? Wie schon beschrieben kommen Studien oft zu anderen lohnenswerten Schrittzielen. Die Antwort hat Geschichte: Denn tatsächlich haben die 10.000 Schritte ihren Ursprung in einer japanischen Erfindung und nicht in der Wissenschaft. Denn tatsächlich konnte einer der ersten transportablen Schrittzähler, eine Erfindung der japanischen Firma Yamasa mit dem Namen Manko-kei, bis zu 10.0000 Schritte zählen und die Firma nutzte das laut Spiegel Online 1964 als Marketinggag zu den Olympischen Spielen in Tokio. Aus medizinischer Sicht kommt es vor allem darauf an, seine Bewegungsdosis zu steigern und sich vor allem regelmäßig z.B. eine halbe Stunde lang mit dem Gehen zu beschäftigen - die 10.000 Schritte-Marke kann höchstens motivieren.

Wer sitzt, verliert

Rund 7,5 Stunden saßen die Deutschen im Schnitt am Tag schon vor dem #stayathome in Coronazeiten, wie die Deutsche Sporthochschule und die Deutsche Krankenversicherung (DKV) 2018 im DKV-Report zeigten. Und das ist viel zu viel - nicht nur für das Herz-Kreislaufsystem, sondern z.B. auch für unsere Leber. So kamen koreanische Forscher in einer Aufsehen erregenden großen Studie 2015 zum Schluss: Je mehr Zeit Probanden im Sitzen verbrachten, desto größer wurde ihr Risiko für eine Fettleber. Das Erstaunliche: Sitzen erhöhte das Fettleber-Risiko unabhängig vom Übergewicht und davon, ob die Probanden zum Ausgleich Sport machten oder nicht. Die Fettleber ist die häufigste chronische Lebererkrankung in Deutschland. Laut der Europäischen Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Leber (EASL) haben rund 24 Prozent hierzulande eine nicht-alkoholischen Fettleber. Die Betroffenen haben ein höheres Risiko für Typ-2-Diabetes, Leberentzündungen und -krebs, Bluthochdruck, Herz- und Gefäßkrankheiten. Und schon durch vier Stunden sitzen sinkt die Ausschüttung von Lipoproteinlipase (LPL), ein Enzym, dessen Mangel z.B. den Spiegel des guten HDL-Cholesterins im Blut sinken lässt.

Gehen gegen Depressionen

Auch die Psyche leidet unter Inaktivität - das konnten mehrere Studien, z.B. aus Spanien und Korea zeigen. Bei ersterer lag das Risiko für psychische Erkrankungen um 31 Prozent höher, als in der Kontrollgruppe, wenn Menschen mehr als 42 Stunden pro Woche im Sitzen verbrachten. Und Forscher des University College in London veröffentlichten 2020 eine Studie im renommierten Lancet-Fachmagazin, der zufolge 60 Minuten/Tag leichter Aktivität - wie eben Gehen - bei 12-jährigen das Risiko für eine Depression mit 18 Jahren um zehn Prozent senken konnte.

Ehepaar geht im Wald spazieren (Quelle: imago /Cavan Images)
Sag mir wie Du gehst und ich sag Dir, wie (alt) Du bist

In mancher Hinsicht kann unser Gang dann vielleicht auch mehr über unsere Persönlichkeit aussagen, als so mancher denkt - zumindest ist eine französisch-US-amerikanische Forschergruppe zu diesem Ergebnis gekommen. Sie verglichen die Ganggeschwindigkeit mit einem durch Fragebogen ermittelten Persönlichkeitsprofil, in dem auch Werte für die "großen Fünf" der Persönlichlichkeitspsychologie erfasst waren: Extrovertiertheit, Aufgeschlossenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Neurotizismus. Das Ergebnis: Eher schnelle Geher waren tendenziell offener und extrovertierter, außerdem geselliger und emphatischer. Außerdem waren sie physisch fitter und weniger anfällig für psychische Krankheiten. In wie weit diese Erhebung tatsächlich allgemein übertragbar ist, sei dahingestellt, auch weil die Möglichkeiten der Persönlichkeitserfassung begrenzt waren und andere Studien, wie schon erwähnt, keinen Zusammenhang zwischen mehr physischer Gesundheit und der Schrittgeschwindigkeit bzw. -intensität finden konnten. Interessant ist sie trotzdem allemal.

Eine US-Studie, die 2019 bei JAMA Network erschien, konnte dagegen bei Probanden im mittleren Alter von 45 Jahren zeigen, dass das biologische Alter in Verbindung steht mit der maximalen Gehgeschwindigkeit, die die Probanden leisten konnten. Die Forscher nutzten dabei Daten einer Kohorte aus Neuseeland, bei der 904 Menschen zweier Jahrgänge über lange Zeit immer wieder untersucht worden waren, dazu gehörten neben Messwerten z.B. für Puls, Blutdruck und Lungenvolumen auch Ganganalysen und Hirnscans. Die Probanden mussten für die aktuelle Untersuchung auf einem Laufband laufen, in drei Varianten: in ihrem normalen Tempo, einmal mussten sie dabei Buchstaben rezitieren, also Aufgaben lösen und in einer weiteren Runde sollten sie so schnell gehen, wie sie konnten. Ergebnis: Wer besonders schnell gehen konnte, war biologisch meist jünger, als die eigentlich gleichaltrigen, aber langsamer gehenden Mitprobanden. Das biologische Alter unterschied sich um bis zu fünf Jahre. Dass der Gang mit physischer und geistiger Gesundheit zusammenhängt, war bei älteren Menschen schon länger bekannt - Ganganalysen werden auch in der Neurologie eingesetzt. Allerdings kommen die Forscher dieser Studie zu dem Schluss, die Verbindung auch bei Middleagern zeigen zu können und u.a. Rückschlüsse auf die Gesundheit des Gehirns - und das lebenslang - über die Ganggeschwindigkeit ableiten zu können.
 
Es gibt noch viel zu forschen in diesem Gebiet. Fazit bleibt: Jeder Schritt fördert die Gesundheit, mehr als man denkt.

Beitrag von Lucia Hennerici

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