Kunstgebiss, dass Paradontose an Zahnhälsen zeigt (Bild: imago/CHROMORANGE)
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Hilfe bei Zahnfleischentzündung & Parodontitis - ParoDont’s & Dos

Parodontitis ist eine Volkskrankheit, die im schlimmsten Fall zum Zahnverlust führen kann. Aber: Mit der richtigen Therapie und einer sorgfältigen Zahnpflege lässt sich die Entzündung des Zahnbettes gut im Zaum halten. Wie das genau funktioniert, erklärt Dr. Lisa Hezel, Zahnärztin und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO).

Frau Dr. Hezel, was reizt Sie so an Ihrem Fachgebiet, der Parodontologie?
 
Die Parodontologie ist für mich deshalb so spannend, weil sie sich, wie ein roter Faden, durch alle Teilaspekte der Zahnheilkunde zieht – und darüber hinaus auch die Schnittstelle zur Allgemeinmedizin bildet: Parodontitis ist nicht nur eine lokale Entzündung des Zahnhalteapparates - sie hat auch Auswirkungen auf Bereiche fernab der Mundhöhle.

Inwieweit geht Parodontitis mit einem erhöhten Risiko für andere Krankheiten einher?
 
Es gibt nachgewiesene Zusammenhänge zu einer Vielzahl von Erkrankungen, zum Beispiel zu Diabetes mellitus, zu koronaren Herzerkrankungen, allgemein zu Gefäßerkrankungen oder zur rheumatoiden Arthritis.

Wie kommt es zu dieser Verbindung?
 
Die Bakterien aus der Mundhöhle, bakterielle Bestandteile, Zellen der Immunantwort und Entzündungsbotenstoffe gelangen über das entzündete Taschengewebe in den Blutkreislauf. Von dort aus machen sie sich an einzelnen Organen oder Gefäßen zu schaffen und verursachen auch dort Entzündungsreaktionen.

Wie erkennen Sie als Zahnärztin Parodontitis?
 
Bei der zahnärztlichen Kontrolle wird ein sogenannter Parodontaler-Screening-Index gemessen. Mit einer parodontalen Sonde wird zwischen Zahn und Zahnfleisch gegangen und geschaut: Gibt es hier Entzündungszeichen? Zahnfleischtaschen? Hat der Patient Parodontitis – oder nicht?

Kann ich mir die Sonde wie ein kleines Lineal vorstellen, mit dem auch die Taschentiefe gemessen wird?
 
Ja, die Screening-Sonde hat eine Graduierung von 3,5 und 5,5 Millimetern. Im gesunden Zustand misst man bis zu drei Millimeter. Ein Bereich über 3,5 Millimetern weist auf eine moderate Ausprägung der Erkrankung hin, bei über 5,5 Millimetern ist das ein Hinweis, dass es sich um eine schwere Parodontitis handeln kann.
 
Das Screening dient aber nur der ersten Identifizierung der Parodontitis oder einer Gingivitis. Wird eine solche erkannt, erfolgt anschließend weitere Diagnostik. Und mit dem Patienten wird noch einmal intensiv über Mundhygienemaßnahmen gesprochen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten der Parodontitis gibt es?
 
Standard ist die sogenannte systematische Parodontitis-Therapie. Bei ihr gibt es Behandlungsschritte, die aufeinander aufbauen und sich stufenweise ergänzen. Für den Behandlungserfolg ist es wichtig, am Anfang zu beginnen:
 
Es gibt eine sogenannte Vorbehandlung - der Name ist etwas irritierend, da sie bereits Teil der Behandlung ist. Dabei werden alle Reizfaktoren entfernt, wie zum Beispiel Füllungen, die nicht richtig dicht am Zahn liegen, sondern wie ein Balkon darüber hängen – darunter können sich schnell Bakterien sammeln.
 
Dann wird eine professionelle Zahnreinigung durchgeführt, dabei wird Zahnstein entfernt und die Zahnoberflächen gründlich poliert, damit die Zähne glatt sind. Dabei wird dem Patienten auch noch einmal die richtige Putztechnik gezeigt und auch, wie er die Zahnzwischenräume am besten pflegt – das ist alles individuell verschieden, je nachdem ob der Patient beispielsweise Brücken hat oder nicht und wie fit er motorisch ist.
 
Nach zwei bis drei Wochen gibt es einen Kontrolltermin, bei dem zusammen mit dem Patienten besprochen wird, was gut geklappt hat und was noch nicht. Und es geht auch darum, den Patienten immer wieder zu motivieren.

Warum ist Motivation so ein wichtiger Punkt?
 
Der größte Risikofaktor, wie bei vielen Volkskrankheiten, liegt in der Trägheit des Menschen. Um auf lange Sicht täglich ein paar Minuten mehr im Bad für eine bessere Mundhygiene zu verbringen, fehlt vielen der Atem. Ähnlich wie mit dem gesunden Lebensstil bei anderen Erkrankungen. Es weiß fast jeder, aber die wenigstens setzen es konsequent um.

Wenn der Patient höchst motiviert täglich sein Mundhygiene-Programm durchzieht, wie geht es mit der Parodontitis-Therapie weiter?
 
Dann werden noch einmal die Taschen ausgemessen und auf den Millimeter genau notiert – an sechs Stellen pro Zahn. Dann sieht man genau: An welcher Stelle des Zahns hat er welche Tasche? Manchmal sind die Taschen, die vorher vier Millimeter waren, schon innerhalb von ein paar Wochen auf gesunde drei Millimeter geschrumpft.  Dann hat sich der Patient quasi selbst geheilt – durch die sehr gute Mundhygiene und mit etwas Unterstützung vom zahnärztlichen Team .

Das ist der Optimalfall. Was, wenn immer noch tiefere Taschen da sind?
 
Wenn noch tiefe Taschen, ab drei Millimetern, da sind, erfolgt eine Reinigung der Zahnfleischtaschen unter lokaler Betäubung. Häufig hat sich Zahnstein auch unterhalb des Zahnfleischs an der Zahnwurzel gebildet, der eine Ansammlung von Bakterien begünstigt. In ganz schweren Fällen werden zusätzlich Antibiotika zur Bekämpfung der Bakterien eingesetzt.
 
Etwa acht bis zwölf Wochen nach der Behandlung wird wieder die Tiefe der Taschen nachgemessen und mit dem Vorbefund verglichen. Das Ziel ist es, keine Zahnfleischtaschen über drei Millimeter zu haben.

Und wenn doch?
 
Man kann mit Kompromissen leben, wenn aber generell noch tiefe Taschen da sind oder anatomische Defekte bestehen, kann auch chirurgisch interveniert werden. Allerdings sollten dafür vorher alle anderen Schritte durchlaufen sein, um für die OP ein möglichst entzündungsarmes Gebiet zu schaffen.

Wie sieht so eine Operation dann aus?
 
Bei der resektiven Parodontalchirurgie wird Zahnfleisch entfernt und verlegt, sodass man auf die gesunden drei Millimeter Taschentiefe kommt.
 
Bei der regenerativen Parodontalchirurgie dagegen werden in Knochentaschen Materialien eingebracht, die den Zahnhalteapparat wieder aufbauen. Das ist aber nur bei circa fünf bis zehn Prozent der Defekte machbar.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Parodontitis bei einem Patienten nach einer Therapie wieder aufflammt?
 
Die Parodontitis ist eine chronische Erkrankung, die immer wieder kommen kann. Daher sollten Parodontitis-Patienten in einem Nachsorgeprogramm sein. Je nach Risiko werden ein bis viermal pro Jahr die Taschen nachgemessen, nach Bedarf eine professionelle Zahnreinigung gemacht, das Mundhygiene-Training aufgefrischt, weiter motiviert. Tiefere Taschen werden noch einmal gereinigt.

Wann wird aus einer normalen Zahnfleischentzündung eine Parodontitis?
 
Die normale Zahnfleischentzündung, die Gingivitis, betrifft nur den äußersten Saum des Zahnfleischs. Die Parodontitis dagegen betrifft die tiefer liegenden Strukturen des Zahnhalteapparates.
 
Der Zahn geht nicht direkt in Knochen über, sondern hat eine Zahnfleisch-Manschette. Erst dann kommen feine Haltefasern, die den Zahn quasi in den Knochen überführen. Besteht eine oberflächliche Zahnfleischentzündung über eine längere Zeit, greifen die Bakterien auch die tiefer liegenden Strukturen an. Sprich, Faserapparat und Knochen werden abgebaut, es bildet sich eine Zahnfleischtasche und der Zahn verliert an Halt.

Dr. Lisa Hezel

Zahnzwischenräume machen gut 40 Prozent der Zahnoberflächen aus. Wer sich nur die Zähne putzt, vernachlässigt also einen großen Teil seiner Zähne."

Wie geht es weiter, wenn die Parodontitis an dieser Stelle nicht behandelt wird?  
 
Dann beginnt eine Abwärtsspirale: Je tiefer die Zahnfleischtasche ist, desto bösartiger ist das Bakterienspektrum und desto größer ist auch die Masse an Bakterien, die darin Platz findet. Das führt zu weiterer Zerstörung des Zahnhalteapparates, bis hin zum Zahnverlust.

Das heißt: Je früher eine Parodontitis behandelt wird, desto besser. Bei welchen Anzeichen sollte ich auf jeden Fall zur Zahnärztin gehen?
 
Der Klassiker ist Zahnfleischbluten. In akuten Fällen kann es auch zu Abszessen kommen, das heißt: das Zahnfleisch schwillt an, es tritt Eiter aus. Aber die Parodontitis ist eine schleichende Erkrankung, die selten mit Schmerzen verbunden ist – dadurch merken es die Patienten selbst meist recht spät, etwa wenn Zähne locker werden. Deshalb sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen so wichtig.

Zum Schluss: Gibt es noch etwas, das Sie unseren Leserinnen und Lesern unbedingt mitgeben möchten?
 
Mir ist der präventive Gedanke sehr wichtig: Gehen Sie zum Zahnarzt, beherzigen Sie die Mundhygiene-Hinweise und investieren Sie diese zwei Minuten extra in die Pflege Ihrer Zahnzwischenräume.

Frau Dr. Hezel, was könnte es Schöneres geben, als sich an einem Sommerabend über Paradontitis zu unterhalten - vielen Dank für das Gespräch!

 
Dr. Lisa  Hezel: (lacht) Ja, mein Mann hat schon gesagt ‚Jetzt geht’s mit deinem Lieblingsthema weiter’.Danke.
 
Das Interview führte Ariane Böhm.

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