Interview | Was kann dahinter stecken? - Schmerzen in der Brust – immer ernst nehmen
Täglich erleiden rund 800 Menschen in Deutschland einen Herzinfarkt, etwa ein Viertel von ihnen überlebt ihn nicht. Auch, weil er zu spät erkannt wird. Sogenannte Chest Pain Units oder Brustschmerzambulanzen sollen das verhindern. Wie arbeiten sie? Darüber spricht der Kardiologe Prof. Dr. Martin Möckel im Interview.
Herr Prof. Möckel, wie arbeitet eine Chest Pain Unit?
Die Chest Pain Unit (CPU) stellt sicher, dass Patienten mit akuten Brustschmerzen oder Herzinfarktverdacht aufgrund anderer Symptome, z. B. Luftnot, systematisch untersucht und überwacht werden. Und zwar nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie.
Darüber hinaus gibt es in der Chest Pain Unit sämtliche diagnostische Möglichkeiten und fachärztliches Wissen, welches für die Abklärung dieser Patienten erforderlich ist. Dazu zählen neben dem EKG und der Monitor-Rhythmusüberwachung auch die Echokardiographie und die Möglichkeit, wichtige Laborwerte - sogenannte "Herzmarker" wie das Troponin - innerhalb von 60 Minuten zu bestimmen. In der Regel ist die CPU in eine Notaufnahme integriert.
Was für Erkrankungen können hinter dem Symptom Brustschmerz stecken?
Der Brustschmerz ist ja ein Leitsymptom von zahlreichen schwerwiegenden Erkrankungen, weshalb wir ja auch primär im Krankenhaus diese Patienten sehen. Natürlich ist die hauptsächliche Differenzialdiagnose der akute Herzinfarkt, aber auch andere. Zum Beispiel der akute Einriss der Hauptschlagader, die akute Lungenarterienembolie, aber gelegentlich auch ein Pneumothorax, also ein Riss im Lungenfell können einen akuten Brustschmerz auslösen. Und das sind natürlich Krankheitsbilder, die man schnell und präzise diagnostizieren muss.
Darüber hinaus gibt es aber auch zahlreiche andere Erkrankungen, die zu Brustschmerz führen. Dazu gehören Erkrankungen der Speiseröhre, aber auch der Muskeln, des Skelettsystems, der Knochen und des Magens. Manchmal sind auch Erkrankungen der Galle oder der Nieren so, dass sie in den Brustkorb ausstrahlen und als Brustschmerzen berichtet werden.
Kommen Patienten mit Brustschmerz rechtzeitig in die Rettungsstelle?
Also, ich würde mal sagen, dass 90 Prozent der Patienten eigentlich durch die Medienaufmerksamkeit, die auf den Brustschmerz gelenkt worden ist, rechtzeitig kommen. Es bleiben immer noch einige Patienten, die zu spät kommen. Das sind Patienten, die vielleicht von sich selber nicht glauben, dass sie einen Herzinfarkt haben könnten.
Typisches Beispiel sind Infarkte, die nicht mit Brustschmerz einhergehen, sondern in erster Linie mit Bauchschmerzen. Diese Patienten kämpfen sich vielleicht Tage mit Beschwerden wie Luftnot herum, bevor sie mit Komplikationen in die Klinik kommen. Frauen, die einen Herzinfarkt erleiden, haben häufig auch eher untypische Symptome wie Bauch- oder Rückenschmerzen und Übelkeit.
Ist es immer so einfach, die ernsten Fälle gleich zu erkennen?
Die Schwierigkeit liegt darin, dass natürlich jeder Patient, der unter Brustschmerz leidet, erst mal ernst genommen werden muss, als wenn er einen Herzinfarkt hätte. Wir wissen aber, dass von denen, die vorne an der Tür sagen: 'Ich habe Brustschmerzen', am Ende nur zehn Prozent einen akuten Myokardinfarkt haben. Das heißt, wir müssen möglichst schnell, mit geeigneten Mitteln bei diesen Patienten die geeignete Diagnose stellen und die Patienten, die nur eine Befindlichkeitsstörung haben oder bei denen keine schwere Diagnose zu Grunde liegt, die sollen auch schnell wieder nach Hause gehen können.
Mit welcher zusätzlichen Strategie arbeiten Sie seit einiger Zeit, um ernsthaft erkrankte Patienten noch besser zu erkennen?
Die ersten Hinweise auf eine ernsthafte Herzerkrankung liefern uns bestimmte "Herzmarker" im Blut wie das Troponin - ein Eiweiß, welches im Blut nachweisbar ist, wenn Herzmuskelgewebe abstirbt.
Wir arbeiten jetzt seit einiger Zeit mit einem zweiten "Herzmarker", dem Copeptin. Das ist ein Stoffwechselprodukt des Vasopressins. Vasopressin ist kein herzspezifischer Marker, sondern ein Marker für akuten kardiovaskulären Stress, wie er zum Beispiel bei einer Verengung der Herzkranzgefäße entsteht. Und dieser Marker steigt viel schneller im Blut an, als das hochspezifische Troponin. Mit der Kombination aus Copeptin plus Troponin können wir Patienten, die ein relativ niedriges Risiko haben, dann sehr schnell sagen: nein das ist kein Myokardinfarkt und der Patient kann vom Hausarzt weiter behandelt werden.
Hat sich das Konzept der "Chest Pain Units" aus Ihrer Sicht bewährt?
Ich denke, das Konzept hat sich auf jeden Fall bewährt. Wir haben vor einiger Zeit mal nachgesehen, wie hoch die Sterblichkeit bei unseren Patienten mit verschiedenen Leitsymptomen ist, und die Sterblichkeit der Patienten mit Brustschmerz ist die geringste überhaupt. Die höchste Sterblichkeit haben Patienten, die primär mit Dyspnoe kommen, also mit Luftnot, weil dahinter auch sehr schwere Erkrankungen stecken können. Aber ich glaube, dass wir mit unserem Konzept doch in der Lage sind, relativ zuverlässig alle schweren Erkrankungen unter dem Leitsymptom Brustschmerz schnell und präzise zu diagnostizieren und diese Patienten dann eben auch richtig zu behandeln.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Möckel.
Das Interview führte Ursula Stamm