Interview | Grippeschutzimpfung - wie wirkungsvoll? - Der wandelbare Keim
Ein Grippe-Impfstoff hat es nicht leicht: Ständig ändern sich Erreger, jährlich muss ein neuer Stoff entwickelt werden. In der vergangenen Grippesaison lag die Wirksamkeit trotzdem nur bei 40 Prozent. Wie das kommt, was im diesjährigen Impfstoff steckt und weshalb eine Impfung trotz aller Erschwernisse sinnvoll ist, erklärt Susanne Glasmacher vom RKI.
rbb Praxis: Langsam steigen die Zahlen der Grippeerkrankten. Haben Sie sich schon impfen lassen?
Susanne Glasmacher: Ich gehe jedes Jahr im RKI zur Grippeschutzimpfung. Beim ersten Termin war ich nicht da, nun habe ich einen Impftermin im November.
Die Impfung wirkt nur für ein Jahr. Warum?
Grippe-Viren verändern sich ständig. Deshalb legt die Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr neu fest, welche Stämme die Grippe-Impfstoffe enthalten sollten.
Welche Rolle spielen bei den Empfehlungen die Erreger des Vorjahres?
Der Influenza-Impfstoff enthält Bestandteile der Virus-Varianten, die die Experten für die kommende Saison erwarten. Um hier möglichst genau zu sein, untersuchen Referenzlaboratorien auf der ganzen Welt kontinuierlich die zirkulierenden Influenzaviren und übermitteln ihre Ergebnisse an die WHO. Auf Grundlage dieser Daten legt die WHO jedes Jahr aufs Neue fest, wie der Impfstoff zusammengesetzt ist. Für die Nordhalbkugel geschieht das in der Regel im Februar. So haben die Hersteller genug Zeit, ausreichend Impfstoff bis zum Beginn der Impfsaison im Herbst zu produzieren.
Wie gut traf der Impfstoff im letzten Jahr die tatsächlichen Erreger?
Letzte Saison stimmten zwar die Influenza-B-Viren gut mit den verfügbaren Impfstoffen überein. Sie machten allerdings nur einen verschwindend geringen Teil der zirkulierenden Viren aus. Mehr als 90 Prozent der Influenza Viren gehörten zum Subtyp H3N2. Dreiviertel davon waren von einer neuen Sub-Gruppe des Hong Kong-Virus, die nicht Bestandteil des Impfstoffes war. Daher lag die Wirksamkeit der Impfung nur bei knapp 40 Prozent. In diese Berechnung sind die Daten aus zwölf europäischen Ländern eingeflossen.
Was bedeutet eine Wirksamkeit des Impfschutzes von 40 Prozent?
Stimmen die zirkulierenden Influenzaviren gut mit dem Impfstoff überein, dann schützt der Impfstoff junge Erwachsene bis zu 80 Prozent. Bei älteren Menschen ist die Immunantwort oft reduziert, sodass die Impfung bei ihnen weniger zuverlässig wirkt. Dennoch können ältere Menschen ihr Risiko, an einer Influenza zu erkranken, durch die Impfung erheblich verringern. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Eine Wirksamkeit von 40 Prozent bedeutet: Wenn im Laufe einer Influenzasaison von 100 ungeimpften Erwachsenen zehn an Grippe erkranken, erkranken von 100 geimpften Erwachsenen etwa sechs.
Bietet die Impfung sonstige Vorteile?
Zahlreiche Studien haben untersucht, ob eine Influenzaerkrankung bei geimpften Personen milder verläuft als bei Ungeimpften, also mit weniger Komplikationen. In der Mehrzahl der Untersuchungen war das der Fall.
Welche Virenstämme haben WHO und EMA für den aktuellen Impfstoff empfohlen?
Der Dreifachimpfstoff ist – wie in den vergangenen Jahren – zusammengesetzt aus zwei A-Stämmen für die beiden Subtypen A/H1N1 und A/H3N2 (Michigan 2015 und Hong Kong 2014) sowie einem Vertreter für den Influenza-Typ B (Brisbane 2008). Der Vierfachimpfstoff enthält zusätzlich noch den B-Stamm Phuket 2013. Die Stämme werden immer nach der Stadt und dem Jahr benannt, in dem sie zum ersten Mal isoliert worden sind.
Warum hat sich die WHO so entschieden?
Die WHO hat wie in den Vorjahren auf Grundlage der weltweiten Meldungen eine Prognose für die kommende Grippesaison abgegeben. Es ist aber durchaus möglich, dass sich in der Zwischenzeit andere Influenzavarianten durchsetzen und eine oder mehrere der empfohlenen Impfstämme nicht oder nicht gut passen.
Die Sächsische Impfkommission SIKO hatte zuletzt angekündigt, allen Menschen in Sachsen in der neuen Grippesaison den Vierfach-Impfstoff zu verabreichen, der einen weiteren B-Stamm enthält. Bislang bekommen den vor allem Privatversicherte. Wozu rät die Ständige Impfkommission STIKO?
Der Vierfach-Impfstoff kann in Saisons mehr Schutz bieten, in denen der B-Stamm in nennenswertem Umfang zirkuliert, der nicht im trivalenten Impfstoff enthalten ist. Das ist nicht jedes Jahr der Fall. Die STIKO empfiehlt – wie auch die Impfkommissionen anderer europäischer Länder – den Vierfach-Impfstoff bislang nicht bevorzugt. Allerdings diskutiert sie aktuell mit Fachkreisen und dem Gemeinsamen Bundesausschuss darüber. Eine neue Empfehlung würde ab der Influenzasaison 2018/2019 in Kraft treten.
Der Beginn der Grippesaison wird – wie immer – für Anfang 2018 erwartet. Macht es Sinn, sich aktuell impfen zu lassen?
Oktober und November sind ideale Impfmonate. Der Wirkstoff braucht zehn bis 14 Tage, bis er voll wirkt. Selbst wenn die Grippesaison wie im vergangenen Jahr ein oder zwei Wochen früher einsetzt, bleibt also noch genug Zeit für eine Immunisierung.
Die vergangene Influenza-Saison hat die Menschen besonders hart getroffen. Schätzungsweise 30.000 Menschen mussten in der Klinik behandelt werden, mehrere Millionen erkrankten, es wurden über 700 labordiagnostisch bestätigte Todesfälle registriert. Welche Prognosen gibt es für die Saison 2017/2018?
Eine Prognose für die kommende Grippewelle ist nicht möglich. Wir können nicht vorhersagen, wie häufig die einzelnen Virustypen auftreten werden. Die Zahl der betroffenen Patienten und der Influenza-bedingten Todesfälle schwankt von Saison zu Saison. Aber auch in der schwächsten Grippewelle hat der Einzelne ein Risiko zu erkranken. Daher sollten Risikopatienten für einen schweren Verlauf – Schwangere, chronisch Kranke und über 60-Jährige – sich impfen lassen. Das gleiche gilt für diejenigen, die diese Personen betreuen, zum Beispiel Ärzte und Altenpfleger.
Die Viren, die im Oktober/November unterwegs sind, sind oft andere als die zur zweiten Welle im März.
Die Viren verändern sich in dem Zeitraum zwar, aber üblicherweise nicht in großem Ausmaß. Daher schützt die Impfung auch noch im März oder April.
Das Vorurteil hält sich hartnäckig. Eine Grippeimpfung könne das auslösen, was sie eigentlich verhindern soll: eine Grippe.
Das ist schlicht unmöglich, denn der Impfstoff besteht aus Bestandteilen abgetöteter Viren. Sicher, die Impfung kann eine Immunreaktion des Körpers verursachen, also erkältungsähnliche Symptome, eventuell begleitet von leichtem Fieber. Erkrankt tatsächlich jemand nach der Impfung an einer echten Grippe, könnte es sein, dass die Impfung nicht gewirkt hat oder dass die Person sich ausgerechnet in den zwei Wochen angesteckt hat, bis die Impfung ihre volle Wirkung entfaltet. Vielleicht ist es auch nur eine Erkältung, die einer milde verlaufenden Influenza ähneln kann. Vor den vielen verschiedenen Erkältungsviren schützt die Influenza-Impfung nämlich nicht.
Am Ende des Tages ist die Influenza-Impfung ist eine frustrierende Sache: Ständig ändern sich die Erreger, die Impfstoffe müssen jedes Jahr neu zusammengesetzt werden. Das ist teuer und aufwendig. Nun heißt es aus Großbritannien, dass dort erstmals ein Universalimpfstoff für klinische Studien zugelassen wurde. Was macht ihn so besonders?
Dieser neuartige Grippeimpfstoff verwendet Proteine aus dem Inneren des Grippevirus anstelle der Hüllproteine. Die inneren Proteine bleiben im Gegensatz zu den äußeren von Jahr zu Jahr nahezu unverändert, so dass der Impfstoff nicht mehr verändert werden müsste - falls die klinischen Studien erfolgreich verlaufen und der Impfstoff eine Zulassung bekommt.
Aktuelle Impfstoffe wirken nur bedingt. Könnte sich das mit dem neuen Impfstoff verbessern?
Das bleibt abzuwarten.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Glasmacher.
Das Interview führte Constanze Löffler