Krebstherapie - Methadon schürt Hoffnung bei Krebspatienten - zu Recht?
Hilft Methadon bei der Krebstherapie? Diese Frage sorgt gerade unter Ärzten und Betroffenen für Wirbel. Dem hoffnungsvollen Drängen von Patienten steht ein Mangel an Studien und Daten gegenüber. Doch ohne die kann Methadon nicht im Kampf gegen Krebs eingesetzt werden. Was wissen wir wirklich, und was steht einer Anwendung im Weg?
Bei vielen Onkologen und Palliativmedizinern in der Region steht gerade das Telefon nicht mehr still. Der Grund: Methadon. Chemikerin und Molekularbiologin Dr. Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedizin an der Universität Ulm hatte in vorklinischen Studien mit dem Opioid eine positive Wirkung auf Krebszellen nachgewiesen, insbesondere im Hinblick auf die Glioblastom-Therapie. Ihre Ergebnisse veröffentlichte die Forschergruppe um Dr. Friesen schon 2014 im Fachmagazin Cell Cycle. Seit 2008 untersuchte sie das Zusammenspiel von Methadon mit der Chemotherapie. Doch aktuell sorgen diese Ergebnisse für großen Wirbel.
Ein Grund für den aktuellen Hype um Methadon als Krebstherapie ist die Aufarbeitung des Themas in den Medien. So berichtete beispielsweise die ARD-Sendung plusminus im April 2017 von der positiven Wirkung von Methadon an einer Krebspatientin. Dabei warfen die Autoren die Frage danach auf, warum die Pharmaindustrie die neuen Erkenntnisse über den Wirkstoff nicht weiter erforsche. Der Verdacht der Autoren: Die Pharmaindustrie sei an der Finanzierung von Studien nicht interessiert, weil Methadon für sie nicht rentabel genug sei. Das schlug hohe Wellen.
Und Krebspatienten schöpfen neue Hoffnung: Denn gerade Glioblastome, also extrem aggressive Hirntumore, sind schwer bis gar nicht behandelbar und werden deshalb z.B. in der WHO-Klassifikation von Tumoren des zentralen Nervensystems mit dem höchsten Grad IV aufgeführt. Die Studie löst also verständlicherweise bei Betroffenen und ihren Angehörigen besondere Hoffnungen aus.
Methadon in der Krebstherapie - die Fakten
Klar ist: Methadon wird seit Jahren mit Erfolg bei Krebspatienten eingesetzt - allerdings zur Schmerztherapie. Dafür ist Methadon auch zugelassen. Zudem ist es nicht mehr patentfähig und damit im Einsatz sehr günstig. Nun legt die Grundlagenforschung von Dr. Claudia Friesen nahe, dass Methadon noch eine andere Wirkung haben könnte: In Zell- und Tierversuchen stellte die Chemikerin und Leiterin des molekularbiologischen Forschungslabors am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Ulm fest, dass Methadon die Wirkung der Chemotherapie bei Krebszellen verstärken könnte. Laut ihren Ergebnissen wirkt das Methadon auf das Cyclische Adenosinmonophosphat (cAMP), das in den Zellen vereinfacht gesagt an der Signalübermittlung mitwirkt. Friesen und ihr Team stellten in der 2014 in "Cell Cycle" veröffentlichten Studie fest, dass mittels Rezeptoraktivierung durch Methadon die cAMP-Wirkung reduziert werden konnte und in der Folge die sonst oft therapieunempfindlichen Glioblastomzellen besser auf die Chemotherapie ansprachen.
Klar ist aber auch, dass es dazu bisher keine klinischen Studien gibt, also keine Untersuchungen an Menschen, sondern "nur" mit Zellen und Mäusen im Labor. Wissenschaftlich ist also die Wirksamkeit bei Menschen nicht belegt, auch wenn es einzelne Fallstudien gibt, die die Daten der Laborstudien stützen. Das bestätigt auch Claudia Friese selbst im plusminus-Beitrag: "Das sind nur Patientenfälle und um einen wissenschaftlichen Beweis zu liefern, braucht man eben den evidenzbasierten Beweis und das sind klinische Studien."
Darauf verweisen auch diverse Stellungnahmen, die mittlerweile veröffentlich worden sind. So warnen beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie und das Universitätsklinikum Ulm vor falschen Hoffnungen bei Betroffenen, eben weil die Wirkung von Methadon an Menschen mit Hirntumoren bisher nicht belegt sei. Zudem stellt das Uniklinikum Ulm klar, dass die über 80 Patienten, auf der die von Claudia Friese bei Kongressen und Meetings vorgestellten Fallstudien beruhen, "nicht am Universitätsklinikum Ulm und nicht im Rahmen einer klinischen Studie behandelt" wurden. Die Patienten nutzten Methadon entweder als Schmerzmittel oder es wurde "Off Label" verschrieben und eingesetzt, was so viel bedeutet wie zweckentfremdet, also ein Einsatz abseits des Zweckes, für den die Zulassung besteht.
Mittlerweile gibt es eine zusätzliche erste kleine Studie, bei der Hirnforscher der Charité die Daten von 27 Patienten mit Hirntumoren rückblickend analysierten. Hierbei stand allerdings vor allem im Vordergrund, inwiefern Methadon verträglich und sicher für diese Tumorpatienten war – und das Ergebnis fiel positiv aus. Zumindest ein erster Hinweis also darauf, dass Methadon genauso sicher mit einer klassischen Chemotherapie einsetzbar ist, wie andere Medikamente. In Bezug auf eine mögliche lebensverlängernde Wirkung lieferte die Studie allerdings keine verlässlichen Ergebnisse. Es bleibt also weiterhin Fakt: Ob Methadon bei der Tumorbekämpfung Menschen helfen kann, ist nicht belegt.
Studien in Sicht
Vielleicht wird es dazu aber in Zukunft verlässliche Daten geben – zumindest arbeitet daran das Team um den Neurologen und Ärztlichen Direktor der Neurologie und Poliklinik am Universitätsklinikum Heidelberg, Prof. Wolfgang Wick. Das ist genau jener Wolfgang Wick, der im Beitrag von plusminus vor verfrühten Hoffnungen und einem Hype um Methadon warnte. Er hat nun eine ebensolche klinische Studie bei der Krebshilfe beantragt, an denen es laut vielen Experten eben mangelt – eine klinische Studie mit Hirntumorpatienten in der die Kombination von Chemotherapie und Methadon geprüft wird. 2018 könnte die Studie starten, der Abschlussbericht wird 2022 erwartet. Das bestätigte Prof. Wolfgang Wick im Gespräch mit SternTV am 26. Juni 2017.
Eine Studie kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit – das ist ganz normal in der Wissenschaft, aber für Patienten in Not manchmal schwer nachvollziehbar. Einige wollen deshalb mit einer Online-Petition die Forschung antreiben. Ins Leben gerufen hat sie Rainer Just aus der Gemeinde Issum in Nordrhein-Westfalen, er verlor durch Krebs seine Lebensgefährtin. Über 14.000 Unterstützer hat die Petition bisher gefunden. Sie fordert schlicht, "dass Methadon endlich zur Krebsbekämpfung angewendet wird" und richtet sich an den Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag. Das Engagement zeigt, wie groß die Hoffnungen in Methadon sind – auch wenn der Ausschuss - selbst wenn die Beteiligten wollten - natürlich kein Medikament einfach per Federstrich zulassen kann.