Frau mit Klopapierrolle vor Toilette (Bild: imago/YAY images)
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Interview l Künstlicher Stuhl- und Urinausgang - Stoma: Alltag mit künstlichem Darmausgang

Ein Stoma ist ein künstlich geschaffener Ausgang in der Bauchdecke. Häufig ist er nach einer Krebserkrankung nötig. Stuhl oder Urin über einen Beutel auszuscheiden - das ist immer noch ein Tabu. rbb PRAXIS hat den Wund- und Stomatherapeuten Thomas Stegemann vom Werner-Forßmann Klinikum Eberswalde gefragt: Wie gelingt damit der Alltag? Und wann braucht man genau einen künstlichen Darmausgang?

Herr Stegemann, über 150.000 Menschen in Deutschland tragen ein Stoma. Was sind die Gründe?
 
Die häufigste Ursache ist der Darmkrebs. Zum einen kann es dann dazu kommen, dass keine Stuhlpassage mehr möglich ist, weil der Darm durch den Tumor verengt ist. Dann muss notfallmäßig ein künstlicher Darmausgang gelegt werden, um einen lebensgefährlichen Darmdurchbruch zu verhindern.

Die andere Variante: Ein Darmtumor wird entfernt und die beiden gesunden Enden werden miteinander vernäht. Um die Naht zu schützen und die Wundheilung zu unterstützen legt man vorübergehend einen künstlichen Darmausgang. Nach ca. 3-6 Monaten entfernt man ihn wieder.
 
Auch werden Stomata häufig bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nötig, zum Beispiel bei Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa oder bei einer Divertikulitis, bei der sich Ausstülpungen in der Darmwand bilden und sich durch Stuhlablagerungen entzünden können.

Wie reagieren Menschen, wenn sie hören, dass sie ein Stoma bekommen sollen?
 
Sie sind meist erst mal ziemlich geschockt. Denn das ist natürlich eine riesen Umstellung. Viele denken, dass sie die Beutel für die Ausscheidungen nicht alleine wechseln werden können.
Später merken sie, dass es meist gut gelingt.
 
Und es ist ein ganz sensibles Thema, da muss man auch wirklich sehr sensibel vorgehen. Ich versuche, in Gesprächen die Angst zu nehmen und mit den Betroffenen in einen guten Kontakt zu kommen. Mittlerweile ist ja glücklicherweise viel passiert in der Chirurgie und ein großer Teil der Stomata können wieder zurückverlegt werden und Betroffene leben dann wieder ohne Stoma. Aber wenn jemand das für immer bekommen hat, da muss man schon viel Aufbauarbeit leisten.

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Wie sieht Ihre Arbeit als Stomatherapeut konkret aus?
 
Ich arbeite am Darmzentrum des Klinikums. Dort berate und betreue ich Patientinnen und Patienten von der vorstationären Aufnahme an über die OP bis einschließlich zum Tag der Entlassung.
 
Sobald ich weiß, dass jemand ein Stoma bekommt, gehe ich zur betroffenen Person hin und mache ein Vorgespräch. Ich schaue mir die anatomischen Verhältnisse des Bauches an und überlege, wo die günstigste Stelle für den künstlichen Ausgang wäre.
Ein Stoma sollte nämlich - wenn vermeidbar - keinesfalls in einer Bauchfalte oder im Bereich des Hosen- oder Rockbundes sitzen. Dann markiere ich die Stelle mit einem Hautmarker [Anm. d. Red.: wasserfester Stift]. Diese Stoma-Markierung erfolgt immer in Absprache mit den jeweiligen behandelnden Ärztinnen und Ärzten. [Anm. d. Red.: Bei einer Stoma-Markierung muss man außerdem auf die OP-Schnittführung, knöcherne Vorsprünge, Nabel, Leiste, Genitalien und sonstige Hautveränderungen achten, sonst könnte es im Verlauf zu Schwierigkeiten bei der Stoma-Versorgung kommen.]
 
Nach der Operation versuche ich, die Person mit ihrer neuen Lebenssituation vertraut zu machen: Wie sie mit dem künstlichen Darmausgang im Alltag umgeht, wie sie den künstlichen Ausgang versorgt.
 
Je nach Art des Stomas gibt es natürlich Unterschiede bei der Wahl der Stoma-Beutel. Das muss mit dem Patienten individuell besprochen und angepasst werden. Wenn es möglich ist, beziehe ich auch die Angehörigen mit ein.

Hintergrund: Was ist ein Stoma?

Der Begriff Stoma kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Öffnung".


In der Medizin bezeichnet er eine durch eine Operation geschaffene künstliche Körperöffnung. Sie dient dazu, beim Aufnehmen oder Ausscheiden zu unterstützen, wenn das auf natürlichem Weg nicht möglich ist.


Man unterscheidet das Gastrostoma (Magen-Stoma) zur künstlichen Ernährung, das Urostoma (künstlicher Blasenausgang) zur Harnausscheidung, v.a. nach Blasenkrebs und das Enterostoma (künstlicher Darmausgang, Anus praeter) zur Stuhlausscheidung.
Dabei kann das Stoma vom Dünndarm nach außen führen (Ileostoma) oder vom Dickdarm nach außen führen (Kolostoma).

 

Ein Stoma kann dauerhaft sein oder temporär.

Tut ein Stoma weh?
 
Grundsätzlich nicht, da der künstliche Darmausgang über keinerlei Schmerznerven verfügt. Man muss aber einiges in der täglichen Versorgung beachten. Macht man Fehler in der Versorgung oder benutzt das falsche Material, kann die Haut rund um das Stoma aber auch das Stoma selber Schaden nehmen. Das könnte Schmerzen bereiten.
 
Man muss genau wissen, wann man den Beutel wechselt und wie und welches Material man verwendet. Die Beutel sind mittlerweile gut hautverträglich und es gibt auf dem Markt eine große Vielfalt. Das Wichtigste für die Patientinnen und Patienten ist, dass die Stomaversorgung passt. Damit sie den Alltag so unbeschwert wie möglich verbringen können und nicht ständig Angst haben müssen, dass in der Öffentlichkeit der Beutel abgeht. Denn dann trauen sich viele gar nicht mehr raus und haben einen hohen Leidensdruck.
 
[Anm. d. Red.: Vor allem wenn man einen Dünndarm-Ausgang hat, ist erstmal die Ausscheidungsmenge sehr hoch und außerdem befinden sich im Dünndarmsekret viele Verdauungsenzyme. Wenn es auf die gesunde Haut gelangt, kann das zu starken Reizungen führen. Das passiert meistens dann, wenn man die Versorgung unsachgemäß verwendet. Zum Beispiel die Lochgröße zu groß gewählt hat oder überhaupt ein falsches System verwendet. Mit Hautpflegemitteln lassen sich diese Hautentzündungen wieder in den Griff bekommen.]

Warum ist ein Stoma immer noch tabuisiert?
 
Viele haben Angst, dass es jemand mitkriegen könnte. Sie fragen sich: Wenn ich die Kleidung über das Stoma und den Beutel anziehe - wie sieht das aus? Wenn ich einkaufen gehe - erkennt man den Stoma-Beutel? Man schämt sich dafür.
 
Deshalb kann es sinnvoll sein, sich an eine der zahlreichen Stoma-Selbsthilfe-Gruppen zu wenden. Und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen - das stärkt. Und man bekommt Tipps, z.B. dass es spezielle Bademode gibt, die das Stoma kaschiert.

Welche Stoma-Beutel gibt es?

Stomaträger können die Ausscheidungen aus ihrem Stoma nicht kontrollieren. Stuhl oder Urin fließen aus dem Stoma heraus. Mit Stomabeuteln werden die Nahrungsreste oder der Urin aufgefangen.

 

Man kann zwischen geschlossenen Beuteln und Ausstreifbeutel wählen. Die geschlossenen Beutel sind Einmalbeutel und werden gewechselt und entsorgt, wenn sie voll sind. Sie eignen sich bei festen und relativ überschaubaren Darmentleerungen.

 

Ausstreifbeutel haben ein offenes Ende, durch das der Inhalt mehrfach entleert werden kann. Prinzipiell können sie mehrere Tage am Körper bleiben. Sie sind empfehlenswert bei häufigen, eher weichen bis flüssige Darmentleerungen.

 

Die beiden Beutelformen gibt es jeweils als sogenannte Ein- und Zweiteiler: Bei einem einteiligen Versorgungssystem ist der Stomabeutel mit der Haftfläche fest verbunden. Bei zweiteiligen Systemen sind Haftfläche (Basisplatte) und Beutel getrennt und werden mit einem Rastring (Druckknopfsystem) oder mit einer klebenden Verbindung gekoppelt.

 

Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Die Wahl richtet sich auch nach der Erkrankung, dem Stuhlgang und der persönlichen Vorbliebe. Stoma-Therapeuten und Therapeutinnen stehend meist beratend zur Seite.

Kommt es denn tatsächlich zu Geräuschen oder zu Gerüchen?
 
Ja, Geräusche gibt es schon manchmal. Riechen tut es nicht. Die Beutel haben oben einen Kohlefaser-Filter, der die Gase entweichen lässt, ohne dass Geruch entsteht.
Vorausgesetzt man ernährt sich gut. Wenn man weiter so isst wie früher auch, dann kann es schon zu kräftigen Geräuschen kommen.

Was sind die Ernährungsempfehlungen bei künstlichem Darmausgang?
 
Generell gilt es, viele kleine Mahlzeiten am Tag zu essen. Man sollte blähende und geruchsbildende Lebensmittel meiden, zum Beispiel Kohl, Hülsenfrüchte oder Eier.
 
Man muss genügend Flüssigkeit zu sich nehmen, um den Elektrolythaushalt in Balance zu halten. Wichtig ist, faserige Lebensmittel zu vermeiden, z.B. Orangen oder Spargel. Die Fasern können ein Knäuel bilden, die das Stoma verstopfen. Einer meiner Patienten hat davon einen Darmverschluss bekommen.

Machen Sie auch die Ernährungsberatung?
 
Wir haben am Darmzentrum ein Team von Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberatern. Sie vermitteln den betroffenen Personen auch, wie sie sich zu Hause am besten ernähren.
 
Aber ich spreche auch darüber und jeder Patient und jede Patientin bekommt von mir bei der Entlassung auch einen Ratgeber zum Thema Ernährung in die Hand gedrückt.

Und wie geht es dann zu Hause weiter?
 
An unserer Klinik gibt es eine Stoma-Sprechstunde. Wenn Patientinnen oder Patienten nach ihrer Entlassung noch Fragen haben, können sie dorthin kommen.
 
Grundsätzlich ist es so, dass ich sie an so genannte Homecare-Unternehmen übergebe. Diese leisten in Deutschland die Versorgung mit beratungsintensiven Produkten bzw. Hilfsmitteln. Die Firmen haben ambulante Stoma-Schwestern, die meine Patientinnen und Patienten weiter zu Hause beraten und betreuen. Indem sie alle 3-6 Monate persönlich vorbeikommen und auch die Versorgung mit Stoma-Beuteln gewährleisten.

Wie viel normaler Alltag ist mit einem Stoma möglich? Etwa in Bezug auf Sexualität oder Sport?
 
Die Beutel bestehen aus Materialien, die sehr robust sind. Man kann mit ihnen duschen, baden und sogar schwimmen. Es gibt auch relativ kleine Beutel in Hautfarbe, die kann man beim Sex ankleben oder dezent verstecken. Manche gehen hingegen sehr offen damit um.
 
Beim Sport oder Aktivitäten wie Gartenarbeit rate ich dazu, eine Stoma-Bandage zu tragen, um die Bauchwand zu schützen. Ich hatte mal einen Patienten, der ist später Radrennen gefahren und hat seinen Stoma-Beutel unter einer stylishen Bandage unter dem Trikot getragen.
Also: Wenn das Stoma an einer optimalen Stelle angelegt ist und der Beutel gut sitzt, dann hat man eigentlich wenig Einschränkungen im Leben.

Herr Stegemann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Carola Welt

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