Rückenoperation nur im Notfall -
Rückenschmerzen sorgen für jährlich neun Milliarden Euro Gesundheitsausgaben; durchschnittlich 1.300 Euro kostet die Kassen jeder Rückenschmerz-Patient im Jahr. Wegen ihrer Beschwerden lassen sich rund 200.000 Patienten im Jahr an der Bandscheibe operieren – ein Eingriff von fraglichem Nutzen.
Fast jeder Erwachsene leidet gelegentlich unter Schmerzen in Schultern und Kreuz. Allerdings können die Schmerzen viele Ursachen haben. Ein Bandscheibenvorfall ist eher die Ausnahme: Nur in einem von zehn Fällen ist er für die Beschwerden verantwortlich.
Unsere 23 Bandscheiben liegen zwischen jeweils zwei Wirbelkörpern und puffern Stöße und Vibrationen beim Laufen, Rennen oder Bücken ab. Sie bestehen aus einem gallertartigen Kern und einem festen Faserring. Bei einer Bandscheibenwölbung verformt sich der Gallertkern und drückt auf den Faserring. Beim Bandscheibenvorfall tritt das Gallert über den Faserring hinweg in den Rückenmarkskanal aus. Je nachdem, auf welche umliegenden Nervenstränge der Defekt drückt, entstehen mehr oder minder starke Schmerzen.
Durchleuchten - nicht immer hilfreich
Selbst wenn das Computertomogramm (CT) gewölbte Bandscheiben enthüllt – nicht immer sind sie der tatsächliche Grund für die Pein. So weisen völlig schmerzfreie Menschen massive Befunde auf. Vier von zehn Deutschen bemerken Untersuchungen zufolge die vermeintlich schmerzhafte Aussackung gar nicht. Und extrem leidende Patienten können mit lupenreinen Aufnahmen ihrer Bandscheiben aufwarten. Demnach haben veränderte Strukturen auf medizinischen Bildern nur selten etwas mit den akuten Beschwerden zu tun.
Hinsichtlich der Datenlage sollten Fachleute ihren Patienten ohnehin besser davon abraten, sich durchleuchten zu lassen: Die Bildgebung kann die Prognose nicht verbessern. Die Aufnahmen selbst verursachen hohe Kosten und bringen weiterführende Untersuchungen mit sich. Vor allem aber lösen sie bei den Patienten ein größeres Krankheitsgefühl aus – und verlangsamen damit den Heilungsprozess.
OP als letzte Option
Dennoch geben viele Ärzte als Begründung für das operative Vorgehen die Ergebnisse bildgebender Verfahren an. Bandscheiben-Operationen gehören mittlerweile zu den häufigsten Operationen überhaupt. Bis 2012 war die Anzahl der Bandscheibenoperationen in den vergangenen fünf Jahren um rund 40 Prozent auf schätzungsweise 200.000 Eingriffe jährlich gestiegen.
Fest steht, Ärzte führen viele Bandscheiben-Operationen durch, bevor ihre Patienten alle Möglichkeiten einer alternativen Therapie kennen und sich in aller Ruhe für eine Form der Behandlung entschieden haben. Der Bandscheibenvorfall tut zwar mitunter höllisch weh, lebensbedrohlich ist er aber nicht. Und die Zeit für eine gut durchdachte Entscheidung sollte sich jeder nehmen. Konservative Therapien, die Schmerzmittel, Krankengymnastik und Bewegung kombinieren, helfen Studien zufolge genauso gut wie eine Operation. Mit einem entscheidenden Vorteil: Bei mindestens 15 Prozent aller Rücken-Operationen geht es den Patienten nachher nicht besser, sondern sogar schlechter.
Therapie in Stufen
Die Panik bei einem Bandscheibenvorfall ist ohnehin nicht nötig: Er besteht zu 95 Prozent aus Wasser, das im Laufe der Zeit abtransportiert wird. Selbst die Behandlungsleitlinie der gern operierenden Orthopäden empfiehlt mittlerweile einen stufenförmigen Therapieansatz: Der beinhaltet die Gabe von Schmerzmitteln, gefolgt von Spritzen und Krankengymnastik. Erst in Stufe drei soll operiert werden. Denn durch die Rückbildung des Bandscheibenvorfalls, durch Volumenabnahme oder Ausweichen der gequetschten Nervenwurzel erfolge oft eine Spontanheilung. Nur in seltenen Fällen – bei zunehmenden und starken Lähmungserscheinungen – sollten Operateure zum Skalpell greifen.
Bei der konservativen Therapie zeigt vor allem der so genannte multimodale Ansatz Erfolg: Er kombiniert Bewegung, Medikamente und psychologische Betreuung. Denn statt eines Rückenschadens sind es vor allem Verschleißerscheinungen, schwache Muskeln und Stress, die dem Rücken zur Last werden. Wem die "Angst im Nacken sitzt" oder wer "vor Gram gebeugt" ist, spürt die seelischen Belastungen sprichwörtlich im Rücken. Neben spannungsgeladenen Beziehungen hinterlassen vor allem Probleme im Job ihre Spuren am Kreuz.
Text: Constanze Löffler