Interview | Training fürs Knie - Knieoperation allein hilft nicht
Das Kreuzband reißt oder der Meniskus ist lädiert. Wer alte Beweglichkeit zurück will, dem wird oft die OP empfohlen. Aber damit allein ist es nicht getan.
Vor allem bei Sportarten wie Fußball oder Handball passiert es: mit einem "Knall" reißt das Kreuzband oder der Meniskus ist lädiert. Wer seine alte Beweglichkeit wieder gewinnen will, dem wird eine Operation empfohlen. Damit ist es allerdings nicht getan.
Das Knie muss wieder "aufgebaut" werden – ohne Physiotherapie geht nichts. rbb Praxis sprach mit dem Physiotherapeuten Daniel Naumann über diesen langwierigen Prozess.
Welche Knieoperationen haben die Patienten hinter sich, die zu Ihnen in die Praxis kommen?
Am häufigsten sind das Patienten, bei denen der Meniskus gerissen ist. Von zehn Patienten in unserer Praxis hatten fünf einen Meniskusriss, zwei einen Kreuzbandriss und drei kommen mit restlichen Beschwerden, zum Beispiel Knorpelproblemen. Bei den Kreuzbändern reißt in der Regel das vordere Kreuzband. Typischerweise durch eine Sportverletzung, wenn etwa der Oberkörper dreht und der Unterschenkel bzw. das Knie nicht "mitkommen". Bei der OP wird dann durch eine Kreuzbandplastik das fehlende Band ersetzt.
Muss ein Kreuzbandriss immer operiert werden?
Das kommt auf den Patienten an. Je jünger und je körperlich aktiver jemand ist, desto eher würde man zu einer Operation raten. Denn das fehlende Kreuzband hat auf jeden Fall zur Folge, dass das Knie weniger stabil ist. Außerdem steigt ohne Operation das Risiko für eine Arthrose oder Meniskus-Schäden. Es gibt aber auch immer das berühmte Beispiel des Profi-Fußballers, der ohne Kreuzband wieder spielt. Das setzt aber ein sehr intensives Muskelaufbau-Training voraus und bedeutet letztlich auch, dass er mit spätestens 40 ausgesorgt haben muss.
Warum ist Physiotherapie nach einer Knie-Operation so wichtig?
Das Knie wird ja in jedem Fall nach der Operation ruhig gestellt und der Patient trägt für zwei bis vier Wochen eine Schiene und läuft auf Gehstützen. Dadurch baut die Muskulatur automatisch ab. Diese Muskulatur wieder aufzubauen, schafft man allein im Alltag, ohne Physiotherapie so gut wie nicht. Außerdem haben fast alle Patienten eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk, die man mit Manualtherapie wieder herstellen kann. Durch die Knie-OP kommt es zu Verklebungen der Muskulatur und des Bindegewebes. Wenn die nicht innerhalb der ersten sechs bis acht Wochen durch Bewegung aufgelöst werden, fallen sowohl die Beugung als auch die Streckung des Knies sehr schwer. Ganz wichtig ist auch, dass durch die Physiotherapie das Vertrauen in den eigenen Körper wieder gestärkt wird. Viele Patienten trauen sich nicht, zu laufen oder bestimmte Bewegungen zu machen; diese Angst können wir ihnen nehmen.
Manche am Knie Operierte schildern, dass sich ihr Knie "anders" anfühlt, nicht mehr wie vorher, woher kommt das?
Wir haben im Knie sogenannte Propriorezeptoren, die dem Gehirn die dreidimensionale Lage des Knies im Raum "melden" und die es uns zum Beispiel erlauben, auf wackeligem Untergrund sicher zu stehen. Diese kleinen Rezeptoren werden durch eine Knieoperation stark irritiert und der Patient muss erst wieder lernen, diese feinen Ausgleichbewegungen auszuführen. Das ist quasi wie ein Paar neue Schuhe einlaufen.
Wie wichtig ist die eigene Motivation?
Sehr wichtig! Sie bekommen zwar in der Regel nach einer Kreuzband-Operation etwa 20 Physiotherapie-Sitzungen von der Krankenkasse bezahlt. Aber ohne eigenes Üben zuhause reicht das nicht aus, um das Knie entsprechend wieder aufzubauen. Das ist natürlich häufig der Knackpunkt. Viele Patienten sind durch ihre Arbeit sehr eingespannt. Da fällt das tägliche Üben schnell weg und man humpelt zum nächsten Besprechungstermin. Deshalb rate ich meinen Patienten eigentlich immer, ihre Übungen in den Alltag einzubauen. Und zwar über den Tag verteilt, fünf bis sechs mal zehn Minuten. Das kann man schaffen. Selbst ein LKW-Fahrer, der acht Stunden am Tag fahren muss, kann während der Zigarettenpause draußen im Laufen seine Übungen machen. Oder man macht sie halt abends vor dem Fernseher. Klar ist, wer seine "Hausaufgaben" nicht macht, wird wesentlich länger brauchen, bis das Knie wieder voll einsatzfähig ist.
Wie lange dauert es, bis man nach einer Kreuzbandoperation wieder fit ist?
Nach einer Kreuzband-Operation sollte man sich drei bis vier Wochen krankschreiben lassen, um sich wirklich Zeit zu nehmen für die erste Aufbauphase. Nach acht Wochen kann man davon ausgehen, dass man sich wieder relativ normal bewegen kann. Nach etwa drei Monaten kann man meist wieder joggen gehen und es dauert etwa ein halbes Jahr bis man wieder Sportarten wie Tennis, Basketball oder Fußball betreiben kann. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte mit letzterem sogar ein Jahr warten. Das gilt auch für den Skiurlaub.
Was kann ich noch tun, um nach einer Knieoperation wieder möglichst schnell gesund zu werden?
Neben der Bewegung spielt natürlich auch das Körpergewicht eine Rolle. Jedes Kilo belastet auch das Gelenk, welches sich ja erholen soll. Gesunde Ernährung hilft insofern, dass man damit in der Regel Gewicht verliert und auch die Wundheilung schneller geht. Nach einer OP sollte man solange das Knie geschwollen ist, nicht rauchen und auch keinen Alkohol trinken. Der Alkohol erweitert die Gefäße und wir sehen immer wieder Patienten, die drei, vier Wochen nach der OP ein paar Bier getrunken haben und die sich darüber wundern, dass ihr Knie wieder dick geworden ist.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Naumann.
Das Interview führte Ursula Stamm