Frau liegt auf dem Sofa und schläft (Quelle: imago/Westend61)
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Interview | Warum bin ich ständig erschöpft? - Fatigue – die quälende Erschöpfung besser verstehen

"Schlaf dich doch mal richtig aus", bekommen viele Fatigue-Betroffene zu hören. Doch sie leiden unter einer Erschöpfbarkeit, die durch Schlaf und Ruhepausen nicht verschwindet. Eine chronische Fatigue kann durch Erkrankungen wie Krebs oder Multiple Sklerose hervorgerufen werden. Das chronische Fatigue-Syndrom hingegen entsteht nach einem Infekt oder einer chronischen Infektionskrankheit.

Prof. Carmen Scheibenbogen von der Immundefekt-Ambulanz der Charité ist eine der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet. Mit ihr sprach "rbb Praxis" über Ursachen, die Schwierigkeit der Diagnosestellung und mögliche Therapien.

Welche Erkrankungen können diese starke Erschöpfbarkeit, die Fatigue, auslösen?

Fatigue ist ein ganz häufiges Symptom vieler Erkrankungen. Das können ganz harmlose Dinge sein, aber dahinter stecken manchmal auch schwere Erkrankungen. Häufige Ursachen sind Eisenmangel, Schlafstörungen, Medikamentennebenwirkungen und Schilddrüsenunterfunktion. Fatigue ist auch ein Symptom vieler Erkrankungen, bei denen das Immunsystem beteiligt ist; so tritt sie häufig bei Autoimmunerkrankungen auf, bei chronischen Infektionserkrankungen oder nach einer Infektion als chronisches Fatigue-Syndrom. Auch bei der so genannten Tumor-Fatigue, die bei etwa 30 Prozent aller Patienten nach Abschluss der Behandlung chronisch wird, scheint eine entzündliche Ursache eine wichtige Rolle zu spielen.

Was kann ein chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) auslösen?

Wir wissen, dass ein chronisches Fatigue-Syndrom häufig ausgelöst wird durch eine Infektion. Nicht selten fällt auch eine Phase körperlicher oder psychischer Überanstrengung mit dem Krankheitsbeginn zusammen, zum Beispiel während einer Prüfung oder bei Sportlern nach anstrengenden Wettkämpfen. Wir vermuten, dass ein überaktives oder ein fehlgesteuertes Immunsystem Ursache dieser Erkrankung ist. Fatigue während einer Infektion ist etwas Normales. Der Körper verwendet alle Energien darauf, die Infektion zu bekämpfen. Warum man nach einer Infektion sich manchmal nicht wieder regeneriert, das verstehen wir noch nicht so genau. Aber es sieht so aus, als würde da etwas nicht wieder in den Normalzustand zurück geschaltet werden und als würde es auch zu einer ständigen Störung im normalen Energiestoffwechsel kommen, die erklären könnte, warum diese schwere Fatigue auftritt.

Wie wird die Diagnose CFS gestellt?

Für das chronische Fatigue-Syndrom gibt es keine Diagnosemarker im Blut. Das heißt, wir stellen die Diagnose klinisch, also aufgrund der Symptome, die der Patient uns schildert und die in der Gesamtheit ein typisches Krankheitsbild ergeben. Was ganz charakteristisch beim chronischen Fatigue-Syndrom ist, ist dass die Patienten anhaltend ähnliche Beschwerden haben wie bei einem Infekt, ein grippiges Gefühl, Halsschmerzen, Konzentrationsstörungen und oft auch schwere Muskelschmerzen.  Und was auch ganz typisch ist, ist eine belastungsbedingte Zunahme der Erkrankungssymptome, das heißt, die Patienten machen vielleicht nur einen kleinen Spaziergang und sind im Anschluss sehr viel stärker erschöpft als sie am Morgen waren.

Es gibt jetzt Studien mit einem neuen Medikament, Rituximab. Wie wirkt das auf die Fatigue?

Wir gehen davon aus, dass es sich zumindest bei einer Unterform des chronischen Fatigue Syndroms um eine Autoimmunerkrankung handelt. Anders als zum Beispiel bei Multipler Sklerose greift das Immunsystem nicht Gewebe an, sondern scheint die Feinregulation von Sympathikus und Parasympathikus zu stören. Über dieses System wird auch unsere Stressverarbeitung geregelt.
 
Das geschieht über bestimmte Botenstoffe und die haben Erkennungsstrukturen auf nahezu allen Körperzellen und auch auf den Immunzellen. Wir haben erste Hinweise darauf, dass Fatigue-Patienten Autoantikörper gegen bestimmte Stressrezeptoren haben und dann funktioniert diese Steuerung möglicherweise nicht mehr richtig. Rituximab ist ein Medikament, mit dem man Autoantikörper behandeln kann, indem Autoantikörper-produzierende B-Zellen zerstört werden. Mit Rituximab läuft gerade eine Studie mit 140 Patienten in Norwegen und wir erwarten, dass Anfang nächsten Jahres die Ergebnisse veröffentlicht werden.
 
Wir haben im vergangenen Jahr auch eine Therapiestudie an der Charité durchgeführt mit einer so genannten Immunadsorption mit der wir Autoantikörper aus dem Blut entfernen. Auch mit hochdosierten Immunglobulinen versuchen wir die Erkrankung zu behandeln. Das sind ebenso Verfahren, bei denen man solche Autoantikörper quasi verdrängen kann. Allerdings sind das alles noch keine zugelassenen Therapien bei Fatigue.

Wie können Sie Fatigue-Patienten sonst noch helfen?

Für viele Betroffene ist ein erster wichtiger Schritt, dass sie überhaupt eine Diagnose bekommen und ihre Probleme nicht als psychisch oder "Burn-Out" missinterpretiert werden. Die Behandlung von CFS ist bislang symptomorientiert und zielt darauf ab, Symptome der Erkrankung zu lindern und Überanstrengung zu vermeiden, die zu einer Verschlechterung der Beschwerden führt.
 
Die Symptome unter denen die Patienten häufig leiden, wie Schlaflosigkeit oder Schmerzen, kann man gut behandeln. Patienten mit CFS leiden auch unter häufigen Infektionen. Wenn man die in den Griff bekommt, dann kommt es oft auch zu einer grundlegenden Besserung ihrer Erkrankung. Man kann aber auch nicht alle Formen von Fatigue gleich behandeln. Patienten mit Fatigue nach Tumorerkrankungen profitieren zum Beispiel von körperlicher Bewegung. Bei CFS-Patienten würde Sport die Erkrankung verschlimmern.

Wie gut werden Fatigue-Patienten in Deutschland versorgt?

Insgesamt ist die Versorgung von Fatigue-Patienten in Deutschland immer noch sehr unzureichend. Wir haben hier in Berlin viele Kliniken und Institute, die sich mit dem Thema beschäftigen, so auch die Schlafmedizin und die Neurologie, die sich zum Beispiel mit Fatigue bei neuroimmunologischen Erkrankungen beschäftigen.
 
Mit dem Fatigue-Zentrum, das wir 2017 gegründet haben, haben wir begonnen, gemeinsame Forschungsprojekte zu beantragen. Wir setzen aber auch auf einen engeren Austausch in Bezug auf Therapien, die einzelnen Patienten helfen. Wir können hier in Berlin allerdings nicht Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet versorgen, sondern sind in erster Linie Ansprechpartner für Betroffene in Berlin und Brandenburg. Ein wichtiger Ansprechpartner ist und bleibt auch der Hausarzt. Deshalb bieten wir Fortbildungen für niedergelassene Ärzte an, die über das Krankheitsbild aufklären sollen.

Vielen Dank für das Gespräch, Prof. Scheibenbogen.
Das Interview führte Ursula Stamm.

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