-
Film von Inge Kloepfer
Über Jahrzehnte hat der Streit um die Atomkraft die deutsche Gesellschaft zutiefst gespalten. Dann aber bebte an einem Freitagmorgen in Japan die Erde und alles ging plötzlich ganz schnell. Erschüttert von dem Tsunami und der Havarie der Reaktoren im Kernkraftwerk Fukushima im März 2011 besiegelte die Bundesregierung unter Angela Merkel an einem einzigen Wochenende binnen 96 Stunden das Ende der Kernenergie in Deutschland. Unüberlegt, atemlos, fast panisch stolperte die Regierung auch unter dem Druck der bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg mit einem bereits angeschlagenen CDU-Ministerpräsidenten an der Spitze in eine Entscheidung, die den Steuerzahler noch Milliarden kosten sollte. Die Bundeskanzlerin vollzog eine nie dagewesene energiepolitische Kehrtwende. Dabei hatte ihre schwarz-gelbe Koalition nur sechs Monate zuvor die Laufzeiten für Kernkraftwerke verlängert und damit den einst von Rot-Grün mit der Energiewirtschaft erzielten Ausstiegskonsens ohne Not wieder rückgängig gemacht. Nach Fukushima aber wusste Angela Merkel, dass die schon immer umstrittene Nutzung der Kernenergie in Deutschland keine Chance mehr haben würde. Gegen die Mehrheit der Bevölkerung würde die Union ihre energiepolitische Linie auf Dauer nicht durchhalten können. Schon gar nicht die Kanzlerin.
Was lief an jenem Fukushima-Wochenende hinter den Türen des Bundeskanzleramts, der Energiekonzerne und der Fraktionssäle wirklich? Für ihren Film Fukushima und der deutsche Atomausstieg begibt sich die Autorin auf Spurensuche und lässt das Wochenende vom 11. bis zum 14. März 2011 zehn Jahre danach noch einmal lebendig werden - zum ersten Mal allerdings mit dem Fokus auf die Ereignisse im politischen Berlin und in den Konzernzentralen an Rhein und Ruhr. Dabei ist es ihr gelungen, vor allem jene vor die Kamera zu bringen, die bisher schweigend im Hintergrund geblieben sind, allerdings die Voraussetzungen für die energiepolitische Kehrtwende geschaffen haben.
Darunter der umstrittene Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium Gerald Hennenhöfer, das ehemalige E.on-Vorstandsmitglied für Energie Klaus-Dieter Maubach oder Erwin Fischer, der damalige Chef des Kernkraftwerks Isar 1, das er in der Woche nach dem Beben für immer vom Netz nehmen musste. Stefan Mappus, seinerzeit CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, der die Landtagswahlen politisch nicht überlebte, war bereit, dieses Kapitel seines Lebens noch einmal aufzuschlagen. Weitere Interviewpartner sind u. a. der damalige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und die Grünen-Politiker Renate Künast und Jürgen Trittin.
Der Film erhellt nicht nur das endlose Ringen in Deutschland um den richtigen Umgang mit der Kernenergie, die nach einer Phase ungetrübter Fortschrittsgläubigkeit seit den 1970er Jahren immer mehr Skepsis und Angst wich. Er zeigt die Schattenseiten des politischen Spiels, in dem Raffinesse und Druck wichtiger scheinen als sorgfältige Überlegung und in dem Politiker, allen voran die Bundeskanzlerin, binnen kürzester Zeit zu Getriebenen werden können. Der F.A.Z.-Journalist Günter Bannas, einer der profundesten Kenner des politischen Berlins, der Angela Merkel seit ihrer Zeit als Umweltministerin begleitet hat, sagt rückblickend: "Wenn irgendwann die Biografie über die Kanzlerin geschrieben wird, gehört die Entscheidung zum Ausstieg an diesem Wochenende zu den ganz großen historischen Kapiteln."