Zeitgeschehen im Fernsehen - 40 Jahre Zur Person
In der Interviewreihe "Zur Person" kreierte Günter Gaus einen neuen Stil des Fernsehinterviews, der ihn bei Zuschauern und Kollegen einzigartig machte.
Die Fernsehinterviewreihe "Zur Person" von Günter Gaus ist eine Reihe der Superlative. Sie besteht – mit einer längeren Unterbrechung – 2003 seit 40 Jahren. Er führte seither etwa 220 Interviews mit Prominenten aus Politik, Wissenschaft und Kunst, darunter allen deutschen Bundeskanzlern.
Aus verschiedenen Anlässen werden gelegentlich einzelne Interviews im Fernsehen wiederholt, etwa Klassiker unter den "frühen" Stücken, wie das Gespräch mit Hannah Arendt, das mit Gustaf Gründgens oder mit Rudi Dutschke. Und es ist unschwer vorherzusagen, dass auch etliche Interviews aus jenem Abschnitt, der 1990 mit den Porträts der neuen Köpfe in der Wendezeit begann, als wesentliche Zeit- und biographische Dokumente wiederaufgeführt werden.
Das "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn hat die Reihe in seinen Dokumentenbestand aufgenommen. Die Interviews würden, so heißt es dort, einen "unmittelbaren Eindruck von den Chancen und Problemen beim Zusammenwachsen der ehemals getrennten Teile Deutschland" vermitteln.
1963: "Zur Person" startet im ZDF
Fast wie eine Klammer umfasst die Interviewreihe "Zur Person" die berufliche Karriere von Günter Gaus, die ihn als politischen Redakteur durch die Redaktionen verschiedener Tages- und Wochenzeitungen führte, darunter die "Süddeutsche Zeitung".
Wegen der brillanten Politikerporträts, die er für diese Zeitung schrieb, bot ihm das ZDF 1963 an, Interviews fürs Fernsehen zu führen. Die intelligente Hartnäckigkeit, mit der Gaus fragte, machte ihn auf einen Schlag bekannt. Der optische Stil der neuen Reihe wirkte expressiv wegen ungewöhnlich naher Kamera-Einstellungen und wegen der Tatsache, dass der Zuschauerblick ausschließlich auf den jeweiligen Gast gerichtet war und außerdem, weil der sogenannte Achssprung, der unter Film- und Fernsehleuten als Bildschnittfehler gilt, bewusst als ein Stilmittel eingesetzt wurde.
1965: Fortsetzung beim Südwestfunk als "Zu Protokoll"
Der Erfolg seiner Reihe beim Publikum (Quote) und bei der Kritik (Preise) lenkte den journalistischen Weg von Gaus ("Bekanntester Hinterkopf") noch weiter zum Fernsehen.
"Zur Person" ist überdies die einzige deutsche Fernsehreihe, die nacheinander in fünf verschiedenen Sendeanstalten produziert wurde. Nach dem Start beim ZDF führte Günter Gaus sie beim Südwestfunk (ARD) fort, wo er 1965 Programmdirektor geworden war. Weil das ZDF den Titel nicht freigab, hieß die Reihe nun "Zu Protokoll". In den 80er Jahren produzierte der WDR die Reihe unter dem Titel "Deutsche".
Von 1969 bis 1973, als Günter Gaus Chefredakteur beim SPIEGEL war, entstanden weitere Folgen. Während der Tätigkeit im Staatsdienst (1973-1981) pausierte der Interviewer.
1990: Wieder "ZUR PERSON" beim DFF
Im Januar 1990, als Hans Bentzien, damals Intendant des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin-Adlershof, Günter Gaus die Wiederaufnahme der Reihe anbot, geschah dies ganz sicher sowohl als Wertschätzung der früheren Interview-Staffel, wie auch aus Kenntnis der Kompetenz, die sich Gaus als sensibler Beobachter der DDR in den Jahren seit 1974 erworben hatte.
Erster Interviewpartner war Friedrich Schorlemmer im Februar 1990.
1992: "Zur Person" im ORB
Fortgeführt seit 1992 durch den ORB, ist "Zur Person" eine der wenigen Sendungen des DFF, die in einer der ostdeutschen Landesrundfunkanstalten noch existiert, mithin die einzige Reihe, die tatsächlich in drei verschiedenen Ländern produziert wurde: in der alten BRD, in der DDR der Wendezeit sowie im neuen Deutschland, wie es mit dem 3. Oktober 1990 entstand.
Und am Rande: Es ist die einzige Sendereihe einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, die auch von kommerziellen Sendern ausgestrahlt wird – von XXP, dem Sender der SPIEGEL-Gruppe und auf SAT 1 im Kulturfenster von Prof. Alexander Kluge (dctp).
Formal sind die Sendungen über die Jahre fast gleich geblieben: Ein Vorspann (Was für eine Musik? – die meistgestellte Frage an die Redaktion. Es ist Beethoven, Musik zu einem Ritterballett), ein kurzer Vorspruch (der einzige Moment, in dem man dem Interviewer ins Gesicht schauen kann), knapp 45 Minuten Interview, Abspann. Es handelt sich stets um voraufgezeichnete Sendungen, das Interview wird aber so gezeigt, wie es geführt wurde – ungekürzt, ungeschnitten.
Gaus' Interviewstil
Günter Gaus entscheidet allein darüber, wen er interviewt. Wer sich in der Medienlandschaft ein wenig auskennt, weiß, dass dies ein außergewöhnliches Privileg ist. Ungewöhnlich ist auch, dass aus den Sendungen keine Ausschnitte für andere Fernsehbeiträge verwendet werden dürfen. Gaus würdigt so die Bereitschaft seiner Gäste, sich offen und häufig auch zu privaten Dingen zu äußern, und will verhindern, dass Aussagen aus dem Zusammenhang, in dem sie gemacht wurden, gerissen werden können. Günter Gaus lässt seinen Gast vor Aufzeichnungsbeginn wissen, worüber er mit ihm sprechen will. Die konkreten Fragen verrät er nicht, mit Ausnahme der ersten. Vielleicht besteht der wesentliche Unterschied zwischen den Interviews der 60er und denen der 90er darin, dass der Frager seinen Interviewgästen an Lebenserfahrung meist ebenbürtig oder gar überlegen ist. Viele Antworten dürfte er ahnen, manche auch vorhersagen können. Vielleicht besteht heute für ihn die große Herausforderung darin, hartnäckig zuhören zu müssen.
Ich war vier Jahre alt, als die erste Folge von "Zur Person" gesendet wurde, seit einigen Jahren betreue ich die Reihe als Redakteur (was ich als großes Glück betrachte), wenngleich Günter Gaus einen Redakteur im klassischen Sinne gar nicht benötigt – unser kleines Produktionsteam versteht sich darum auch als eine Truppe, die Gaus anfeuert, immer weiterzumachen.
Potsdam, im November 2002
Hellmuth Henneberg