rbb-Recherche - Große Berliner Bühnen haben zu wenig gute Rollstuhl-Plätze

Fr 26.04.24 | 06:31 Uhr | Von Tomas Fitzel und Lukas Haas, Grafiken/Tabellen: Götz Gringmuth-Dallmer
  18
Symbolbild: Mann im Rollstuhl verzweifelt und wartend auf einer Treppe. (Quelle: dpa/blickwinkel)
rbb24 Abendschau | 26.04.2024 | Lukas Haas | Bild: dpa/blickwinkel

Bei großen Berliner Bühnen und Konzerthäuser hakt es bei der Inklusion, trotz staatlicher Förderung. Das belegt eine Recherche des rbb. So gibt es weniger Plätze für Menschen mit Rollstuhl als angepeilt - und diese Plätze liegen oft im Abseits. Von Tomas Fitzel und Lukas Haas

  • Menschen im Rollstuhl können bei großen Berliner Bühnen und Konzerthäusern meistens nicht wählen, wo sie im Saal sitzen möchten
  • Rollstuhlplätze können in keinem der Häuser online gebucht werden
  • Insgesamt liegt die Platzzahl unter aktuellen Zielvorgaben
  • Konzept zur Barrierefreiheit für die Philharmonie liegt seit 2017 in der Schublade
  • Henny Schmidt-Burkhardt liebt das Theater und die klassische Musik. Doch leider sind Konzert- und Theaterbesuche in Berlin für sie oft schwierig, denn viele Kulturstätten sind nicht für die 60-Jährige und ihren Rollstuhl gemacht. So kann sie beispielsweise den Eingang zur Philharmonie ohne Hilfe kaum passieren: Die Schwingtüren sind schwer und lassen sich nicht automatisch öffnen. Doch viel mehr stört Henny Schmidt-Burkhardt, dass sie die Konzerte in der Philharmonie nicht nah am Orchester verfolgen kann. "Ich würde gerne die Möglichkeit haben, vorne zu sitzen", sagt sie. "Und das habe ich nicht." Plätze für Menschen im Rollstuhl gibt es in der Philharmonie nur in der sogenannten Behinderten-Loge und diese liegt seitlich vom Orchester, direkt unterm Dach. Weder Sicht noch Akustik sind hier ideal.

    (Quelle: rbb/Lukas Haas)
    Bild: rbb/Lukas Haas

    Die Philharmonie ist nur eine von vielen Berliner Kulturinstitutionen, die nicht voll barrierefrei und inklusiv sind, wie eine rbb-Recherche zeigt. Es gibt zu wenig Plätze für Menschen mit Rollstuhl, die Platzwahl ist eingeschränkt und die Buchung oft besonders aufwändig.

    Nur vier von elf Häuser bieten im größten Saal genug Plätze

    Abgefragt wurden dafür elf große Theater- und Konzerthäuser, die vom Land Berlin jährlich mit deutlich mehr als zehn Millionen Euro gefördert werden. Erfragt wurden Details zu Plätzen für Menschen im Rollstuhl im jeweils größten Saal. Und schon bei der Anzahl der Rollstuhl-Plätze zeigen sich erste Probleme.

    In Berlin müssen in Versammlungsstätten ab dem Baujahr 2005 mindestens ein Prozent der Plätze für Rollstuhlnutzerinnen und Nutzer vorbehalten sein. Für ältere Gebäude ist das zurzeit nicht rechtlich bindend. Behindertenvertreter und Fachleute sehen in der Ein-Prozent-Norm allerdings nur eine Mindestanforderung, die alle Bühnen bis heute eigentlich hätten schon erreichen sollen.

    Stand jetzt nähern sich nur vier von elf der großen Berliner Bühnen und Konzerthäuser in ihrem größten Saal der Zielvorgabe. Das sind das Maxim-Gorki-Theater, die Schaubühne, die Staatsoper und die Volksbühne. Die übrigen Spielstätten bieten rechnerisch nur 0,66 Rollstuhlplätze pro 100 Zuschauerplätze. Vor allem in kleineren Kultureinrichtungen gelingt es offenbar besser, die Zielvorgabe einzuhalten.

    Kaum Optionen bei der Platzwahl

    Auch bei Platzwahl sind Menschen mit Behinderung eingeschränkt. Nur in zwei der elf geförderten Häuser haben Menschen im Rollstuhl überhaupt eine Auswahl-Option, wo sie im Saal sitzen können. So bieten nur die Staatsoper Rollstuhl-Plätze in vier verschiedenen Saal-Lagen an, die Deutsche Oper in zwei Platzgruppen. In neun der befragten Berliner Bühnen und Konzerthäusern haben Menschen im Rollstuhl aber keine Auswahl. Und in etlichen Fällen befinden sich die Rollstuhl-Plätze in Randlagen - wie der ersten oder letzten Reihe oder in gesonderten Logen weitab der Bühne.

    Keine Online-Buchung möglich

    Ein häufiges Ärgernis sind für Rollstuhlfahrer auch eingeschränkte Möglichkeiten bei der Buchung: Laut rbb-Abfrage ist in keinem Haus eine Online-Buchung von Rollstuhl-Plätzen möglich. In der Regel müssen Menschen im Rollstuhl den jeweiligen Kartenservice persönlich vorab telefonisch, per Mail oder an der Kasse kontaktieren – und vor dem Kauf von Tickets Ihre Berechtigung nachweisen. Als Grund wird in der Regel die Sorge davor genannt, dass Rollstuhl-Plätze durch Unberechtigte gebucht werden.

    Für Behindertenvertreter offenbaren die Ergebnisse der rbb-Recherche einen unhaltbaren Zustand. "Das ist wirklich skandalös", sagt Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin, einem Dachverband von verschiedenen Betroffenen-Vereinigungen. "Dass noch nicht einmal ein Prozent der Plätze und eben nur in sehr inferioren Platzqualitäten für mich zugänglich sind, das ist überhaupt nicht zeitgemäß im Jahr 2024", sagt Bendzuck. Sie spricht von Diskriminierung.

    Bendzuck moniert zudem, dass die Barrierefreiheit zurzeit keine Priorität genieße - das sei auch am Beispiel der Philharmonie zu sehen.

    Konzept für Philharmonie seit sieben Jahren auf Halde

    Nach rbb-Recherchen zeigt seit 2017 ein Konzept, wie die Berliner Philharmonie barrierefrei gemacht werden kann. Dieses hatte ein Architekturbüro im Auftrag der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), einem Tochterunternehmen des Landes Berlin, ausgearbeitet. Auf 200 Seiten wird detailliert aufgelistet, wo das Gebäude noch nicht barrierefrei ist und was konkret getan werden könnte. Schon damals stellten die Architekten fest, dass es mit acht Plätzen in der sogenannten "Behindertenloge" nicht genügend Plätze für Rollstuhlfahrer gebe. Stattdessen brauche es 24 Rollstuhl-Plätze über den Saal verteilt. Um die Zahl der Rollstuhl-Plätze auf 15 zu erhöhen, wären nur kleinere oder gar keine baulichen Eingriffe nötig.

    Doch knapp sieben Jahre nach den Vorschlägen sind keine zusätzlichen Rollstuhl-Plätze in der Philharmonie entstanden.

    Die Philharmonie räumt zwar ein, dass die Saalbestuhlung in ihrer Verantwortung liege, für die bauliche Umsetzung des Konzepts sei aber die BIM verantwortlich. Die BIM wiederum verweist zurück auf die Verantwortung der Philharmonie. "Das Konzept der Saalbestuhlung ist Nutzersache", schreibt die BIM auf Anfrage des rbb. Zum Konzept heißt es, dieses habe eigentlich 2018 in die Investitionsplanung des Berliner Haushalts aufgenommen werden sollen - wegen "diverser Projektkonkurrenzen" sei das aber nicht geschehen. Kurz: Andere Projekte wurden für wichtiger erachtet.

    "Das ist eine Frage der Willensbildung"

    Die Senatsverwaltung für Kultur sieht die federführende Verantwortung bei der BIM. Sie räumt zugleich ein, die Verbesserung beim barrierefreien Umbau in Kultureinrichtungen gestalte sich "leider nicht in dem Maße und der Geschwindigkeit, wie es wünschenswert wäre", wie ein Sprecher dem rbb mitteilte. Grund sei vor allem "die Komplexität der baulichen Maßnahmen (…) in den denkmalgeschützten Gebäuden".

    Gerlinde Bendzuck als Vertreterin von Betroffenenverbänden vermisst politischen Druck der Senatsverwaltung bei der Barrierefreiheit. Sie sieht die Verantwortlichkeit vor allem beim Kultursenator und seiner Staatssekretärin. "Das ist eine Frage der Willensbildung", sagt sie. "Und ich sehe in Berlin eben noch nicht genug Willen zur kulturellen Teilhabe und zur kulturellen Inklusion."

    Für Henny Schmidt-Burkhardt jedenfalls wird sich, wie es aussieht, so schnell nichts ändern, wenn sie die Berliner Philharmonie besuchen will. Sie wird wohl noch länger warten müssen, bis sie Konzerte dort von anderen Plätzen verfolgen kann. "Es ist typisch für viele Projekte", sagt sie. "Man redet, aber setzt nichts um. Was soll man dazu sagen? Das spricht eigentlich für sich."

    Sendung: rbb24 Abendschau, 26.04.2024, 19:30 Uhr

    Beitrag von Tomas Fitzel und Lukas Haas, Grafiken/Tabellen: Götz Gringmuth-Dallmer

    18 Kommentare

    Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

    1. 18.

      Ich bin auch schwer behinderter Rollstuhlfahrer. Meine Beanstandung zu der Philharmonie zu den Eingangstüren, dem unzulänglichen Fahrstuhl und der Behindertentoilette für die Behindertenetage wurde abschlägig beantwortet wegen entgegenstehender denkmalschutzrechtlicher Gründe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Scharoun oder dessen Rechtsnachfolger derartige Gründe akzeptiert hätten.
      Mit freundlichen Grüßen Ulrich Keiper

    2. 17.

      Ich bin keineswegs vermögend und leiste mir dennoch von Zeit zu Zeit einen Theaterbesuch. Und wenn ich mich dort umsehe, sehe ich Theaterbegeisterte aus allen Schichten der Bevölkerung. Manche können sich häufiger einen Theaterbesuch leisten und andere sparen lange darauf.

    3. 16.

      Also, da bekommen Sie aber Ärger - schichtspezifisch, ttts - so wie ich wenn ich darauf hinweise, dass ich mir, abgesehen von der ungewollten Subvention für die besserverdienende Schicht, als arb.l. Akademiker die Karte/n nicht leisten kann, Stehplätze für Pleb und Co. (Schicht) gibt's nicht und auch keine Wickeltische im 1. rang ;-)

      Ach so, wenn die Museen es als 'gesellschaftliche Aufgabe' ansehen, die Toi. unisex zu machen, kommen die Theater, wieder subv., auch bald damit ...

    4. 15.

      Im Grunde ist es so, dass das Publikum Gut verdienende sind. Dieser vermögenden Bevölkerungsgruppe subventionieren wir über die Steuern usw. noch die eintrittspreise. Ich stimme zu, dass Reformen in allen Bereichen nötig sind. Ich bin selbst behindert und diese Kritik richtet sich nicht behinderte.

    5. 14.

      Sind denn die Toiletten behindertengerecht?

      Mit kapitalistischen Gruss

    6. 13.

      Menschenrechte - und um nichts anderes geht es - sind immer wichtig und sollten hier genauso in unserem Blick sein wie Menschenrechte sonstwo auf der Welt. Ja, das mag nur eine kleine Gruppe betreffen, zu der Sie offenbar nicht gehören, aber dieser Gruppe werden noch immer Rechte wie z.B. ein Theaterbesuch genommen, die allen anderen zustehen.

    7. 12.

      Klar gibt es auch genug andere wichtige Themen. Diskriminierung
      ist ein großes Thema und Barrierefreiheit ist ein Menschenrechtsthema und immer aktuell.

    8. 11.

      Insgesamt sehr diskriminierende Aussagen ihrerseits. Natürlich geht auch die jüngere Generation in Theater und Konzerthäuser...das war schon immer so und dass die Anzahl geringer ist sls bei 50+ , war auch schon immer so. Der andere kulturelle Hintergrund hindert nicht am Konzertbesuch. Auch in sog. deutschen Milieus gibt es bildungsferne Menschen, die in ihrem Leben nicht in der Oper waren. Das ist schichtspezifisch.

    9. 10.

      Auch in Kinos und bei Konzerten ist die Buchung von Rolliplätzen leider nicht online möglich.
      Ein weiteres Ärgernis für mich ist, dass es meist nur einen Platz für die Begleitperson gibt. Die weitere Person muss alleine woanders sitzen. Besonders schlecht im Friedrichstadtpalast. Dort gibt es eine Reihe für Rollis und die Begleitpersonen müssen eine Reihe dahinter hinter einer Abtrennung sitzen. Viel zu weit entfernt.

    10. 9.

      Haben wir denn keine wichtigeren Themen und Probleme aktuell?

    11. 8.

      Danke für Ihren inklusiven Blick. Ich teile Ihre Meinung völlig und bin oft durch meine Behinderung ausgeschlossen, allein die Buchung ist oft kompliziert, grade wenn man kein Merkzeichen B hat und trotzdem im Rolli unterwegs ist. Das überfordert die Telefonhotline fast immer.

    12. 7.

      In der DDR würde vor vielen Jahren an Mobilität für Alle gedacht, etwa durch Rampenbau am Bahnhöfe. Anders als Aufzüge funktionieren die Rampen immer.

      Sind auch für fitte Leute gefühlt angenehmer und weniger gefährlich als Treppen.

      Mit sozialistischen Gruß.

    13. 6.

      Sie halten eventuell weniger von Kultur und sind nicht behindert. Ich hingegen bin sehr an kulturellen Veranstaltungen interessiert, denn Kultur, die wir von Kindesbeinen erleben, formt uns zu dem, was wir sind. Manchmal sind wir selbst ein Teil derer, die Kulturschaffende sind, ob im Kleinen, ob mit dem Erlernen von Instrumenten, dem Singen in Chören, der Laiendarstellung, oder eben auf der Seite der Genießer der kulturellen Darbietungen. All das ist Kultur. Kultur ist weit mehr, als in die Oper zu gehen. Teilhabe an kulturellen Veranstaltungen ist existenziell, auch für Behinderte. Kultur ist unser Zusammenleben in jeder Hinsicht.
      Der Spiegel der Gesellschaft zeigt offenbar, dass da vulnerable Gruppen ausgeschlossen werden, bewusst und gleichgültig. Das hat etwas damit zu tun, welchen Blick wir auf Alte und Behinderte haben. Vielleicht haben viele zu wenig Verständnis für Kultur und Behinderte, für unser Menschsein?
      Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

    14. 5.

      Barrierefreiheit bedeutet noch mehr als "stufenlos". Da müssten Millionen investiert werden. In alle Berliner Theater etc. Und wenn das "für ältere Gebäude " alles rechtlich nicht bindend ist, darf man sich wohl veralbert vorkommen. Denn neue Theater gibt es hier in der Stadt eher selten.

    15. 4.

      In Barrierefreiheit sollte viel mehr Geld investiert werden. Es ist schwierig in Deutschland überhaupt etwas zu unternehmen, sei es Kultur oder ganz banal ein Restaurantbesuch. Überall Treppen oder Türen, die man als Rollstuhlfahrer nicht alleine öffnen kann.
      An den abgesenkten Bordsteinen wird schon gearbeitet.
      Es muss nicht nur etwas für Radfahrer getan werden, sondern auch für Behinderte in allen Bereichen.

    16. 3.

      was nütz Inklusion und Barrierefreiheit dort, wenn es am Straßenverkehr Radwege Bus Bahn usw. teilweise harkt und ich somit nicht anreisen kann immer das selbe Theater das selbe Problem und am Ende scheitert es am Geld??

    17. 2.

      Im Grunde, wie auch ein RBB Bericht kürzlich aufdeckte, stirbt das Publikum ohnehin gerade weg. Die jüngeren Generationen interessieren sich nur noch marginal für dieses Art von Kultur. Da sollte man lieber die Subventionen oder auch Existenzberechtigung hinterfragen. Anstatt noch mal in Barrierefreiheit zu investieren sollte das Geld lieber in Kitas und Schulen gesteckt werden. Zudem viele der zugewanderten neuen Bewohner einen ganz anderen kulturellen Hintergrund haben.

    18. 1.

      Verfügen die Bühnen denn über eine Untertitelung? Oder Erklärungen für Sehbehinderte über Kopfhörer? Das wäre auch Barrierefreiheit. Und Inklusion.

    Nächster Artikel