Abzocke mit Single-Treff-Abos - Das Geschäft mit der Einsamkeit

Mi 26.04.23 | 15:38 Uhr | Von Andrea Everwien
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Symbolbild: Ein verliebtes Senioren-Paar legt die Hände aufeinander. (Quelle: dpa/R. Kneschke)
Bild: dpa/R. Kneschke

Mit einsamen Herzen lässt sich Geld machen. Angebliche Partner-Vermittlungen versprechen ihren Mitgliedern Kontakt zu anderen Singles. Doch es scheint, als sollten vielmehr teure langfristige Abos verkauft werden. Von Andrea Everwien

Ulrike ist 71 Jahre alt, joggt gerne. Erst kürzlich nahm sie am Berliner Halbmarathon teil. Die Soziologin arbeitet noch immer ein paar Stunden pro Woche, interessiert sich für Kunst und Kultur. Doch bei all ihrer Aktivität fehlte ihr in den letzten Jahren ein Partner. Ihr Mann stürzte 2018 bei einer Bergwanderung ab. Er verstarb noch am Unfallort. Die erste Trauer hätte sie ganz gut überstanden, sagt Ulrike. Dann aber sei es ihr schwer gefallen, "dass man so viel alleine machen muss".

Zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes beschließt Ulrike: Sie möchte es noch einmal mit einer Partnerschaft versuchen. In der Zeitung entdeckt sie eine Annonce, die ihr zusagt. Als Kontakt ist die Agentur "60 plus" angegeben. Ulrike ruft dort an. Sie denkt, dass sie gegen eine Gebühr die Kontaktdaten eines Manns bekommt. Doch so läuft es nicht. Nein, sie solle bitte bei der Agentur vorbeikommen, heißt es damals am Telefon.

Enttäuschte Hoffnung

Der Besuch läuft für Ulrike nicht so ab wie erhofft. Der Herr, den sie kennenlernen wollte, hätte jetzt eine aktuelle Partnerin, sagt man Ulrike beim Treffen in der Agentur. Aber es gebe ja noch so viele andere nette Herren.

Die Mitarbeiterin der Agentur "60 plus" habe sie überredet, einen Vertrag zu unterschreiben, mit dem sie für angeblich günstige 74 Euro pro Monat Mitglied in einem Club wird – im "Single-Treff Mikado Freizeit- und Freundschaftsclub GmbH" mit Sitz in Teltow.

Ulrike denkt, dass der Vertrag zunächst drei Monate läuft: "Drei Mal 74 Euro, das ist nicht so schlimm. Und dann kann ich ja wieder kündigen, wenn ich merke, das ist nix". Doch tatsächlich verpflichtet sie sich, mindestens zwölf Monate Mitglied zu werden - und darf außerdem nur zum Quartalsende kündigen - das übersieht Ulrike in dieser Situation.

Entscheidend ist, wo unterschrieben wurde

Zu Hause wird ihr dann klar, dass das Angebot des Freizeitclubs doch nichts für sie ist. Zum Tanznachmittag ins Café Keese könnte sie notfalls auch allein gehen. Wofür also 74 Euro im Monat zahlen – ein ganzes Jahr lang?

Ulrike versucht den Vertrag zu widerrufen. Doch der Freizeitclub akzeptiert dies nicht, und das muss er auch nicht, weil Ulrike für die Unterschrift im Büro war. "Wenn man einen Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen unterzeichnet, steht einem ein Widerrufsrecht zur Verfügung", erläutert Rechtsanwältin Nadine Gebauer. "Wenn ich vor Ort bin, mich in deren Geschäftsräume begebe, steht mir gesetzlich erstmal nicht dieses Widerrufsrecht zur Verfügung."

Gebauer hat bereits eine Mandantin vertreten, der es ähnlich erging. Sie warnt: Wer einen Partner oder eine Partnerin sucht, sollte sich keine Mitgliedschaft in einem Freizeitclub aufschwatzen lassen. Denn hier geht es um mehr als Enttäuschung bei der Partnersuche. Wenn hier Kunden oder Kundinnen gelockt würden mit der Vorstellung, dass sie sich an eine Agentur für Partnerschaftsvermittlung wenden, dann "ist aus meiner Sicht möglicherweise da schon eine Täuschung hinterlegt", sagt Gebauer. Bei einer nachgewiesenen Täuschung wäre der Vertrag nichtig.

Wer also auf eine Partnerschaftsannonce eingehen möchte, sollte zwei wichtige Dinge beachten: Erstens immer einen Zeugen mitnehmen, der eventuelle Täuschungen belegen kann und zweitens keine Vertragsunterschrift im Büro leisten – dann gibt es später die Möglichkeit des Widerrufs. "Ich hätte eben sagen müssen, ich lese mir das zu Hause in aller Ruhe durch und dann unterschreib' ich oder eben auch nicht", sagt Ulrike heute.

Schon 2012 kein Kontakt zur Traumfrau

Alles eigene Schuld – oder ist Ulrike auf eine betrügerische Strategie hereingefallen? Eine Nachfrage bei der Agentur "60 plus" ist nicht mehr möglich, die gibt es nicht mehr, jedenfalls nicht in dem Büro in Charlottenburg, in dem Ulrike war.

Aber ein Blick ins rbb-Archiv zeigt: Schon 2012 haben rbb-Reporter:innen über einen ähnlichen Fall berichtet. Karsten P. war damals Kunde bei einer Partnervermittlung. Die nannte sich "Herzblatt". Mit dem Versprechen, Kontakt zur Frau seiner Träume zu bekommen, wurde er in ein Büro mit dem Zusatz "Single-Treff" gelockt. Dort unterzeichnete er einen Vertrag mit dem "Single-Treff Mikado", schon damals für 74 Euro monatlich, angelegt auf ein Jahr Mitgliedschaft. Zu einer Begegnung mit seiner Traumfrau kam es aber nie.

rbb-Reporterin geht selbst auf Partnersuche

Eine rbb-Reporterin macht nun einen Selbstversuch und gibt an, den 60-jährigen Stefan mit Sinn für Romantik kennenlernen zu wollen. Sie ruft die Agentur "Herzblatt" an und bittet um die Telefonnummer. Doch sie wird aufgefordert, in die Geschäftsräume der Agentur mitten in Berlin zu kommen. Dass hier die Agentur "Herzblatt" ist, erfährt man nur durch einen Aufsteller vor der Tür. Fest installiert ist dagegen Werbung für andere Agenturen - und für den "Single-Treff Mikado".

Dort bittet die Reporterin erneut um die Telefonnummer von Stefan. Die Agentin antwortet, dass sie diese noch bekommen würde. Man hätte auch noch andere interessante Männer, insgesamt über 1.000 Kontakte. Dafür müsse sie nur Mitglied werden im "Single-Treff Mikado". Sie könne gleich den Vertrag unterschreiben. Als die Reporterin das ablehnt, den Vertrag aber gern mitnehmen würde und zu Hause unterschreiben, heißt es nur: Nein, das gehe nicht. Nach etwa 30 Minuten ist das Gespräch vorbei – ohne eine Telefonnummer des romantischen Stefans.

Geschäftsadresse in Einfamilienhaussiedlung

Wie begründet der Geschäftsführer des "Single-Treffs Mikado" das Geschäftsgebaren der Agenturen? Eine Antwort auf die schriftliche rbb-Anfrage gibt es von ihm nicht.

Ulrike hat mit anwaltlicher Hilfe die Forderung über 1.240 Euro von Mikado auf 700 Euro gedrückt. Die hat sie gezahlt, um einen Prozess zu vermeiden.

Sendung: Super.Markt, 24.04.2023, 20:15 Uhr

Beitrag von Andrea Everwien

8 Kommentare

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  1. 8.

    Da wird die enorme Einsamkeit der Betroffenen ausgenutzt. Die haben einen derart hohen Leidensdruck, dass sie leider anfällig für windige bis betrügerische Angebote sind. Davon sind nicht nur Ältere betroffen, auch junge Männer werden oft Opfer solcher Maschen.
    Gerade bei den Älteren gab es früher deutlich mehr soziale Angebote von den Wohltätigkeitsorganisationen, andere Menschen zu treffen. Wurde aber leider alles zurückgefahren oder ganz eingestellt. Bringt ja kein Geld. Man engagiert sich jetzt lieber in anderen Bereichen, wo der Staat Unsummen von Geld zahlt. So unendlich ist die Barmherzigkeit dann eben doch nicht.

  2. 7.

    Es ist erstaunlich, was manche Menschen in die Kommentare anderer hinein interpretieren. Ich bin ein sehr positiver, lebensfroher Mensch, aber ja, ein gewisses Misstrauen bei solchen Aktionen ist schon angebracht, wie ich finde. Und in keiner Silbe habe ich behauptet, dass es sich um ungebildete, dumme Menschen handelt, die auf solche Maschen reinfallen. Woraus lesen Sie das? Und wenn mein Kommentar bei Ihnen arrogant aufstößt, dann tut mir das leid. Aber man kann es ja nicht Allen immer Recht machen :-(

  3. 6.

    Die Arroganz Ihres Kommentars ist kaum zu überbieten. Wahrscheinlich sind Sie eine von allen Menschen abgewandte misstrauische Person. Bitte forschen Sie mal ausgiebig nach. Sie werden erkennen, dass das auch Menschen, deren Bildung und Beruf sehr weitreichend ist/war, auf so etwas hereinfallen.

  4. 5.

    Nein, das habe ich nicht behauptet. Den meisten Anderen würde das bestimmt auch nicht passieren, aber eben scheinbar manchen Anderen.

  5. 4.

    Ich zitiere mal aus der Trilogie "Matrix", glaublich aus dem dritten Teil:
    "Hoffnung. Sie ist die wesentlichste menschliche Illusion, die beides ist, sowohl Quelle unserer größten Stärken, als auch unserer größten Schwächen."
    Die Hoffnung ist stärker als der Verstand. Und das ist auch gut so.

  6. 3.

    Die Vereinsamung oder besser Verblödung von Teilen der Gesellschaft eröffnet eben neue Geschäftsfelder

  7. 1.

    Trotz aller Empathie, die ich für diese Menschen empfinde, verstehe ich einfach nicht, wie man sich als erwachsener Mensch so über den Tisch ziehen lassen kann. Das würde mir NIE passieren. Mensch, Leute, schon, wenn man mir sagt, ich könne den Vertrag nicht mit nach Hause nehmen und müsse sofort hier und jetzt unterzeichnen, leuten doch schon die Alarmglocken. Viele unterschreiben auch einfach Dokumente ohne das Kleingedruckte je gelesen zu haben. Man weiß doch einfach in der heutigen Zeit, dass überall Kriminelle am Werk sind...

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