Interview | Mit Kindern über Gewalttaten reden - "Wenn Kinder stark belastet sind, sind sie oft unruhig oder erzählen ganz viel darüber"

Fr 05.05.23 | 17:09 Uhr
  2
Symbolbild:Ein in sich verschränktes Kind sitzt vor einer Erwachsenen.(Quelle:imago images/U Grabowsky)
Audio: Radioeins | 05.05.2023 | Interview mit Konrad Schefferski | Bild: imago images/U.Grabowsky

Zwei Mädchen wurden in Berlin-Neukölln bei einer Messerattacke schwer verletzt. Viele Eltern fragen sich, ob und wie sie mit ihrem Schulkind über diese Gewalttat reden sollten. Ein Kinderpsychologe gibt im Interview Tipps.

Mit einem Messer griff mutmaßlich ein 38-Jähriger am Mittwoch zwei Mädchen auf dem Hof einer Schule in Berlin-Neukölln an und verletzte sie schwer. Rund 30 Kinder sollen auf dem Schulhof gewesen sein, als die Tat passierte. An der Schule sind nun Psychologen im Einsatz.

Doch auch Kinder an anderen Schulen, die von dem Vorfall erfahren, dürfte die Tat stark verunsichern. Der Kinder- und Jugendpsychologe Konrad Schefferski, der auch als Schulpsychologe in Marzahn-Hellersdorf tätig ist, gibt Tipps, wie Eltern helfen können.

rbb: Wie sollten Eltern von Kindern, die jetzt nicht direkt betroffen sind, die das aber vielleicht gehört haben, mit all dem umgehen? Also: Sollten die Eltern es selbst ansprechen oder warten, bis die Kinder fragen?

Konrad Schefferski: Ich glaube, da gibt es gar kein Richtig oder Falsch. Es gibt Kinder, die empfänglicher sind und dann auf die Eltern zugehen. Und es gibt natürlich Kinder, die da vielleicht etwas verhaltener sind. Da macht es Sinn, das anzusprechen, wenn man als Familienmitglied Belastungszustände bei den Kindern entdeckt. Beide Wege sind gut.

Was meinen Sie mit Belastungszuständen?

In so einer Akutsituation, wenn Kinder davon stark belastet sind, sind sie oft unruhig oder auch überregt. Oder sie erzählen ganz viel darüber - man merkt also, dass das irgendwas in den Kindern ausgelöst hat. Noch mal anders: Bei PTBS, also einer posttraumatischen Belastungsstörung, kommt es erst viel später - da ist die Symptomatik eine ähnliche, aber hier ist der soziale Rückzug primär.

In dieser Akutsituation, so mein Gefühl, bringen Kinder das ganz schnell ins Gespräch. Und dann würde ich sie als Elternteil immer begleiten. Niederschwellig - also kindgerecht offene Fragen stellen wie: "Wo können wir dich unterstützten? Was ist jetzt eigentlich das, was dich am meisten beschäftigt? Wollen wir darüber sprechen?" Und das natürlich alles in einer Sprache, die Kinder gut aushalten und gut verstehen.

Aber was ist, wenn die Kinder zum Beispiel nach einem Warum fragen? Spielt man das dann vielleicht eher runter? Oder sollte man möglichst genau erzählen? Wie viele Details sind nötig? Und wieviel eigene Verunsicherung darf man Kindern auch zumuten?

Je nach Situation, was das Kind mitbekommen hat und was das Kind ins Gespräch bringt. Da würde ich immer das Kind begleiten und dem Kind folgen. Wenn es etwas unmittelbar gesehen hat, kann man vielleicht auch noch mal spiegeln, dass Gesellschaft so sein kann, dass auch immer etwas passieren kann. Kinder werden ja auch größer und es gibt Themen, die einfach vorkommen - deutschlandweit, weltweit: Gewalt, Naturkatastrophen. Und da kann man schauen - je nach Gefühl - wie man das mit dem Kind besprechen kann.

Schulpsychologen, gerade mit der Spezialisierung auf Gewalt und Krise, haben für solche Fälle standardisierte Verfahren, wie zum Beispiel Lehrer, die etwas unmittelbar gesehen haben, begleitet werden. Als Elternteil würde ich einfach schauen: Was bringt das Kind mit? Wenn das Kind ganz stark betroffen ist, nehme ich es vielleicht auch einfach mal raus, begleite es mal einen Tag und schaue, was es so mitbringt. Je nach Akutheit und Belastungszustand des Kindes sind die Interventionen verschieden, die Eltern so mitbringen können. Beziehung ist hier immer ein Stichwort: mit den Kindern im Austausch bleiben. Wenn es sehr traurig ist oder auch aufgebracht, würde ich das immer mit ins Gespräch bringen. In Beziehung bleiben und das Kind begleiten - das machen auch viele Eltern instinktiv richtig. Das ist meine Erfahrung.

Also aufs Kind eingehen, schauen, womit es kommt - und nicht zu proaktiv auf das Kind zugehen. Richtig?

Es gibt ja den Begriff der Resilienz. Viele Kinder sind schon sehr reflektiert, die machen solche Vorfälle betroffen, bei ihnen dünnt diesen Belastungszustand aber auch aus. Da müsste man jetzt nicht proaktiv hingehen und sagen: Sag mal, hast du das gesehen? Aber Kinder, bei denen die Resilienz ein bisschen reduzierter ist und die das selbst ins Gespräch bringen - da würde ich das immer begleiten und schauen: Was braucht das Kind jetzt? Und das kann das Kind meistens ganz gut beantworten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Kerstin Hermes für Radioeins.

Sendung: Radioeins, 05.05.2023, 06:20 Uhr

2 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 2.

    Also für mich ist es immer ein Unterschied, ob ich Gewalt "live" mitbekomme oder per "Handy", "Fernseher".

    Ich hab als Kind, leider, auch krasse Sachen sehen müssen als Film. (Danke Eltern..),

    und trotzdem verarbeite ich die Sachen, die vor Ort passieren, anders.

  2. 1.

    Keine Frage was passiert ist grausam und nicht zu verstehen. Es kommt aufs Alter der Kinder an wie solche Taten verarbeiten werden. Aber es gibt schon 12 jährige Kinder die haben auf ihren Smartphones die schlimmsten Gewalt Videos drauf und werden fleißig untereinander getauscht, und ohne wissen der Eltern. Das hat mich sprachlos gemacht. Gestern bei Markus Lanz gesehen, Sendung 04.05.23 ZDF ! Erfahrung aus 1.Hand durch eine Schuldirektorin, sehr interessant!!



Nächster Artikel