Umfrage Uni Göttingen - Berlins Lehrkräfte haben laut neuer Studie "digitalen Stress"

Fr 16.02.24 | 16:31 Uhr | Von Oda Tischewski
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Symbolbild: Ein Lehrerin schreibt eine Mathematikaufgabe auf eine digitale Schultafel im Klassenraum einer 4. Klasse einer Grundschule. (Quelle: dpa/Stratenschulte)
Video: rbb24 Abendschau | 16.02.2024 | L. Schwarzer | Bild: dpa/Stratenschulte

Einer Studie zufolge haben Berliner Lehrkräfte Lust auf digital gestützten Unterricht – aber die schlechte Organisation durch den Senat bremst sie aus. Die Lehrergewerkschaft fordert bessere Rahmenbedingungen für den Einsatz von Medien. Von Oda Tischewski

Biologieunterricht, Thema "Lebensraum Meer": Bilder von Anglerfischen und Seegurken, Audios von Walgesängen, Videos von schwappenden Inseln aus Plastikmüll. Dazu Artikel mit Studienergebnissen und Internetquellen von Umweltverbänden. Multimediale Unterrichtsvorbereitung – es könnte so einfach, so bunt, so interessant sein.

Gegenteil von "gut" ist "gut gemeint"

Doch im Biologieraum ist heute das Wlan ausgefallen, der Zugriff auf Webseiten oder Videos hat sich damit schon einmal erledigt. Bleiben noch die Dateien, die die Lehrerin auf ihrem Dienst-Tablet gespeichert hat. Aber leider wurde die App, durch die sich das Tablet mit der digitalen Tafel verbinden lassen würde, von der Schulverwaltung nicht genehmigt. Die Tafel bleibt weiß. Mit Markern können Zahlen, Daten und Fakten per Hand aufgeschrieben werden. Im Hintergrund laufen sich Overhead-Projektor und Video-Recorder warm – vielleicht kommt es doch noch zu einem Comeback? Digitalisierung an Berliner Schulen – das Gegenteil von "gut" ist "gut gemeint".

Eine Studie der Uni Göttingen zeigt: An den Berliner Lehrerinnen und Lehrern liegt es nicht, wenn digitale Technologien im Unterricht keine oder wenig Verwendung finden. Aber: Je störungsanfälliger, unsicherer oder benutzerunfreundlicher die digitale Infrastruktur ist, desto weniger Mehrwert bringt sie im Unterricht, desto weniger wird sie genutzt und desto mehr Stress verursacht sie. Nicht nur, weil für am Ende sinnlose Vorbereitung wertvolle Zeit vergeudet wurde, sondern auch, weil die Panne vor der Klasse deren Konzentration und Aufmerksamkeit kostet.

Über 2.000 Lehrkräfte befragt

Dennoch nutzen 93 Prozent der Befragten die Möglichkeiten mindestens einmal in der Woche – und viele hätten gern noch mehr, sagt Frank Mußmann, der Leiter der Göttinger Studie: "Wir haben die Frage 'Wie häufig möchten Sie digitale Medien einsetzen' seit 2020 mehrfach gestellt und sehen, dass die Lehrkräfte noch immer regelmäßig antworten, mehr digitale Medien einsetzen zu wollen im Unterricht, nämlich 75 Prozent - und das, obwohl wir mittlerweile einen Digitalisierungsschub hatten."

Knapp 2.400 Lehrerinnen und Lehrer haben an der Studie teilgenommen. Sie berichten oft über ganz banale Probleme: Apps, deren Einsatz sinnvoll wäre, die aber von der Schulbehörde nicht genehmigt werden, Konnektivitätsprobleme zwischen Geräten, zu wenig Zeit für eine Einarbeitung in neue Hardware. 71 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben an, die "Auswirkungen der Digitalisierung" seien ein Hauptfaktor für ihre Arbeitsbelastung.

GEW: nicht nur Geld ist das Problem

Anne Albers von der Berliner Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft sagt, dass hier nicht allein Geld das Problem sei. Der Senat müsse sich eingehend mit den Organisationsproblemen beschäftigen. "Ganz konkret: Es braucht IT-Personal, die Endgeräte müssen endlich gut und funktional sein, das heißt, man muss die Lehrkräfte fragen, was die eigentlich brauchen. Und natürlich müssen auch die Schulen besser ausgestattet werden, die technische Infrastruktur muss entwickelt werden. Wir haben da Vorschläge, wir haben Forderungen, Frau Günther-Wünsch weiß, dass wir gesprächsbereit sind."

Kein Berliner Spezial-Problem

Digitaler Stress, verursacht durch eine lückenhafte Infrastruktur – das ist kein Berliner Spezial-Problem. Lehrerinnen und Lehrer in anderen Bundesländern klagen über ganz ähnliche Probleme, manch einer kann da vielleicht sogar der "Kreidezeit" wieder etwas abgewinnen.

Maximilian Tessenow ist Deutsch- und Philosophielehrer an einer Neuköllner Sekundarschule und hat beides kennengelernt: Durch den lang geplanten Umzug in einen Neubau hat sich die Situation an seiner Schule schlagartig gebessert – heute gilt sie als "Leuchtturm" der Digitalisierung. Das hat Vorteile, bringt aber auch neuen Stress mit sich: "Wir nutzen in der Schule browserbasierte Programme, um mit Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit Schülerinnen und Schülern in Kontakt zu stehen. Und dann kriegt man auch schon mal die Antwort 'Sie antworten nie!' – das hat also auch zu einer Beschleunigung des Kommunikationsprozesses geführt."

Ein Drittel der Berliner Lehrkräfte – auch das hat die Studie herausgefunden – nutzt das dienstliche Tablet bis heute nie, ein Großteil davon hat es sogar unausgepackt in den Schrank gelegt. Lieber nehmen Lehrerinnen und Lehrer das eigene, private, Gerät – das ist bekannt, gewohnt, macht weniger Probleme und manchmal kann man eine Funktion auch einfach abschalten.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.02.2024, 17:50 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski

30 Kommentare

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  1. 30.

    Auch bei Privatschulen herrscht Lehrermangel und zuweilen erhöhter Krankenstand. Die bezahlte Arbeitszeit ist absolut vergleichbar mit der kommunaler Schulen.

    Alle weiteren von Ihnen erwähnte Punkte bedeuten doch, dass Netzwerkarbeit sinnvoll erscheint. Information und Erfahrungsaustausch über die Planung, den Ablauf von Vorarbeiten, insgesamt kompatible Lösungen auch im technischen Bereich und der Forcierung von Förderanträgen.

  2. 29.

    Ja, die Strukturen… Ich kenne analoge+digitale Technik gut und nutze klassisches Material bewusst für Lernprozesse, die mit Medien nicht erreicht werden. Ich würde aber gern mehr digital arbeiten. Doch lang vorbereiten und dann ohne WLAN oder mit spinnender E-Tafel oder Nicht-Kompatibilität - das ist zu riskant. Ich setze also auf Realien, Arbeitsheft, Buch, Bastelbogen, CD-Spieler,… Es fehlt: beim Senat angestellte IT-ler für jede Schule tgl. anwesend +kluge Onlinestrukturen Schulübergreifend.

  3. 28.

    Toll, dass Sie das so pauschal feststellen. Während der Coronazeit: Videokonferenzen und Onlineunterricht von Zuhause aus, mit privaten Geräten. Dienstgeräte gab und gibt es immer noch nicht. Videokonferenzen von der Schule aus nur mit privatem Datenvolumen möglich, da geeigneter Breitbandzugang fehlte. Fehlt immer noch. Selbst ein kurzes Internetvideo hängt sich beim Einsatz im Unterricht auf. Fortbildung nur durch engagierte Kollegen, geeignete Angebote fehlen. Das ist Digitalisierungsfrust.

  4. 27.

    Weil die kommunale Schulen eine Personalausstattung von 97% haben gegenüber notwendigen 107 % bei Berücksichtigung einer normalen Krankheitsquote.
    Weil die bezahlte Arbeitszeit der Lehrer bei vielen nicht mal ausreicht, um den normalen Alltag zu bestreiten.
    Weil jegliche Vorarbeit in der Freizeit wahrscheinlich für die Tonne wäre, weil dann im Zweifel kein Geld da wäre.
    Weil der Senat dann doch eine eigene inkompatible Lösung wählt, ohne vorher die zukünftigen Nutzer zu befragen.
    Wer schreibt schon freiwillig mehrseitige Förderanträge auf einem 10Zoll-Tablet?

  5. 26.

    Meine volle Zustimmung.
    Trotzdem ein Beispiel aus der Provinz.
    Der digitale Unterricht an der anerkannten Ersatzschule (Privatschule)ist nicht erst seit Corona etabliert. Vorausschauende Planung, kostenintensive Investitionen in Technik, Weiterbildungen der Lehrkräfte und ständige Evaluation waren und sind dazu nötig. In den kommunalen Schulen … ?
    Warum machen sich kommunale Schulen nicht schlauer durch den Austausch mit ebensolchen und auch freien Schulen?
    Angst vor der Digitalisierung? Angst vor dem bisher offensichtlich Versäumten?
    Hinweis auf den Schulverband BÜZ (Blick über den Zaun).

  6. 25.

    Wozu braucht man dann noch die Verwaltung wenn sie keine Konzepte erarbeiten?

  7. 24.

    Ach herje. Die tun mir aber leid. Die Lehrer sind ja schon in der Coronazeit mit der Technik nicht klar gekommen. Sagen wir mal, wollten nicht klar kommen.

  8. 23.

    In Schweden wurden alle Smartboards und Tablets wieder aus den Grundschulen entfernt, weil sie in jungen Jahren kontraproduktiv wirken. Die Kinder müssen ihre Welt erst einmal (be)greifen.
    Digitalisierung ist nur eine Technik und ersetzt keine pädagogische Beziehungsarbeit. In Deutschland ist die Bildungspolitik noch meilenweit von dieser Erkenntnis entfernt - Digitalisierung wird den Bürgern als Wunderheiler für (fast) alle Bildungsprobleme verkauft.

  9. 22.

    Also meine Tochter wurde während des Lockdowns super versorgt... Wochenpläne über die digitale Plattform Lernraum Berlin, Rückmeldung zu getätigten Arbeiten, täglich Onlinestunden und schnell Erreichbarkeit der Lehrkräfte.
    Ganz normale öffentliche Grundschule in Berlin.
    War da zugegebenermaßen auch nicht bei allen Klassen so optimal wie bei uns... aber alle haben sich in ihrem Rahmen Mühe gegeben.
    Es ust wie immer: kommt sehr auf die Lehrkräfte an.

  10. 21.

    Wenn die Lehrer nicht selbst digitales Unterrichtsmaterial selber herstellen oder kaufen, dann passiert gar nichts. Warum drehen die Schulleitungen den Spieß nicht um und verlangen von der Bildungsverwaltung ein digitales Konzept?

    P.S. Lehrer verwenden den richtigen Plural deshalb, weil es die Lehrmeinung ist. Immer.

  11. 20.

    Funktionierende Systeme werden von der Senatsverwaltung unterbunden, sei es unser Klassenbuch Bolle oder meine Software, um das Tablet als digitale Tafel zu nutzen. Überall erfährt man Ablehnung, obwohl es so einfach sein könnte.

  12. 19.

    Als Lehrerin sage ich: "Thema verfehlt."
    Vom Dienstherren UND den Beschäftigtenvertretungen zu erwarten, dass sie sich um eine zeitgemäße und zielgruppeangemessee Ausstattung und den Support kümmern, ist jedoch absolut legitim. Und wenn es dazu noch eine Fortbildungs- und Anwendungsverpflichtung gibt (wird vom Personalrat blockiert), könnte es sogar gut werden.

  13. 18.

    Ihr Modell darf aber nicht die einzige Chance für eine gute Problemlösung sein.

  14. 17.

    Es braucht IT-Fachkräfte an allen Schulen, die ausschließlich für die Technik verantwortlich sind und so eine einheitliche Struktur sicherstellen.
    Außerdem: warum schaut man sich nicht etwas von Ländern ab, wie z.B. Nordamerika, Australien, Japan, wo der Umgang schon selbstverständlich ist?

  15. 16.

    Wer nicht verstanden hat, dass Datenschutz Menschenschutz ist sollte nicht mit diesen arbeiten.
    Die Ausmaße der Schatten-IT in der Schule sind enorm und müssen dringend eingedämmt werden. Es sind nicht die Personalräte, nicht die DSBs, die eine vernünftige digitale Anreicherung des Unterrichts behindern, es ist die tumbe Bequemlichkeit und die Weigerung eine aufrechte Haltung ggü. dem Digitalen einzunehmen. Lehrpersonal soll Zielgruppe auf ein lebensweites Lernen vorbereiten und kriegt das nichtmal bei sich selbst hin. 6, setzen! Beruf verfehlt.

  16. 15.

    Oh, sehr gut! Das ist auch genau mein Eindruck! Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel! Als Medienpädagoge in der Lehrerfortbildung beobachte ich das seit quasi Jahrzehnten. Bequemlichkeit ist (irgendwann) Trumpf.

  17. 14.

    Interessant. Jeder in meinem Umfeld, der das Experiment Privatschule ausprobiert hat, hat die Kinder wieder zurück auf eine staatliche geholt. Auch dort kann man z.B. kein Personal backen.

  18. 13.

    Die meisten Lehrer (mwd) hören nach meiner Erfahrung direkt nach ihrer eigenen Lehrprobe auf zu lernen. Digitales ist für sie Teufelszeug. Das liegt daran, dass unser Schulsystem ein gesteuertes System ist, kein geregeltes. Er fehlt die Rückkopplung: Taugt dieser Lehrer etwas? Dieses System, bei dem Leistung praktisch egal ist, entmutigt engagierte Lehrer. Wie schlecht das alles funktioniert, sieht man an den Pisa-Studien: Deutsche Schüler schneiden so miserabel ab wie nie. Wir entwickeln uns zum Entwicklungsland.

    Schüler (mwd), die keine Eltern haben, die vieles ersetzen und ergänzen, die schauen in die Wäsche.

  19. 12.

    Schweden und Dänemark sind in Europa die Länder, die den Schulunterricht am stärksten digitalisiert haben. Nun macht sich die Einsicht breit, dass das vor allem der IT-Branche genützt, den Kindern aber geschadet hat. Beide Länder wollen das Bildschirmlernen deutlich reduzieren.

    Schweden: Grundlage der Kehrtwende war eine Studie des renommierten Karolinska-Instituts mit dem Ergebnis, dass die Vorzüge des Computerlernens immer noch unbelegte Behauptungen seien, während die negativen Wirkungen auf die Schulkinder gut dokumentiert seien.

    Dänemark: Im Dezember zog der sozialdemokratische Bildungsminister Dänemarks, Mattias Tesfaye, nach und entschuldigte sich bei den Schulkindern dafür, dass sie als „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ missbraucht worden seien. Zu lange habe man sich den großen Tech-Konzernen unterworfen.

  20. 11.

    Na dann auf in den nächsten Streik, bei soviel Stress sind die eben ausgehandelten Löhne bestimmt zu niedrig.

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