Beschwerde bei der OECD - Gen-Soja und Glyphosat: Menschenrechtler gehen gegen Bayer vor

Do 25.04.24 | 06:17 Uhr | Von Fabian Grieger und Jan Wiese
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Symbolbild: Blick auf die Zentrale der Bayer AG in Wedding. (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
Audio: rbb24 Inforadio | 25.04.2024 | Fabian Grieger | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Gesundheitsschäden, belastetes Trinkwasser, Monokulturen: Menschenrechtsorganisationen werfen dem Bayer-Konzern vor, er komme seiner Verantwortung für den Einsatz von Gensoja und Glyphosat nicht nach. Am Donnerstag legen sie auf internationaler Ebene Beschwerde ein. Von Fabian Grieger und Jan Wiese

  • NGOs werfen Bayer vor, sich nicht an OECD-Leitlinien zu halten
  • Einsatz von Glyphosat und Gen-Soja habe zu Gesundheits- und Umweltschäden in Südamerika geführt
  • Bundeswirtschaftsministerium muss Beschwerde prüfen

Bayers Konzernsitz im Berliner Wedding ist eine echte Landmarke. In dem Gebäude mit dem massiven Betonpfahl in der Mitte wird vor allem an medizinischen Produkten geforscht. Doch spätestens seit der Übernahme des US-Konzerns Monsanto ist die Entwicklung von Gen-Saatgut und Pestiziden einer der wichtigsten Pfeiler des Konzerns mit großer Präsenz in Südamerika.

Diese ist der Grund, warum am Donnerstag – in gerade einmal 1,4 Kilometer Luftlinie vom Berliner Bayer-Sitz entfernt – eine internationale Gruppe aus Menschenrechtsorganisationen Beschwerde gegen den Bayer-Konzern einreicht - wegen Verstoßes gegen die Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen.

Diese Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wurden 2011 verabschiedet. Sie sehen unter anderem vor, dass Unternehmen, die im Ausland aktiv sind, die Risiken bei der Anwendung von Glyphosat und Gen-Soja analysieren und Schäden vorbeugen sollen. Bayer bekennt sich öffentlich zur Einhaltung dieser Regeln.

Hohe Konzentrationen von Glyphosat im Urin

Im Beschwerde-Text, der rbb24 Recherche exklusiv vorliegt, wird unter anderen der Fall von Sabrina Ortiz im argentinischen Pergamino dokumentiert. Ortiz lebte in der Nähe riesiger Sojafelder. Nach dem Ausbringen der Pestizide klagten Anwohnerinnen und Anwohner über Übelkeit, Atemprobleme oder Hautausschläge. Sabrina Ortiz zeigte 2011 Vergiftungssymptome und hatte eine Fehlgeburt. Auch ihre Kinder leiden unter schweren Beschwerden wie Zysten. Bei Urin-Untersuchungen wurden hohe Konzentrationen von Glyphosat bei ihnen festgestellt. Der Fall kam in Argentinien vor Gericht, wo weitere Gutachten einen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Pestizidbelastung nahelegten.

Bayer widerspricht auf rbb-Anfrage. Der konkrete Fall aus Argentinien sei dort nicht bekannt und er passe nicht zum "Produkt- und Sicherheitsprofil von Glyphosat, welches eines der am besten untersuchten Pflanzenschutzmittel weltweit ist".

Ein argentinisches Gericht gab Sabrina Ortiz Recht und legte 2019 Abstandsregeln von mindestens 1.095 Metern für die Ausbringung von Pestiziden fest. Sie selbst zog auf ärztlichen Rat hin aus ihrem von Soja-Feldern umgebenen Heimatviertel weg.

"Vorhersehbar, dass es zu solchen Schäden kommt"

Bayer sei seiner Verantwortung für den Einsatz des von ihm angebotenen Gen-Sojas und Glyphosats nicht in dem Maße nachgekommen, wie es die OECD-Leitsätze vorschreiben, sagt Christian Schliemann-Radbruch. Er ist Jurist und in leitender Funktion tätig bei der Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional and Human Rights e.V." (ECCHR): "Ein Punkt ist auch, dass die Firmen dafür Sorge tragen müssen, was passiert, wenn ihre Produkte missbraucht werden. Seit 20 Jahren wird über die Situation vor Ort berichtet und es war daher eindeutig vorhersehbar, dass es zu solchen Schäden kommt – und das sehen wir bisher überhaupt nicht in die konkrete Praxis der Firma integriert."

Bayer verweist auf rbb-Anfrage auf sein Schulungsprogramm für den sicheren Umgang mit Pestiziden: "Allein in Lateinamerika haben wir im vergangenen Jahr 300.000 Landwirte mit Trainings erreicht. Wenn wir Hinweise erhalten, die auf einen nicht sachgemäßen Verbrauch hindeuten, gehen wir diesen konsequent nach."

Die Auswirkungen von Glyphosat und weiteren beigemischten Chemikalien sind weltweit umstritten. Bayer schreibt in seiner Antwort an den rbb, "dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung sicher und nicht krebserregend ist". Dies sei von den führenden Gesundheits- und Zulassungsbehörden wie jenen der EU und der USA bestätigt worden.

Gen-Soja und Glyphosat im Paket

Doch bei der nun eingereichten Beschwerde gegen Bayer geht es nicht nur um die Gesundheitsauswirkungen von Glyphosat, sondern auch um die sozialen und ökologischen Folgen des Agrarmodells, das die Bayer-Tochter Monsanto ab den 1990er-Jahren weltweit durchzusetzen versuchte.

Das Agrarmodell basiert auf dem Anbau von Gen-Soja, das gegen Glyphosat resistent ist. Die Resistenz führt dazu, dass die Pflanzen bei übermäßigem Glyphosat-Einsatz nicht geschädigt werden - aber die Umwelt. Beide Produkte - Gen-Soja und Glyphosat - verkaufte der Chemiekonzern quasi im Paket. In Bolivien beherrschte Bayer 67 Prozent (2019) des Marktes, in Brasilien, dem weltweit wichtigsten Sojaexporteur, sind es 44 Prozent.

Die Verbreitung des flächenintensiven Gensoja-Anbaus setzte einen doppelten Verdrängungsprozess in Gang: Schätzungen zufolge wurden bis 2017 jedes Jahr mehr als zwei Millionen Hektar Wald - in etwa die Fläche von Rheinland-Pfalz - im südlichen Südamerika gerodet, um Platz für den Anbau von genverändertem Soja zu schaffen.

Außerdem verdrängten die Monokulturen die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die kaum mehr Zugriff auf Land oder nur auf "Glyphosat-kontaminiertes" Land hat. "Indigene Gemeinden können dann oft nicht mehr genug anbauen und müssen sich Nahrungsmittel am Markt besorgen, für das ihnen das Geld fehlt. Das übersetzt sich dann in eine klare Verletzung ihrer Menschenrechte, also das Recht auf Nahrung oder das Recht auf Land", analysiert Schliemann-Radbruch vom ECCHR.

Auch hier widerspricht Bayer den Beschwerdeführern und sieht nicht die Verbreitung von Gen-Soja als maßgeblich für Waldrodung und Vertreibung von Kleinbauern: "Die Konsolidierung der Landwirtschaft ist ein weltweiter Vorgang und ist völlig unabhängig von genmodifiziertem Saatgut", teilt Bayer dem rbb mit. "Wir beobachten dieses Phänomen im Übrigen auch in Europa seit Jahrzehnten, wo genmodifiziertes Saatgut nicht zugelassen ist."

Anpflanzungen, die nicht resistent sind, gehen ein

Nach der Einschätzung der Organisationen leiden Kleinbauern - zum Beispiel in Paraguay - in unmittelbarer Nachbarschaft zu Gen-Soja-Feldern auch darunter, dass die Glyphosat-Anreicherung im Boden und im Wasser ihre Ernten zerstört. Denn anders als Gen-Soja von Bayer sind ihre eigenen Pflanzen nicht gegen Glyphosat resistent und gehen ein.

In diversen in der Beschwerde aufgeführten Orten wurde eine grenzüberschreitende Glyphosat-Belastung in Flüssen oder Brunnen nachgewiesen, so dass das Wasser nicht mehr trinkbar war. Ein weiteres beanstandetes Problem ist der Verlust der Biodiversität durch die Gen-Monokulturen und den Glyphosat-Einsatz.

Bayer wiederum verweist auf "zahlreiche Sicherheits- und Zulassungsstudien", in denen der Konzern nachweise, dass bei sachgemäßem Gebrauch der Produkte "weder Menschen noch die Umwelt einem inakzeptablen Risiko ausgesetzt" seien.

Bundeswirtschaftsministerium muss Beschwerde prüfen

Daisy Ribeiro von der brasilianischen Menschenrechtsorganisation "Terra de Direitos", die an der Beschwerde gegen Bayer beteiligt ist, betont aber: "Was wir in unserer Untersuchung festgestellt haben, ist, dass die Probleme sich in den verschiedenen Ländern stark ähneln, das zeigt, dass es keine Einzelfälle sind und sich das Agrarmodell ändern muss."

Um möglichst viel und lange an einem verkauften genmanipulierten Soja-Saatgut zu verdienen, stellte Bayer sein Gen-Soja unter Patentschutz oder schloss exklusive Lizenzvereinbarungen. Dadurch hat der Konzern eine außergewöhnliche Kontrolle über die Verwendung seiner Produkte. Die Beschwerdeführer um das ECCHR leiten daraus eine besondere Verantwortung für die Nachsorge bei der Anwendung ab, wie sie auch die OECD-Leitlinien vorsehen.

Eine Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums muss jetzt die gegen Bayer erhobenen Vorwürfe prüfen. Wenn sie die Beschwerde annimmt, wird ein Mediationsverfahren eingeleitet. "Das ist auch erst mal unser primäres Ziel", sagt ECCHR-Jurist Schliemann-Radbruch. "Wir wollen am Ende mit Bayer an einen Tisch kommen und die Schwachstellen in seiner Unternehmenspolitik gemeinsam beleuchten, um dann rauszufinden: Okay, wo muss man eigentlich die Stellschraube drehen, damit nicht weiterhin so viele negative Schäden in den vier Ländern passieren?"

In der Mediation soll es nach seinem Wunsch dann auch um die Frage von Schadensersatz-Zahlungen für die Betroffenen in Südamerika gehen. Ein juristischer Anspruch auf Entschädigung leitet sich aus den OECD-Leitsätzen allerdings nicht ab.

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.04.2024, 08:20 Uhr

19 Kommentare

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  1. 19.

    Sehr richtig
    Bio Direktsaat wird weiterentwickelt
    Wie immer fast zu schoen um wahr zu sein
    Und leichter gesagt als getan

  2. 18.

    Es gibt immer noch Menschen, die sich nicht informieren und deshalb nur nachplappern. Der Rest der Welt wird auch mit Pestiziden und Herbiziden hungern, das Problem ist die Verteilung und unser Lebensstil. Im Übrigen könnte kleinbäuerliche Landwirtschaft in Afrika zum Beispiel mehr Menschen ernähren. Aber das ist nicht gewollt, es geht um das Geld und den Gewinn

  3. 17.

    Sie verkennen das Problem in der deutschen Landwirtschaft mit Glyphosat und den Monokulturen/Futterpflanzen? Informieren Sie sich mal! Die Bauern wollen keinen Deut von ihrem riesigen Flächen für Blühstreifen/Hecken/Bäume hergeben, obwohl es bezahlt wird! Agroforst ist die Zukunft!

  4. 16.

    Guten Tag
    Sie verwechsel Monokulturen mit Reinkulturen und in Deutschland gibt es gar keine gentechnisch veränderten Sorten, die Glyphosatresistent sind

  5. 15.

    Ja genau! Alle, selbst in der EU haben vor dem Bauernmob gekuscht und die notwendigen Umweltauflagen sausen lassen! Zum Schaden Aller! Danke Ihr Bauern!

  6. 14.

    Monokulturen ha da schaut man nur mal nach Deutschland Maismonokulturen und Rapsmonokulturen da stürzen sich die
    sogenannten Energiebauern drauf wird ja ordentlich Subventioniert alles für Biogasanlagen Monokulturen mit GLYPHOSAT
    besprüht ,Trinkwasser verseucht ,Insektensterben .Wo noch etwas Platz ist auf dem Acker baut der schlaue Landwirt Solarparks.

  7. 13.

    Bayer war ja mal ein rein deutsches Unternehmen. Wer hat dann später für den Erwerb von Monsanto mit allen Rechtsfolgen ( Prozesse amerikanischer Glyphosatopfer ) gedrungen ? Die Strafzahlungen sind enorm und weitere werden folgen.

  8. 12.

    Das ist und bleibt eine Schweinerei, wie hier des Profts wegen mit den Menschen umgegsngen wird. Anklage fällig.

  9. 11.

    Das ist und bleibt eine Schweinerei, wie hier des Profts wegen mit den Menschen umgegsngen wird. Anklage fällig.

  10. 10.

    Hoffentlich werden diese Giftmischer endlich gestoppt!

  11. 9.

    Ich habe mich immer gefragt, warum Bayer eigentlich unbedingt Monsanto übernehmen wollte und seitdem meine Meinung über sie verändert. Genau was hier kritisiert wird, habe ich seitdem befürchtet. Das ist einfach nur traurig, wenn man die Folgen des Vorgehens von Bayer hier liest. Hoffentlich wird dem Einhalt geboten und die Menschenrechtsorganisationen erreichen damit etwas.

  12. 8.

    Deshalb hat Dr. Motte und seine Love Parade das Modell auch kopiert. Da wurden die Gewinne auch privatisiert und der Rest großzügig dem Steuerzahler überlassen.

  13. 6.

    Auch für den sehr anspruchsvollen deutschen Markt "gesunder" Lebensmittel wie Soja, Avocados und andere, werden nach wie vor Regenwälder gerodet und Stoffe wie Glyphosat eingesetzt. Es ist jämmerlich, diesem Selbstbetrug und Verleugnen der Ursachen in jedem gefüllten Supermarkt zu begegnen. Vegan, Bio, Trends, exotisch,... dieses Luxus-Fressen auf Kosten ganzer Lebensräume... ekelhaft.

  14. 5.

    Nicht den Rest der Welt verhungern lassen.
    Sondern dem Rest der Welt verbünfrige und gesunde Lebensmittel ermöglichen.
    Es geht auch ihne Glyphosat und ähnlichem

  15. 4.

    Bayer war eine Dividendenaktie. Jetzt zum Daxabsteiger? Mit dem Invest hat sich Bayer leider keinen Gefallen getan. Umweltschutz hört nicht an Deutschlands Grenzen auf.

  16. 3.

    Der Einsatz wurde ja durch die EU um weitere 10 Jahre genehmigt.
    Monsanto/Bayer ist ja wohl schon im Besitz von Ackerflächen in der Ukraine. Fragen?...die Rede ist von Ackerflächen so groß wie Brandenburg....

  17. 2.

    Da muss sich der Konzern Bayer sicher keine Sorgen machen, es wird nach dem ersten Grundsatz des Kapitalismus verfahren - Gewinn privatisiert, Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt. Im Zweifel entschädigt die Bundesrepublik und die Aktionäre behalten ihr Geld.

  18. 1.

    Okay, lassen wir den Rest der Welt verhungern. Kümmern wir uns endlich nur um uns!

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