Frau hinter Gittern mit Titelgrafik "Endstation Knast" (Bild: rbb/Daniela Härle)
rbb/Daniela Härle
Bild: rbb/Daniela Härle

Kontraste-Reportage - Endstation Knast

Rund die Hälfte der Gefangenen wird später wieder straffällig. Dabei sollen Gefängnisaufenthalte in Deutschland seit Ende der 70er vor allem eines: die Gefangenen „resozialisieren“, um so Rückfälle zu vermeiden. Wieso gelingt uns das nicht besser? Eine Kontraste-Reportage hinter Gittern.

Justizvollzugsbeamter in der JVA Rosdorf (Bild: rbb)

Ihre größte Angst ist es, hinter Gittern alt zu werden und dort zu sterben: Christian T. hat schon mehrere Banken überfallen und sitzt ohne Enddatum in der Sicherungsverwahrung. Thomas K. und Klaus B. begehen immer wieder Straftaten, sind so genannte Drehtürkandidaten.

Zwei von drei Gefangenen werden wieder straffällig. Dabei sollen Gefängnisaufenthalte in Deutschland seit Ende der 70er vor allem eines: die Gefangenen "resozialisieren", um so Rückfälle zu vermeiden.

Wieso gelingt uns das nicht besser? Was muss geschehen, dass weniger von ihnen wieder rückfällig werden. Und wie kann damit die Sicherheit für die Gesellschaft erhöht werden? Kontraste-Reporter haben mit Straftätern hinter Gittern gesprochen. Im Gefängnis kämpfen sie alle um ein neues Leben – mit sich selbst und mit dem System.

Klaus Behrens ist einer von rund 50.000 Menschen, die in Deutschlands Gefängnissen einsitzen.

Klaus Behrens

"Seitdem ich zwölf gewesen bin und meinen ersten Einbruch gemacht habe, wollte ich immer Verbrecher sein."

Wenn Thomas K. trinkt, schlägt er zu und landet im Knast – immer wieder.

Thomas K.

"Wenn ihr das seht: Papa denkt trotzdem an euch oder so, auch wenn ich in der Hinsicht ein Arschloch gewesen bin oder so! Tut mir leid, aber…"

Als in der Corona-Pandemie die Geschäfte schlecht laufen, beginnt Julia B. mit Drogen zu handeln. Jetzt will sie ein neues Leben anfangen.

Julia B.

"Ich war im Nachtleben aktiv, auch in der Bar, in einem Erotik-Studio."

Zwei von drei Gefangenen werden nach ihrer Freilassung wieder zum Straftäter. Wie auch Christian Twachtmann.

Christian Twachtmann

"War ungefähr ein dreiviertel Jahr, knapp ein Jahr, auf Flucht und habe dann am Ende der Flucht drei Banken überfallen."

Wie gut sie im Knast auf die Freiheit vorbereitet werden - das geht uns alle etwas an.

Thomas Galli

"Der Gefangene von heute ist der Nachbar von morgen."

Im Gefängnis kämpfen sie um ein neues Leben. Es ist ein Kampf gegen das System und ein Kampf mit sich selbst.

Klaus Behrens

"Das macht mich echt aggressiv und das macht mich richtig aggressiv."

Sozialpädagoge Silvio Pauk

"Und dann?"

Klaus Behrens

"Kann ich zuhauen."

Was muss geschehen, damit sie nicht wieder rückfällig werden? Wie kann die Sicherheit für uns alle erhöht werden?

A. Bartusch, Justizvollzugsbeamter

"Guten Morgen, morgen, morgen…"

Wir sind in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf in Niedersachsen. 317 Menschen sind hier eingesperrt. Das hier ist mehr als nur ein Weckruf.

A. Bartusch, Justizvollzugsbeamter

"Ab 6.15 Uhr beginnt dann halt die Lebendkontrolle, Vollzähligkeitskontrolle. Wer ist auf Station, wer ist vielleicht schon in der Küche arbeiten und halt auch Unversehrtheitskontrolle, dass es halt jedem gut geht."

Gefangene nehmen sich zehnmal öfter das Leben als Menschen in Freiheit.

Die Lebendkontrolle hat Thomas K. schon hinter sich. Mit seinen Kollegen hier kümmert er sich um den Müll.

Thomas K.

"Wir wissen, was wir machen hier. Wir sind ein eingespieltes Team. Jetzt wirklich. Es macht einfach Spaß, weil jeder weiß, was er machen muss."

Thomas K. ist trockener Alkoholiker. Wenn er trinkt, wird er gewalttätig.

Thomas K.

"Meine erste Haftzeit war 1985 und die saß ich bis 89 wegen zweimal schwerer Körperverletzung. Ja, dann 1996 wegen Totschlag. Und 2004? Also von 96 bis 2000 war ich Alkohol-Therapie. 2002 entlassen und 2004 wieder drin. Immer die gleichen Delikte."

Im Suff kann sich seine Gewalt auch gegen Menschen richten, die er liebt.

Thomas K.

"Ein Opfer war ja die Mutter meiner Kinder, die ich die Wand hoch getrümmert habe. Also hochgehoben hab, wo die Oma ausgeschimpft habe. Die Kinder haben geheult und das war in meiner Bewährungszeit. Hat aber schon wieder gereicht, weil ich Rückfälligauflage gehabt habe, alkoholfrei zu leben."

Insgesamt 27 Jahre Haft hat der 57-Jährige schon hinter sich. Immer wieder begeht er Straftaten, immer wieder landet er im Gefängnis. Drehtür-Kandidat nennt man das hier.

Ein Großteil der Straftäter in Deutschland sind solche Drehtürkandidaten. Zwölf Jahre nach ihrer Entlassung sind 66 Prozent aller Ex-Gefangenen, wieder straffällig geworden. Davon landet ein Drittel erneut im Gefängnis.

2018 wurde Thomas K. schon einmal auf ein Leben in Freiheit vorbereitet. Er durfte außerhalb der JVA arbeiten. Doch trotz Verbots trank er wieder, erschien nicht zur Arbeit. Und musste sofort zurück in den geschlossenen Vollzug.

Thomas K.

"Ich hatte einen coolen Job, ich hatte wieder Kontakt zu meinen Kindern, auch die Mutter meiner Kinder kam mich besuchen in meiner Wohnung. Die war zwar noch nicht groß eingerichtet… Kiddies, ach so, ich darf ja nicht reingucken, wenn ihr das seht. Papa denkt trotzdem an euch oder so, auch wenn ich in der Hinsicht ein Arschloch gewesen bin oder so! Tut mir leid, aber… "

Der 57-Jährige ist in der sogenannten Sicherungsverwahrung untergebracht. Wie etwa 600 Menschen deutschlandweit.

Thomas K.

"So jetzt kommen wir in mein Apartment."

Hier landet, wer als rückfallgefährdet und zu gefährlich gilt.

Thomas K.

"Ich mache mal den Toiletten-Deckel runter. So, so, das ist meine Nasszelle. Und hier ist denn so der Schlafbereich."

Sicherungsverwahrte haben ihre Haftstrafe schon abgesessen.

Thomas K.

"So, mehr gibt’s hier eigentlich gar nicht zu sehen."

Sie sitzen ohne Enddatum. Daher haben sie einige Privilegien gegenüber den normalen Strafgefangenen.

Thomas K.

"Das ist denn hier unser Speiseraum, unsere Küche, wo wir denn immer, auf was wir Bock haben. Wir beide sitzen meist abends beisammen. Heute gibt es den Matjessalat. Matjes-Brötchen. Auf schnelle Küche meist nach dem Einkauf. Freitags gibt es immer Fisch. Ich bin ja katholisch."

Heute darf Thomas K. unbeaufsichtigt aus der JVA – zur Gartenarbeit vor den Gefängnismauern. Er hätte die Chance zur Flucht.

Diese Lockerung seiner Sicherungsverwahrung ist auch ein Test, bei dem wir ihn begleiten dürfen.

Thomas K.

"Ich habe aber auch nie Gedanken gehabt, dass ich irgendwie auf Flucht gehen möchte oder würde oder so. Mit dem Gewissen könnte ich gar nicht leben, ewig auf Flucht zu sein oder so. An jeder Ecke raschelt es dann so, könnte ich mir Horror vorstellen. Aber mein Gedanke ist es nicht."

Kontraste

"Fühlt es sich denn hier draußen – wo sie auch sehen, da fahren Autos, da sind die Leute, die draußen ganz normal leben – wie Freiheit an?"

Thomas K.

"Das Leben… Ich habe, wenn ich hier bin, vom Vollzug die Sachen an und das begleitet mich, ich werde hier ja auch überwacht und überall die Kameras. Freiheit. Freiheit ist ein schwieriges Wort."

Sein halbes Leben hat Thomas K. in Haft verbracht – ob und wann er jemals wieder entlassen wird, ist unklar – und dennoch will er nicht resignieren.

Thomas K.

"Ich kommuniziere mit den Beamten, mit Mitverwahrten, Gefangenen, mit den Chefs. Ich guck meine Nachrichten. Ich. Ja. Ich sitze da nicht stumpfsinnig, dass ich irgendwann mal sage: Keine Zähne mehr im Mund und ich will nicht mehr."

Das große Problem: Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft – die Resozialisierung – funktioniert eigentlich nur mit Lockerungen.

Doch genau daran hakt es meist im deutschen Strafvollzug. Thomas Galli arbeitete 15 Jahre dort, war zuletzt Leiter einer großen JVA. Dann stieg er aus – weil er Zweifel am deutschen Justizvollzug hatte.

Thomas Galli

"Menschen zu resozialisieren dient letztlich der Sicherheit der Allgemeinheit. Wir wollen, dass die möglichst keine Straftaten mehr begehen. Das heißt, wenn ich die Menschen in geschlossene Anstalten einsperre, dann resozialisiere ich gerade nicht und dann erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder straffällig werden. Das heißt, ich schütze damit nicht die Allgemeinheit, sondern ich gefährde die Sicherheit der Allgemeinheit."

Aber was genau braucht es, dass Straftäter wieder Teil der Gesellschaft werden können? Wie finden sie am besten zurück ins normale Leben?

Julia B. will ihr Leben im Knast umkrempeln. Sie sitzt in Köln-Ossendorf ein, wegen Bandenkriminalität und weil sie mit Drogen handelte. Ihre Strafe: acht Jahre. Danach will die 41-Jährige im Kosmetik-Bereich arbeiten.

Julia B.

"Ich war im Nachtleben aktiv, auch in der Bar in einem Erotik-Studio. Also Empfangsdame, sagt man dazu."

Das Erotikstudio war ein Bordell. Als die Pandemie kam, brach das Geschäft weg. So kam Julia B. zum Drogenhandel. Hier im Gefängnis macht sie eine Ausbildung zur Friseurin.

Julia B.

"Natürlich muss man ein gewisses Umfeld abschütteln. Das ist ganz klar. Darum habe ich ja auch die Ausbildung gewählt, um vielleicht einen anderen Beruf, ein anderes Berufsfeld mir auszusuchen oder in einem anderen Berufsfeld zu arbeiten."

Julia B.

"Ich brauche meine Scheren, bitte."

Ausbilder Tobias Rath

"Sie brauchen auch noch ihre Scheren…"

Tobias Rath ist Justizbeamter – und gelernter Friseur.

Tobias Rath

"Ich habe auch vorher schon Menschen ausgebildet. Und hier sind die ein bisschen, ja, wie soll ich sagen, begeisterter von der Ausbildung, weil sie hier nicht so viel Ablenkung haben, wie Leute, die draußen die Ausbildung machen, hier sind die sehr fixiert auf die Ausbildung und sehr fleißig, was das Lernen angeht, und wollen viel mehr Sachen machen."

Wer im Gefängnis eine Aus- oder Weiterbildung absolviert, wird später seltener rückfällig. Die Vorbereitung auf ein ganz legales Berufsleben – sie ist einer der zentralen Bausteine der Resozialisierung.

Julia B.s erster Kunde heute: ein Justizvollzugsbeamter. Strafgefangene und Beamte kommen sich hier ungewohnt nah.

Ausbilder

"Guten Morgen"

Beamter

"Morgen"

Ausbilder

"Was können wir für sie tun?"

Beamter

"Einmal Haare schneiden."

Ausbilder

"Einmal Haare schneiden? Wie schneiden wir denn Ihre Haare? Kurz?"

Beamter

"Kurz."

Ausbilder

"Na hier zum Beispiel sehen Sie, dass hier noch eine etwas… Dass das hier so eine leichte Kante war. Versuchen Sie die hier rauszuarbeiten."

Nur fünf Prozent der Gefangenen sind Frauen. Und sie werden seltener rückfällig als Männer. Julia B. bringt sich zudem ein, wo sie kann, tut alles dafür, nicht wieder straffällig zu werden. Ihre Prognose ist daher gut – doch ihr Erfolg hängt auch von der Gesellschaft ab.

Die 41-Jährige hat Angst davor, durch die lange Haft gebrandmarkt zu sein.

Julia B.

"Wenn man vielleicht nur ein kleines Strafmaß hat, könnte man sagen: Man hatte eine Auszeit. Aber bei einer längeren Haftzeit musst du ja irgendwo damit eben transparent umgehen. Und das ist das Einzige, wo man sich vielleicht Gedanken darüber macht: Wie reagiert der neue Arbeitgeber darauf? Habe ich eine Chance draußen oder gibt mir jemand eine Chance draußen?"

Julia B. hofft auf den offenen Vollzug, eine Art Wohngemeinschaft außerhalb der JVA, wo sie sich tagsüber frei bewegen und arbeiten kann. Laut Gesetz sollte das eigentlich die Regel sein – aktuell wird das aber bundesweit nur 14 Prozent der Gefangenen genehmigt.

Der ehemalige Gefängnisleiter Galli weiß: Ein Grund dafür ist die Angst vor den wenigen Fällen, in denen jemand flieht. Er plädiert für mehr Mut:

Thomas Galli

"Haftlockerungen sind so selten, weil niemand die Verantwortung übernehmen will. Der Gesetzgeber will keine Verantwortung übernehmen, der überlässt vieles den Anstalten vor Ort, die ein großes Ermessen haben. Die wiederum wollen keine Verantwortung übernehmen, weil sie wissen, wenn während der Lockerung was passiert, sind wir dran."

Eine erste Haftlockerung hat Julia B. schon erhalten: Ausgang.

Julia B.

"Ich durfte meinen Ausgang nutzen, indem ich meine Tochter außerhalb treffe. Diese Ausgänge sind aber begleitet, natürlich, mit als Sozialarbeiterin, für den Fall, dass vielleicht nach so einer langen Haftzeit, die man ja schon hinter sich hat, vielleicht zu viele Eindrücke auf einen einwirken. Das Leben draußen dreht sich ja weiter und das muss man ja auch wieder Schritt für Schritt lernen. Wie geht das draußen? Kommst du damit klar, eine Straßenbahn zu fahren oder ein Ticket zu lösen?"

Sechs lange Jahre Gefängnis hat sie noch vor sich.

Wenn sie in der Haft in psychische Krisen gerät, hilft ihr vor allem eines: Post von Freunden und Familie.

Anne

"Haben Sie eine Lieblingspostkarte?"

Julia B.

"Ich mag eigentlich alle ganz gern, aber diese Postkarte zum Beispiel war eine der ersten. Immer, wenn man denkt, es geht nicht weiter, liest man sich diesen Spruch durch und sagt sich: Okay, du hast noch ein bisschen und dann wird alles gut."

Klaus Behrens hat 16 Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht – auch er gilt als Drehtürkandidat. Dreimal wird er entlassen, jedes Mal begeht er neue Straftaten – von Diebstählen bis zu schwerem Raub.

Klaus Behrens

"Seitdem ich zwölf gewesen bin und meinen ersten Einbruch gemacht habe, wollte ich immer Verbrecher sein. Ich habe auch, als ich das erste Mal entlassen wurden, nach drei Jahren und mir gesagt wurde: Ich hoffe, wir sehen sie nie wieder, habe ich noch gesagt: Ich muss wenigstens fünf Jahre abrasseln. Sonst nimmt mich ja keiner ernst im Milieu."

Für die Einbrüche klettert er an Häuserfassaden entlang, die Regenrinne nach oben.

Klaus Behrens

"Dann wirklich 4, 5, 6 Etagen hoch. Da gibts keine Alarmanlagen. Ich habe ja keine Wohnung gemacht, sondern tatsächlich Büros oder so was. Wo früher Bargeld war. Ne, und ab einer gewissen Etage gibt es keine Alarmanlagen mehr – da geht man durchs Fenster und gut."

Als er zu alt fürs Fassadenklettern wird, steigt er um: überfällt Geschäfte und Tankstellen. Behrens ist Kokain-süchtig, seine Straftaten beging er stets auf Koks.

Klaus Behrens

"Und für mich war klar: Irgendwann kannst du das nicht mehr, weil das war meine Masche, das Klettern und dann machst du Raubüberfälle. Und wenn du noch älter wirst, machst du Betrug, wenn das auch nicht mehr geht. Klar."

Der 56-Jährige hat auch legal Geld verdient: War schon mal Kraftfahrer und Gebäudereiniger. In der Haft verpackt er nun Phasenprüfer und verdient damit fünf Euro – pro Tag. Ein monotoner Alltag, doch Behrens sieht ein, warum er derzeit so leben muss.

Klaus Behrens

"In meinem Fall völlig verständlich, völlig verständlich, weil ich weiß, was ich getan habe und dass es momentan besser ist, mich hier drinnen zu halten, ganz ehrlich, ne."

Das erste Mal ins Gefängnis kam er mit 14 Jahren. Zweimal macht er eine Drogentherapie im Knast. Draußen gründete er einen Verein, der anderen Abhängigen half. Rückfällig wurde er trotzdem.

Kontraste

"Haben Sie Familie?"

Klaus Behrens

"Hmhm."

Kontraste

"Wie geht es denen denn damit?"

Klaus Behrens

"Ganz schlecht. Ganz, ganz schlecht. Ich habe vier Kinder. Die haben mich eigentlich nur im Knast erlebt. Und wenn ich draußen war, haben sie mich schwer narzisstisch erlebt."

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Herr Behrens. Wir können loslegen."

Klaus Behrens

"Sehr schön."

Sozialpädagoge Silvio Paul nimmt Klaus Behrens heute mit zu einer Besprechung wegen dessen Kokain-Sucht. Er wird hier besonders intensiv betreut, denn Behrens gilt als extrem rückfallgefährdet. Sozialtherapeutische Abteilung wird dieser Bereich der Haftanstalt genannt.

Klaus Behrens

"Hallo."

Klaus Behrens muss die JVA bald verlassen. Das Gericht hat zwei Jahre Maßregelvollzug angeordnet, also die Unterbringung in einer geschlossenen Klinik. Eine erneute Drogentherapie – wo ist noch unklar.

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Nächste Woche geht’s in den Maßregelvollzug, so denn alles klappt… Das heißt, es wird spannend nächste Woche, was genau passiert."

Klaus Behrens

"Spannend? Ich finde das super-ätzend, Herr Paul."

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Es ist auch ätzend."

Klaus Behrens

"Überlegen Sie doch mal: Sie warten zwei Jahre lang auf einen Job und Ihnen wird gesagt, wenn Sie den Job jetzt gut machen und in zwei Jahren können Sie da hin. Und eine Woche vorher sagt man Ihnen: Schauen wir mal. Wie geht es Ihnen damit?"

Sozialpädagoge Silvio Paul

"(lacht) Ich bin hier der Therapeut, nicht Sie."

Klaus Behrens

"Ja, ja. Aber wie geht’s Ihnen damit? Ich hätte gerne wirklich irgendeine Art von Sicherheit."

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Wir wollen sie auch loswerden, Herr Behrens."

Klaus Behrens

"Darum geht’s überhaupt nicht, ich bleib auch gerne hier."

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Sie haben ja einen Rückfallvermeidungsplan erarbeitet und der zielt jetzt nicht auf die Entlassung ab?"

Klaus Behrens

"Nein."

Sozialpädagoge Silvio Paul

" …sondern auf die Verlegung."

Klaus Behrens

"Der zielt auf die Verlegung in den Maßregelvollzug ab."

Die Befürchtung ist: In der geschlossenen Klinik kommt Klaus Behrens einfacher an Kokain als hier im Gefängnis. Die nächste Drogentherapie ist für ihn somit Chance und Risiko zugleich. Heute soll er erklären, wie er vorhat, clean zu bleiben.

Klaus Behrens

"Drogenfrei bleiben, herausfinden, warum ich Drogen benötige, warum ich sie während meiner Straftaten benötige und immer wieder nehme. Meine mentale Verfassung ist dann ausschlaggebend, wenn ich da bin."

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Na ja, und dafür brauchen Sie ja vielleicht einfach die Drogen-Therapie, auch. Das haben wir hier schwerpunktmäßig nicht gemacht und das ist einfach noch auf bei Ihnen."

Klaus Behrens

"Ja, das ist auch ein längerer Prozess."

Seine Stimmung wechselt zwischen manischen und depressiven Phasen. War er in der Vergangenheit in einem Loch, versuchte er sich hochzuziehen – mit Straftaten auf Drogen.

Klaus Behrens

"Also ich kann zum Beispiel die schweren Straftaten nicht begehen, ohne Kokain zu nehmen. Diese Kriminalität, die ich dann auslebe, gibt mir ja auch was, so von wegen, ich hab' dieses Spiel mit der Polizei und ich kann die Polizei an der Nase vorführen und ich bin sowieso der bessere Verbrecher und ich habe die Macht über die Polizei."

Mühsam, sagt Klaus Behrens, habe er gelernt sich zu öffnen.

Missachtung bringe ihn in Rage.

Klaus Behrens

"Das macht mich echt aggressiv , Herr Paul, das macht mich richtig aggressiv."

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Und dann…"

Klaus Behrens

"Kann ich zuhauen. Okay. Aber das wäre ja ein anderes Risiko-Situation."

Klaus Behrens

"Aber ich verletze diesen Menschen, ich verletze diesen Menschen unnötig. Und damit schiebe ich mich wieder in so ein Loch rein. Warum kriegst du es nicht auf der Reihe, mit dieser Kränkung leben zu können? Warum kriegst du das nicht hin? Und dann bin ich wieder in der Selbstabwertung. So, und das ist diese Spirale, wo ich dann nicht rauskomme."

Viele Inhaftierte haben psychische Probleme wie Klaus Behrens. Er nimmt inzwischen Psychopharmaka, ist gut eingestellt, und reflektiert seine Taten.

Klaus Behrens

"Ich bereue alles. Ich bereue alles. Ich habe wirklich tatsächlich nicht die Empathie damals gehabt für meine Opfer. Meine Einbrüche habe ich halt gemacht und die Raubüberfälle. Ich habe die Empathie damals überhaupt nicht gehabt. Ich habe mir das so schöngeredet: Das ist ja überhaupt nicht schlimm, was ich tue und jetzt weiß ich das. Und natürlich bereue ich das. Ich bereue jedes Opfer da draußen. Auch meine Familie. Das sind genau solche Opfer wie die, die in den Geschäften standen oder in den Tankstellen, die da ein Trauma weghaben, die so viele langwierige Gefühle aushalten müssen, jetzt, klar."

Nach den zwei Jahren in der Klinik stehen nochmal acht Jahre Haft an. Danach soll Behrens eigentlich in die Sicherungsverwahrung. Aber er hofft, mit 75 wieder in Freiheit zu sein.

Wird er dann wieder in alte Muster verfallen? Als alter Mann koksen?

Klaus Behrens

"Na, mit 75 koksen ist ein bisschen uncool, finde ich."

Anstaltsleiter, wie Klaus-Dietrich Janke müssen ihre Einschätzung zu Lockerungen der Haft oder Sicherungsverwahrung abgeben – für ihn jedes Mal eine Gradwanderung:

JVA-Leiter Klaus-Dietrich Janke

"Man kann natürlich immer gucken, wie kann ich das verhindern, dass jemand Lockerungen bekommt? Denn Lockerungen können ja eine gefährliche Sache sein, könnten ja missbraucht werden. Das ist nicht unsere Philosophie, sondern wir gucken, wie können wir jemand Lockerung gewähren? Können wir das verantworten?"

Haftlockerungen machen Sinn und der Gesetzgeber fordert sie. Dennoch sind sie rückläufig. Am stärksten haben die Langszeitausgänge, auch Hafturlaub genannt, abgenommen – um zwei Drittel seit 2007. Für etwa zwei Jahre liegen keine validen Daten vor.

Dabei gehen Haftlockerungen äußert selten schief.

An Tagen mit Freigängen, also Lockerungen, um regelmäßig außerhalb des Gefängnisses arbeiten zu können, kommt es nur bei einem von 10.000 Fällen zu einer Flucht oder verspäteten Rückkehr.

Doch in seltenen Einzelfällen kommt es während Lockerungen nicht nur zur Flucht, sondern auch zu Straftaten – die dann durch mediale Berichterstattung eine überproportionale Aufmerksamkeit erhalten.

Bei den Mitarbeitern im Gefängnis ist die Angst davor allgegenwärtig.

Sozialpädagoge Silvio Paul

"Das ist dann auch nicht mal so richtig die Überlegung: Darf ich das der Gesellschaft zumuten, diese Lockerung, sondern eher: Wenn das nicht gut geht, dann brennt hier die Luft. Und da mache ich mich auch nicht frei von. Das ist ätzend, wenn die Bildzeitung … Wenn du dein Fahrrad abschließt und ein Bildzeitungs-Reporter kommt und sagt: Wo steckt denn eigentlich Herr so und so? Das ist ätzend."

Auch der Rosdorfer JVA-Leiter spürt die Auswirkungen dieser Berichterstattung.

Kontraste

"Haben Sie das ein Stück weit im Kopf, wenn es darum geht: Naja, lass ich den jetzt raus oder lass ich ihn nicht raus? Vor dem Hintergrund: Wer weiß, was morgen in der Zeitung steht."

JVA-Leiter Klaus-Dietrich Janke

"Ja, also bei jeder Entscheidung, die ich hier treffe, insbesondere bei der Sicherungsverwahrung, die ja noch mal einen anderen Blick hat oder die Öffentlichkeit und auch die Politik einen anderen Blick hat auf einen normalen – in Anführungszeichen – Gefangenen. Da habe ich vor jeder Unterschrift genau diese Gedanken, die Sie gerade formulieren. Was passiert, wenn ich jetzt diese Unterschrift leiste, und der Gefangene versagt mit einer erheblichen Straftat?"

Wir sind in der JVA Werl im Sauerland.

Hier treffen wir einen Mann, der in so einem Fall versagt hat.

Christian Twachtmann saß bereits zum zweiten Mal in Haft, als er in den offenen Vollzug kam – und die Gelegenheit zur Flucht nutzte.

Christian Twachtmann

"War ungefähr ein dreiviertel Jahr, knapp ein Jahr auf Flucht und habe dann am Ende der Flucht drei Banken überfallen in NRW."

Er landete wieder im Gefängnis – diesmal für sieben Jahre.

Dort kam er in Kontakt mit Christine Graebsch. Die Jura-Professorin leitet einen Verein, der Briefe von Gefangenen zu rechtlichen Fragen beantwortet.

Christine Graebsch

"Und dann habe ich gesehen, dass bei ihm damals die Entlassung in keiner Weise vorbereitet wurde. Und dann habe ich gedacht, dabei unterstütze ich ihn. Das habe ich auch getan, aber es hatte überhaupt keinen Erfolg. Er durfte nicht raus, er durfte keine Wohnung suchen, er durfte keine Arbeit suchen."

Nach seiner Entlassung schlief er auf Sofas von Freunden und Familie, bezog Sozialleistungen.

Christian Twachtmann

"Die Situation war damals so, dass ich eben immer wieder nicht auf meinen eigenen Beinen stehen konnte, sondern auf andere Leute angewiesen war. Und da habe ich damals den Entschluss… das mache ich nicht mehr, mich interessiert das nicht. Ich mache das, was ich vorher auch gemacht habe, mit wenig Aufwand sofort wieder Geld."

Zum vierten Mal überfällt er eine Bank. Wieder begeht er eine schwere Straftat.

Hätte eine bessere Vorbereitung auf die Zeit nach dem Knast das verhindert?

Die Juristin Graebsch vermutet das. Sein Fall ist für sie symptomatisch.

Christine Graebsch

"Die Folge für die Gesellschaft ist, dass eben das, was Resozialisierung sein soll, nicht funktioniert hat. Und das bedeutet, dass die Menschen nicht wieder eingegliedert sind in die Gesellschaft und dass auch die Rückfallgefahr dann naheliegenderweise höher ist, wenn Menschen nicht wissen, wo sie hinsollen, was sie machen sollen und dann wieder in alte Muster zurückfallen."

Seit seinem letzten Rückfall sitzt er ohne Enddatum: 2017 kam er hier nach Werl, 2021 dann in die Sicherungsverwahrung. Twachtmann fühlt sich im Stich gelassen – vom System und der JVA.

Christian Twachtmann

"Also ich hatte während meiner letzten Inhaftierung nicht eine einzige Ausführung, keinen Freigang und ich habe auch während meiner neun Jahre Inhaftierung mit Sicherungsverwahrung nicht eine einzige Ausführung."

Zweck der Sicherungsverwahrung ist es, die Gesellschaft zu schützen und die als besonders gefährlich geltenden Insassen zu resozialisieren. Auch sie sollen sich "bessern" – eine Perspektive darauf bekommen, so irgendwann wieder frei leben zu können.

Doch genau das werde ihm und vielen hier verwehrt, sagt Twachtmann.

Christian Twachtmann

"Es gibt hier eine Vielzahl von Untergebrachten, die durch Hospitalisierung, die lethargisch, also sich so zurückgezogen haben, dass sie nach vielen Jahren Kampf aufgegeben haben und jetzt verwahrlosen."

Zusammen mit 75 weiteren Sicherungsverwahrten probt er nun den Aufstand. Sie haben gerichtlich Anträge auf ihre Entlassung aus der JVA Werl eingereicht.

Christian Twachtmann

"Das ist einmal das Schreiben vom Bundesverfassungsgericht. Das hast du ja auch gekriegt. Das ist der Eilantrag, den haben wir ja schon draußen. Und das ist die Erwiderung von uns. Dann sammeln wir heute die restlichen Eingaben ein und schicken die für alle Untergebrachten morgen per Einschreiben ans Bundesverfassungsgericht."

Mike Filips

"Dann werde ich den Rest einsammeln."

Christian Twachtmann

"Genau richtig."

Mike Filips

"Hauptsächlich nervt die Ungerechtigkeit. Das heißt, ich habe zwar auch ungerecht draußen gehandelt, bin auch für bestraft worden, zurecht, gar keine Frage. Ich habe aber auch mein Möglichstes getan, um Therapien etc. umzusetzen, positiv abzuschließen und die Ungerechtigkeit, die mich nervt, das heißt, es wird auf Gesetz und Grundrechte wirklich mit Füßen getreten."

Ihr Vorwurf: Die Gefängnisleitung würde zusammen mit Justiz und Politik systematisch die Resozialisierung der Verwahrten behindern.

Die klagenden Sicherungsverwahrten in Werl sagen: Sie bekämen hier keine Perspektive. Um sie werde sich nicht gut genug gekümmert.

Christian Twachtmann

"Psychologischer Dienst, zu wenig; Sozialdienst, zu wenig. Im Moment haben wir auch im AVD, im Allgemeinen Vollzugs-Dienst, also die Bediensteten, die uns alltäglich hier beobachten, betreuen etc., auch zu wenig."

Das fehlende Personal hat das nordrhein-westfälische Justizministerium bereits vor dem Landtag eingeräumt.

Auf Kontraste-Anfrage bestreitet das Ministerium aber die Vorwürfe der Sicherungsverwahrten:

"Die gesetzlichen Vorgaben zum Vollzug der Sicherungsverwahrung werden in der JVA uneingeschränkt beachtet."

Unabhängig davon, wer am Ende Recht bekommt, bleibt das Problem: Viele Insassen in der JVA Werl fühlen sich abgeschrieben. Und ohne passende Therapien, ohne Freigänge, ohne eine gute Vorbereitung auf die Freiheit wird es für sie keine Entlassung geben.

Christian Twachtmann

"Eine baldmöglichste Entlassung, baldmögliche Entlassung, wie es das Bundesverfassungsgericht das vorsieht oder auch in dem Bundesgesetz, ist nicht möglich. Ganz einfach. Das heißt, dass wir länger drin sind, dass der Zeitraum nicht für die baldmögliche Entlassung da ist, sondern eben dass wir längere Zeit inhaftiert sind, also in der Sicherungsverwahrung, und dass das unsere Freiheit kostet."

Endstation Knast. Für manche Gefangene mag es keine andere Lösung geben. Die meisten aber haben gute Chancen, wieder ein normales Leben zu führen, wenn man sie richtig auf die Zeit nach der Haft vorbereitet. Resozialisierung ist teuer und personalintensiv. Doch sie steht den Gefangenen gesetzlich zu, vor allem aber ist sie in unser aller Interesse.

Ein Film von Anne Grandjean, Chris Humbs und Daniel Schmidthäussler

Erstsendung: 09.11.2023/Das Erste