Showdown in Münster -
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hegt einen schlimmen Verdacht: Ist die AfD rechtsextrem? Vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster kommt es diese Woche zum Showdown zwischen AfD und Bundesamt. Das Urteil wird eigentlich für diesen Mittwoch erwartet, doch Prozessbeobachter meinen, eine Verschleppungstaktik der AfD-Anwälte zu erkennen, zudem entwickelt sich der Prozess zu einer Materialschlacht mit tausenden Seiten Gutachten.
Viel hängt vom Urteil der Richter ab: Darf der Verfassungsschutz die AfD als Partei nachrichtendienstlich beobachten? Wird die AfD nach einem für sie negativen Urteil womöglich als "gesichert rechtsextrem" eingestuft – ausgerechnet im Jahr von drei Landtagswahlen und der Europawahl, in denen sich die Partei gute Chancen ausrechnen darf? Steht am Ende ein AfD-Verbot?
Der Verfassungsschutz sammelt seit Jahren Material über die Partei. Zentrale Punkte für den Extremismus-Verdacht des Inlandsgeheimdienstes: "Völkischer Nationalismus", "Verletzung der Menschenwürde" oder "Umsturzfantasien" – und eben nicht mehr nur bei Björn Höcke, sondern auch bei anderen entscheidenden Personen der Partei, wie Kontraste-Recherchen zeigen. Hinzu kommt: Die Verbindungen der Partei zu dem als erwiesen extremistisch eingestuften Magazin "Compact" sind offenbar enger als bislang bekannt.
Beitrag von Andrea Becker, Silvio Duwe, Chris Humbs und Markus Pohl
Anmoderation: Wie man ein Gerichtprozess unendlich in die Länge zieht, konnte man gerade in Münster beobachten. Im Verfahren "Die AfD gegen die Bundesrepublik Deutschland". Der Andrang war so groß, dass die Verhandlung in die große Eingangshalle des Gerichts verlegt wurde. Es ging um die Frage, ob die AfD als extremistischer Verdachtsfall gilt. Ob also der Verfassungsschutz sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten darf. Und schon bald könnte sie dann auch als "gesichert" rechtsextrem eingestuft werden. Doch das eigentlich für gestern erwartete Urteil blieb aus. Wir geben ihnen jetzt - gemeinsam mit den Kollegen und Kolleginnen des ARD-Hauptstadtstudios - die Möglichkeit, sich ihr ganz eigenes zu bilden …
Es sollte der Showdown am Oberverwaltungsgericht in Münster werden: Beobachtet der Verfassungsschutz die AfD zurecht als rechtsextremistischen Verdachtsfall?
Statt einer Klärung – gestern Abend die Vertagung des Prozesses. Mit zahllosen Beweis- und Befangenheitsanträgen gelingt es den AfD-Vertretern, das Urteil zu verschleppen.
Das sei Kalkül, sagt unser Kollege Martin Schmidt vom ARD-Hauptstadtstudio.
Martin Schmidt, Korrespondent ARD-Hauptstadtstudio
"Die AfD-Spitze hat selbst Zweifel daran, dass sie eine große Chance hat, den Prozess in Münster zu gewinnen, das hören wir selber aus der AfD-Spitze. Aber es kommt ihr zupass, umso länger dieser Prozess jetzt hier dauert und sich hinzieht, umso mehr können Sie sagen: Seht mal, ganz so eindeutig scheint das ja doch nicht zu sein."
Trotz des Punktsiegs in Münster – die AfD ist in diesen Tagen nervös. Altenburg in Thüringen, Bürgersprechstunde mit Parteivorstand Stephan Brandner. Die Anhänger machen sich Sorgen.
"Mir tut das unheimlich weh, dass Sie sich alle Mühe geben, sie sind hier die größte Friedenspartei, und ich weiß überhaupt nicht, wie das zusammenpasst, wie man das überhaupt nur wagen kann, Ihnen hier Nazi und alles vorzuwerfen."
"Besteht die Möglichkeit jetzt, im Wahljahr oder vor der Wahl, die AfD zu verbieten?"
Für Brandner ist klar: Die Vorwürfe gegen die AfD seien allein politisch motiviert.
Stephan Brandner (AfD), stellv. Parteivorsitzender
"Wenn man sich unsere Programmatik, unsere Personen, unsere Äußerungen, unsere Arbeit in den Parlamenten und so weiter anschaut, ist es eigentlich völlig … Es gibt keine absurdere Debatte, als darüber nachzudenken, ob die AfD verfassungsfeindlich, verfassungswidrig oder verbotswürdig wäre. Das ist völliger Quatsch, absoluter Quatsch."
Wirklich? Allein in diesem Gutachten, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, listet der Verfassungsschutz auf mehr als 1.000 Seiten Hinweise für den rechtsextremen Charakter der AfD auf.
Es geht vor allem um folgende Punkte:
Björn Höcke (AfD), Landesvorsitzender Thüringen (02.12.2022)
"Wenn ich durch unsere Städte gehe, dann denke ich immer, das was ich hier sehe, müsste ich eigentlich mit dem Begriff Umvolkung beschreiben können, aber Umvolkung darf ich nicht sagen, weil ich dann noch eine weitere Seite im Verfassungsschutzbericht habe. Wir Deutschen sollen ersetzt werden, liebe Freunde, und das dürfen wir nicht zulassen!"
Völkisches Denken ist bei Björn Höcke und in der AfD allgegenwärtig. Die Deutschen seien durch Einwanderung in ihrer Existenz bedroht, Menschen mit Migrationsgeschichte seien höchstens "Passdeutsche", aber keine echten Deutschen.
Eine verfassungswidrige Unterscheidung, sagt der Jurist und AfD-Experte Hendrik Cremer.
Hendrik Cremer, Deutsches Institut für Menschenrechte
"Nach dem Grundgesetz ist Deutscher, wer deutsche Staatsangehörigkeit hat. Punkt. Die AfD nimmt sich heraus, selber definieren zu können, wer Deutscher ist und wer nicht. Und das auf der Grundlage eines national-völkischen, rassistischen Menschenbildes. Und das ist ganz klar mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren."
Kaum jemand in der AfD trägt den völkischen Nationalismus so offen zur Schau wie Maximilian Krah, Spitzenkandidat der Partei für die Europawahl.
Krah hat ein Manifest im rechtsextremen Antaios-Verlag veröffentlicht. Darin heißt es, Völker müssten "in ihrem ethnischen Substrat Bestand haben". Und weiter:
"Rechte Politik bekennt sich zum Volk, das mehr ist als die Gemeinschaft der Staatsbürger. (…) Volk ist Schicksal."
Das Volk als Schicksalsgemeinschaft – man kennt den Gedanken aus der NS-Zeit. Genauso wie die Ausgrenzung anderer.
Maximilian Krah (AfD), Abgeordneter Europaparlament
"Wir alle tragen unsere Heimat, unser Erbe, unsere Prägung in uns, auch der Afrikaner, der Syrer trägt es in sich. Er bleibt Afrikaner und Syrer, auch wenn er hier einwandert und harzt."
Für die ersehnte "Homogenität des Volkes" sollen nach dem Willen vieler in der AfD Millionen Menschen das Land verlassen – die oft beschworene "Remigration".
Ohne "wohltemperierte Grausamkeit" werde das nicht gehen, hat AfD-Vordenker Höcke bereits angekündigt.
Der Politikwissenschaftler Markus Linden sieht die Remigrations-Rhetorik der AfD in einer klar rechtsextremen Tradition:
Prof. Markus Linden, Politikwissenschaftler Universität Trier
"Das ist dasselbe Programm, hier etwas verklausuliert, dass die NPD in den 2000ern brachte unter dem Titel Heimreise statt Einreise. Also Remigration, das ist die zentrale identitäre Forderung. Und die läuft darauf hinaus, dass man letztlich alle Menschen muslimischen Glaubens aus diesen verschiedenen völkisch gedachten Gemeinschaften in Europa vertreibt."
Die Würde des Menschen ist unantastbar – so steht es im 1. Artikel des Grundgesetzes. Und zwar jedes Menschen, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe.
Zu Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré aber fiel AfD-Spitzenmann Krah Anfang des Jahres dieser Kommentar ein:
"Wer ethnische Afrikaner und Afghanen in die Regierung nimmt, macht die Regierung auch kulturell afrikanischer und afghanischer."
Und Krah fügt hinzu:
"Natürlich ist Korruption korreliert mit Kultur und Kultur mit Ethnie"
Wohlgemerkt, Touré ist Deutsche, in Neumünster geboren und aufgewachsen.
Krah hat den Tweet mittlerweile gelöscht. Wie gängig aber Rassismus in der AfD ist, zeigt auch das Beispiel des Kreisverbands Böblingen. Der verbreitet auf Tiktok eine Benjamin-Blümchen-Parodie. Als Elefant "Grenzjamin" wird der gerufen, weil sich ein "Asylbetrüger" an Zootieren vergeht.
"Hilf uns Grenzjamin, der illegale Migrant hat unsere Freunde angegriffen" – "Auf frischer Tat ertappt, Freundchen."
Der gewalttätige Migrant – dargestellt als rassistische Karikatur – wird von Grenzjamin abgeschoben.
"Ich hab gar nichts gemacht, gar nichts."
Auf unsere Anfrage hin erklärt der Kreisverband, das Thema Abschiebung sei "für Kinder und Jugendliche essentiell". Die Polizei in Ludwigsburg hat unterdessen gegenüber Kontraste strafrechtliche Ermittlungen wegen dieses und weiterer Clips angekündigt.
Vorsitzender des Kreisverbandes ist nicht irgendwer, sondern Markus Frohnmaier, Chef der AfD in Baden-Württemberg.
Immer wieder werden aus der AfD demokratische Mitbewerber als "Systemparteien" verunglimpft - ein Kampfbegriff aus der Weimarer Zeit. Die Bundesrepublik wird diffamiert.
Björn Höcke (AfD), Landesvorsitzender Thüringen (17.06.2018)
"Der Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie wabert durchs Land."
Eng damit verbunden: Umsturz-Phantasien und der Ruf nach Abrechnung. Führende AfD-Funktionäre drohen ganz offen der demokratisch gewählten Bundesregierung:
Jörg Urban (AfD), Landesvorsitzender Sachsen (8.12.23)
"Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk und dann Gnade euch Gott!"
Hans-Thomas Tillschneider (AfD), stellv. Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt
"Wenn wir eine Regierung haben, die gegen uns Krieg führt, dann führen wir Krieg gegen diese Regierung. (…) Es muss jede Bundesregierung, die aus Altparteien gebildet wird, vertrieben werden, denn wir sind gekommen, diese Gestalten aus ihren Sesseln zu vertreiben."
Hendrik Cremer, Deutsches Institut für Menschenrechte
"Ja hier kommt die ganze Demokratiefeindlichkeit der AfD zum Ausdruck. Sie duldet keine anderen Parteien neben sich. Sie vertritt einen totalitären Anspruch."
Die Geschichte der AfD ist die einer Radikalisierung. Björn Höcke, Gallionsfigur der Rechtsausleger, sollte 2017 aus der Partei ausgeschlossen werden. In internen AfD-Gutachten wurde ihm eine "Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus" attestiert.
Alice Weidel war damals für den Ausschluss, heute macht die Parteivorsitzende demonstrativ mit Höcke Wahlkampf. Selbst wenn der formal "nur" Landesvorsitzender in Thüringen ist – vielen gilt der Rechtsextremist als heimlicher Herrscher in der Partei.
Martin Schmidt, ARD-Hauptstadtkorrespondent
"Diejenigen, die über eine Ideologie verfügen in der AfD und über eine klare Idee, wo das Ganze hingehen soll, sind die Extremisten. Und alle anderen stellen sich ihnen auch nicht mehr in den Weg. Also die, die noch eine andere Vorstellung mal hatten, wo diese Partei hingehen könnte, die sind alle nicht mehr da, die haben alle verloren."
Der jüngste Parteitag zur Europawahl war eine Machtdemonstration des Höcke-Lagers: Nicht nur Krah an der Spitze, fast alle gewählten Kandidaten können zu seinen Unterstützern gezählt werden. Die Tonlage – radikal wie selten.
Petr Bystron (AfD), Bundestagsabgeordneter
"Aus Brüssel kommt das Gift, dort werden von den Globalisten still und heimlich die Vorgaben gemacht."
Dimitrios Kisoudis, AfD
"So lange knien wir nieder vor einem afro-amerikanischen Drogendealer und stammeln "Black lives matter". Schluss damit, wir wollen wieder aufrecht gehen!"
Peter Junker, AfD
"Schützen wir das Beste, was wir haben, unsere Kinder, unseren Nachwuchs. Schützen wir sie vor Perversitäten, vor Abartigkeiten, vor staatlich geduldeten Kinderfickern."
Wegen seiner Rede wurde Peter Junker übrigens mittlerweile rechtskräftig wegen Volksverhetzung verurteilt – er ist damit vorbestraft.
Martin Schmidt, ARD-Hauptstadtkorrespondent
"Wir haben es auf dem Europa Parteitag gesehen, dass man von allen, die sich dort zur Wahl gestellt haben, mittlerweile sich getraut hat, Dinge im Mikrofon offen zu sagen, die man lange Zeit nur in geschlossenen Chat-Gruppen vielleicht von sich gegeben hat. Insofern ist das für den Verfassungsschutz ein sehr Leichtes, sagen zu können, wie sehr sich diese Partei da weiter radikalisiert hat und wie sehr das zum Mainstream geworden ist in der AfD."
Auch wenn die AfD ein Urteil gestern noch einmal verhindern konnte: Vieles spricht dafür, dass die Beobachtung der Partei bestätigt wird – und bald wohl auch die Einstufung als "gesichert rechtsextrem" folgt.