Schweinehaltung in Deutschland 2024. Bild: IMAGO/diebildwerft
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Sachsen-Anhalt - Misshandlung in der Ferkel-Zucht

Mitarbeiter, die Ferkel quälen und sie sogar totprügeln. Kontraste wurden Bilder aus dem Innersten eines Ferkel-Zuchtbetriebs in Sachsen-Anhalt zugespielt, die offenbar massive Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zeigen. Wieso kommt es immer wieder zu solchen Skandalen in großen Tierhaltungsbetrieben? Viel zu einfach wird es den Betrieben gemacht, sagen Kritiker, viel zu selten fänden Kontrollen statt - und fordern strengere Regeln. Kontraste auf Spurensuche eines neuen Schweineskandals.

 
Beitrag von Hannah Clement, Pune Djalilevand und Carla Spangenberg

Anmoderation: Dass unser Schnitzel nicht von einem Bilderbuch-Ferkelchen wie diesem hier stammt - dass das Leben der meisten Schweine in Industriebetrieben abläuft - und so gar nichts von Bullerbü hat - ist wohl allen klar. Genauer wollen das vielleicht einige auch nicht wissen. Aber wir finden: Das sollten sie gesehen haben. Denn dieser Ferkelzucht-Betrieb in Sachsen-Anhalt - aus dem wir exklusive Bilder haben - ist eine echte Schweine-Hölle.

Dorothea Frederking, Bündnis 90/Die Grünen, Landtagsabgeordnete Sachsen-Anhalt

"Ohhh, das ist keine tierschutzgerechte Tötung."

Dorothea Frederking hat eigentlich schon viel gesehen. Die grüne Landtagsabgeordnete beschäftigt sich seit Jahren mit Tierschutzverstößen.

Dorothea Frederking, Bündnis 90/Die Grünen, Landtagsabgeordnete Sachsen-Anhalt

"Es ist das erste Mal, dass ich so einen harten Umgang mit Tieren sehe. So eine Tierquälerei und offensichtlich – die Gesichter sind zwar verpixelt – aber man kann zum Teil den Mund sehen. Die Mitarbeiter lachen.

Über vier Monate lang hat ein Aktivist der Tierschutzorganisation Animal Equality in einem Ferkelzuchtbetrieb in Kleindemsin in Sachsen-Anhalt gearbeitet und undercover gefilmt. So sind Bilder aus dem Alltag in der Ferkelproduktion entstanden, die Abgründe offenbaren – über eine Branche, die sich offenbar ungern vom Gesetz stören lässt. Wie kann das sein?

Wir treffen den Insider.

Insider

"Am ersten Tag konnte man schon sehen, dass die Schweine nicht als Lebewesen betrachtet werden, sondern nur als Objekte."

Die Videoaufnahmen entstehen im Sommer bis Winter 2023. Tiere werden wahllos umhergeworfen, getreten, geschlagen oder als Spielzeug, zum Zeitvertreib genutzt.

Insider

"Er malt das Ferkel an und der andere hält dem Tier den Mund zu, weil es sehr laut schreit. Die finden das offenbar witzig."

Im Betrieb werden Ferkel wie am Fließband produziert. Der Platz so eng, dass sich die Mutterschweine kaum bewegen können.

Werden die Tiere krank oder verletzt müssen sie fachgerecht getötet werden.

Insider

"Normalerweise sind die Tiere bewusstlos, dann gibt es einen Schnitt am Hals, damit sie ausbluten. Aber aus irgendeinem Grund hat er hier das Ferkel, das wahrscheinlich eine Woche alt war, einfach genommen und ihm mit bloßen Händen das Genick gebrochen".

Ob dieses Tier noch gelebt hat, geht aus den Aufnahmen nicht klar hervor.

Wir würden gerne mit dem örtlichen Veterinäramt über die Zustände in dem Betrieb sprechen. Doch die sagen einem Interview ab.

Wir zeigen die Aufnahmen Kai Braunmiller, der Tierarzt leitet das Veterinäramt in Bayreuth.

Kai Braunmiller, Landesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz, Bayreuth

"Da würde unsere Staatsanwaltschaft hart durchgreifen, wenn sie solche Bilder sehen. Das ist eher in Richtung Rohheit – ein besonders schwerer Straftatbestand. Wenn ich so mit Tieren umgehe."

Verantwortlich für den Betrieb in der fraglichen Zeit ist die Demva GmbH.

Wir möchten mit dem Verantwortlichen sprechen. Als wir auf dem Gelände eintreffen, wird die Tür abgesperrt.

"ARD Kontraste, wir würden gerne mit XXXX sprechen…"

Hier möchte niemand mit uns sprechen.

Schriftlich heißt es

"Aus Sicht der Demva sind das inszenierte Bilder, extra für eine Kamera produziert."

Zu den von uns vorgelegten Bildern, bei denen Ferkeln mutmaßlich das Genick gebrochen wird, heißt es von Demva:

"Dieses Ferkel sei bereits längere Zeit tot, das sei an der Leichenstarre erkennbar."

Und:

"Bei uns herrscht eine Null-Toleranz Politik und daher werden wir gegen (…) mittlerweile Identifizierte Personen Strafanzeige erstatten."

Die Demva GmbH teilt aber auch mit: Eine Person sei bereits im Jahr 2023 entlassen worden.

Wir finden heraus: Bis Ende Juli 2023, also kurz bevor der Insider die Missstände dokumentiert hat, war die Demva der LFD Holding GmbH unterstellt.

Deutschlands größtem Ferkelerzeuger und Marktführer. Nach eigenen Angaben produziert der Konzern 4.000 Ferkel – pro Tag.

Die LFD Holding ging aus dem Straathof-Imperium hervor. Adrianus Straathof – der sogenannte Schweine-Baron ignorierte das Tierschutzrecht so massiv, dass ihm schließlich vor zehn Jahren verboten wurde, Tiere zu halten. Damals bundesweit einmalig.

Wie kann es sein, dass es immer wieder zu gravierenden Verstößen in den großen Schweineställen kommt? Zuständig für die Kontrollen sind die Länder. Eine bundeweite Kontraste Abfrage ergab, dass die Quote stark variiert. So wurden 2022 in Niedersachsen nur sechs Prozent der kontrollpflichtigen Betriebe auch wirklich kontrolliert. In Rheinland-Pfalz 14 Prozent und in Sachsen knapp 42 Prozent. Sachsen-Anhalt rangiert mit 30 Prozent im oberen Mittelfeld.

Kontrollen seien nicht häufig und effektiv genug, sagt Dorothea Frederking.

Dorothea Frederking, Bündnis 90/Die Grünen, Landtagsabgeordnete Sachsen-Anhalt

"Die Veterinärbehörden versagen zum einen, weil sie riesige Tierhaltungsanlagen gar nicht kontrollieren können. Zum anderen haben sie immer noch ein mangelndes Problembewusstsein für tierschutzrechtliche Verstöße. Und es gibt ein ungleiches Kräfteverhältnis zwischen unterbesetzten Behörden und riesigen Tierfabriken – wie ehemals Straathof – die gleich mit einer ganzen Schar von Anwälten kommen und sich den Anordnungen widersetzen."

Dass die Behörden den Großbetrieben nicht gewachsen sind, räumt auch der Veterinäramtsleiter Kai Braunmiller ein.

Kai Braunmiller

Beim richtigen Großbetrieb brauchen sie 20 Personen und das Amt hat vielleicht fünf sechs. Also das ist dann auch schwierig.

Kontraste

"Man verlässt sich darauf, dass Betriebe wie der, den wir gerade sehen, sich an die Regeln halten?"

Kai Braunmiller

"Ja."

Kontraste

"Kann das funktionieren?"

Kai Braunmiller

"Nein"

Die Kontrollen sind mangelhaft, die Veterinärämter unterbesetzt. Hinzu kommen teilweise lasche Vorgaben der Politik.

Schweine neigen dazu, einander die Schwänze anzuknabbern. Als Stressreaktion oder aus Langeweile. Deshalb schneiden viele Betriebe die Schwänze der Ferkel ab.

Dem Insider geht der Schrei der Tiere nicht mehr aus dem Kopf.

Insider

"Es ist ein sehr hoher Schrei, als ob sie wegrennen wollten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlen muss – diese heiße Klinge, die ihre Ringelschwänze abschneidet."

Auf unsere Anfrage antwortet das Unternehmen, das Kupieren der Schwänze geschehe nach gesetzlichen Bestimmungen.

Tatsächlich ist das mit besonderer Genehmigung in Deutschland immer noch erlaubt – obwohl eine EU-Richtlinie seit 30 Jahren ein Verbot vorsieht und andere Länder das längst umgesetzt haben.

Auch das neue Tierschutzgesetz, das gerade in Berlin verhandelt wird, will hier voraussichtlich nachschärfen, aber nicht konsequent verbieten.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Franziska Kersten möchte mehr Tierschutz, sorgt sich aber auch um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schweineindustrie.

Franziska Kersten, SPD, Bundestagsabgeordnete

"Wenn Sie alles auf einmal durchziehen würden, dann wäre vielleicht die Schweinehaltung komplett verschwunden aus Deutschland. Dann würden wir nur noch Schweine aus dem Ausland bekommen. Und das will auch keiner. Wir müssen hier Wertschöpfung sichern und wir müssen auch hier Kreisläufe schließen."

Wertschöpfung sichern – im Schweine-Exportland Deutschland.

Animal Equality hat nun Strafanzeige gestellt gegen die Verantwortlichen und einige Mitarbeiter wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz. Die Staatsanwaltschaft Stendal hat Ermittlungen eingeleitet.

Laut einer Untersuchung kommt es bei Tierschutzverstößen in der Landwirtschaft nur in sechs Prozent der Fälle zu einer Anklage.

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