- Einheitsfront gegen Arbeitnehmer: Bundesregierung, Arbeitgeber und DGB gegen Klein-Gewerkschaften

Auch wenn der geplante Streik die Gewerkschaft der Lokführer vorerst abgewendet ist, die Arbeitgeberverbände und die CDU stören sich seit langem am Einfluss der kleinen aber mächtigen Branchengewerkschaften.

Wenn GdL, Cockpit oder Marburger Bund streiken, sind oft Hunderttausende betroffen. Seit 2010 wollen Arbeitgeber und DGB den Einfluss der Klein-Gewerkschaften deshalb beschneiden. Jetzt setzt die große Koalition die Forderung von DGB und Arbeitgebern mit dem so genannten Tarifeinheitsgesetz um.

Wenn Sie in den nächsten Tagen Zug fahren wollen, dann haben Sie noch mal Glück gehabt: Die Lokführer wollen vorerst nicht streiken. Andernfalls hätte wieder halb Deutschland lahm gelegen, Millionen Reisende wären betroffen. - Tatsächlich verfügen die kleinen Sparten-Gewerkschaften wie die der Lokführer, der Piloten oder der Krankenhausärzte über erstaunliche Schlagkraft. Genau deshalb soll die Macht der Kleingewerkschaften jetzt zerschlagen werden. Susanne Katharina Opalka und Sascha Adamek trafen fassungslose Mitglieder.

Bernd Hohmann
Gewerkschaft der Lokführer

“Man reißt uns im Grunde genommen unsere Existenzgrundlage weg. Man nimmt uns unsere Berechtigung als Gewerkschaft! Die sagen einfach, ja…wir können Bowlingabende organisieren, Kabarett, Skatabende könnt ihr gerne mal organisieren, aber ihr seid nicht mehr in der Lage, oder ihr sollt nicht mehr in der Lage sein, für die Interessen eures Personals einzutreten, zu erstreiken, zu erkämpfen.“

Der Lokführer-Gewerkschafter meint damit Angela Merkel und Sigmar Gabriel. Union und SPD wollen kleine Berufsgewerkschaften entmachten. Sie sollen nicht mehr, wie die Lokführergewerkschaft GDL im Jahr 2007, das ganze Land lahmlegen können und Tausende Reisende und die Wirtschaft in ihren Arbeitskampf hineinziehen.

Doch die Lokführer wollen auf ihre eigene Gewerkschaft nicht verzichten. Gerd Kraetke hat sich bewusst für die kleine Gewerkschaft GDL entschieden, weil er sich in seinem Arbeitsalltag hier gut vertreten fühlt:

Gerd Kraetke
Lokführer

“Ja das ist eben sehr speziell, Lokführer, Schichtbetrieb, Ausbildung, und ich sag mal es ist ziemlich speziell und von ner großen Gewerkschaft hab ich mich nicht vertreten gefühlt, deshalb bin ich damals in die GDL eingetreten.“

Eigentlich gibt es für die Beschäftigten bei der Bahn zwei Gewerkschaften: die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, kurz EVG, und die kleinere GDL. Die will jetzt ein sehr spezielles Berufsrisiko der Lokführer absichern, das andere Arbeitnehmer so nicht haben. Jeder Lokführer nämlich erlebt im Durchschnitt seines Arbeitslebens auf dem Gleis zwei Selbstmorde.

Gerd Kraetke
Lokführer

“Ich hatte auch schon mehrere Suizide. Ich bin auch schon danach mal richtig krank geworden, bin zur Kur gefahren und es ging dann wieder gut. Aber ich hab auch Kollegen kennen gelernt, die haben es nicht mehr geschafft, aufzusteigen.“

Für die berufsunfähigen Kollegen hat die Bahn jetzt der GDL eine Gehaltsgarantie angeboten. - die Bahngewerkschafter wie hier in Frankfurt/Oder können zufrieden sein. Allein die Androhung eines Streiks hat gewirkt.

Doch es könnte das letzte Mal sein, dass die kleine Gewerkschaft es mit einem großen Arbeitgeber aufnimmt. Denn im Koalitionsvertrag steht - ganz harmlos, man wolle, Zitat:
„die Tarifeinheit gesetzlich regeln."

„Einheit" heißt: In jedem Unternehmen darf nur eine Gewerkschaft die Interessen der Arbeitnehmer mit allen Rechten vertreten.

Im Fall der Lokführer bedeutet das. In der GDL sind zwar 80 Prozent der Lokführer organisiert, aber die überwiegende Mehrheit der übrigen Angestellten bei der DB AG ist bei der EVG-Gewerkschaft organisiert. In Zukunft wären die Lokführer raus und nur die EVG wäre noch am Verhandlungstisch mit dem Arbeitgeber.

Das blüht nicht nur den Lokführern, sondern auch anderen kleinen Berufsgewerkschaften: da wären gut 8.000 Piloten in der Vereinigung Cockpit, 10.000 Flugbegleiter bei UFO, 100.000 Krankenhausärzte im Marburger Bund. Sie alle sind klein, aber schlagkräftig: So brachten einmal 40 Mitglieder der Gewerkschaft der Flugsicherung GDF den gesamten Betrieb des Frankfurter Flughafens zum Erliegen.

Solche Arbeitskämpfe per gesetzlich verordneter Tarifeinheit abzuschaffen, davon hält der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler nichts. Er ist Sozialdemokrat und seit Jahren Gewerkschaftsmitglied. Däubler sieht in den Koalitionsplänen einen Verstoß gegen Artikel 9 des Grundgesetzes. Der garantiert die freie Betätigung aller Gewerkschaften - egal ob klein oder groß.

Prof. Wolfgang Däubler
Arbeitsrechtler, Universität Bremen

"Wenn man nur einen Tarifvertrag hat, und das ist der Tarifvertrag der Mehrheit, dann ist die Minderheit auf 0 gebracht. Und das lässt sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren.“

Trotz dieser Bedenken unterstützt sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund seit Jahren das Projekt Tarifeinheit. Gemeinsam entwarfen DGB-Chef Michael Sommer und der damalige Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt 2010 ein Papier, wie die so genannte Tarifeinheit gesetzlich geregelt werden soll. Bei der Kanzlerin stießen sie damit auf offene Ohren.

Angela Merkel (CDU)
Bundeskanzlerin, 16.10.2012

“Ich möchte, dass wir da zu einer Lösung kommen und insofern sollten wir das noch mal in Angriff nehmen. Hier gibt es ja eine seltene Harmonie von BDA und DGB, die wollen wir dann auch voll auskosten.“

Bei so viel Harmonie wollte auch die SPD nicht fehlen. Nach der Bundestagswahl gab es im November vertrauliche Runden mit Andrea Nahles von der SPD, heute Bundesarbeitsministerin, dem DGB-Boss Michael Sommer, Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer des Bundes Deutscher Arbeitgeber, Michael Vassiliades, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie und Energie und IG-Metall-Justitiar Thomas Klebe. Das Thema: die Tarifeinheit auf den Weg bringen. Nur die Gewerkschaft Verdi blieb den Treffen fern, weil sie das Projekt grundsätzlich ablehnt.

Die Frauen und Männer an der Basis der kleinen Lokführergewerkschaft wollen gar nicht glauben, dass die Lobbyisten die Tarifeinheit jetzt sogar in den Koalitionsvertrag geschleust haben. Und das mit Zustimmung der SPD!

Roland Parnitzke
Gewerkschaft der Lokführer

„Ich darf es sagen, ich war eigentlich Stammwähler der SPD, ich war wie gesagt, weil das ist ein Unding, wie man so was als Partei machen kann, was man sich dabei denkt, wie man sich so vom Arbeitgerberverband und von den DGB-Gewerkschaften so kaufen lassen kann.“

Was auch immer die Arbeitgeber befürchten - Verhältnisse wie in England zu Margret Thatchers Zeiten wird es in Deutschland nicht geben - bei uns wird weitaus weniger gestreikt, als in anderen europäischen Ländern.

 

Beitrag von Sascha Adamek und Susanne Opalka