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„Die sind ja dement und merken nichts!", so denken noch immer viele Pfleger in deutschen Pflegeheimen. Die Zahl der Demenzkranken hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Ihre Pflege und Betreuung ist aufwendig, da viele Patienten immer noch hochmobil sind. Um den Personalaufwand zu reduzieren, beantragen viele Kliniken Patienten zwangsweise fixieren zu lassen. Die Richter genehmigen meist nach Aktenlage, für die Betroffenen sind die Folgen dramatisch: Immer wieder kommt es zu Todesfällen.
Stellen Sie sich nur für einen Moment mal die Situation vor, Sie wären Tag und Nacht gefesselt, an ein Bett, mit einem dicken Gurt. Sie können sich nicht bewegen, niemand ist da, der Ihre Hilfeschreie hört. - Ein grausames Gefühl muss das sein, derart ausgeliefert zu sein. Doch genau das passiert jeden Tag in deutschen Altenheimen tausenden Menschen, die an Demenz leiden. Axel Svehla berichtet.
Alte Leute, die an Demenz erkranken, haben ein Gesicht - wie das von Ingeborg Bornhold. Die 73 jährige wohnt im St.Vincent Heim in Garmisch. Ihr Vormund erlaubte uns, sie so zu zeigen, wie sie ist - verwirrt und unruhig. Frau Bornhold hat alle Regeln und Vorschriften des Heims vergessen, ihre innere Unruhe treibt sie um: jeden Tag, jede Nacht. Für ihre Pflegerin ist das ganz selbstverständlich.
Jutta Ehinger
Pflegedienstleisterin St. Vincent Altenheim, Garmisch Partenkirchen
„Es ist so, dass die Frau Bornhold eben sehr demenzkrank ist und das im fortgeschrittenen Stadium und deshalb eine große Unruhe hat. Sie geht vom Bett raus, sie geht wieder rein, sie läuft raus, läuft wieder rein, und ist damit in ihrer Freiheit nicht eingeschränkt.“
Keine Einschränkung und völlige Bewegungsfreiheit für demente Bewohner in Altenheimen - das ist eine seltene Ausnahme in Deutschland. Denn die Pflege Dementer ist schwierig und nervenaufreibend, sie stiften Unruhe und überfordern das Pflegepersonal.
Rund 60 % aller Heimbewohner gelten mittlerweile als verwirrt. Gegen Bewohner, die aus der Reihe tanzen, gibt es jedoch scheinbar bewährte Mittel: man sperrt sie ein, man fesselt sie, man stellt sie ruhig. Genannt werden diese Gewaltmethoden „Freiheitsentziehende Maßnahmen".
Im St.Vincent Heim sind Bettgurte und Fesseln allerdings längst in der Abstellkammer verschwunden! Der Pfleger kennt die Ängste der Bewohner und die Risiken der Fixierung.
Karl Berndt
Fachpfleger St. Vincent Altenheim Garmisch Partenkirchen
„Kein Mensch möchte den ganzen Tag mit der Angst rumlaufen: heute Abend werde ich wieder im Bett fixiert, das sind unmögliche Sachen. Ich hab das auch schon erlebt, dass die nicht gewissenhaft zugemacht sind und deshalb ist der Bauchgurt meines Erachtens eine so gefährliche Sache.“
Mehr als das: Wer in einem Gurtsystem gefesselt ist, kann sich erhängen, sich zu Tode quetschen, ersticken. Die renommierte Rechtmedizinerin Andrea Berzlanovich untersuchte alle Todesfälle, die sich bei Gurtfixierungen ereignet hatten - und kommt zu einem unglaublichen Befund.
Prof. Dr. Andrea Berzlanovich
Medizinische Universität Wien
„Von den 26 Betroffenen, die in den Gurtsystemen aufgefunden worden sind, sind 22 auf Grund der fixierenden Maßnahmen verstorben, sprich: wenn sie nicht fixiert gewesen wären, würden sie vermutlich heute noch leben.“
Doch trotz aller Warnungen - in deutschen Alten - und Pflegeheimen wird weiter fixiert. Tendenz steigend. Da Demenzbewohner schwer zu bändigen sind, wird im Zweifelsfall zum Gurt gegriffen, schnell und oft das Bettgitter hochgezogen.
Prof. Sascha Köpcke hat in den letzten Jahren stichprobenartig die Pflegepraxis in Hamburger Altenheimen untersucht. Sie bestätigen einen bundesweiten Trend - alte Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken - das ist Alltag in den Heimen, keine Ausnahme.
Prof. Sascha Köpke
Institut für Sozialmedizin, Universität Lübeck
„Die häufigste Maßnahme sind sicherlich Bettgitter, die in der Altenpflege in der Regel an den Betten schon angebracht sind, Gurte, die wir eher im Kopf haben, sind auch an der Tagesordnung muss man sagen, seltener als Bettgitter, wir sprechen hier von einer Größenordnung von 25 % der Bewohner, die Bettgitter haben in Altenheimen. Freiheitseinschränkende Maßnahmen sind schädlich, sind ein gravierender Eingriff in das Menschenrecht und sind deshalb nicht angemessen.“
Trotzdem werden demente Bewohner weiterhin fixiert. Und das hat scheinbar gute Gründe: Denn wen man in seinem Rollstuhl oder Bett festhält, der fällt dafür nicht hin, man schützt ihn: er irrt nicht durch die Gegend und richtet keinen Schaden an. In der Bewegung einschränken: das ist zwar unschön, aber nötig. Das meinen viele - mit schweren Folgen für die Bewohner.
Jutta Ehinger
Pflegedienstleisterin St. Vincent Altenheim, Garmisch Partenkirchen
„Wenn wir Frau Bornhold hinter einem Bettgitter eingesperrt hätten, hätte sie das Bettgitter nicht mehr verlassen können, sie wäre vermutlich drüber gestiegen, wäre drüber gefallen. Wir hätten sie fixiert an Füßen und Händen, das Problem, dass sie früher oder später wund liegt, dass ihre Muskulatur abbaut, ihren Gleichgewichtssinn nicht mehr braucht, sie wird träger, apathisch, sie wird nicht mehr essen oder trinken, weil sie keine Muskulatur mehr hat. Ich sag immer: die Frau wäre mit Sicherheit lebendig begraben. Das ist Folter. Ein Mensch ins Bett zu fesseln ist für mich Folter.“
Wer fixiert ist, muss stärker überwacht werden. Wer einmal fixiert war, leidet länger Die Folge: mehr Pflegeaufwand, mehr Personal ist nötig und verursacht höhere Kosten. Wer seine Bewohner festbindet, spart kein Personal ein.
Geht es auch anders? Ja, denn es gibt bewährte Möglichkeiten, die Bewohner zu schützen und im Heim zu halten: Kopfschützer zum Beispiel, Hüftprotektoren und Bewegungsmelder, die Alarm schlagen, wenn jemand das Heim verlassen will.
Viel wichtiger aber: gebrechliche alte Menschen, unruhig und manchmal verwirrt können körperlich und geistig aktiviert werden. Sie nehmen an der Gemeinschaft teil, stürzen seltener, sind beweglicher, lebendiger. Und gewinnen damit zurück, was ihnen jedes Bettgitter und jeder Gurt verleiden würde: Lebensfreude. Selbstbestimmung.
Wer sich für sich für Gurt und Gitter stark macht, sieht in Bewohnern von Altenheime Insassen - und in Altenheime Verwahranstalten, in denen nur Befehl und Gehorsam regieren.
Jutta Ehinger
Pflegedienstleisterin St. Vincent Altenheim, Garmisch Partenkirchen
„Es darf nicht das Problem sein, um 8 h zu frühstücken, um 12 Mittag zu essen, um 7 Uhr zu Abend zu essen und dazwischen muss gewaschen werden; muss, muss er, muss er. Ich sage immer: ein Bewohner muss eigentlich gar nichts, ein Bewohner soll hier sein Leben leben wie er auch daheim lebt.“
Wie also wollen umgehen mit der Würde unserer Alten?
Beitrag von Axel Svehla