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Mit dem Entwurf zur Aufklärung über sexuelle Vielfalt an den Schulen in Baden-Württemberg hat die rot-grüne Landesregierung einen Sturm der Entrüstung bei konservativen Christen hervorgerufen. Sie sehen das traditionelle Familienbild gefährdet.
Das Wort "schwul" gehört auf deutschen Schulhöfen noch immer zu den gängigsten Beschimpfungen. Baden-Württemberg will dem nun entgegen wirken. Die rot-grüne Landesregierung möchte in einem neuen Bildungsplan für Schulen mehr Akzeptanz gegenüber sexueller Vielfalt verankern – und hat damit zum eigenen Erstaunen bundesweit! einen Sturm der Entrüstung entfacht! Am Wochenende mobilisierten die Gegner rund 1.000 Menschen zu einem Protestmarsch durch Stuttgart.
Demonstranten
"Schützt unsere Kinder, schützt unsere Kinder, schützt unsere Kinder."
"Ich habe eine kleine Tochter, und ich möchte nicht, dass sie in dieser Pornographie-Welt aufwächst."
"Die werden als Kinder schon dahin geführt, dass Homosexualität und Heterosexualität eine Ebene ist. Und das stimmt nicht!"
"Das sind genauso gute Menschen, wie Sie und ich!"
"Aber sie sollen die Ruhe geben!"
"Wir als heterosexuelle Mehrheit fühlen uns diskriminiert. Eltern, hier geht es um Leben und Tod!"
"Leben und Tod"?! Solche zweifelhaften Parolen bestimmen mittlerweile die Diskussion um die "sexuelle Umerziehung", wie die Gegner das nennen. Im Internet unterschrieben sogar mehr als 192-tausend Menschen eine Petition gegen den Bildungsplan. Aber wogegen wird da eigentlich so heftig protestiert? Lisa Wandt, Axel Svehla und Markus Pohl haben es sich genauer angesehen.
Unterrichtsbeginn am Diesterweg-Gymnasium in Berlin-Wedding. Für ihren Englisch-Leistungskurs hat Lehrerin Stefanie Rössel ein Video der jüngsten Grammy-Verleihung vorbereitet. Ein Rap des Sängers Macklemore gegen die Diskriminierung Homosexueller.
Die Elftklässler sollen das Lied übersetzen.
Schüler
„Macklemore sagt, dass wir ein sehr großes Problem in der Gesellschaft haben und zwar weil das Wort schwul mit einem negativen Bild assoziiert wird.“
„Faggot wird gleichgesetzt mit Schwuchtel sozusagen und Schwuchtel ist halt eine Beleidigung und das darf man halt nicht so sagen.“
Sexuelle Vielfalt als Thema auch im Englischunterricht – für Stefanie Rössel gehört das zum Bildungsauftrag der Schule.
Stefanie Rössel
Gymnasiallehrerin
„Da geht’s ja nicht darum, wie entsteht Homosexualität, oder ist das vererbbar oder erziehbar, das sind diese Fragen, das kann Biologieunterricht klären. Ich muss hier klären und aufklären darüber, dass das okay ist, und dass das normal ist, dass es dazu gehört, und dass Begehren oder Liebe zwischen gleichberechtigten Erwachsenen keinerlei Hierarchie hat. Das eine ist nicht besser als das andere.“
Was in Berlin längst üblich ist, bringt in Baden-Württemberg jetzt die Gemüter in Wallung. Detlef Holzwarth ist zweifacher Familienvater, Christ und CDU-Mitglied im Kreisverband Rems-Murr. Eigenhändig hat er Unterschriften gesammelt gegen die Pläne, auch im Ländle im Unterricht ganz offen über Schwule und Lesben zu sprechen. Er fürchtet um seinen Nachwuchs.
Detlef Holzwarth
Familienvater
„Ich denke, wenn sich Kinder mit diesem Thema intensiver und mehr auseinander setzen und dort, ich sag’ mal, so Schwellen abgebaut werden, dann wird es mit Sicherheit normaler werden, dass man, ich sag’ mal so, nicht nur Beziehungen mit dem andersgeschlechtlichen Partner, sondern auch mal einfach mit gleichgeschlechtlichen Partnern einfach zum guten Ton ausprobieren kann. Und das würde ich nicht begrüßen. Wir für unsere Familie haben uns für ein traditionelles Familienbild entschieden. Und das möchten wir unseren Kindern als Wert definitiv weitergeben.“
Im Internet werden solche Ängste weiter angeheizt: Selbst ernannte Familienschützer, fundamentalistische Christen und bekannte Rechtspopulisten wettern gegen die vermeintliche "Sex-Indoktrination".
Auslöser der Kampagne: ein Entwurf der grün-roten Landesregierung für den neuen Bildungsplan. Quer durch alle Schulfächer soll die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ verpflichtend gelehrt werden. Homo-, Trans- oder Intersexuelle sollen in die Schulbücher. Dem zuständigen Minister Andreas Stoch geht es vor allem um den Schutz dieser Minderheiten.
Andreas Stoch (SPD)
Kultusminister Baden-Württemberg
„Das ist die Gefahr, die ich sehe, gerade für Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung, dass sie sich mit diesem Merkmal verstecken müssen oder das Gefühl haben, sich verstecken zu müssen, um dadurch nicht in die Gefahr zu geraten, ausgegrenzt zu werden, angegriffen zu werden, ich sage jetzt mal einfach: nicht Teil der Gemeinschaft zu sein.“
So könnte es in Mathematik-Aufgaben bald heißen: „Klaus und Peter wollen heiraten, jeder der 24 Gäste isst zwei Stück Kuchen. Wie viel Kuchen braucht das Paar?“ Droht mit solchen Aufgaben wirklich die sexuelle Umerziehung unserer Kinder, wie die Kritiker meinen?
Professor Martin Lücke entwickelt für Berliner Schulen Lehrmaterialien zur Geschichte der Geschlechterrollen. Er hält das für Unsinn.
Prof. Martin Lücke
Historiker
„Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass eine intensive bildungsmäßige Beschäftigung mit Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit irgendwie dazu führen könnte, dass Schüler in ihrer eigenen sexuellen Entwicklung irgendwelche vermeintlichen Irrwege eingehen. Das ist ein ganz, ganz alter Vorwurf. Der ist über 100 Jahre alt. Da ging es immer darum zu sagen: Na, seid vorsichtig mit Aufklärungsarbeit, das könnte ja die Jugend verderben.“
Tatsächlich war der Widerstand ähnlich groß, als Ende der 60er Jahre Sexualkunde bundesweit eingeführt wurde. Schon damals sahen sich viele Eltern entmündigt.
Archiv
„Ich bin Mutter von zwei Kindern, mein Mann und ich sind durchaus in der Lage unsere Kinder allein aufzuklären.“
„Man soll die Kinder in Ruhe lassen in der Schule. Wenn die soweit sind, dass die wirklich Komplexe kriegen mit dieser Sache, dann kommen die schon zu den Eltern.“
Trotz dieser Proteste hat sich Sexualkunde für Schüler durchgesetzt, auch in Baden-Württemberg. In der Beratungsstelle von „pro familia“ hat die 8. Klasse des Stuttgarter Friedrich-Eugens-Gymnasiums ihr zweites Aufklärungsgespräch. Thema heute: Verhütung – auch bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.
Lehrerin
„Was ist denn mit zwei Männern, die miteinander Sex haben möchten, wie könnten die den verhüten?“
Schülerin
„Kondom?“
Lehrerin
„Mit dem Kondom, genau, da kann man ja auch eine Übertragung von Geschlechtskrankheiten verhindern, weil das Sperma ja im Kondom bleibt und nicht an die Schleimhäute von dem Partner drankommt."
Offene Gespräche über schwule und lesbische Sexualität – die Leiterin von pro familia hält sie für unverzichtbar und wirft den Kritikern Stimmungsmache vor.
Ruth Weckenmann
Leiterin pro familia Baden-Württemberg
„Das sind Menschen, die ihre Vorstellungen von der Welt, wie sie zu sein hat, wie sie anscheinend war – was sie aber eigentlich nie war – einfach durchsetzen wollen. Und die nutzen dieses Thema ‚Bildungsplan’, um eine Anhängerschaft zu generieren. Mit Verunsicherung und mit Schüren von Ängsten.“
Es ist ein Kulturkampf, bei dem auch die AfD mit homophoben Ressentiments zu punkten versucht. Die Partei hat die Petition gegen den Bildungsplan unterstützt. Auch auf ihrem Parteitag in Aschaffenburg treibt die Delegierten das Thema um.
AfD-Delegierte
„Wenn jetzt diese Übungen, ich sag das mal drastisch, so weiter getrieben werden, als Maßstab für die Masse letztlich propagiert werden, dann werden wir bald auf dieser Landkarte verschwunden sein.“
„Schwule und Lesben bekommen keine Kinder, dann sterben wir irgendwann aus!“
„Irgendwo muss einfach mal ein Punkt sein, weil eine neue Minderheit findet sich immer, die Rechte für sich einklagt, und irgendwann geht mir das Schulbuch aus, da haben dann die Minderheiten keinen Platz mehr, dann tut´s mir leid.
Kein Platz für solche Minderheiten – auch auf der Stuttgarter Demonstration, wo christliche Nächstenliebe recht eigenwillig durchgesetzt wurde. Bilder, die deutlich machen, wie weit der Weg zu einer weltoffenen Gesellschaft noch ist.
Beitrag von Lisa Wandt, Axel Svehla und Markus Pohl