- Männer zahlen drauf - beim Kindesunterhalt leben überholte Rollenbilder fort

Der Mann zahlt, die Frau kümmert sich um die Kinder! Auch wenn dieses Rollenbild in der Praxis überwunden scheint, beim Kindesunterhalt lebt es fort. Egal, ob der Vater sich nach einer Trennung zu 30 oder 40 Prozent um seine Kinder kümmert, er zahlt immer 100 Prozent Unterhalt. Jetzt fordern Familienrichter das Unterhaltsrecht flexibler zu gestalten und den Kindesunterhalt gerechter zwischen Väter und Müttern aufzuteilen.

Der Mann arbeitet und zahlt, die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt. Das war bei uns das Rollenbild der 50er Jahre, das wir längst überwunden glaubten. Eigentlich. Doch im deutschen Unterhaltsrecht lebt dieses Klischee munter weiter ! Bei einer Trennung blecht meist der Mann, egal ob er sich um die Kinder kümmert oder nicht. Doch das geht an der heutigen Lebenswirklichkeit in der Regel vorbei. Lisa Wandt und Markus Pohl trafen Väter, die das nicht mehr hinnehmen wollen.

Maximilian Esser
Vater

„Als Vater wird man, zumindest vom Gesetzgeber, allein gelassen. Und alles was man tut, jede Anstrengung, die man tut, die man macht, ja, wird nicht honoriert.“

Für seine beiden Töchter hat Maximilian Esser ein Kinderzimmer eingerichtet. Mehrmals die Woche sind sie bei ihm. Er versorgt sie, lernt mit ihnen, bringt sie zur Schule. Essers Ehe ging vor zehn Jahren in die Brüche, den Kontakt zu seinen Töchtern aber ließ er nie abreißen.

Maximilian Esser
Vater

„Also schon der Begriff ‚Vaterrolle-Einnehmen‘ hört sich so nach Schauspielern an. Das ist keine Rolle, das ist mein Leben! Und das war nie eine Frage, dass ich das,… Da hab ich gar nicht dran gedacht, das nicht zu machen, nicht als Besuchspapa oder irgendwo in der Ferne, sondern eben im gemeinsamen Leben.“

Obwohl Esser viel Zeit und natürlich auch Geld für seine Töchter aufbringt, muss er an seine Ex-Frau den vollen Kindesunterhalt zahlen. Bei seinem Einkommen jeden Monat mehr als 900 Euro.

Maximilian Esser
Vater

„Hätte ich damals gesagt, ich ziehe in eine andere Stadt, ich will die Kinder nicht mehr sehen, ich schreibe zu Weihnachten eine Karte, müsste ich nicht mehr zahlen, im Gegenteil. Die ganzen Kosten, die mit den Kindern verbunden sind und mit der Betreuung, all diese Kosten sind mein Privatvergnügen sozusagen.“

Denn im deutschen Unterhaltsrecht herrscht noch immer das Familienbild der 50er Jahre. Nach einer Trennung bleiben die Kinder bei einem Elternteil, in der Regel der Mutter. Sie betreut die Kinder und erfüllt so ihre Unterhaltspflicht. Der andere Elternteil, also meist der Vater, muss zahlen. Er leistet sogenannten Barunterhalt, ganz egal, ob er sich um die Kinder häufig oder gar nicht kümmert.

Gemeinsam für Kinder und Einkommen zu sorgen, so wie das moderne Familien tun, sieht das Gesetz nach einer Trennung nicht vor. Nur im Ausnahmefall, wenn sich Eltern die Betreuung genau 50:50 teilen, akzeptieren die Gerichte, dass es keine Unterhaltszahlungen gibt. Ansonsten gilt: einer betreut, der andere zahlt. Hildegund Sünderhauf, Professorin für Familienrecht, kritisiert diese Regelung als viel zu starr.

Prof. Hildegund Sünderhauf-Kravets
Familienrechtlerin, Evangelische Hochschule Nürnberg

„Das ist die Ungerechtigkeit. Hier müsste eine Abstufung sein, dass man sagt, ein Elternteil der 40% oder 30% oder 20% betreut, muss entsprechend auch weniger Unterhalt bezahlen, denn er hat hier auch weniger Möglichkeit erwerbstätig zu sein. Er hat Kosten für das Kind. Und der andere Elternteil hat ja auch Entlastung. Natürlich muss der auch das Kinderzimmer bezahlen, wenn das Kind nicht da ist, aber er kann in dieser Zeit arbeiten gehen und selber Geld verdienen. Und das ist etwas, was überhaupt nicht berücksichtigt wird.“

Während Männer sich zunehmend für ihre Kinder engagieren sollen und wollen, zielt das Unterhaltsrecht in die entgegengesetzte Richtung.

Prof. Hildegund Sünderhauf-Kravets
Familienrechtlerin, Evangelische Hochschule Nürnberg

„In der Regel ist das ja so, dass Kinder bei den Müttern leben und von den Vätern weniger betreut werden. Und diese Väter werden durch die Rechtslage überhaupt nicht ermutigt und motiviert, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern, sondern im Gegenteil, sie werden letztendlich ausgebremst, dadurch dass sie trotzdem den vollen Unterhalt bezahlen müssen.“

Ausgebremst, so fühlt sich auch Thomas Weiss. Der Malermeister wollte sich nach seiner Scheidung weiter um die beiden Töchter kümmern - gleichberechtigt mit seiner Ex-Frau. Doch die sperrte sich gegen eine Aufteilung 50 zu 50; Weiss glaubt, um die Unterhaltszahlungen für die Kinder nicht zu verlieren. So zahlt er weiter Alimente - und betreut die Kinder trotzdem fast die Hälfte der Zeit.

Thomas Weiss
Vater

„Was ich früher schon haben wollte, dieses Familiäre, Familie sein, will ich weiter haben. Ich will meinen Kindern hier ein Zuhause bieten. Gutes Beispiel ist: Ich habe mal ein Schreiben von ihrer Anwältin gekriegt, die Kinder sind Gäste bei mir. Also, das war für mich wie ein Herzstoß. Meine Kinder sind keine Gäste bei mir! Die haben hier genauso ihr Zuhause.“

Doch dass engagierte Väter weniger zahlen sollen, stößt beim Verband der Alleinerziehenden auf Widerstand. Das Argument: Der Unterhalt für Kinder reicht ohnehin nicht aus. Und die Betreuung durch die Väter bringe für die Mütter kaum Entlastung.

Edith Schwab
Verband Alleinerziehender Mütter und Väter

„Was sparen Sie sich denn effektiv? Sie sparen sich die Nahrungsmittel, mehr nicht. Dass der andere natürlich einen erheblich höheren Aufwand hat, gar keine Frage. Das sind diese sogenannten Wechselmehrkosten. Sie haben zwei Kinderzimmer, sie haben zwei Ausstattungen und so weiter, alles was damit daran hängt, sicher hat man auch zwei Sätze Klamotten, man hat natürlich Spielsachen, man hat Sportsachen, man trägt ja nicht immer alles von A nach B. Aber der Anspruch des Kindes auf Unterhalt in der ursprünglichen Familie, in der Mutterfamilie sage ich jetzt mal, wird ja dadurch marginal geringer, marginal!“

Im Klartext: Väter wie Thomas Weiss, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, sollen eben draufzahlen. Obwohl er seiner Ex-Frau auch Freiräume verschafft.

Thomas Weiss
Vater

„Ich komm ihr ja entgegen dadurch. Dadurch kann sie arbeiten gehen so wie sie will und verdient ihr Geld, was ihr auch zusteht, sie kann ja tun. Aber sie muss im Gegenzug aber auch eingestehen, mensch, der Kerl muss ja auch mal arbeiten und das alles finanzieren.“

Für den Selbständigen bedeutet die momentane Situation eine dauernde Doppelbelastung. Betreut er seine Töchter, steht sein kleiner Ein-Mann-Betrieb still. Und gleichzeitig muss er jeden Monat das Geld für den Kindesunterhalt erwirtschaften. Ein finanzieller Spagat.

Thomas Weiss
Vater

„Momentan kann ich mir meine Kinder, so wie ich sie betreue seit Jahren, eigentlich gar nicht mehr leisten. Bloß das würde ich nie sagen. Ich würde jetzt nie zu meinen Kindern gehen: Ey, das geht nicht. Ihr könnt jetzt nicht mehr kommen. Ich versuche immer, irgendwie das hinzukriegen. Die Kinder sind hier, aber ich bezahle trotzdem. Ich bezahle dafür eigentlich, dass ich die Kinder sehen darf. Und das kann nicht sein.“

Auch in der Justiz sieht man die Schieflage. Heinrich Schürmann, Vorstand des Familiengerichtstags, mahnt eine Gesetzesänderung an.

Heinrich Schürmann
Familienrichter

„Mit der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung wird ein Rollenbild zementiert, das die Gesellschaft in Wirklichkeit jedenfalls nicht mehr als Leitmodell haben möchte. Es wäre gut, wenn beiden Eltern signalisiert wird, dass sie nach einer Trennung in gleicher Weise für ihre Kinder verantwortlich sind.“

Väter sollen sich um die Kinder kümmern, Familie und Erwerbstätigkeit vereinbar bleiben – so wirbt auch die Politik. An der Unterhaltsregelung aber will man nicht rütteln.

Familienministerin Schwesig verweist auf Anfrage an ihren Kollegen im Justizressort.
Aber Heiko Maas sieht keinen Reformbedarf. Dem Mehraufwand engagierter Väter, heißt es aus seinem Haus, werde „von der Rechtsprechung bereits heute Rechnung getragen“.

Angeblicher Beleg: ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs. Einem Vater, der sich durch alle Instanzen geklagt hatte, gewährten die Richter schließlich einen Unterhalts-Rabatt: gerade einmal 18 Euro im Monat.

Prof. Hildegund Sünderhauf-Kravets
Familienrechtlerin, Evangelische Hochschule Nürnberg

„Das ist ein Entgegenkommen, weil selbst beim BGH gesehen wird, das ist ungerecht, wenn überhaupt nicht reagiert wird auf diesen Betreuungsmehraufwand. Aber es ist keine sinnvolle Lösung, und es muss der Gesetzgeber letztendlich richten.“

Doch die Bunderegierung verweigert sich, auf Kosten vieler Väter – und ihrer Kinder.

Max Esser
Vater

„Das ist ein fatales Signal, das sagt eigentlich den Vätern: Geht, und es ist okay. Und alles was ihr tut, jede Anstrengung, das ist schön. Das ist euer Vergnügen, aber wir honorieren das in keiner Weise. Wenn es gut geht, tun das eure Kinder, wenn sie mal groß sind. Aber wir nicht.“

Wie man das Unterhaltsrecht besser gestalten kann, machen uns andere Länder vor: In Belgien beispielsweise wird die Höhe des Unterhalts individuell ausgerechnet, je nachdem, wieviel Kinderbetreuung der Vater leisten kann. So geht‘s also auch.

 

 

Beitrag von Lisa Wandt und Markus Pohl