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Die Steuerfreiheit für Sonn- und Feiertagszuschläge ist ein Reizthema – doch im Bundestagswahlkampf bleibt es tabu. Aus der Union heißt es, eine Streichung dieser Subventionen würde in der Bevölkerung nicht akzeptiert. Dabei zeigt eine Studie, dass nicht etwa die oft ins Feld geführten Krankenschwestern Nutznießerinnen dieses Steuergeschenks sind, sondern vor allem Großverdiener.
Wenn Sie zu den Berufstätigen gehören, die nachts oder am Wochenende arbeiten müssen, dann kommen Sie wahrscheinlich in den Genuss steuerfreier Lohnzuschläge. Doch damit könnte es nach der Wahl womöglich vorbei sein, denn jetzt ist eine alte Forderungen von Finanzexperten erneut auf den Tisch gekommen: Sie wollen dieses Privileg nämlich streichen – um gegen die enorme Staatsverschuldung anzugehen. Ist das gerecht? Chris Humbs und Andrea Böll mit überraschenden Antworten:
Wer nachts, feiertags oder sonntags arbeitet, bekommt in der Regel Lohnzuschläge - so wie Busfahrer, Drucker oder Krankenschwestern. Diese Zuschläge waren bislang steuerfrei. Der Staat schenkt den Arbeitnehmern damit bares Geld.
Eine vom Finanzminister in Auftrag gegebene Studie – bis dato unveröffentlicht - kommt zum Ergebnis: Steinbrück müsste angesichts leerer Kassen in Zukunft auch den zusätzlichen Lohn besteuern – also Steuerprivilegien streichen.
Unterstützt wird der Vorschlag von führenden Wirtschaftswissenschaftlern wie Hilmar Schneider.
Hilmar Schneider, Institut zur Zukunft der Arbeit
„Wir haben jetzt eine Situation, da müssen alle Steuerprivilegien auf den Prüfstand. Und da ist dies mit Sicherheit eines, auf das wir am leichtesten verzichten könnten.“
Zwei Milliarden mehr kämen so jährlich in die klammen Staatskassen.
Und zusätzlich drei Milliarden in die Sozialkassen.
Doch auf Nachfrage distanziert sich Peer Steinbrück von der Forderung der Wissenschaftler. Sein Sprecher betont, Zitat:
„Peer Steinbrück ist der Letzte, der Nacht- und Schichtarbeit besteuern würde.“
Und auch der Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier beteuert, dieses Steuergeschenk nicht anzutasten.
Frank-Walter Steinmeier (SPD), Kanzlerkandidat
„Nein, wir haben nicht nur in diesem Wahlkampf sondern bereits in den zurückliegenden Jahren mindestens 2005 eindeutig gesagt, keine zusätzliche Besteuerung der Nacht- und Schichtarbeit. Insofern ist das, glaube ich, die Antwort auf Ihre Frage.“
Das Thema ist heikel - spätestens seit dem Wahlkampf 2005.
Angela Merkel und ihr designierter Finanzminister Paul Kirchhof planten, die Steuerfreiheit für die Zuschläge aufzuheben. Dafür, so die Idee des Professors aus Heidelberg, sollten die Arbeitgeber im Gegenzug die Löhne erhöhen. Am Ende sollte niemand weniger in der Tasche haben als zuvor.
Aber dieser Teil des Plans ging im Wahlkampf unter. Denn Gerhard Schröder nutzte die Vorlage und machte daraus: die Union wolle der armen Krankenschwester ans Portemonnaie.
Und so blieb die SPD an der Macht beteiligt.
2009 will deshalb niemand ran an das Thema. Auch die Union nicht. Unabhängig von den Fakten – will man sich nicht noch einmal im Wahlkampf die Finger daran verbrennen.
Der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion bringt es auf den Punkt
Otto Bernhardt. Finanzpolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion
„Ich sage mit aller Deutlichkeit: dies hat sich als Bestandteil unseres Steuersystems historisch ergeben. Und ich warne alle, die immer wieder Lust verspüren, da ran zu gehen, dies zu beseitigen.“
Doch die Historie liegt sehr weit zurück. Die Steuererleichterungen stammen aus dem Jahr 1940.
Adolf Hitler, Archiv
„Unser Volk, unser Reich, sie sind schöner geworden als sie jemals waren.“
Innenpolitisch wurden sie als Wohltat für die Werktätigen verkauft. In Kriegszeiten sollten so mehr Krankenschwestern rekrutiert werden.
Und die fleißigen Arbeiter in der Rüstungsindustrie wollte Hitler damit zu Höchstleistungen motivieren. Noch wichtiger war damals allerdings die außenpolitische Wirkung dieser Steuersenkungen.
Hilmar Schneider, Institut zur Zukunft der Arbeit
„Das ist aus Propagandagründen im Dritten Reich eingeführt worden, um dem Ausland zu zeigen, dass Deutschland selbst in der Belastung durch den Krieg noch in der Lage ist, die Steuern zu senken … und dieses Privileg ist dann bei der Einführung der Bundesrepublik einfach beibehalten worden. Ökonomisch gab es nie einen echten Grund für dieses Privileg, das ist bis heute so geblieben.“
Allerdings gilt dieses Privileg nicht für alle. Nur, wer wie die Krankenschwester fest angestellt ist, bekommt seine Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge unversteuert direkt in die Tasche.
Die selbständige Hebamme dagegen muss ihre Lohnzuschläge voll versteuern.
Otto Bernhardt. Finanzpolitischer Sprecher CDU/CSU-Fraktion
„Ich sag mal, der Selbständige kann sich seine Arbeitszeit frei einteilen. Die Krankenschwester muss zur Nachtschicht zu bestimmten Zeiten kommen und da sein. Glaube also, dass man hier aufpassen muss, dass man nicht Äpfel und Birnen miteinander vergleicht.“
Jitka Weber ist selbständige Hebamme. Ihre Arbeit ist sehr wohl mit der einer Krankenschwester vergleichbar.
Jitka Weber, selbständige Hebamme
„Als Hebamme kann ich mir die Arbeitszeit natürlich nicht aussuchen. Viele Kinder entscheiden sich doch nachts auf diese Welt kommen zu wollen und deswegen werde ich doch sehr häufig auch nachts oft raus gerufen und auch vor Sonn- und Feiertagen wird nicht Halt gemacht, da muss ich immer ran.“
Diese Ungerechtigkeit trifft alle Selbständigen wie Jitka Weber. Die Politiker wollen aber daran nichts ändern. Gerechtigkeit hieße in Zeiten klammer Kassen: den Festangestellten ihre Steuergeschenke zu streichen.
Im Wahlkampf ist das ein Tabu-Thema. Doch träfe eine solche Streichung wirklich am stärksten die Kleinen?
Hilmar Schneider, Institut zur Zukunft der Arbeit
„Es ist ein gängiges Vorurteil, dass in erster Linie schlecht bezahlte Schichtarbeiter, die Krankenschwester und so weiter die Nutznießer von diesem Privileg sind. Fakt ist, die sind gar nicht so sehr betroffen wir Fachkräfte, die zu den Besserverdienern gehören. Das sind Leute aus der IT-Branche, aus der Beratungsbranche, die auch häufig am Wochenende arbeiten.“
Hauptsächlich freuen sich also Besserverdiener wie Manager, Ärzte oder Piloten über diese Steuergeschenke.
Hilmar Schneider, Institut zur Zukunft der Arbeit
„Das Argument, dass es hier um eine gerechtere Verteilung von Einkommen gehe, stimmt gar nicht. Sondern die Abschaffung des Steuerprivilegs würde für mehr Gerechtigkeit sorgen.“
Und: bei näherem Hinsehen wird diese für Krankenschwester und Co. angeblich doch so soziale Steuerbefreiung immer unsinniger.
Denn: es profitieren auch noch Arbeitgeber - wie Klinikkonzerne, Logistikunternehmen, oder Verlagshäuser - von dieser Subvention.
Hilmar Schneider, Institut zur Zukunft der Arbeit
„Formal sieht das zwar so aus, als sei die Subvention nur für den Arbeitnehmer da, de facto ist aber natürlich so, dass der Arbeitgeber auch einen Spielraum bekommt, der brauch nicht so viel bezahlen, wie er normalerweise bezahlen müsste. Und das, was da für ihn übrig bleibt, ist sein Gewinn oder sein Teil an der Beute einer solchen staatlichen Subvention.“
Entsprechend hoch ist der Druck auf die Politik, alles beim Alten zu lassen. Schließlich gibt es vordergründig nur Gewinner. Allerdings nur vordergründig, denn letztendlich finanzieren alle Steuerzahler die Vergünstigungen einiger.
Das ist zwar ungerecht, aber gegen das Klischee, dass die arme Krankenschwester Hauptleidtragende einer Streichung wäre, komme die Politik eben nicht an.
Otto Bernhardt, Finanzpolitischer Sprecher CDU/CSU-Fraktion
„Die Politik muss alles tun, um nicht noch mehr Leute sozusagen zu entfremden, sich von noch mehr Leuten zu entfremden. Und deshalb darf man und sollte man bestimmte Themen nicht unnötig in die Diskussion bringen. Dies ist ein solches Thema.“
Hilmar Schneider, Institut zur Zukunft der Arbeit
„Wenn sich die Politik allerdings nur von Klischees leiten lässt, dann haben wir in der Tat ein Problem, dann sind wir gar nicht mehr, dann ist die Politik gar nicht mehr regierungsfähig.“
Wie ist Ihre Meinung? Sollen die Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit steuerfrei bleiben? Ja oder nein? Diskutieren Sie mit uns! Wir haben dazu einen Blog eingerichtet im Internet unter www.kontraste.de.
Beitrag von Chris Humbs und Andrea Böll