Polit-Theater um Sturmgewehr -
Schrott sei das Gewehr, Soldatenleben seien gefährdet! Bei Hitze nicht einsatzfähig! Das Standardgewehr G36 der Bundeswehr ist in Verruf geraten, obwohl es sich gerade in heißen Ländern gut bewährt hat und dort gern gekauft wird. Polittheater ersten Ranges, so das Urteil von Soldaten und Experten, denn im Kampfeinsatz sind alle zufrieden, die Sicherheit ist gewährleistet. Trotzdem hat von der Leyen vor dem Gewehr gewarnt und verspricht Abhilfe - von einer nicht existenten Gefahr.
Anmoderation: Der Skandal um das Sturmgewehr G36. Jeden Tag neue Vorwürfe gegen Verteidigungsministerin von der Leyen. Wer wusste was und wann warum? Und jetzt ist offenbar auch noch versucht worden, kritische Journalisten zu bespitzeln. Das Sturmgewehr ist längst zur Waffe im Machtkampf der Politik geworden! Dabei ist die Frage nach der Tauglichkeit des Gewehrs im militärischen Einsatz ins Hintertreffen geraten. Angeblich sei klar: das G36 ist ein schrottreifes Pannengewehr, ungeeignet für den weiteren Einsatz. Doch Kontraste hat genauer hingeschaut und kommt zu einem erstaunlichen Schluss. Caroline Walter und Christoph Rosenthal
Gestern im Berliner Politikbetrieb: Ministerin von der Leyen auf dem Weg zum Verteidigungsausschuss. Sie muss sich zum Gewehr G36 erklären. Vor kurzem hatte sie entschieden:
O-Ton Ursula von der Leyen
"Auf dieser Grundlage hat das G36 keine Zukunft mehr in der Bundeswehr."
Der vermeintliche Skandal um das Gewehr G36 – Medien und Politik überschlagen sich seit Wochen – mit reißerischen Schlagzeilen und Vorwürfen.
O-TON Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen), MdB
„Der Skandal beim G36 liegt darin, dass über Jahre hinweg Hinweise, Berichte und Untersuchungen nicht nur ignoriert wurden, sondern eigentlich muss man hier von systematischer Vertuschung sprechen.“
O-TON Jan van Aken (Die Linke), MdB
„Wir haben den Eindruck, irgendwer hat die schützende Hand über die Waffenfirma Heckler und Koch gehalten.“
O-TON Henning Otte (CDU), MdB
„Meines Erachtens braucht die Bundeswehr ein neues Gewehr, und hier muss vorrangig ein Austausch im Einsatzgebiet stattfinden.“
Zur Geschichte: Das G36 sei nicht treffsicher, ein „Pannengewehr“ – das Soldaten gefährde. Doch was ist wirklich dran an den Behauptungen? Wird hier eine „Affäre G36“ inszeniert – von allen Seiten?
Diese Frage stellt sich auch Harald Kujat. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr kann die Aufregung nicht nachvollziehen.
O-TON Harald Kujat, ehem. Generalinspekteur
„Was mich am meisten stört daran ist, dass das von den eigentlichen Ausrüstungsproblemen ablenkt. Und die sind wirklich gravierend, das Problem G36 ist eigentlich das geringste Problem.“
Doch genau hier versuchte Ministerin von der Leyen, sich zu profilieren. Beim Sturmgewehr ist sie schnell vorgeprescht und stützt ihr Urteil auf neue Tests – obwohl längst nicht alles geklärt ist.
KONTRASTE wurden die Testberichte zugespielt. Sie werfen Zweifel und Widersprüche auf. Bei den speziellen Untersuchungen habe eine Vergleichswaffe besser abgeschnitten als das G36. Doch die Prüfer räumen insgesamt ein:
Zitat:
"Die Untersuchungsergebnisse sind ... nicht als Kaufempfehlung zu werten, da eine Waffe, die bei diesen Präzisionsuntersuchungen gut abschneidet, durchaus in anderen Untersuchungsfeldern ... Nachteile haben kann."
Im Klartext: es ist gar nicht gesagt, dass andere Waffen in der Gesamtschau besser sind als das G36.
Hinzu kommt: die Untersuchungen der sogenannten Phase II sind laut Prüfbericht bis Ende des Jahres noch gar nicht abgeschlossen.
So heißt es:
„Phase II dient der Ursachenfeststellung…und ist eine wichtige Grundlage für das weitere Vorgehen…“ Denn somit könne man „…die Risiken bei Beschaffungen reduzieren“.
Die Entscheidung gegen das G36 basiert auf Labortests. Als Grundlage dafür diente ein Gefechtsszenario „Hinterhalt“. Dabei geht man von 10 Soldaten aus, die sich allein mit dem G36 gegen einen übermächtigen Feind verteidigen sollen. Das G36 würde hier schlecht abschneiden.
Dieses „Hinterhalt“-Szenario legen wir einem aktiven Bundeswehrsoldaten vor. Er hat in mehreren gefährlichen Afghanistan-Operationen gekämpft.
O-Ton Soldat anonym
„Dieses Szenario ist für eine Bewertung des G36 absolut unbrauchbar. Es ist konstruiert, jedem Soldaten in dieser Situation ist klar, jetzt sitze ich in der Falle. Auch ein anderes Sturmgewehr irgendeiner Armee würde hier nicht helfen und sich auch heiß schießen. Außerdem ist das taktische Vorgehen insgesamt in diesem Szenario unrealistisch.“
Doch genau aus diesem Szenario wird eine sogenannte „Fähigkeitslücke“ konstruiert. Und die sorgt für Aktionismus in der Politik.
Völlig unverständlich an der überhitzten Debatte: Sie zielt an der Einsatzrealität der Soldaten vorbei. Johannes Clair ist Fallschirmjäger und kämpfte in einem der längsten Gefechte in Afghanistan.
Hier Aufnahmen davon - vier Tage lang war seine Einheit unter Dauerbeschuss der Taliban.
O-Ton Johannes Clair, Fallschirmjäger
„Wir hatten in unserer Ausbildung gelernt, dass wir die Waffe für einen bestimmten Zweck einsetzen, nämlich für gezieltes Einzelfeuer bis 200 Meter Kampfentfernung. Und für alle anderen Zwecke hatten wir andere Waffen zur Verfügung und haben sie dann auch eingesetzt. Das heißt, ich habe nie erlebt, dass die Waffe im in der Presse beschriebenen Umfang ausgefallen ist.“
Und auch er hat weder in seinen Afghanistan-Gefechten noch als Schieß-Ausbilder erlebt, dass ihn das G36 im Stich lässt.
O-Ton Soldat anonym
„Ich habe Hunderte von Schießübungen mit der Waffe durchgeführt, mir sind keine Probleme aufgefallen. Dabei wurden 500, 600 Schuss am Tag abgegeben und das G36 hat die ganze Zeit über präzise geschossen - es gab keine Störungen.“
Tatsache ist: In 10 Jahren Afghanistan Einsatz gab es keine Meldungen, dass das G36 nicht richtig trifft oder störanfällig ist. Doch das ignoriert der Politikbetrieb einfach.
Aber auch die Medien suchen den Skandal. So wird das folgenschwerste Afghanistan-Gefecht am Karfreitag 2010 ständig zitiert und instrumentalisiert. Damals starben drei Soldaten. Es wird suggeriert, das G36 hätte im Gefecht versagt.
Doch Soldaten, die den Hinterhalt nach acht Stunden Kampf überlebt haben, berichten Kontraste, dass sie keine Probleme mit dem G36 gehabt hätten. Was passiert sei, habe mit dem Gewehr überhaupt nichts zu tun.
Solch verzerrte Geschichten verunsichern fahrlässig Soldaten, die in den Einsatz gehen.
Das sieht auch Sebastian Schulte kritisch. Er arbeitet für das renommierte Militärfachblatt Jane's Defence aus London. Im Ausland sei man irritiert über die Debatte in Deutschland.
O-TON Sebastian Schulte, IHS Jane's Defence Weekly
„Die Diskussion, wie sie in Deutschland geführt wird, fällt erstmal deswegen auf, weil sie nur in Deutschland geführt wird und nicht von anderen Nutzerländern des G36 und von denen gibt es immerhin über 40 Stück und das auch nicht erst gestern sondern seit vielen Jahren. Sie wird deswegen auch als besonders deutsch wahrgenommen, weil sie sehr schrill und hysterisch zu sein scheint, zumindest gemessen an dem Sachverhalt, um den es tatsächlich geht.“
Verbesserungen an Sturmgewehren sind nach Jahrzehnten der Nutzung ein ganz normaler Vorgang bei allen Nationen. Die Amerikaner haben mit ihrem Sturmgewehr M4 wirkliche Probleme – es hat gefährliche Ladehemmungen.
In Deutschland: viel Wirbel um wenig – verbessern kann man immer und auch ganz unaufgeregt diskutieren.
Es geht aber bei der Debatte um etwas ganz anderes – und das stört auch diesen Abgeordneten, er spricht es ehrlich aus.
O-TON Michael Leutert (Die Linke), MdB
„Erstmal muss man ganz klar sagen, hier geht es ja nicht mehr ums G36. Hier geht’s um Machtpolitik und hier geht’s darum, von der Leyen ist eine potenzielle Kanzlerkandidatin und die wird jetzt angeschossen. So.“
Fakten zum Gewehr stören da nur…
Abmoderation: Abgesehen von all dem, was jetzt sonst noch hochkocht um das Thema G36 - bis hin zum Vorwurf der Bespitzelung von Journalisten - sollte man genau hinschauen und den Kern der Sache nicht aus den Augen verlieren. Wenn es um das Gewehr geht, muss man auch die jenigen berücksichtigen, die damit im Einsatz sind - die Soldaten.
Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal