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- Afghanistan-Einsatz: Wie Militär und Politik die Einsatzbereitschaft der afghanischen Armee schönfärben

2014 wollen sich die internationalen Kampftruppen aus Afghanistan zurückziehen, dann soll die afghanische Armee weitgehend allein für die Sicherheit im Land sorgen. Dass für die Zukunft weder NATO noch ISAF Sicherheitsprobleme sehen ist kein Wunder: Die Statusberichte über den Ausbildungsstand der afghanischen Truppen werden seit Jahren geschönt.

Gerade erst am vergangenen Sonntag kam es zu drei Anschlägen in Afghanistan mit vielen Toten - dabei heißt es doch, unsere Soldaten könnten abziehen, schon nächstes Jahr. Jetzt enthüllen KONTRASTE-Recherchen: Um den Abzug zu legitimieren, wurden Berichte über den tatsächlichen Zustand der afghanischen Armee offenbar schön gefärbt! Caroline Walter und Gregor Witt.

Gute Nachrichten - in Afghanistan läuft angeblich alles nach Plan - die afghanische Armee hat sich prima entwickelt.

Erich Pfeffer
General
„Im vergangenen Jahr konnte ich eine deutliche Steigerung bei den afghanischen Sicherheitskräfte hier im Norden beobachten."
Bijan Djir-Sarai (FDP)
stellv. Mitglied Verteidigungsausschuss

„Die afghanischen Streitkräfte sind kontinuierlich besser geworden."
Florian Hahn (CSU)
Mitglied Verteidigungsausschuss

„Selbsttragende afghanische Sicherheitsstrukturen nehmen mehr und mehr Gestalt an."
Guido Westerwelle (FDP)
Außenminister
„Die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung läuft."

Was nicht gesagt wird: über 500 afghanische Sicherheitskräfte pro Monat werden verletzt oder getötet. Wie passt das zur Erfolgsbilanz?

Anruf in unserer Redaktion. Ein Informant aus der Bundeswehr erzählt uns, die Erfolgsmeldungen seien Augenwischerei.

Informant
„Die afghanische Armee wird schön geredet und viel zu gut bewertet, um die politische Entscheidung, das Land zu verlassen, zu untermauern. Die Realität, die ich in Afghanistan erlebt habe, ist eine Andere."

Wir sollen uns das militärische Bewertungssystem namens CUAT ansehen. Da sei manipuliert worden. CUAT, davon haben wir noch nie gehört. Auf der Bundeswehrseite steht kein Wort davon. Von Insidern erfahren wir mehr: In Afghanistan bilden Nato-Streitkräfte, darunter die Bundeswehr, die Afghanen aus. Jedes Ausbilderteam erstellt mehrmals im Jahr einen Bericht über ihre afghanische Einheit, was sie schon kann, wo noch große Probleme herrschen, wie einsatzfähig sie überhaupt ist.

Detailliert geben die Ausbilder ihre Bewertung dann in die Datenbank namens CUAT ein. Rot bedeutet, eine Einheit ist sehr schlecht, grün heißt sie ist ziemlich eigenständig. CUAT ist extrem wichtig, um ein realistisches Bild der afghanischen Armee zu bekommen. Grundlage für den Abzug. Das bestätigt auch der Bundeswehrgeneral vor Ort.

Erich Pfeffer
General

„Das CUAT-System ist ein Hilfsmittel, das uns hilft, unsere afghanischen Partner zu bewerten dahingehend, das wir identifizieren, welche Hilfs- und Unterstützung sie brauchen."

Wir treffen unseren Informanten. Er war selbst Ausbilder in Afghanistan. Er hat Sorge seinen Job zu verlieren, wenn er über CUAT berichtet. Die Sache sei sehr brisant.

Bundeswehrausbilder
„Bisher haben die Ausbilderteams die afghanischen Einheiten aufgrund der wenig vorhandenen Fähigkeiten größtenteils sehr kritisch beurteilt. Das hat unserer militärischen Führung nicht gepasst, sie wollte bessere Ergebnisse. Deshalb wurde eine Möglichkeit geschaffen in das Bewertungssystem CUAT einzugreifen."

Was bedeutet das? Vorher hat jedes Ausbilderteam seinen CUAT-Bericht erstellt und direkt an das ISAF-Hauptquartier in Kabul geschickt. Niemand konnte dann mehr diese Bewertungen der afghanischen Einheit verändern. Doch auf einmal wurde eine Ebene dazwischen geschoben: ein so genanntes Zugriffsrecht für die oberste Führung im Kommando der Bundeswehr.

Bundeswehrausbilder
„Wenn eine übergeordnete Ebene Lese- und Schreibberechtigung für einen Bericht erhält, ist sie in der Lage, alle Angaben in diesem Report zu verändern oder zu korrigieren."

Nach KONTRASTE-Recherchen wurden Ausbilder-Berichte offenbar manipuliert. Negative Passagen sollen entfernt oder umformuliert worden sein. So ließ man Probleme und sogar Korruptionsfälle verschwinden. Schlecht bewertete afghanische Einheiten wurden besser eingestuft als sie tatsächlich waren.

Bundeswehrausbilder
„Nach dieser Veränderung im CUAT-System ist eine wesentliche Verbesserung der Gesamtbewertung eingetreten, und das in sehr kurzer Zeit. Wir sprechen hier von einer wesentlichen Steigerung der Fähigkeiten in nur einem Jahr, obwohl es davor jahrelang fast keine Entwicklung gegeben hat. Vor Ort konnte ich eine solche Leistungssteigerung nicht beobachten."

Während unserer Recherche stoßen wir auf weitere Ausbilder, die vertraulich bestätigen, dass ins Bewertungssystem eingegriffen wurde.

Wir versuchen an Daten über das 209. afghanische Corps zu kommen, das von der Bundeswehr trainiert wird. Wir schreiben an das ISAF Hauptquartier, das Pentagon und das deutsche Verteidigungsministerium. Alle mauern, keiner gibt uns Zahlen. Schließlich werden sie uns doch zugespielt.

Seit dem das Zugriffsrecht Ende 2011 eingeführt wurde, hat sich das 209. Corps auffällig schnell verbessert, fast alle Einheiten gelb und grün, angeblich eigenständig und effektiv. Wohl nur auf dem Papier.

Manipulation bei der Bewertung der afghanischen Armee?

Was sagen Verteidigungspolitiker dazu, die über den Bundeswehreinsatz entscheiden müssen?

Karl Lamers (CDU)
Mitglied Verteidigungsausschuss

„Das kann ich ausschließen, weil Schonfärberei nicht Sache der Bundesregierung ist. Sondern sie arbeitet mit Facts unterrichtet uns sehr korrekt und auf dieser Basis arbeiten wir."

KONTRASTE
“Haben sie denn Informationen, dass die Bundeswehr sich an Schönfärberei beteiligt hat?”
Susanne Kastner (SPD)
Vorsitzende Verteidigungsausschuss

„Nein. Nein... hab ich nicht. Ich persönlich habe es nicht und wir haben auch im Ausschuss darüber nicht gesprochen."

Omid Nouripour (B'90/GRÜNE)
Mitglied Verteidigungsausschuss

„Wenn gezielte Desinformation gestreut werden, die weit entfernt sind von der Realität in Afghanistan, wenn uns gesagt wird, dass die afghanischen Sicherheitskräfte soweit sind, obwohl sie es nicht sind, dass sie selbst übernehmen können - dann kann es eigentlich nur um eines gehen, nämlich Erfolge zu verkaufen, vor dem Abzug noch, die es gar nicht gibt."

Szenen einer afghanischen Einheit, die von der Bundeswehr ausgebildet wurde.

So sieht es noch in vielen Einheiten aus. Dazu kommt: Ein Drittel der afghanischen Soldaten muss jedes Jahr ersetzt werden. Die Armee kämpft mit massiven Problemen in den eigenen Reihen, berichtet auch Thomas Ruttig. Er analysiert seit vielen Jahren die Entwicklung in Afghanistan, ist oft vor Ort.

Thomas Ruttig
Afghan Analysts Network

„Wir haben Probleme mit der Loyalität gegenüber der Zentralregierung, wir haben das Problem, dass man die afghanischen Soldaten natürlich schlecht trainieren kann nach unseren Maßstäben, wenn sie nicht lesen und schreiben können, da gibt es eine hohe Anzahl. Wir haben eine hohe Anzahl an Desertationen, Leute die einfach nicht wieder auftauchen."

Doch die Bundeswehr braucht schnelle Erfolge. Wenigstens auf dem Papier. Der Eingriff in CUAT erfolgte in der Zeit des deutschen Befehlshabers General Kneip. Handelte er im Auftrag des Verteidigungsministeriums? Wir fragen Minister de Maizière an, zum Vorwurf der Manipulation, zur Schönfärberei. Kein Interview.

Was passiert, wenn Einheiten zu früh als eigenständig bewertet werden, zeigt dieser Einsatz vor 6 Monaten. Afghanische Soldaten sollen ein von Taliban beherrschtes Gebiet unter ihre Kontrolle bringen. Plötzlich ein Angriff aus dem Hinterhalt. Die afghanischen Militärs müssen allein entscheiden. Die Nato-Ausbilder dürfen nur noch beraten. Die Operation gerät zum Desaster: Streit unter den Afghanen, wer das Sagen hat, während es Verwundete gibt. Die Nato-Ausbilder müssen Luftunterstützung anfordern, weil die Afghanen sich weigern, weiter zu kämpfen.

Er kennt die Gefahren. Und auch die Methoden, wie verharmlost wird. Er zweifelt, welchen Sinn dieser Einsatz überhaupt hatte.

Bundeswehrausbilder
„Ich finde es erbärmlich, dass nicht die Wahrheit ausgesprochen wird. Ich fühle mich als Soldat verarscht. Ich habe in diesem Land mein Leben riskiert. Und dann wird das Ganze so verlogen zu Ende gebracht."

Das Verteidigungsministerium hat kurz vor der Sendung unsere Recherche bestätigt. Man schreibt: Zur Einschätzung der Lage in Afghanistan habe man eine weitere Instanz geschaffen, die Bewertungen bestätigen oder - Zitat- "ggf. auch relativieren" könne. Das sei ein üblicher Vorgang. Na dann.