Kriegstrauma nach Kampfeinsatz - Bundeswehrsoldaten kämpfen um Entschädigung (Quelle: rbb)

Bundeswehrsoldaten kämpfen um Entschädigung - Kriegstrauma nach Kampfeinsatz

Sie waren in Afghanistan oder im Kosovo im Einsatz, wurden in schwere Gefechte verwickelte, haben Kameraden sterben sehen. Für viele Bundeswehrsoldaten gehören Kriegseinsätze inzwischen zum Beruf. Doch nicht jeder kann die Erlebnisse schnell wieder vergessen, die Fälle von Posttraumatischen Belastungsstörungen nehmen zu: Soldaten leiden an Panikattacken, Schlafstörungen, Depressionen, finden nicht mehr zurück in den Alltag. Wer dienstunfähig wird und die Bundeswehr verlässt, muss jahrelang um sein Recht auf Entschädigung und Therapie kämpfen. Zermürbende Verfahren und absurde Gutachten sind die Regel statt Fürsorge des Dienstherrn.

Anmoderation:
Nicht nur der IS, es gibt Krisen und Konflikte weltweit, wohin man schaut. Immer häufiger werden auch deutsche Soldaten in Einsätze geschickt. Mali, Irak, Afghanistan und jetzt auch die Aufklärung über Syrien. Um Rekruten anzuheuern, wirbt die Bundeswehr gerne mit kernigen Slogans wie "Wir. Dienen. Deutschland." oder „Die Bundeswehr ist ein attraktiver Arbeitgeber". Doch wenn Soldaten dann mit schweren Kriegstraumata aus Kampfhandlungen zurückkehren, lässt die Bundeswehr sie vielfach im Stich. Caroline Walter und Christoph Rosenthal

Hier an diesen See zieht er sich oft zurück – wenn seine Albträume wieder schlimm waren.
Wir nennen ihn Peter – er war Soldat und für die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz.
Was er dort erlebt hat, lässt ihn bis heute nicht los.

O-Ton Peter
"Wenn man dann merkt, während des Gefechtes, OK, jetzt ist eigentlich die Person involviert beziehungsweise getroffen, die eigentlich, auf die man hört, beziehungsweise auf den nächsten Befehl wartet, aber einfach man keinen Funkspruch mehr zurück bekommt - da wussten wir dann schon: jetzt wird es hier eng."

Er war in Kunduz 2009 und gehörte zur schnellen Eingreiftruppe – die ständig Angriffe der Taliban abwehren musste. Es gab viele Momente, in denen Peter und seine Kameraden nicht wussten, ob sie überleben.

Auf diesen Bildern ist festgehalten, wie sein bester Freund schwer verwundet aus dem Gefecht geholt wird. Darüber reden kann Peter aber nicht. Auch ein anderes Ereignis hat sich eingebrannt: es war in einem Dorf, nach einem Angriff, es war dunkel – in der Nähe Taliban.  

O-Ton Peter
"Ich habe einen Schatten anlaufen oder ankommen sehen. War nicht klar zu definieren, was es ist. Der Richtschütze hatte quasi Freigabe und ich hab ihm quasi zugesichert, dass er sofort feuern soll, sobald halt die Person um die Ecke kam. Es war aber leider ein Kind. Glücklicherweise hat er einen kühlen Kopf bewahrt und hat dies nicht umgesetzt. Und diese Situation, kommt auch, obwohl sie eigentlich nicht so dramatisch ist, aber immer wieder hoch, dass ich in dem Moment hätte falsch entschieden."

Diese Zettel hat ihm die Bundeswehr damals als Beleg gegeben – sie dokumentieren die belastenden Vorfälle wie ein Gefecht von über fünf Stunden, Beschuss mit Raketen, Hinterhalt mit Feuergefecht, heftiger Feuerkampf - und viele weitere Angriffe.  

Peter hat zwei Medaillen für seinen gefährlichen Einsatz erhalten - darunter die Ehrenmedaille, weil er Verwundete gerettet hat.

Doch er selbst kehrt auch verwundet zurück – und zwar psychisch. Plötzlich kann er Menschenansammlungen nicht mehr ertragen – beim Einkaufen bekommt er extreme Angstzustände. Bis heute quälen ihn nachts Albträume, er schläft kaum. Draußen reicht ein Geräusch und alles ist wieder da.

O-Ton Peter
"Da reicht schon, wenn auf der Straße ne Baggerschaufel aufknallt und irgendwie solche ähnlichen Geräusche, die ich mit dem Einsatz verbinde, bin ich sofort in dem Einsatzszenario drin und fühle mich halt in der Situation als wäre ich jetzt wieder im Einsatz."

Er bekommt dann Herzrasen, sucht irgendwo Zuflucht. Im Alltag ist Peter immer aggressiver geworden – auch seiner Familie gegenüber. Irgendwann sucht er Hilfe im Bundeswehrkrankenhaus. Dort diagnostizieren die Traumaspezialisten eine Posttraumatische Belastungsstörung und eine Angststörung - hervorgerufen durch den Einsatz.

Doch weil seine Dienstzeit bei der Bundeswehr vorbei ist, steht er ohne jegliche Hilfe da. Er stellt einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung – damit hätte er Anspruch auf Therapien und auf eine finanzielle Entschädigung.

Zuständig ist das Bundesamt für Personalmanagement. Doch die Bundeswehr lässt sich Zeit. Erst nach zwei Jahren kommt vom Amt ein Bescheid – der Antrag wurde abgelehnt.

O-Ton Peter
"Man fühlt sich ganz einfach benutzt und ausgegrenzt. Man würde gerne vorankommen, wieder stabiler im Leben stehen, aber es werden einem immwe uns immer wieder Steine in den Weg gelegt von Seiten der Bundeswehr, die einfach das nicht akzeptieren, dass das nunmal passiert ist."

In der Begründung für die Ablehnung wird behauptet: Nicht die Kriegserlebnisse seien schuld an seinem Trauma, sondern seine Hautkrankheit Neurodermitis in der Kindheit.

O-Ton Peter
"Das hat mich sehr getroffen, dass eine Person beziehungsweise eine Begutachterin etwas in meinem Privatleben interpretiert und dieses als Ausrede nutzt für meine Probleme."

Das Bundesamt hat eine externe Gutachterin beauftragt, die ohne Erfahrung mit Kriegstraumata vom Schreibtisch aus entscheidet. Sie ignoriert einfach, dass selbst die Spezialisten der Bundeswehr ihm mehrfach einsatzbedingte Belastungsstörung attestiert haben.

Anwalt Arndt Steinmeyer hat Hunderte solcher Fälle von ehemaligen Soldaten, die viele Jahre um ihr Recht kämpfen müssen.

O-Ton Arnd Steinmeyer, Rechtsanwalt
"Bei den erkrankten Soldaten hängt ganz viel an der Anerkennung der Wehrdienstbeschädigung, denn erst das eröffnet ihnen die Möglichkeit zu Therapien, zu Ärzten, zu Bundeswehrkrankenhäusern, auch zu Rentenleistungen und das ist für diese Betroffenen eben immanent wichtig, da sie sonst über Jahre teilweise in der Luft hängen und keine Möglichkeiten haben, sich therapieren lassen zu können."

Denn oft werden die Ex-Soldaten von ihrer Krankenkasse an die Bundeswehr verwiesen. Auch bei Peter geht es um Kosten von Therapien, die er jetzt selbst tragen müsste.
Auffällig ist, dass die Bundeswehr ca. zwei Drittel der Anträge auf Wehrdienstbeschädigung ablehnt. Konkrete Zahlen erhalten wir aber vom Ministerium nicht.

Verteidigungsministerin von der Leyen gibt sich gern vor den Kameras als fürsorgliche Dienstherrin bei Truppenbesuchen. Doch wo bleibt ihre Fürsorge, wenn die Soldaten psychisch krank die Bundeswehr verlassen?

Frank T. ist auch einer dieser Veteranen. Wir sollen seine Geschichte erzählen – er selbst kann es nicht, ihm geht es derzeit sehr schlecht. Frank T. war in vielen Bundeswehreinsätzen – schon im Bosnien- und Kosovo-Krieg. Dort war er mit dem Grauen konfrontiert.

Frank T.
"Bei den erkrankten Soldaten hängt ganz viel an der Anerkennung der Wehrdienstbeschädigung, denn erst das eröffnet ihnen die Möglichkeit zu Therapien, zu Ärzten, zu Bundeswehrkrankenhäusern, auch zu Rentenleistungen und das ist für diese Betroffenen eben immanent wichtig, da sie sonst über Jahre teilweise in der Luft hängen und keine Möglichkeiten haben, sich therapieren lassen zu können."

Immer wieder schickte ihn die Bundeswehr in Einsätze – obwohl man um seine psychischen Probleme wusste – die immer schlimmer wurden. Frank T. hat massive Panikattacken. Er braucht Medikamente, um zu funktionieren.

Bei einem Einsatz in Afghanistan erlebte er den umstrittenen Luftangriff auf zwei Tanklaster in Kunduz  - mit mindestens 50 Toten. Sein Trupp fuhr danach zum Ort des Geschehens. Die Bilder verfolgen ihn bis heute.

Frank T.
"Nach dem Verlassen meines Gefechtsfahrzeuges lag eine offene Tüte vor mir, in der ein menschlicher Kopf lag. Auf auch der Sandbank selber lagen Körperteile der getöteten Menschen. Wir wurden dann auch noch durch feindliche Kräfte beschossen."

Auch er hat Belege aus den Einsätzen und die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung. Aber auch sein Antrag wurde abgelehnt. Die Gutachterin urteilt: Die Gesundheitsprobleme kämen von seiner „narzisstischen Persönlichkeit“ und beruhten auf einer „genetischen Besonderheit“. Absurd.  

O-Ton Arnd Steinmeyer, Rechtsanwalt
"Also viele Begründungen für einen ablehnenden Bescheid sind tatsächlich an den Haaren herbeigezogen oder hinkonstruiert. Das geht also von Vergangenheit in Ostdeutschland über Trennung der Eltern, als Kind mal sitzengeblieben, und das wird dann als Anlass genommen um zu sagen: Das Trauma kommt daher und nicht aus den unstreitig vorliegenden Einsatzerlebnissen."

Bis heute ist Frank T. wie viele Betroffene nicht arbeitsfähig. Er kämpft noch immer um seine volle Entschädigung.

Seit Jahren sind dem Verteidigungsministerium die Probleme bekannt – die extrem lange Dauer der Verfahren und der Mangel an qualifizierten Gutachtern. Ministerin von der Leyen hat bis heute keine Abhilfe geschaffen.

Dr. Biesold ist einer der führenden Traumaspezialisten und war Leiter der Psychiatrie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg. Er kritisiert die  mangelnde Fürsorge für ausgeschiedene Soldaten.  

O-TON Dr. Karl-Heinz Biesold, ehem. Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

"Diesen Umgang halte ich für skandalös. Soldaten, die im Auslandseinsatz ihre Gesundheit riskiert haben - das gilt nicht nur für die körperliche - müssen auch hier gut versorgt werden und sie müssen auch eine Entschädigung dafür bekommen, dass sie wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ihren früheren Beruf auszuüben oder nicht mehr in der Lage sind, ihre Familie zu versorgen."

Peter muss jetzt wieder zur Begutachtung, zum wiederholten Mal. Es belastet ihn extrem – weil alles wieder hervorgeholt wird.

O-TON Dr. Karl-Heinz Biesold, ehem. Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
"Ich weiß von Soldaten, die es nicht mehr ausgehalten haben abzuwarten, bis solche Entscheidungen gefällt werden, die sich das Leben genommen haben. Ich kenne Soldaten, die obdachlos geworden sind, von ihren Familien getrennt sind."

Peter will noch nicht aufgeben – auch wenn das zermürbende Verfahren viel Kraft kostet.

O-TON Peter
"Dies lässt  mich einfach nicht zu dem Punkt kommen, irgendwann mal den Abschluss zu finden. Man wird einfach im Regen stehen gelassen und man bleibt einfach stehen. Man kommt nicht voran."


Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal

Abmoderation:
Das Bundesverteidigungsministerium hat uns übrigens kurz vor der Sendung geschrieben, man habe jetzt eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um zu prüfen, wie man solche Fälle schneller bearbeiten könne. Fragt sich nur, warum das nicht längst passiert ist!

Offener Brief der Mutter von Peter

2009 entschied sich mein Sohn, in den Auslandseinsatz nach Afghanistan zu gehen. Diesen Entschluss konnte und wollte ich als Mutter nicht gutheißen. Da die jungen Soldaten in der Vorbereitungsphase jedoch extrem motiviert werden, hatte ich keine Chance ihn davon abzubringen.

Diese 6 Monate waren für alle die Hölle. Und Jeder, der ein Familienmitglied in solchen Einsätzen hat oder hatte, weiß, wovon ich als Mutter rede. Er kehrte nach dieser Zeit zurück und ich musste feststellen, dass ihn dieser Krieg doch mehr geprägt hat, als ich es vermutete. Wo war mein lebenslustiger, stets optimistisch denkender Sohn? Zunächst dachte ich, er muss sich vielleicht erst wieder an das zivile Leben und sein Umfeld gewöhnen. Jedoch mehrten sich die Situationen, in denen seine Gefühle außer Rand und Band gerieten. Das war nicht mein Sohn … und wenn ich dann diese Traurigkeit und Leere in seinen Augen sah, blutete mein Herz!

Es dauerte einige Zeit, bis er selbst erkannte, dass er sich professionelle Hilfe suchen muss. Und wenn man glaubt, dass er da die im Vorfeld versprochene Unterstützung der Bundeswehr erhielt, liegt man leider falsch. Selbst ist der Mann!!!

Kurzum, seither sind nun einige Jahre vergangen ... Anträge über Anträge ausgefüllt, Diagnosen und Gutachten erstellt …

Ständig wechselnde Ärzte und Ansprechpartner und man beginnt wieder von vorn. Es ist für mich auch sehr erstaunlich, dass es unter diesen Ärzten tatsächlich auch Spezialisten gibt, denen der liebe Gott telepathische Kräfte in die Wiege gelegt hat. Wie kann es sonst sein, dass eine sehr bekannte Gutachterin als Ferndiagnose, ohne jemals meinen Sohn persönlich kennengelernt zu haben, feststellt, dass dies alles auf seine Kindheit zurückzuführen ist!!???

Was hier mit diesen Soldaten zum Thema Nachsorge und Rehabilitation veranstaltet wird, spottet jeglichem Menschenverstand. Ich weiß, wir sind hier nur ein Einzelfall von Hunderten und leider dringen viele Informationen zu diesem Thema kaum an die Öffentlichkeit. …

Ich appelliere an den Verstand der Bundeswehr: Es sind Menschen, die Sie in den Krieg schicken und keine Maschinen! Stellen Sie sich der Aufgabe und kümmern Sie sich endlich, sonst glaubt Ihnen bald keiner mehr Ihre vielversprechenden Werbespots als "Super Arbeitgeber"!

Ich wünsche allen Familien, die ein ähnliches Schicksal teilen, viel Kraft und Ausdauer, denn hier wird  aus meiner Sicht eindeutig auf Zeit gespielt, in der Hoffnung, dass die Soldaten irgendwann in diesem Behörden-Dschungel aufgeben, oder sogar den Lebensmut verlieren!  
                                                                                                     
EINE MUTTER