Bundeswehr-Schriftzug und Soldat, rbb

- Bedingt einsatzfähig: Sparpolitik gefährdet Sicherheit von Soldaten

Die Bundeswehr ist nach der jahrelangen Sparpolitik nur noch bedingt einsatzfähig! Diesen Vorwurf erheben erstmals exklusiv in KONTRASTE aktive Soldaten. Seit Jahren leidet der Übungs- und Ausbildungsbetrieb unter den Sparzwängen, es fehlt an Waffen, Fahrzeugen und Munition. Die Mangelwirtschaft ging und geht auf Kosten der Sicherheit der Soldaten.

Pannenserie bei der Bundeswehr: Jeden Tag neue Nachrichten. Es dreht sich vor allem um verzögerte und verteuerte Rüstungsprojekte aufgrund von Missmanagement und Schlampereien. Doch mit welchen Problemen die Soldaten eigentlich im Alltag kämpfen müssen, ist bisher wenig bekannt. Meine Kollegen haben in der Truppe recherchiert und Soldaten getroffen. Was sie über den täglichen Ausbildungsbetrieb in der Bundeswehr berichten, ist erschreckend. Caroline Walter und Christoph Rosenthal.

Die Bundeswehr hat mehr als nur ein Problem. Nicht nur Hubschrauber und Flugzeuge, die nicht abheben oder Schützenpanzer, die bisher nicht geliefert werden.

Der schlechte Zustand der Truppe ist eigentlich seit Jahren im Ministerium bekannt – nur nach außen verfolgte man immer die Taktik des Schönredens.

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)
„Es wird keine Bundeswehr nach Kassenlage künftig geben."

Thomas de Maizière (CDU)
„Zu grundsätzlicher Besorgnis zur inneren Lage der Bundeswehr besteht kein berechtigter Anlass.“

Ursula von der Leyen (CDU)
„Die Bundeswehr ist gut aufgestellt, einsatzbereit. Sie kann ihre Verpflichtungen im Bündnis wahrnehmen.“

So klang das alles bis vor kurzem. Doch jetzt soll angeblich alles anders werden. Dabei ist die ganze Wahrheit über die Zustände in der Bundeswehr immer noch nicht ans Licht gekommen.

Seit den Lieferungen von Ausrüstung und Waffen in den Irak herrscht großer Unmut unter Bundeswehrsoldaten.

Soldat
„Es geht darum, dass jetzt genau das geliefert wurde, was wir in der Truppe seit Jahren nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung haben und nicht bekommen. Und genau das Material geben wir jetzt ab. Das ärgert uns.“

Aktive Soldaten dürfen sich dazu nicht ohne Presseoffizier äußern. Aber diese beiden wollen nicht länger schweigen. Sie berichten erstmals, unter welch miserablen Bedingungen sie seit Jahren für die Einsätze üben müssen.

Eine Truppenübung in Deutschland: Hier lernen und trainieren die Soldaten ihre Fähigkeiten – sie sind ihre Lebensversicherung im Einsatz. Doch es fehlt seit Jahren am Nötigsten, an Ausbildungsmaterial.

Zum Beispiel: das Maschinengewehr MG3. Es ist eine der wichtigsten Waffen in Einsätzen wie Afghanistan. Doch im deutschen Übungsbetrieb sind die MGs ein Dauerproblem.

Soldat
„In meiner Einheit ist es so, dass dort gerade mal zwei Maschinengewehre einsatzbereit sind, alle andere MGs sind seit längerer Zeit gesperrt. Deshalb kann keine Ausbildung und kein Gefechtsschießen mit MGs durchgeführt werden.“

Die Folge – den Soldaten fehlt es an wichtiger Erfahrung.

Soldat
„Ich habe selbst schon Soldaten in meinen Einsätzen getroffen, die sind in den Einsatz gegangen und haben vorher nicht einmal Maschinengewehr geschossen.“

Es gibt nicht nur zu wenig Waffen, sondern auch zu wenig Munition. Sie wird stark rationiert bei Übungen. Weil die Bundeswehr sparen soll, müssen die Soldaten quasi jeden Schuss rechtfertigen. Absurd.

Soldat
„Ich muss doch in den Übungen gewisse Szenarien realitätsnah darstellen können. Da hapert es ja schon dran. Stattdessen soll ich darauf achten, nicht mehr als 30 Schuss abzugeben. Nur weil mir zu wenig Munition zur Verfügung gestellt wird. Da kann man sich ja gleich in den Wald stellen und Knall-Peng rufen.“

Zu realistischen Schießübungen gehören auch die richtigen Schutzwesten. Bei der neuen Schießausbildung sind sie für jeden Soldaten vorgeschrieben – damit ihn keine Splitter verletzen. Vor allem braucht der Übende aber die Art Weste, die er auch im Einsatz trägt.

Soldat
„Ich muss mich vorher an das Gewicht gewöhnen, um damit klarzukommen. Weil man bei der Atmung und in der Bewegung eingeschränkt ist. Und im Einsatz wie Afghanistan hab ich ganz klar andere Probleme, als mich dann erst mit dieser Scheißweste herumzuschlagen.“

Doch genau an diesen Schutzwesten herrscht im Übungsbetrieb extremer Mangel. Wie sich das auswirkt, berichtet unser Gesprächspartner, der Ausbilder im Heer ist.

Soldat
„Ich habe selbst erlebt, dass in einigen Einheiten Übungen mit dem neuen Schießkonzept abgesagt wurden, weil die Ausrüstung an Schutzwesten und die benötigte Menge an Munition nicht verfügbar waren.“

Der kaputt gesparte Übungsbetrieb nötigt Soldaten seit langem, sich für tausende Euro selbst Ausrüstung zu kaufen. Auch in Sachen Schutzwesten.

Soldat
„Also ich habe zum Beispiel die Schutzplatten in der Weste selber erworben, damit ich so trainiere, wie ich im Einsatz kämpfen würde. Weil wir es über den normalen Dienstweg nicht hinkriegen.“

Die Liste ist lang an wichtigem Material, das fehlt. Wie Nachtsichtgeräte, an denen jeder Soldat gut geübt sein sollte, sonst hat er damit Probleme im Einsatz.

Soldat
„Es ist so, es sind nicht genügend Nachtsichtgeräte da. Viele sind defekt und wir bekommen dann immer die Aussage: Wir kriegen nichts Neues ran.“

Das Verteidigungsministerium kennt diese Missstände schon lange und hat sie schlicht ignoriert. Das zeigt sich an den Berichten des Wehrbeauftragten. Er stellte fest,
dass „…die Ausbildung in den Stammeinheiten und Verbänden erheblich unter der Überalterung und dem Fehl von Ausbildungsmaterial leidet.“

Und er warnte schon 2011, dass es „…direkte Auswirkung auf die Einsatzvorausbildung und damit auf die Sicherheit im Einsatz“ habe.

Soldat
„Ich war mehrmals im Einsatz gewesen. Es hätte in einigen Situationen besser laufen können – mit mehr Training und Übungen im Vorfeld des Einsatzes. Wir haben 53 tote Kameraden in Afghanistan. Ich kann Ihnen sagen, dass einige davon nicht hätten sein müssen, wenn die Ausbildung vorher besser gewesen wäre.“

Todesfälle, weil offenbar am wichtigsten gespart wurde: der Ausbildung. Elke Hoff kritisierte als Abgeordnete im Verteidigungsausschuss immer wieder die fehlende Ausrüstung. Aber im Ministerium gab es bis heute kein Umdenken.

Elke Hoff (FDP)
ehem. Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

„Wenn Soldaten für ihren schwierigen Beruf nicht ausgebildet werden können, weil Material fehlt, ist das ein Skandal, der nicht hinnehmbar ist. Und es ist Aufgabe der Ministerin, nicht dafür zu sorgen, neue Einsätze zu generieren, sondern erst einmal, ihre Truppe in die Lage zu versetzen, überhaupt einen Einsatz durchhaltefähig bewältigen zu können.“

Nach KONTRASTE-Recherchen wird sich das System der Mangelverwaltung noch extrem verschärfen. Verantwortlich dafür ist die Reform des Heeres unter de Maiziere, die seine Nachfolgerin jetzt weiter umsetzt. Aus internen Bundeswehrplänen geht hervor, dass über 7.000 Fahrzeuge im Heer ausgesondert werden sollen – aus Spargründen. Fahrzeuge, ohne die Übungen aber nicht laufen.

Das neue Konzept sieht vor: Den Bestand im Heer zu reduzieren. Für Übungen werden dann Material und Fahrzeuge zusammengezogen. Die anderen müssen warten, bis sie dran sind und das Material weitergereicht wird. Das nennt sich dann „dynamisches Verfügbarkeitsmanagement“.

Für den SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold wird mit diesem Konzept die Mangelverwaltung noch zementiert.

Rainer Arnold (SPD)
Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

„Wir halten dieses dynamische Verfügbarkeitsmanagement – hört sich ja ganz modern an – für einen wirklichen Irrweg. Gerät, das da ist, das funktioniert, das bezahlt ist, für wenig Geld rauszugeben oder gar zu verschrotten ist nun wirklich betriebswirtschaftlich Unsinn. Und es ist so, dass dieses Verfügungsmanagement jetzt dazu führt, dass das Gerät für viel Geld quer durch die Republik gefahren werden muss und das Übungen, die geplant sind, manchmal gar nicht mehr so stattfinden können, wie in der Planung der Fall war, weil eben das nicht so funktioniert.“

Vor allem für das geplante, stärkere Engagement der Bundeswehr im Ausland ist dieses System ein Risiko.

Soldat
„Die Reform hat zur Folge, dass ab 2015 in vielen Einheiten der Laden stillstehen wird. Kommt ein unvorhersehbarer Krisenfall oder ein neuer Einsatz hinzu, dann bricht das jetzige System wie ein Kartenhaus in sich zusammen.“

Denn was bei der Reform nicht berücksichtigt wurde: bestimmte Verbände müssen unbedingt dauerhaft einsatzfähig sein. Wie dieser: er gehört zur schnellen Eingreiftruppe der NATO.

KONTRASTE-Recherchen ergeben: Um die deutsche Nato-Einheit auszurüsten und überhaupt einsatzbereit zu halten, wird Gerät und Material von anderen Truppenteilen abgezogen. Das bedeutet: massive Einschränkungen in deren Übungsbetrieb. Ein Irrsinn.

Trotzdem hält von der Leyen an dieser Reform fest. Am Ende geht es wieder auf Kosten der Soldaten und ihrer Sicherheit.

Soldat
„Ich will doch von der Ministerin keine Flachbildschirme auf der Stube, die zig Millionen kosten, sondern ich brauche vernünftige Ausrüstung. Man kann die Bundeswehr nur attraktiver machen, wenn man den Soldaten mehr Schutz zukommen lässt.“

Das Bundesverteidigungsministerium hat uns übrigens lapidar geantwortet: "Der Ausbildungs- und Übungsbetrieb der Bundeswehr" sei "sichergestellt", "Material" werde "bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt". Also, wenn es um das Leben von Menschen geht, müsste eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Problem aber anders aussehen.

 

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal