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Durch die Kasernen der Bundeswehr weht immer noch der Geist der Wehrmacht. Kontraste deckt auf, wie massiv die Bundeswehr auf fragwürdige Quellen und Ausbildungsinhalte der Wehrmacht zurückgreift. Wie verbreitet diese unselige Tradition noch ist, schildert ein Bundeswehrausbilder exklusiv in Kontraste.
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und im Kosovo zeigt, die Aufgaben unserer Truppe haben sich enorm gewandelt. Unsere Soldaten sollen vor allem für Frieden und Freiheit sorgen, mithin für die Etablierung demokratischer Werte. Doch werden diese Werte den Soldaten in der Ausbildung ausreichend vermittelt? Mehrfach haben wir bereits über die unselige Wehrmachtstradition berichtet, die bis heute in manchen Kasernen zu Hause ist. Caroline Walter und Alexander Kobylinski sind bei ihren Recherchen zur Bundeswehr jetzt erneut fündig geworden – diesmal sogar beim obersten Dienstherr der Bundeswehr.
Verteidigungsminister Jung freut sich. Er ist im letzten Jahr Ehrenmitglied im Bund deutscher Pioniere geworden. Ein Verein, in dem viele Bundeswehrsoldaten Mitglied sind. Aber auch Veteranen der Wehrmacht sind mit dabei.
Merkwürdig: Auf der Internet-Seite des Vereins stoßen wir unter der Rubrik Ehrungen auf eine ganze Liste von Ritterkreuzträgern der Wehrmacht. Wie selbstverständlich stellt der Bund deutscher Pioniere hier seine Verbundenheit mit Hitlers treuesten Soldaten zur Schau. Darunter auch Soldaten von SS-Divisionen wie „Das Reich“ oder „Wiking“. Diese Einheit hat mehrere Massaker an jüdischen Häftlingen begangen.
Trotzdem ist Eberhard Heder, ehemaliger Hauptsturmführer, SS-Wiking, bis heute Mitglied im Bund deutscher Pioniere. Aber auch viele andere Ritterkreuzträger und SS-Leute waren und sind Mitglied in dem Verein und wurden schon geehrt.
Verteidigungsminister Jung scheint nicht genau hinzuschauen, in welche Tradition er sich da begibt.
Winfried Nachtwei, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages, kann sich über das unsensible Verhalten des Ministers nur wundern.
Winfried Nachtwei (B’ 90/Die Grünen), Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag
„Die Ehrenmitgliedschaft des Verteidigungsministers im Bund deutscher Pioniere ist ein völlig falsches Signal, vor allem auch für die Bundeswehrangehörigen, für die Soldaten, von denen wir ja alle an sich erwarten, dass sie sich nicht in einem Boot sehen, in Kontinuität sehen zur Wehrmacht.“
Welch unselige Rolle die Wehrmacht im Alltag der Bundeswehr aber noch spielt – zeigen diese internen Handbücher, die uns zugespielt wurden. Sie werden ganz offiziell von Ausbildern der Bundeswehr seit vielen Jahren benutzt. Einsatznah ausbilden und üben und schießen, so die Titel der Handbücher.
In ihnen lebt Hitlers Wehrmacht auf jeder Seite wieder auf. Hunderte Wehrmachts-Kriegsgeschichten werden hier dem Bundeswehrsoldaten vorgesetzt - die ihn bei der Ausbildung in „Kampf –Stimmung“ bringen sollen.
So findet sich darin zum Beispiel der Erlebnisbericht von einem Panzervernichtungstrupp 1944, Zitat:
„Die Panzerfaust schussbereit lauern wir und verfolgen die Stahlkolosse…Gespannt sehen wir, wie ein Kamerad, die Panzerfaust in der Hand, und von Deckung zu Deckung springend, den Panzer ‚angeht’ wie ein Jäger das Wild …Eine riesige Stichflamme und der Koloß brennt lichterloh.“
Immer wieder auch Landsergeschichten, die den angeblich heroischen Geist der Truppe im Rußlandfeldzug beschwören, Zitat:
„Das Vertrauen zur Führung ist unangetastet. Daß ständig kaum ausgeheilte Verwundete und Halbkranke zum ‚alten Haufen’ drängen, ist …ein Beweis für den Geist der Truppe…“
An anderer Stelle wird ein junger Offizier aus dem Jahr 43 zitiert, der sich über die eingeschlossenen Wehrmachtstruppen in Stalingrad empört, Zitat:
„Es fehlte jeder Kampf- und Abwehrwille.“
Dass vor Stalingrad eine ganze Armee sinnlos verheizt wurde, wird in dem Buch unterschlagen.
Stattdessen präsentiert die Bundeswehr dazu den Merksatz, Zitat:
„Jeder Soldat ist Kämpfer! Jeder Soldat muß feuerbereit sein!“
Dass es Hitlers Wehrmacht war, wird einfach ausgeblendet. In diesen Ausbildungsbüchern wird die Wehrmacht dagegen zum großen Lehrmeister verklärt.
Sogar dort, wo es um die heutige Kampfausbildung geht, bekommt der Bundeswehrausbilder ständig Vorschriften der Wehrmacht vorgesetzt.
Kein Kapitel ohne Rückgriff auf Wehrmachts-Richtlinien oder Merkblätter. Als hätte die Bundeswehr keine eigenen Richtlinien.
So wird auch aus dem Ausbildungsplan einer Divisions-Kampfschule von 1943 zitiert.
Wir schauen im Original nach, was da noch so drinsteht und finden Merksätze wie „Totaler Krieg - Kürzester Krieg!“ Eine passende Lektüre für Bundeswehrsoldaten? Detlef Bald ist Militärhistoriker und hat intensiv über die Wehrmachtstradition in der Bundeswehr geforscht. Wir zeigen ihm die Ausbildungsbücher. Er ist entsetzt.
Detlef Bald, Militärhistoriker
„Tatsächlich wird durch dieses selbstverständliche Übernehmen der Wehrmacht und ihrer Kriegsereignisse, die Wehrmacht politisch gesäubert. Hier wird Geschichte verfälscht und es wird so getan, als sei der Zweite Weltkrieg ein ganz normaler Krieg gewesen und nicht ein ideologischer und ein rassistischer und ein Vernichtungskrieg. Es ist skandalös, dass man eine falsche Tradition zum Normalfall für die Ausbildung in der Bundeswehr herstellt.“
Im Buch Üben und Schießen bedient sich die Bundeswehr sogar beim Thema soldatische Erziehung der Naziliteratur. Hinter dem Namen „Altrichter“ verbirgt sich ein Buch aus dem Jahre 1935 über das Wesen Soldatischer Erziehung. Darin ist vom „völkischen Geist“ des Soldaten die Rede, und:
„Den beherrschenden Mittelpunkt bildet die bei der Vereidigung dem Führer…gelobte Treue.“
Wolfgang Gessenharter war Dozent an der Bundeswehruniversität in Hamburg. Dass die Bundeswehr heute so ein Ausbildungsmaterial einsetzt, konnte er sich nicht vorstellen.
Prof. Wolfgang Gessenharter, ehemaliger Dozent Bundeswehruniversität Hamburg
„Also, wenn ich mir die Verantwortlichen für diese Machwerke ansehe, dann kann ich nur sagen, entweder ist es wirklich fahrlässig und ignorant, was da geschieht, oder es ist das bewusste Unterlaufen des Gesetzesauftrages, nämlich eine Ausbildung zu betreiben, die eben nach den Prinzipien unserer Demokratie funktionieren muss.“
Verantwortlich dafür: das Heeresamt der Bundeswehr. Dort sieht man das Problem mit den Handbüchern nicht. Der General für die Ausbildung weist den Vorwurf zurück, dass die Wehrmacht ein Vorbild für die Bundeswehr sei.
General Walter Spindler, General für die Ausbildung im Heer
„Gleichwohl gibt es militärische Grundweisheiten, die Einzelschützen, die Führer von Verbänden zu verinnerlichen haben. Und militärische Grundweisheiten existierten auch während der 12 Jahre eines totalitären Regimes.“
Der General glaubt, die Ausbilder würden mit den Handbüchern schon richtig umgehen.
Wir treffen einen Soldaten, der diese Bücher in der Ausbildung einsetzt - wie viele andere Ausbilder auch. Er sagt: man müsse die Handbücher aus dem Verkehr ziehen. Weil das Thema Wehrmacht in der Bundeswehr brisant ist, will der Soldat anonym bleiben.
Soldat
„Problematisch ist, dass das einige Soldaten, ich sag mal, geil finden, wenn sie das dann verwenden und sagen, damals wurde heroisch gekämpft. Das ist natürlich für ein Klientel, das äußerst rechts politisch orientiert ist, ein gefundenes Fressen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die sich in ihrer Meinung noch bestätigt fühlen, dass ihre politischen Ansichten ja nicht 100%ig falsch sein können, da die Bundeswehr Bücher besitzt, wo Beispiele gebracht werden aus dieser Zeit, wo Kriegsverbrechen begangen wurden.“
Offiziell redet die Bundeswehr immer vom „Staatsbürger in Uniform“. Und: man betreibe keine Traditionspflege mit der Wehrmacht.
Doch bei der Truppe ist die Realität oft eine andere. Panzertruppenschule Munster. Auf dem Kasernengelände gibt es eigens einen Ehrenhain mit vielen Gedenksteinen für Wehrmachtsdivisionen. Dorthin pilgern Wehrmachtsveteranen – hofiert von der Bundeswehr. Der Soldat schildert, was er an dieser Panzertruppenschule erlebt hat.
Soldat
„Wenn man dort den Dienstposten eines Ausbilders übernimmt, hat man automatisch die Verantwortung für einen Wehrmachts-Traditionsverband. Teilweise ist es wirklich sogar befohlen. Da findet dann einmal im Jahr diese zentrale Veranstaltung statt. Ich musste selbst mal so eine organisieren und ich muss sagen, dass mir das sehr unangenehm war, weil dann doch raus kam, dass einige von den alten Wehrmachtskameraden durch und durch braun motiviert waren. Dann kamen die typischen Sprüche.“
KONTRASTE
„Zum Beispiel?"
Soldat
„Ja, wie ,Nur ein toter Russe ist ein guter Russe' und so Sprüche, dass man die Bolschewiken umgemäht hat, weil sie halt es nicht wert waren zu existieren.“
Falsche Traditionspflege, die Soldaten anfälliger für Rechtsextremismus macht. Bei vielen dokumentierten rechtsradikalen Vorfällen in den letzten Jahren spielt die Wehrmacht eine Rolle.
In einer Kaserne zeigte ein Ausbilder den Hitlergruß, während die Nationalhymne gesungen wurde. In einer anderen wurden Landserhefte an die Soldaten verkauft.
Und bei einer Schießübung von Gebirgsjägern rief ein Soldat „Drecksjud“ und „Stirb du Jud“.
Aber viele Vorfälle kommen erst gar nicht an die Öffentlichkeit.
Soldat
„Also ich bin davon überzeugt, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist, als die Zahl der Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund, die gemeldet werden. Mir selber ist es schon vorgekommen, dass Soldaten, die dort sich haben was zuschulden kommen lassen, geschützt wurden, das sie weg gelobt wurden an neue Standorte und dass man versucht hat, diesen Vorfall eigentlich zu vertuschen und zu verharmlosen.“
Die Führung der Bundeswehr reagiert immer erst, wenn ein Problem an die Öffentlichkeit kommt.
Beitrag von Caroline Walter und Alexander Kobylinski