Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im Plenum des Bundestags vor seiner Regierungserklärung am 13.11.2024 mit Friedrich Merz (CDU-Bundesvorsitzender) und Christian Lindner (FDP-Parteivorsitzender); Qquelle: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im Plenum des Bundestags vor seiner Regierungserklärung am 13.11.2024 mit Friedrich Merz (CDU-Bundesvorsitzender) und Christian Lindner (FDP-Parteivorsitzender) | Bild: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Deutschland vor den Neuwahlen - Zwischen Polit-Theater und Wahlkampfkrimi

Am Tag als Donald Trump seinen Sieg verkündete, zerbrach abends die Ampel. Der 6. November war auch deshalb ein denkwürdiger Tag, weil Bundeskanzler Scholz öffentlich mit Finanzminister Lindner abrechnete. Weil Lindner Scholz einen ausgeklügelten Plan zum Ampelende unterstellte. Und weil die Bundespolitik seitdem ein Schauspiel darbietet, das zwischen absurdem Theater und Polit-Thriller schwankt.
 
Beitrag von Pune Djalilevand, Daniel Donath, Silvio Duwe, Kaveh Kooroshy und Markus Pohl

Jüngster Höhepunkt sind die Enthüllungen der Zeit über einen ausgeklügelten Plan von Lindner, der den Namen "Operation D-Day" trug. All das kann zum Problem werden in einer Zeit, in der viele glauben, die Politik sei nur mit sich selbst beschäftigt. Egal wer die Wahl am 23. Februar gewinnen wird, die Probleme sind gewaltig: Ukraine-Hilfe, marode Infrastruktur, Kinderarmut. Wird sich Friedrich Merz als Kanzler darum kümmern müssen? Oder Olaf Scholz? Oder tritt die SPD am Ende doch mit Verteidigungsminister Pistorius an? Kontraste-Reporter haben seit dem 6. November Politiker verschiedener Parteien begleitet und die zwei Wochen nach diesem denkwürdigen Tag rekonstruiert. Der unangenehme Winterwahlkampf hat längst begonnen. Und er droht schmutzig zu werden: Zwischen Wundenlecken und Abrechnen.

Anmoderation: Es ist die Nachricht des Tages - um viertel vor acht hat Boris Pistorius die K-Frage der SPD geklärt. Und damit darf Scholz wieder antreten. Trotz schlechter Umfragewerte. Der Kollaps der Koalition, lässt sich bei diesem legendären Bild schon erahnen - Direkt nach dem Ampelaus dananch hat sich Kontraste an die Fersen von verschiedenen Bundespolitkern geheftet, für Sie begann damit der Kampf um Wählerstimmen. Winterwahlkampf statt Wintermärchen. Lachender Dritter ist er hier: Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, wähnt sich laut Umfragen schon bald im Kanzleramt.

Gestern Abend in Bamberg, Treffen der örtlichen Sozialdemokraten. Zu diesem Zeitpunkt hat Boris Pistorius noch nicht auf die Kanzlerkandidatur der SPD verzichtet. Viele hier hoffen auf ihn.

Olaf Seifert, Kreisvorsitzender SPD Bamberg

"Es kann so nicht weitergehen. Wir müssen jetzt einen Cut machen, wir brauchen jetzt neue Dynamik in der Partei. Wir brauchen jetzt auch einen neuen Kopf. Wir brauchen einen neuen Kanzlerkandidaten."

Auch der Bundestagsabgeordnete Andreas Schwarz ist hier. Eine klare Festlegung für die Kanzlerkandidatur vermeidet er. Sein Lob für Verteidigungsminister Pistorius aber vielsagend:

Andreas Schwarz (SPD), Bundestagsabgeordneter

"Was die Menschen heute wollen, ist Klarheit, klare Haltung […] Und seine Soldatinnen und Soldaten lieben ihn. Und da merkst du, der kommt bei den Menschen an und es macht ihn halt total besonders."

Eine Einschätzung, die heute eine aktuelle Umfrage bestätigt:

Boris Pistorius würden 60 Prozent der Deutschen für einen guten Kandidaten halten. Gefolgt von Friedrich Merz und Robert Habeck. Auf dem letzten Platz, noch hinter Alice Weidel: der Amtsinhaber.

Dabei hatte es zunächst so ausgesehen, als könnte das Ampel-Aus auch ein Befreiungsschlag für Olaf Scholz selbst werden. Unmittelbar nach dem Rauswurf Christian Lindners: tosender Applaus für Scholz in der SPD-Fraktion.

Tina Hildebrandt, Ressortleiterin Politik, DIE ZEIT

"Der Kanzler kommt als im Grunde auch als ein Gescheiterter. Er ist der Kanzler einer gescheiterten Regierung, kommt in diese Fraktion, wird bejubelt, als hätte man gerade irgendwie den Pokal gewonnen. Und das kann man glaube ich, sich einfach erklären mit dem irren Druck, unter dem alle standen."

Die Implosion der Ampel: ein Politik-Drama auf offener Bühne, das in die bundesdeutsche Geschichte eingehen wird. Kurz nachdem Trump die US-Wahl gewinnt, bricht die selbst ernannte Fortschritts-Koalition zusammen. Es ist eine Zäsur, die das Vertrauen in die Parteien-Demokratie weiter erschüttern könnte. Denn es ist ein besonders schmutziges Ende.

Rückblick: Am 6. November trifft sich der Koalitionsausschuss im Kanzleramt – offiziell um den Haushaltsstreit in der Ampel beizulegen. Doch eine gute Woche später wird die Wochenzeitung Die ZEIT aufdecken: Den hier ankommenden FDP-Vertretern geht es nicht mehr um eine Einigung. Sie haben den Bruch der Koalition längst beschlossen.

Helene Bubrowski, stellv. Chefredakteurin, Table.Media

"Aus der FDP hatte ich gehört, dass man gesagt hat, eigentlich will man den Koalitions-Ausschuss am Mittwochabend noch verhandeln und noch nicht auseinandergehen. Und dann am Donnerstag, wenn der Kanzler auf Dienstreisen ist, dann die Ampel aufkündigen."

Doch an diesem Abend kommt Scholz Lindner zuvor. Er stellt ihm ein Ultimatum: Aussetzung der Schuldenbremse, um Hilfen für die Wirtschaft und die Ukraine zu finanzieren. Als Lindner das ablehnt, sagt der Bundeskanzler einen Satz für die Geschichtsbücher:

"Ich möchte nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst."

Jonas Schaible, Hauptstadtbüro DER SPIEGEL

"Der Kanzler wollte ganz offensichtlich nicht als Getriebener aus dieser Koalition gehen, als derjenige, dem der andere das vor die Füße wirft. Er wollte das souverän entscheiden und so auch kommunizieren."

Ab jetzt beginnt der Wahlkampf: Scholz tritt vor die Presse, mit einer von drei Reden, die er für den Anlass vorbereitet hat: eine persönlich gehaltene Abrechnung.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

"Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert, zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert, zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen."

Helene Bubrowski, stellv. Chefredakteurin, Table.Media

"Er sei nur ein Taktierer, er sei verantwortungslos, all diese Sachen - ich fand es eine Überdrehung. Ich finde es, das beschädigt am Ende auch den Kanzler selbst, weil es zeigt, wie schlecht das Verhältnis zwischen den beiden war. Da sind immer beide verantwortlich für."

Lindner inszeniert sich nach seinem Rauswurf als prinzipientreuer Politiker. Am Morgen danach zeigt er sich tief getroffen.

Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender

"Ich glaube, sie werden Verständnis haben, wenn ich ihnen sagen kann, dass ich mich jetzt auch in einer Lage befinde. Und deshalb auch viele Gedanken habe."

Wie bemerkenswert dieser Auftritt ist, wird sich eine Woche später herausstellen, wenn die geheimen Pläne der Lindner-FDP öffentlich werden.

Am 12. November einigen sich Union und SPD nach kurzem und heftigem Streit: Neuwahlen zum Bundestag schon Ende Februar. Auch für die Abgeordneten herrscht nun Klarheit:

Verena Hubertz (SPD), stellv. Vorsitzende Bundestagsfraktion

"Auf der einen Seite kommen wir jetzt wieder ins Machen nach all diesen Phasen der Blockaden und auf der anderen Seite blickt natürlich jetzt jeder schon sehr direkt nach vorne. Was bedeutet der Wahlkampf für mich? Kolleginnen und Kollegen, die zum Beispiel auch gesagt haben, dass sie nicht mehr kandidieren."

Verena Hubertz will wieder für die SPD antreten. Im Aufzug Zusammentreffen mit Kolleginnen von den Grünen. Gesprächsthema: der Wahltermin.

"Wir müssen alle Winterhandschuhe kaufen." – "Warme Winterstiefel bestellen."- "Ich habe noch Fotos von blau gefrorenen Fingern von Wahlkämpfen."

"Also Glühwein statt Rießling. Tschüss, Sandra!"

Eine Wahlkampfstrategie der Sozialdemokraten zeichnet sich bereits ab: Man will die Union mit Gesetzesvorhaben ködern. Und wenn die sich verweigert, es ausschlachten.

Verena Hubertz, stellv. Vorsitzende Bundestagsfraktion SPD

"Wenn Friedrich Merz jetzt uns auflaufen lässt und nichts mehr für die Wirtschaft mit uns beschließt, kann man das natürlich gut nutzen im Wahlkampf."

Am Morgen darauf bei der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung. Grünen-Politiker Anton Hofreiter ist als Redner eingeladen. Die kurzfristigen Neuwahlen – sie scheinen dem altgedienten Abgeordneten Sorgen zu bereiten.

Anton Hofreiter (Bündnis 90/ Die Grünen), Bundestagsabgeordneter

"Ich muss im Moment gerade echt schauen, weil die Realos versuchen mich ja von der Liste zu kriegen wegen meiner Ukraine-Unterstützung."

Hofreiter gilt als einer der entschiedensten Unterstützer der Ukraine. Ähnlich wie die CDU setzt er sich für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ein. Doch als die CDU das im Bundestag forderte, votierte er dagegen.

Anton Hofreiter (Bündnis 90/ Die Grünen), Bundestagsabgeordneter

"Wir haben den Anträgen nicht zugestimmt, weil nämlich du weißt ja selber, wie das ist. Dann wäre diese Koalition früher zu Ende gegangen. Dann hätten wir früher Neuwahlen gehabt und vielleicht hätte man dann früher eine Regierung gehabt, die vielleicht die Sachen geliefert hätte. Aber das sind so viele Vielleichts."

Hofreiter macht sich auf den Weg in den Bundestag. Es ist der Tag der Regierungs-Erklärung. Der erste große Schlagabtausch, eine Woche nach dem Zusammenbruch der Ampel.

Anton Hofreiter (Bündnis 90/ Die Grünen), Bundestagsabgeordneter

"Ich hätte mir sehr gewünscht, dass man sich zusammenrauft. Ja, insbesondere auch aufgrund der schwierigen weltpolitischen Lage."

Während Hofreiter noch mit dem Ampel-Aus zu kämpfen hat, ist die Stimmung im Bundestags-Büro von Gyde Jensen deutlich besser. Morgen-Lage der Vize-Chefin der FDP-Fraktion mit ihren Mitarbeitern. Die Liberalen sehen sich im Aufwind.

"Dann muss ich noch mal die Zahl der Parteieintritte aktualisieren. Das sind jetzt noch mal 500 mehr: 1.600."

"Ja, das geht hoffentlich noch ein bisschen nach oben. Die Grünen haben über 5.000 Eintritte, habe ich gestern gelesen."

Jensen gibt sich zuversichtlich – auch wenn die FDP laut Umfragen um den Einzug in den Bundestag bangen muss.

Gyde Jensen (FDP), stellv. Vorsitzende Bundestagsfraktion

"Das gehört quasi bei uns fast dazu, dass wir auch an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen und auch mal darunter sind. Wir werden nicht bedeutungslos sein, ganz im Gegenteil."

Draußen vor dem Reichstag, kurz vor 13 Uhr: Ankunft Olaf Scholz. Es geht zur Regierungserklärung.

Kontraste

"Guten Tag Herr Bundeskanzler, Kontraste – guten Tag – läuten Sie heute den Wahlkampf ein?"

Schon jetzt deutet sich an: Der Kanzler ist auch in den eigenen Reihen umstritten. Am Vortag sprach der Fraktionschef der SPD von einem "Grummeln" gegen Scholz.

Die Partei-Vorsitzende gibt sich schmallippig.

"Guten Tag Frau Esken, es hieß gestern von Herrn Mützenich, es gäbe ein Grummeln in der Partei bezüglich des Spitzenkandidaten, können sie das bestätigen?"

Saskia Esken (SPD), Parteivorsitzende

"Das ist eine interessante Formulierung. Schönen Tag."

Im Plenum die neue politische Lage dann verdichtet in einer Szene: Lindner vertraut im Gespräch mit CDU-Chef Merz. Der Bundeskanzler drängt sich von außen dazu, begrüßt freundlich auch den, den er vor einer Woche noch öffentlich abgewatscht hat. Die Reaktion mit mehr Aussagekraft, als so manche politische Analyse.

Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender

"Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung."

Der Kanzler noch einmal bemüht, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Ein Appell, vor allem an die Union:

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

"Wir sollten die Zeit nutzen, die wir jetzt haben, um noch ganz wichtige Gesetze miteinander zu beschließen."

Die Union aber zeigt sich betont reserviert.

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender

"Wir sind nicht der Auswechselspieler für ihre auseinandergebrochene Regierung."

Nach der Debatte treffen wir Tilman Kuban. Der CDU-Bundestagsabgeordnete gilt als treuer Unterstützer von Friedrich Merz. Der aktuelle Kanzler - für Kuban bereits Geschichte.

Tilman Kuban (CDU), Bundestagsabgeordneter

"Ich glaube, er ist der einzige Mensch hier in der Republik, der noch daran glaubt, dass er Kanzler bleiben kann."

Kuban hat heute eine Besuchergruppe aus seinem niedersächsischen Wahlkreis zu Gast. Die hohen Umfragewerte der CDU machen dem Abgeordneten sichtlich gute Laune.

"Scholz habt ihr nur am Ende gehört?"

Besuchergruppe

"Ja, ganz am Ende. Das Schlusswort quasi."

Tilman Kuban (CDU), Bundestagsabgeordneter

"Ja gut, ihr habt sonst auch nicht viel verpasst."

"Haha."

Im Anschluss: Diskussionsrunde mit dem Bundestagsabgeordneten.

"Wie habt ihr jetzt die Reden zum Beispiel auch von Merz oder Baerbock gesehen?"

"Merz war super, Baerbock naja, können wir drüber streiten, Lindner war auch klasse, habe ich leider aber nicht zu Ende hören dürfen."

Die Diskussionen um den Wahltermin erhitzen hier immer noch die Gemüter.

"Wir haben für so eine Regierungskrise, eigentlich überhaupt keine Zeit. Mitten in Europa tobt ein Krieg, die Wirtschaft liegt am Boden. In Amerika wählen Sie den Trump und wir diskutieren hier. Hier fehlt die Handlung. Wann wird hier gehandelt? Wir stehen ja in der ganzen Welt da wie die Pappnasen."

Am selben Abend eine große Überraschung: Bei einer Veranstaltung in Berlin schließt CDU-Chef Merz eine Reform der Schuldenbremse nicht mehr aus.

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender

"Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist: Wozu, mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform?"

Die Schuldenbremse ist das zentrale Thema, an dem die Ampel zerbrochen ist. Bislang hatte die Union eine Reform kategorisch abgelehnt.

Wir fragen nach.

Kontraste

"Waren Sie überrascht, als Sie gehört haben, dass Merz sich offen zeigt, die Schuldenbremse zu lockern?"

Tilman Kuban (CDU), Bundestagsabgeordneter

"Also, ich habe dazu auch gestern noch mal mit Carsten Linnemann gesprochen, der es ja auch gestern Abend noch mal klargestellt hat, dass die Union dort nicht wackeln wird. Von daher ist das weiterhin ein klarer Bestandteil unseres Programms."

Kontraste

"Das heißt, ihre Interpretation ist, er meinte das eigentlich gar nicht so?"

Tilman Kuban (CDU), Bundestagsabgeordneter

"Ich habe Carsten Linnemann gestern so verstanden, dass er deutlich gemacht hat, dass er da falsch interpretiert worden ist."

Tina Hildebrandt, Ressortleiterin Politik, DIE ZEIT

"Das ist was, was es eben bei der Union ja öfter mal gibt, also Friedrich Merz sagt Dinge. Und muss man danach erklären, wie sie nicht gemeint sind. Das ist, glaube ich, eines seiner größten Handicaps."

Am Abend des 15. Novembers dann die Enthüllung: Die Zeit veröffentlicht eine Recherche, die den Auftritt der FDP rund um das Ampel-Aus wie ein Schauspiel wirken lassen: Die Liberalen sollen seit Langem an einem Drehbuch für den Regierungssturz gearbeitet haben. Der Plan: SPD und Grüne so weit reizen, bis der Kanzler die FDP-Minister rausschmeißt.

In dieser Potsdamer Villa soll die FDP-Führung Ende September drei Zukunftsszenarien für die Partei an die Wand projiziert haben. Man entscheidet sich für das Szenario Koalitionsbruch. Name der Operation, in Anlehnung an die Befreiung Europas vom Faschismus: D-Day.

Tina Hildebrandt, Ressortleiterin Politik, DIE ZEIT

"Diese Recherche zeigt ja sehr, sehr genau, wie man sich systematisch in mehreren Sitzungen darauf vorbereitet hat, es dahin zu treiben, öffentlich einen anderen Eindruck vermittelt hat und das Ganze auch getragen war von dem Willen, dass das mit den anderen nach Hause geht, dass man also den Schwarzen Peter sozusagen den anderen zuschiebt."

Weil Lindner Sorge vor einem weiteren Absturz in der Wählergunst hatte, habe er den Bruch mit SPD und Grünen gezielt provoziert

Laut Quellen der Zeit soll Lindner bei den Treffen in der Villa gesagt haben:

"Ich kann die Fressen nicht mehr sehen."

Andere Teilnehmer sagen der Zeit, sie könnten sich an diesen Ausspruch nicht erinnern.

Wenige Stunden nach Veröffentlichung der D-Day-Recherche treffen wir Gyde Jensen wieder. Sie ist auf dem Weg zum Parteitag der FDP Schleswig-Holstein. Schon bei der Begrüßung ist die Enthüllung DAS Thema.

"Natürlich haben wir uns vorbereitet, wie wir damit umgehen."

"Es ist Wahlkampf, es ist Wahlkampf."

"Aber das ist ja gut. Deshalb volle Kanne. Knaller. Spaß ist vorbei."

"Spaß ist vorbei. Morgen!"

Schon an diesem Morgen scheint die Marschroute der Liberalen klar: Die Meldung herunterspielen, als Kampagne framen.

Gyde Jensen (FDP), stellv. Vorsitzende Bundestagsfraktion

"Ich glaube nicht, dass das ein großer Skandal ist. Und ich glaube, er wird höchstens hochstilisiert, weil es jetzt in den Wahlkampf passt."

Ganz ähnlich klingt es bei Wolfgang Kubicki: die Enthüllungen, nichts als eine Intrige der politischen Konkurrenz.

Wolfgang Kubicki (FDP), stellv. Bundesvorsitzender

"Die üblichen Verdächtigen, Spiegel, ZEIT und Süddeutsche Zeitung haben vom Kanzleramt ein paar Informationen bekommen. Wenn es denn zutreffen sollte, dass die FDP das Ampel-Aus bewusst herbeigeführt hat, wäre ich stolz. Weil wenn 80 Prozent der Menschen die Ampel nicht mehr wollen, ist das Aus der Ampel einfach ein Gottesgeschenk."

Tina Hildebrandt, Ressortleiterin Politik, DIE ZEIT

"Dieser Vorwurf ist unredlich und infam und er ist wirklich auch absurd. Denn wenn man diesen Text liest, dann stellt man fest, es ist eine Beschreibung von Sitzungen, an denen ausschließlich FDP-Leute teilgenommen haben. Und insofern kann diese Information nirgendwo anders herkommen als aus der FDP, das heißt es gibt offensichtlich in der FDP selbst eine Anzahl von Leuten, die mit diesem Vorgehen überhaupt nicht einverstanden war."

In Schleswig-Holstein aber herrscht Aufbruchstimmung. Heute wird die FPD-Landesliste für die Bundestagswahl bestimmt. Auch Gyde Jensen kandidiert.

Gyde Jensen (FDP), stellv. Vorsitzende Bundestagsfraktion

"Ja, die Ampelkoalition, die ist jetzt kaputt. Aber damit ist auch die Handbremse am Motor der Freien Demokraten endlich gelöst."

Das kommt an. Mit fast 90 Prozent der Stimmen kommt Jensen auf den zweiten Listenplatz.

Zeitgleich in Wiesbaden. Parteitag der Grünen. Die Partei kürt Robert Habeck an diesem Wochenende zum Kanzlerkandidaten – und das, obwohl die Grünen in Umfragen nur knapp über 10 Prozent kommen.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Wirtschaftsminister

"Diese Antwort kann ich nur anbieten: Jetzt nicht zu kneifen. Aus dem Rückzugsgedanken keine Resignation werden zu lassen."

Habeck will die Partei weiter in die Mitte rücken und damit nach der Ampel neue Koalitions-Optionen schaffen. Vor allem mit der Union. Ein Szenario, das bei vielen hier gut ankommt.

Lara Appel-Tscherepanow (Bündnis 90/Die Grünen), Delegierte

"Ich fände persönlich tatsächlich ganz gut, wenn man mit der CDU/CSU tatsächlich koaliert. Ich glaube es würde ein starkes Zeichen für die Menschen im Land bedeuten, wenn man sieht, dass sich Leute verbinden in einer Koalition, die davor sehr gegeneinander geschossen haben."

Schwarz-grüne Planspiele, die aber an Einem scheitern könnten:

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayern

"Also mit den Grünen es geht einfach nicht."

"Mit den Grünen generell wird es kleine Zusammenarbeit geben."

"Schwarz-Grün ist für uns keine Option."

"Wir wollen keine Zusammenarbeit mit den Grünen. Punkt."

Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter

"Also das Agieren gerade von Söder, das ist es ja schon der Fall, fast lächerlich, macht sie doch zum Gespött damit. Er schließt das aus, er schließt das aus, er schließt das aus und das nächste schließt er hundertprozentig aus. Und jeder weiß es stimmt doch nicht."

Die Ampel ist Geschichte – aber was kommt jetzt? Klar scheint nur: Schuldenbremse und andere Ampel-Knackpunkte werden auch die nächste Regierung quälen.

Jonas Schaible, Hauptstadtbüro DER SPIEGEL

"Auch die Union wird vor der gleichen Wirklichkeit stehen wie die Ampel, die Probleme werden die gleichen sein, vielleicht werden sie sogar verschärft werden, weil jetzt Donald Trump wieder US-Präsident wird. Und auch die nächste Bundesregierung, auch wenn Friedrich Merz ihr vorsteht, braucht Geld. Da geht es um hunderte Milliarden in den nächsten Jahren, um das Land überhaupt vor dem Verfall zu bewahren."

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picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann

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