Ausländerfeindliche Krawalle in Sachsen -
Pegida-Aufmärsche in Dresden: Die sächsische Landesregierung versteht die Sorgen der Demonstranten. Ausländerfeindliche Krawalle in Freital, die sächsische Landesregierung verteidigt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Angriffe auf Asylbewerber und Helfer in Heidenau: die Landesregierung schaut unbeteiligt zu. Mehr noch: sie äußert Verständnis für Demagogie und Menschenverachtung.
Anmoderation: Die Erfahrungen von Diaga kommen nicht von ungefähr: Fremdenfeindlichkeit ist in Sachsen offensichtlich tief verankert und : sie schlägt immer öfter in Gewalt um. Heidenau ist das jüngste Beispiel, das bundesweit für Entsetzen sorgte: Zwei Nächte tobte der braune Mob weitgehend ungehindert vor einem Flüchtlingsheim. Sachsen – ein Wohlfühlort für Fremdenfeinde? Warum sieht die Politik hier tatenlos zu? Wie kann es angehen, dass die CDU-Landesregierung die rechten Pöbler, Brandstifter und Gewalttäter duldet? Kein Zufall, wie Chris Humbs und Markus Pohl beschreiben.
Alltag in Sachsen: Ein Aufmarsch gegen Flüchtlinge, dieses Mal in Heidenau.
"Entschuldigung, wir sind von der ARD, vom Magazin Kontraste." – "Haut ab, haut ab!" – "Wieso wollen Sie nicht mit uns sprechen?" – "Weil ihr nur Scheiße im Fernsehen bringt!"- "Platzverweis; meine Herrschaften, raus mit Ihnen!"
Quer durch den Freistaat Sachsen gab es seit Jahresanfang 111 Angriffe auf Flüchtlinge oder ihre Unterkünfte.
Gemessen an der Einwohnerzahl ereigneten sich im ganzen Osten besonders viele fremdenfeindliche Gewalttaten. Sachsen aber führt diese Statistik mit großem Abstand an. Pro Einwohner gab es hier mehr als doppelt so viele Gewalttaten wie in den anderen Ostländern.
Der "Tag der Sachsen", vergangenes Wochenende in Wurzen. Auf dem Volksfest feiern sich die Sachsen selbst.
Wie akzeptiert rechtsradikale Meinungen hier sind, zeigt sich am NPD-Stand. Es gibt viel Zuspruch, aber keine Proteste.
Auffällig: Menschen mit Migrationshintergrund sieht man kaum auf dem Fest.
Dafür reichlich CDU-Politiker. Wie den Landtagspräsidenten, Dr. Matthias Rößler. Er hat eine Botschaft an die Besucher des Festes:
O-Ton Matthias Rößler, CDU, Landtagspräsident Sachsen
"Deutschland wird nicht auf Dauer 800.000 oder eine Million Flüchtlinge pro Jahr vertragen, es müssen deutlich weniger werden."
Rößler ist rechter Vordenker der CDU in Sachsen, die hier seit 25 Jahren regiert.
Als die NPD 2004 in den sächsischen Landtag einzieht, verlangt Rößler einen Rechtsruck der Union.
Rößler schreibt Pamphlete über Patriotismus und Nation, fordert: "…wer als Angehöriger einer Minderheit die Solidarität der deutschen Patrioten erwartet, muss … unser Wertesystem anerkennen."
Und: Sachsen brauche endlich "positive nationale Wallungen".
Die CDU übernahm diese Positionen per Parteitagsbeschluss. Rößler wurde Landtagspräsident.
Wir fragen ihn, ob er heute, nach den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, immer noch auf nationale Wallungen hofft.
O-Ton Matthias Rößler, CDU, Landtagspräsident Sachsen
"Ich soll mich jetzt vor Ihnen rechtfertigen?"
Kontraste
"Nicht rechtfertigen."
Rößler
"Alles, was ich zu den aktuellen Themen sagen kann, konnten Sie gerade aufnehmen."
Kontraste
"Also Sie wollen keine kritischen Fragen?"
Rößler
"Nee, das hat damit gar nichts zu tun."
Rößlers Gedankengut prägt die Sachsen-CDU bis heute. Selbst junge Abgeordnete folgen seinen Ideen – so wie Sebastian Fischer, der auf Twitter gerne Heimat und Vaterland beschwört.
Nationale Stimmungsmache, während der rechte Mob auf den Straßen des Freistaats gegen Flüchtlinge hetzt.
Monatelang hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich von der CDU zur rechten Gewalt geschwiegen. Erst vergangene Woche findet er im Landtag deutliche Worte. Der Fraktionsvorsitzende der CDU aber gießt sofort wieder Öl ins Feuer.
O-Ton Frank Kupfer, CDU-Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag
"Die muslimische Religion ist keine Religion, die hier in Sachsen ihre Heimat hat. Und die muslimische Religion ist eine Religion, die vieles anders betrachtet als wir das mit unserer christlichen Tradition machen. Dass sie kein Schweinfleisch essen und keinen Alkohol trinken, das kann man ja noch tolerieren, das ist ja sogar gesund."
Gedanken, die man so eher von Pegida erwartet. Die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes haben nicht zufällig in Dresden ihr Zuhause.
In der Hochphase der Bewegung übernahm selbst der sächsische Ministerpräsident die Positionen der Islamfeinde.
Zitat: "Der Islam gehört nicht zu Sachsen."
Kontraste
"Würden sie den Satz heute so nochmal sagen?"
O-Ton Stanislaw Tillich, CDU, Ministerpräsident Sachsen
"Ich habe ja nicht nur diesen einen Satz in dem Interview gesagt, sondern ich hab gesagt, Deutschland steht für etwas, was es auf der Welt so nicht nochmal gibt, nämlich für Religionsfreiheit."
Bis heute schafft er es nicht, sich klar von einem Satz zu distanzieren, der alle Muslime in Sachsen ausgrenzt.
Der Leipziger Musiker Sebastian Krumbiegel, Sänger der Prinzen, engagiert sich seit Jahren gegen den Rechtsextremismus in seinem Heimatland. Er geht mit der sächsischen Staatsregierung hart ins Gericht.
O-Ton Sebastian Krumbiegel, Musiker, "Die Prinzen"
"Ich denke, man hätte sich von Anfang an gegen rassistische Tendenzen stellen müssen. Man hätte von Anfang an erkennen müssen, dass die Leute schief liegen, die da um die vermeintliche oder gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes kämpfen. Allgemein in Deutschland gibt´s ein Problem mit Rechtsradikalismus, mit Rassismus, aber wie man dagegen vorgeht, oder dass man sich dagegen klar positioniert, das wurde in Sachsen versäumt."
Beispiel Meißen: Die sogenannte "Initiative Heimatschutz" hetzt zusammen mit der NPD gegen den Plan, Flüchtlinge in einem Haus im Ort unterzubringen. Der CDU-Landrat wertet die Pöbler auf, lädt sie zum Gespräch ins Landratsamt ein. Dort verkündet er die Idee, aus dem Gefängnis im Landkreis eine Flüchtlingsunterkunft zu machen. Durch die Zäune wären schließlich beide Seiten voreinander geschützt.
Wenig später zünden unbekannte Täter das Haus für die Asylbewerber an. Zuvor hing ein Drohbrief an der Tür. Der CDU-Landrat bezieht Position:
O-Ton Arndt Steinbach, CDU, Landrat Meißen
"Die rechten Umtriebe sehe ich nicht, die sie meinen. Ich weiß auch nicht, sie werden es wahrscheinlich auch nicht beurteilen können. Sie kommen gar nicht von hier. So ein Brandanschlag ist das erste Mal im Landkreis Meißen jetzt durchgeführt worden. Und ich kann im Moment auch nicht erkennen, dass sowas wiederholt werden wird."
Ganz anderer Meinung sind die, die sich für Flüchtlinge in der Stadt einsetzen.
O-Ton Martin Oehmichen, Bünnis90/Grüne, Kreisrat Meißen
"Das ist ein klassisches Vorgehen hier in Meißen, aber auch in Sachsen, dass das Problem von rechts weiterhin geleugnet wird, obwohl es eigentlich nicht mehr zu leugnen ist. Wir haben sehr viele Flüchtlingshelfende, die zunehmend bedroht werden von rechts, die Patronen im Briefkasten finden, und, und, und."
Für einen Pressetermin hatte die sächsische Landesregierung in Meißen Zeit. Für ein Gespräch mit den ehramtlichen Helfern aber nicht.
O-Ton Martin Oehmichen, Bündnis 90/Grüne, Kreisrat Meißen
"Die Flüchtlingsinitiativen erleben keine Unterstützung der CDU. Die CDU lässt sich nicht blicken, und sie sucht auch nicht das Gespräch zum Unterstützen."
Im Fokus der sächsischen Asylpolitik: CDU-Innenminister Markus Ulbig. Er gefällt sich als Scharfmacher. Angefeuert von den Pegida-Aufmärschen ließ er im Winter symbolträchtig eine Task Force der Polizei einrichten - eigens für kriminelle Asylbewerber.
O-Ton Sebastian Krumbiegel, Musiker, "Die Prinzen"
"Wenn Markus Ulbig in der Hochzeit von Pegida eine Task Force gegen Ausländerkriminalität ins Leben ruft, muss er sich vorwerfen lassen, dass er am rechten Rand fischt. Und da gibt´s keine Entschuldigung für. Und ich glaube, dass das klar gedacht ist, dass eine Stimme, die rechts der Union ist, eine potenzielle Wählerstimme für ihn ist."
Um die rechtsradikalen Krawalle in Heidenau zu unterbinden, standen Ulbig aber angeblich nicht genügend Polizisten zur Verfügung. Zwei Nächte in Folge konnte der rechte Mob randalieren, es gab eine einzige Festnahme.
Auch als Angela Merkel Heidenau besuchte, reagierte die sächsische Polizei auffällig zurückhaltend:
"Hure, Hure…"
Kein Polizist vor Ort wollte die Beleidigungen unterbinden.
"Die hässliche Fotze müsst ihr fotografieren, nicht mich!"
Das Willkommensfest für Flüchtlinge in Heidenau wollte der zuständige CDU-Landrat dann gleich ganz verbieten. Zu wenig Polizei, hieß es wieder.
Erst Gerichte erklärten das Verbot für rechtswidrig, Innenminister Ulbig war nicht eingeschritten. Sehr zum Unmut der linken Flüchtlingsunterstützer.
O-Ton Markus Ulbig, CDU, Innenminister Sachsen
"Scheint manches auf meine Person projiziert zu sein, aber ich bin trotz alledem froh, dass dieses Fest heute hier so stattfinden kann."
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir wundert sich noch immer über die sächsische CDU.
O-Ton Cem Özdemir, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen
"Es ist wirklich bemerkenswert, dass ein CDU-Innenminister, die sich ja gerne immer rühmen mit innerer Sicherheit, sagt, wir kriegen das nicht hin. Ist doch unglaublich. Also wenn man das nicht schafft, den Rechtsradikalen ein Stoppsignal zu setzen, dann soll man´s lassen!"
Aber Ulbig macht weiter nach Art der Sachsen-CDU – auch im eigenen Laden.
Im Mai outete die linke Webseite Indymedia zwei sächsische Polizisten mit engen Kontakten zu Neonazis.
Roger B. postete auf facebook: "Fein, fein, deutscher Vater, deutsches Kind. 88." Achtundachzig – ein Nazicode für "Heil Hitler".
Und Bereitschaftspolizist Fernando L. soll per whats app sogar Dienstinterna an einen bekannten Rechtsradikalen gegeben haben.
Aus dem Haus von Innenminister Ulbig heißt es dazu, die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen.
Beide Polizisten sind nach Kontraste-Recherchen weiter im Einsatz. Fernando L. sogar vor Flüchtlingsheimen, wie hier im Juni in Freital. So geht sächsisch.
Beitrag von Chris Humbs und Markus Pohl