Droht ein Dexit? - Wie die Deutschen die EU kaputt reden

Von Glühbirnenverbot bis zur Staubsaugerregulierung, die Kritik an neuen EU-Vorschriften reißt nicht ab. Tatsächlich sind diese Verordnungen jedoch Ausdruck moderner Politik, die hocheffizient ist, nachhaltig Arbeitplätze schafft, die Umwelt und den Geldbeutel der Verbraucher schützt. Dennoch wird die EU als Bürokratiemonster gebrandmarkt und populistisch an den Pranger gestellt. Kein Wunder, dass der Wähler sich von der europäischen Idee abwendet: Nur noch 50 % der Deutschen bewerten die EU "positiv".

Anmoderation: Die Bundeskanzerlin ist ja zur Zeit auf Pendelmission in Europa, sie will sondieren, wie es nach dem Brexit-Beschluss weiter gehen soll. Kräftig wirbt sie für die Europäische Union. Doch die Frage ist: Warum tut sie das nicht auch innerhalb Deutschlands? Scheinen die Politiker aus der Brexit-Debatte nichts gelernt zu haben? Warum wird die Idee Europa jetzt nicht besser vermittelt? Warum werden Entscheidungen aus Brüssel nicht verteidigt?  Chris Humbs und Sascha Adamek zeigen die Gründe.

Beim Grillen ist der Deutsche ganz bei sich. Hier kann er schalten und walten, wie er will. Doch jetzt geht die Angst um, dass es damit bald vorbei ist. Denn auch die EU hat das Grillen für sich entdeckt.

Griller

"Das ist mein Grill und der geht nur mich was an. Also sagen wir's mal so."

Nein, so die EU. Konkreter: es geht um den Grillhandschuh. Der gilt nämlich als "Schutzausrüstung" – und ist bislang völlig unreguliert. Es gibt kein Sicherheitszertifikat für Grillhandschuhe. Was das  zur Folge  haben kann - der Grillmeister probiert es aus.

Schon nach kurzer Zeit schmort der Handschuh an. Schließlich platzt er stellenweise auf.  Es wird brenzlig.

Griller

"Der ist kein Grillhandschuh, sagen wir mal so."

Reporter

"Mit dem würden sie nicht grillen?"

Griller

"Ne, Ne"

Frau am Grill

 "Ja, dann würde ich schon sagen, eine Zertifizierung ist wahrscheinlich schon gut, um eben auch so etwas wie Brandlöcher zu vermeiden."

Dennoch ist die Aufregung in den Medien groß.

Dabei will wie EU doch nur mehr Schutz vor Verbrennungen, also mehr Verbraucherschutz! Trotzdem nutzt die rechtspopulistische AfD das Thema, um gegen die EU zu wettern. Ein AfD-Kreisverband sieht bereits die nationale Freiheit durch die "Regelwut" fieser  EU-Bürokraten bedroht.

Und was macht die Bundesregierung? Sie hatte der Grillhandschuh-Verordnung doch selbst zugestimmt. Und jetzt, als Kritik laut wird? Keine Reaktion.

In der EU-Kommission ist die Stimmung  gereizt, weil deutsche  Politiker immer wieder – sobald Protest aufkommt - den Rückzug antreten statt die EU zu verteidigen.

Der Ständige Vertreter der EU- Kommission in Berlin kritisiert jetzt sogar offen vor der Kamera die deutsche Regierungspolitik:

Richard Kühnel, Ständiger Vertreter der EU-Kommission in Deutschland

"Erstens einmal werden alle diese Entscheidungen nicht in einem einsamen Brüsseler Elfenbeinturm getroffen, kaum eine Abstimmung läuft ohne die Zustimmung Deutschlands. Dann würde man sich schon wünschen, dass danach auch die deutsche Politik sein Kind, das es dann mit geboren hat, annimmt und entsprechend auch dafür eintritt und sich einsetzt. Und das kann bisweilen stärker sein, als es in der Vergangenheit war."

Warum verteidigen Politiker in Deutschland die EU nicht offensiv? Denn ohne EU müssten 28 Einzelstaaten ihre eigenen Verordnungen beschließen, während mit der EU nur eine Einzige genügt.  Für alle ein Riesenfortschritt und eine Entbürokratisierung, findet der langjährige ARD-Korrespondent in Brüssel Rolf-Dieter Krause.

Rolf-Dieter Krause, ehem. ARD-Korrespondent in Brüssel

"Wenn wir in die Kleinstaaterei zurückfallen würden, würde es uns deutlich schlechter gehen. Welcher Politiker sagt das. Barack Obama, der hat kürzlich hier eine Rede auf Europa gehalten, die würd ich gern mal von einem europäischen Politiker hören. Die haben alle Schiss und verziehen sich. Weil sie denken, ich kann damit keine Punkte machen. Das ist aber Quatsch, man muss für das einstehen, was man für richtig hält."

Ausgerechnet Merkels Mann in Brüssel  attackiert die EU am lautesten. Herbert Reul ist der mächtige Gruppenchef der CDU/CSU im europäischen Parlament. Er geißelt Brüssel gern als Bürokratiemonster. Zum Beispiel, dass die EU per Verordnung den Stromverbrauch  von Staubsaugern senkt,  um das Klima zu schützen. Für Reul ist das alles ein Eingriff in die Privatsphäre:

Herbert Reul, CDU/CSU-Gruppenchef im Europ. Parlament

"In der Kommission beschäftigen sich die Beamten mit Staubsauger und sonstigem Scheiß. Und das mal klar zu sagen, ich hab da kein Verständnis für und bin der Meinung, die Politik müsste das dringend stoppen."

Rolf-Dieter Krause, ehem. ARD-Korrespondent in Brüssel

"Ja klar kann ich über einen Staubsauger herziehen und sagen, müssen die das festlegen, kann das nicht jede Hausfrau selbst entscheiden, was für einen Staubsauger sie will. Aber wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen, dann ist es schon gut, die Industrie zu zwingen, bessere Technik anzubieten. Der Katalysator ist auch nicht freiwillig gekommen."

Die Staubsaugerregelung ist dabei nur ein kleiner Teil der sogenannten Ökodesignrichtlinie gegen Verschwendung. Sie legt fest, wie viel Energie alle möglichen technischen  Geräte in Zukunft maximal verbrauchen dürfen. Das alles war ursprünglich eine deutsche  Idee  und ist längst  vertraglich vereinbart. Reul  wettert  trotzdem weiter:

Herbert Reul, CDU/CSU-Gruppenchef im Europ. Parlament

"Ich glaube wir werden die Menschen für dieses europäische Projekt nur gewinnen, wenn wir klarmachen: Europa ist notwendig weil es Sachen gibt die ein Staat alleine nicht mehr regeln kann, die man zusammen anpacken muss. Und das sind die großen und wichtigen Fragen. Und gleichzeitig sagen: Aber aus dem Kleinscheiß halten wir uns heraus."

Weltklima - Kleinscheiß?  Der Wirtschaftsingenieur Dirk Jepsen kam im Auftrag des Bundesumweltministeriums zu einem ganz anderen Fazit:

Dirk Jepsen, Institut für Ökologie und Politik

"Die Prognose ist zum Beispiel dass die Umsetzung der Ökodesignrichtlinie bis 2020 so viel Energie sparen wird, wie Kanada als großer Staat insgesamt verbraucht."

Auch beim Duschen wollte die EU-Kommission Energie sparen – ohne dass man auf Komfort verzichten muss. In Luxushotels ist das längst Normalität  – hier spart ein mittelgroßes Hotel allein 3.000 Euro im Jahr.

Thomas Mempel, Regent Hotels & Resorts

"Den Effekt, haben wir mit diesem kleinen Bauteil, das wir in den Duschkopf einbauen, erzielt. Und das ist ein Bauteil, das kostet um die 2 Euro 50 und hat einen erheblichen Einsparungseffekt."

Weil zu Hause aber niemand diese Teile einbaute, stimmte auch Deutschland zu, dass fabrikneue Duschköpfe künftig sparsam sein müssen.

Als das öffentlich wird und Protest aufkommt, raunt die CSU, die EU habe unter der Dusche nichts zu suchen. Das sowas gut ankommt beim Wähler, merkt auch die Bundeskanzlerin und stellt prompt fest: man müsse nicht jedes Problem in Brüssel entscheiden. Und selbst EU-Parlamentspräsident Martin Schulz von der SPD zerredet jetzt  die  Idee:

Martin Schulz, SPD, Präsident Europ. Parlament

"Warum frage ich, muss die Kommission den Energieverbrauch von Duschköpfen regulieren. Ich weiß nicht, ob das notwendig ist. Liebe Genossinnen und Genossen."

Statt in Ruhe zu erklären, dass die Duschkopfverordnung  Sinn hat, siegt am Ende der Populismus. Kommissionschef Juncker reagiert, indem er den Verordnungsentwurf  verschwinden lässt. Zulasten der Umwelt:

Dirk Jepsen, Institut für Ökologie und Politik

"Die Prognosen sagen, dass der Duschkopf den Energieverbrauch Dänemarks entspricht."

Das Einknicken der Politik mache die EU noch unglaubwürdiger, sagen selbst renommierte  Wahlkampfmanager:

Frank Stauss, Politikberater Agentur Butter

Warum macht man das, man macht es um einen relativ billigen Punkt im Wahlkampf einzufahren, man macht es um letztendlich sich selbst auch neben die EU zu stellen und zu sagen:  da ist etwas aus dem Ruder gelaufen, und das ist eine billige Nummer, allerdings auf Kosten der Europäischen Union, und das ist wiederum gefährlich, weil genauso eine Haltung haben wir eben Dinge wie den Brexit beschleunigt."

Abmoderation: Das scheint die Politik aber auszublenden: Nur eines von fünf Bundesministerien hielt es für nötig zu antworten, als wir um Stellungnahme zur Kritik an der Grillhandschuh-Verordnung mehrfach nachfragten: Das Bundesarbeitsministerium schrieb, man finde es "richtig und wichtig" dass die EU-Verordnung Verbraucher vor möglichen Verletzungen schütze. Aktives Werben für die EU sieht anders aus.

Beitrag von Chris Humbs und Sascha Adamek