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- Flügelstreit - Treibt die SPD nach links?

Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl steht die SPD noch immer unter Schock. Zwar scheinen die wichtigsten Personalfragen inzwischen geklärt – aber wie es weitergehen soll nach dem Verlust von sechs Millionen Wählerstimmen, ist vielen Genossen völlig unklar. Nicht alle wollen einen Linksruck. Wir haben zwei junge SPD-Bundestagsabgeordnete am Tag der ersten Fraktionssitzung begleitet.

Nur vier Tage gönnte sich die SPD nach ihrer historischen Wahlniederlage, um ihre Führung neu aufzustellen: Heute heißt es: die Spitze wird verjüngt: Sigmar Gabriel soll den Parteivorstand übernehmen und Andrea Nahles den Posten der Generalsekretärin. Doch damit beginnt erst die eigentliche Arbeit: Wohin soll es gehen, die Partei ist zutiefst verunsichert. Das bekamen unsere Autoren Susanne Opalka, Benedict Maria Mülder und Kay Walter zu spüren, als sie mit der Kamera zwei junge SPD-Abgeordnete einen Tag lang begleiteten.

Sabine Bätzing hat es gerade noch geschafft. Sie bleibt im Bundestag. Am Wahlabend Tränen der Anspannung.

Dienstagmorgen, 10 Uhr in Berlin. Die 34-Jährige aus Rheinland-Pfalz will, dass sich ihre SPD verändert. Dafür soll sich die Partei Zeit nehmen, denkt sie.

Sabine Bätzing (SPD), Mitglied des Bundestages
„Mit einem weiter so, fahren wir gegen die Wand. Das darf nicht sein. Und deswegen wollten wir uns jetzt die Zeit und die Ruhe nehmen, sowohl inhaltlich als auch personell zu diskutieren wie es weiter gehen wird.“

Ruhe und Zeit für gründliche Diskussionen: das will auch Carsten Schneider. Der 33-jährige Thüringer hat es auch nur über die Landesliste in den Bundestag geschafft. Der Bankkaufmann gibt sich aber gefasst.

Carsten Schneider (SPD), Mitglied des Bundestages
„Die SPD ist jetzt in einer Phase, dass sie erstmals dieses Ergebnis verarbeiten muss, und es auch gründlich analysieren muss. Das habe ich für mich selbst noch gar nicht getan, kann ich auch nicht abschließend sagen.“

Carsten Schneider gehört zu den jüngsten Sozialdemokraten im Bundestag, ebenso Sabine Bätzing. Trotzdem: beide sind bereits erfahrene Parlamentarier. Hoffnungsträger ihrer Partei.

Sabine Bätzing ist seit 2005 Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Den Job wird sie jetzt verlieren. Genau wie ihre Ministerin, Ulla Schmidt.

Carsten Schneider kam schon mit 22 in den Bundestag. Seit 2005 ist er haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Und das will er auch bleiben.

11 Uhr: Sitzung des Fraktionsvorstands: Sabine Bätzing ist dabei. Die Spannung drinnen ist auch draußen zu spüren.

Fast 6 Millionen Wähler sind abgewandert. Die Suche nach Gründen für derartige Verluste ist schwierig. Sabine Bätzing fordert nach der Sitzung nur eines: Gemeinsames Nachdenken.

Sabine Bätzing (SPD), Mitglied des Bundestages
„Ich wiederhole mich eigentlich den ganzen Vormittag: Lasst uns doch mal Zeit. Am Sonntag war doch erst diese Desaster. Und es hat keiner die Allheillösung, das Allheilmittel parat. Wir brauchen Zeit um zu diskutieren. Wir brauchen Zeit um uns zu finden, aus diesem Schock raus zu kommen und zu handeln. Und wir werden Frank-Walter Steinmeier mit einer guten Mehrheit sicherlich gleich wählen.“

Erst einmal überschlagen sich die Ereignisse:

14:45 Uhr: Generalsekretär Hubertus Heil tritt zurück.

15:50 Uhr: der stellvertretende Parteivorsitzende Peer Steinbrück verzichtet auf sein Amt. Viele rauchen gegen ihre Nervosität an.

Auch dem Thüringer Abgeordneten Carsten Schneider geht das alles viel zu schnell. Ihm geht es vor allem um die politische Ausrichtung seiner Partei.

Carsten Schneider (SPD), Mitglied des Bundestages
„Wir haben als SPD in viele Richtungen verloren. Ganz viele Leute ins Nichtwählerlager, die wir nicht mobilisieren konnten, aber auch an die FDP, an die Grünen, an die CDU. Deswegen gibt es keinen monokausalen Zusammenhang. Es gibt auch nicht nur eine Antwort auf dieses Ergebnis, sondern es ist – glaube ich – einfach schwieriger und tiefgehender.“

17 Uhr 25: Die Fraktion hat Frank-Walter Steinmeier zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Sabine Bätzing verfolgt den Auftritt abseits, hat mit ihrem Mitarbeiter ein mobiles Büro errichtet.

Carsten Schneider bewertet die Ereignisse in Interviews. Im Gegensatz zur Parteispitze geben beide den ganzen Tag Antworten. Vor allem auf die zentrale Frage: Soll die SPD sich nach links öffnen?

Sabine Bätzing (SPD), Mitglied des Bundestages
„Wir sind nicht die Linkspartei. Die werden immer wieder uns überholen wollen, immer wieder uns mehr noch ein Schüppchen drauf legen wollen. Wir müssen unseren Weg finden, unsere Themen besetzen: Und wir müssen auch zu dem stehen, was wir gemacht haben.“

Carsten Schneider (SPD), Mitglied des Bundestages
„Ich warne nur davor, dass wir als SPD jetzt versuchen, irgendjemandem hinterherzulaufen. Wir sind eine sehr traditionsreiche, alte Partei mit einer langen Geschichte, mit Siegen und auch mit Niederlagen. Und heute ist wieder so ein Tag einer Niederlage, aber da darf man sich jetzt nicht umhauen lassen.“

18 Uhr 15. Die Sitzung der Fraktion ist beendet. Die alte Garde ist gegangen. Und die Fraktion hat fast 80 Mitglieder weniger. Ein Tag, wie ihn Sabine Bätzing und Carsten Schneider in ihrem politischen Leben noch nicht haben durchstehen müssen.

Sabine Bätzing (SPD), Mitglied des Bundestages
„Ja, es war aufregend, es war aber vor allem auch eine sehr bedrückende Atmosphäre. Es hat eine Kollegin gesagt, es herrscht so etwas wie Ausnahmesituation. Und das ist es auch, also nicht nur, dass so viele Kollegen uns jetzt verlassen werden, von denen wir uns sehr plötzlich verabschieden mussten, sondern auch die Stimmung insgesamt.“

Noch ein letzter Termin. Eine Diskussion mit Parteifreunden bis in die tiefe Nacht. Lösungen wird es keine geben, Nur das Radio spielt versöhnliche Musik …

Beitrag von Susanne Katharina Opalka, Benedict Maria Mülder und Kay Walter