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In Thüringen sind die Parteien zu großen Experimenten bereit: Um eine Regierungsbeteiligung von Höckes rechtsextremer Thüringen-AfD abzuwenden, könnten CDU und BSW hier koalieren. Um Ministerpräsident zu werden, würde CDU-Mann Mario Voigt also auch mit einer Partei zusammengehen, die eine Koalition an die Absage von US-Raketenstationierungen in Deutschland knüpft. Kommt die Westbindung der CDU ins Wanken? Was ist das BSW für eine Partei, die aus dem Stand in aktuellen Umfragen 19% holt, aber auch in Thüringen noch auf der Suche ist nach den eigenen Positionen und Personal. Und welche Rolle wird in Zukunft der amtierende Ministerpräsident Ramelow spielen? Eine Wahlkampfreportage.
Autoren: Mitja Blümke, Pune Djalilevand, Daniel Donath, Silvio Duwe, Anne Grandjean, Chris Humbs, Markus Pohl
Anmoderation: In gut zwei Wochen wird in Thüringen gewählt - und darüber schwebt ein bedrohliches Szenario: Björn Höcke könnte mit seiner als rechtsextrem eingestuften AfD an die Macht kommen. Einer, der das verhindern will, ist CDU-Mann Mario Voigt - weitaus weniger bekannt, hätte aber tatsächlich Chancen, nächster Ministerpräsident zu werden, Höcke also abzuwenden. Allerdings müsste er sich dafür wohl auf eine wilde Koalition mit dem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht einlassen. Ein Pakt mit einer Ex-Kommunistin, um einen Rechtsextremen zu verhindern - kann das wirklich funktionieren? Das war eine der Fragen, die unsere Reporterinnen und Reporter gestellt haben auf ihrer Reise durchs Wahlkampfland.
Ihre Partei mischt gerade die Thüringer Politik auf: Spitzenkandidatin für das BSW, das Bündnis Sahra Wagenknecht. Die Senkrechtstarter von 0 auf 19 Prozent in den Umfragen.
Katja Wolf, BSW-Spitzenkandidatin Thüringen
"Zu fünft ein Plakat aufhängen, es ist wie zu DDR-Zeiten. Zwei arbeiten, drei gucken zu."
"Warst Du früher eigentlich in einer anderen Partei? Das weiß ich gar nicht."
"Nee."
"Du bist ein ganz, ein ganz bezaubernder Frischling."
Wolf selbst trat Anfang des Jahres aus der Linkspartei aus. Zwölf Jahre lang war sie Oberbürgermeisterin hier in Eisenach. Der Wahlkampf im Ort – für sie ein Heimspiel.
Wolf sagt, sie wolle einen AfD Ministerpräsidenten Höcke in Thüringen verhindern. Mit ihrer alten Partei sah sie sich dazu nicht mehr in der Lage.
Katja Wolf, BSW-Spitzenkandidatin Thüringen
"Wir haben es nicht geschafft, das Image der Kümmerer-Partei zu behalten. Wir haben es nicht geschafft, immer zu gucken, wie geht es den Rentnern, wie geht es den Menschen im Niedriglohnbereich? Sondern wir haben uns als Linke, oder die Linke hat sich - damals wir - viel zu sehr zu einer Großstadt-Partei der politischen Korrektheit entwickelt und sich damit von den Problemen der Leute ganz weit weg bewegt."
Wohin aber bewegt sich das BSW? Gerade einmal 80 Mitglieder hat die neue Partei in Thüringen. Und vieles ist noch unklar.
Wir begleiten Wolf und den zweiten Spitzenkandidaten Steffen Schütz zur Podiumsdiskussion eines Wirtschaftsverbandes. Welche Standpunkte vertritt das BSW? Spontane Abstimmung im Auto:
Katja Wolf, BSW-Spitzenkandidatin Thüringen
"Welche steuerlichen Entlastungen planen sie für Unternehmen? Planen wir steuerliche Entlastung für Unternehmen? In Thüringen haben wir ja fast keine Chance. Wie können innovative Ideen besser gefördert und schneller in den Markt eingebracht werden? Ja, das ist die Quadratur des Kreises."
Vor Ort in Schweina dann zeigt sich: Wolfs plötzlicher Fahnenwechsel sorgt nicht bei jedem für helle Begeisterung.
Zwischenruf
"Falsche Schlange! Schäm Dich!"
Der Mann, der hier dazwischenruft, ist Falk Hausdörfer - ein Kommunalpolitiker der Linkspartei:
Falk Hausdörfer, DIE LINKE, Kommunalpolitiker
"Ich bin sehr enttäuscht von Katja Wolf. Sie hat unsere Partei verlassen. Das hat uns natürlich sehr geschadet, auch einem linken Ministerpräsidenten. Es ist der einzige linke Ministerpräsident in Deutschland. Das war für uns als Linke eine große Errungenschaft."
Der einzige linke Ministerpräsident Deutschlands: Bodo Ramelow. Zehn Jahre Ministerpräsident von Thüringen, derzeit Chef einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Glaubt man jüngsten Umfragen, ist damit nach dem 1. September Schluss.
Stärkste Partei derzeit Höckes AfD mit 30 Prozent, ein ganzes Stück dahinter die CDU mit Spitzenkandidat Mario Voigt, dicht gefolgt vom BSW. Die Linke nur noch bei 15 Prozent, die SPD bei sieben. Die Grünen und die schon gar nicht mehr aufgeführte FDP wären raus aus dem Erfurter Landtag.
Mitte Juni zeichnet sich das schon ab. Ramelow hat zum Sommerfest der Thüringer Landesvertretung in Berlin eingeladen. Wenige Tage zuvor war Europawahl, ein Desaster für ihn. Auch da schon AfD und BSW in Thüringen mit großen Zugewinnen, die Linke abgestürzt. Ramelow mit Wählerschelte:
Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident Thüringen
"Ich finde, es lohnt sich, nach Thüringen zu kommen und zu sehen, dass wir mit hundert Weltmarktführern mehr zu bieten haben als nur komische Wahlergebnisse."
Der Erfolg der BSW-Rivalen hat Ramelow sichtlich getroffen.
Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident Thüringen
"Die Behauptung von Katja Wolf, man würde die AfD kleinmachen, ist wirklich ad absurdum geführt worden. Ich habe das nie geglaubt, aber jetzt ist es auch belegt: Das BSW kannibalisiert zuallererst bei der Linken."
Unter den Gästen: der thüringische AfD-Bundesvorstand Stephan Brandner. Einen "Brandstifter" hat ihn Ramelow eben noch genannt. Die AfD sieht jetzt die Chance an die Macht zu kommen und Ramelow abzulösen.
Stephan Brandner, AfD, Mitglied des Bundesvorstands
"Wenn ich durch Thüringen fahre, ist völlig klar, dass es sein letztes Fest als Ministerpräsident ist. Wir haben im 1. September die Landtagswahl. Ich denke mal, spätestens Oktober ist Ramelow mal wieder Geschichte. Er war ja schon einmal Geschichte. Dann hat Merkel eingegriffen. Aber Merkel wird zu seinen Gunsten nicht mehr eingreifen."
"Und dann ist Herr Voigt Ministerpräsident?"
"Das wünschen Sie sich vielleicht hier vom Staatsfunk. Aber ich glaube, wir haben andere."
"Also sie glauben, Björn Höcke könnte der nächste Ministerpräsident werden?"
"Das ist keine Glaubensfrage, das ist eine Mehrheits-Frage, und man wird's dann sehen."
Im Wahlkampf gibt sich die Partei siegesgewiss, feiert Höcke schon als Ministerpräsidenten.
Ihre Strategie: positive Stimmung verbreiten mit Hilfe knallig-bunter Werbeclips. Darin verpackt: die rechtsradikale Botschaft: "Wir sagen Ja zu Sommer, Sonne, Remigration."
Anfang August macht die AfD Station in Altenburg. Der Marktplatz ist rappelvoll.
"Begrüßen sie mit mir zusammen, den nächsten Ministerpräsidenten von Thüringen, Björn Höcke!"
Auftritt des Spitzenkandidaten, zweifach verurteilt wegen des Verwendens einer NS-Parole, wogegen er Revision eingelegt hat.
"Höcke, Höcke, Höcke"
Björn Höcke, AfD, Spitzenkandidat Thüringen
"Wir werden in Thüringen natürlich die Wende in der Migrationspolitik einleiten. Wir werden viel Geld in Zukunft sparen. Am Anfang wird es ein bisschen teuer werden, weil wir natürlich viele Abschiebungen initiieren müssen und die Abschiebeflieger, die von Erfurt und vielleicht auch vom Altenburger Flughafen dann starten werden, die werden am Anfang natürlich auch ein bisschen was kosten. Aber ich denke, das ist gut investiertes Geld. So. Und dann werden wir anfangen zu sparen."
Niemand, den wir hier ansprechen, will mit uns reden.
"Es wird niemand gezwungen, aber fragen muss man einmal."
"Lügenpresse!"
"Hi, Anne Grandjean mein Name, ich komme von der ARD. Würden Sie mir ein bis zwei Fragen beantworten?"
"Geht hoch zur Linken, da gehört ihr hin."
Die Kundgebung soll mit der Nationalhymne enden. Doch gespielt wird die Strophe, die zuletzt unter Hitler galt:
"Deutschland, Deutschland über alles"
Deutschland, Deutschland über alles - angeblich nur ein Versehen.
"Das ist die erste Strophe! Stopp! Heiko Stopp!"
Es wirkt wie eine inszenierte Provokation.
Björn Höcke, AfD, Spitzenkandidat Thüringen
"Um den Medien natürlich jetzt nicht wieder eine Skandal-Möglichkeit zu geben, werden wir jetzt die offizielle Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland singen. Und das ist die dritte Strophe. Heiko bitte jetzt abfahren."
"Einigkeit und Recht und Freiheit…"
Trotz des hohen Zuspruchs: Höckes Traum, die Macht zu übernehmen, ist mit dem Aufkommen des BSW wieder in die Ferne gerückt. Auch wenn er sich gelassen gibt:
"Herr Höcke, macht es sie nervös, dass sich CDU und BSW zusammenschließen könnten?"
Björn Höcke, AfD, Spitzenkandidat Thüringen
"Nee, mich macht gar nichts nervös. Ich hab auch keine Angst."
Tatsächlich aber hat sich die politische Arithmetik in Thüringen gerade grundlegend verändert, wie der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz erläutert:
André Brodocz, Politikwissenschaftler Universität Erfurt
"Gerade hier in Thüringen hatten wir ja durch den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU die große Problematik, dass die CDU weder mit der AfD noch mit der Linken koalieren wollte. Und damit gab es keine politischen Mehrheiten mehr. Jetzt haben wir mit dem BSW eine Partei, mit der eine Kooperation mit der CDU nicht ausgeschlossen ist und das ermöglicht es, wieder hier Regierungsmehrheiten herzustellen, auch ohne die AfD und auch - für die CDU wichtig - ohne die Linke. Und damit hat sich das Spiel dramatisch verändert."
Das verdeutlicht die Sitzverteilung, die aus den jüngsten Umfragen folgen würde. Die CDU hätte gemeinsam mit dem BSW und der kleinen Thüringen-SPD eine knappe, aber ausreichende Regierungsmehrheit. AfD und Linke blieben außen vor.
Ein Szenario, das ihm den Weg ebnen könnte: Mario Voigt. Spitzenkandidat der CDU. Er hat derzeit die wohl besten Aussichten auf den Ministerpräsidenten-Posten. Wir begleiten ihn im Wahlkampf beim Rundgang in einer Reha-Klinik.
"Beim Schwimmen war ich nicht, aber ich bin den Pfad abgelaufen. Hehe."
Die Klinik liegt in Voigts Wahlkreis, hier kommt er an.
Patient
"Er soll weiterkämpfen."
Mario Voigt, CDU, Spitzenkandidat Thüringen
"Das ist doch ne gute Botschaft. Am 1.September kämpfen wir es nieder. Hehe."
Gemeint ist wohl die AfD. In Wahlwerbespots attackiert die CDU die Rechtsextremen wenig subtil:
"Höcke ist doof. Richtig doof."
Mario Voigt, CDU, Spitzenkandidat Thüringen
"Höcke ist eine Gefahr für Thüringen und deswegen die harte Auseinandersetzung. Die suchen wir."
Weiterer Termin: Kistenpacken bei der Tafel in Eisenberg.
Mario Voigt, CDU, Spitzenkandidat Thüringen
"Salatgurke überall mit drinnen."
Hier allerdings hinterlässt Voigt weniger Eindruck.
Frau bei der Tafel
"Die machen sowieso ihr eigenes Ding. Egal wer drankommt, vorher immer alles große Versprechen. Und wenn sie nachher dran sind, haben Sie irgendwie immer alle Erinnerungslücken."
Fast nirgendwo ist die Skepsis gegenüber der Politik so groß wie im Freistaat Thüringen. Voigt versucht einen Spagat: Er richtet sich an alle, die einen Durchmarsch der AfD befürchten. Zugleich will er diejenigen abholen, die der etablierten Politik misstrauen. Gezielt attackiert er immer wieder die Ampelkoalition in Berlin.
Mario Voigt, CDU; Spitzenkandidat Thüringen
"Ich glaube die Menschen haben Sorge und Frust, dass sich nicht mehr um die wesentlichen Dinge in Deutschland, aber auch in Thüringen gekümmert wird. Die haben die Nase voll von einer Bevormundungs-Politik, wo den Leuten versucht wird zu erklären, was sie zu heizen haben, wie sie sich zu ernähren haben, wie sie fortzubewegen sich haben."
Seine Message: Ich bin einer von hier, einer von euch. Mit viel Verständnis für die Sorgen der Menschen auf dem Land.
Der Journalist Martin Debes gehört zu den profundesten Kennern der politischen Verhältnisse in Thüringen. Er sagt, Voigt habe in den USA intensiv Wahlkämpfe studiert. Und sich dort einiges abgeschaut.
Martin Debes, Journalist, Der Stern
"Das ist das, was er jetzt auch fährt. Der Sumpf in Berlin, die da oben, wir hier in Thüringen, wir sind doch so einfach, wir sind so schlicht. Wir brauchen doch nur unseren Grill und unser Rostbrätel - so heißen die hier bei uns - Und dann sind wir doch schon zufrieden. Es muss doch eigentlich nur das Auto vor der Tür stehen und es muss der Job funktionieren. Und stattdessen Gendersprache. Wokeismus überall. Heizungsgesetz. Ganz schreckliche Dinge, die da passieren."
Vergangenen Freitag in Masserberg, im Süden Thüringens. Wir sind bei einem CDU-Bürgerbiergarten. Die Themen hier: Lehrermangel, fehlende Investitionen – und die Wut auf die Grünen:
Denis Wagner, CDU, Bürgermeister Gemeinde Masserberg
"Ich finde schon erstens gehören die Grünen nicht mehr in diesen Landtag. Das ist das erste. Zweitens finde ich schon, dass ma als CDU uns mal positionieren müssen, dass wir mit solchen Leuten auch nichts mehr zusammen macht."
Mario Voigt, CDU, Spitzenkandidat Thüringen
"Wir brauchen keine ideologische Politik, sondern wir brauchen Politik mit gesundem Menschenverstand und deswegen muss man da auch klar sagen: Mit denen nicht, ganz klar."
Nicht mit den Grünen. Gegenüber dem BSW aber zeigt sich die CDU in Thüringen offen.
Mario Voigt, CDU, Spitzenkandidat Thüringen
"Wir Thüringer entscheiden unseren Weg selbst, und das haben wir uns auch hart erkämpft."
Gegen Friedrich Merz. Noch im Juni schloss der CDU-Bundesvorsitzende eine Zusammenarbeit mit dem BSW kategorisch aus.
Friedrich Merz, CDU, Bundesvorsitzender
"Wir arbeiten mit solchen rechtsextremen und linksextremen Parteien nicht zusammen. Für Frau Wagenknecht gilt ja beides. Sie ist in einigen Themen rechtsextrem in anderen wiederum linksextrem."
Kurze Zeit später muss Merz zurückrudern, auf Druck der Landesverbände. Die CDU will im Osten regieren – und braucht dafür wohl das BSW.
Reporterin
"Warum geht eine Zusammenarbeit mit der Linken nicht, aber mit dem BSW?"
Mario Voigt, CDU, Spitzenkandidat Thüringen
"Ist doch ganz klar. Die CDU hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit AfD und mit der Linken. Das ist in Worte gegossene DNA und Grundüberzeugung unserer Partei, und wir treten jetzt bei einer Wahl dafür an, stärkste Kraft zu werden."
Reporterin
"Sie haben noch nicht beschrieben, was der Unterschied zum BSW ist."
Mario Voigt, CDU, Spitzenkandidat Thüringen
"Ich halte das BSW für eine große Blackbox, da weiß man gar nicht, was man kriegt."
Aber nehmen würde er sie trotzdem. Das Nachsehen hat der Amtsinhaber. In einer Live-Schalte macht Bodo Ramelow seinem Ärger Luft.
Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident Thüringen
"Deswegen wundere ich mich auch über die CDU, die in Thüringen sagt, ja mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht könnten wir uns eine Kooperation vorstellen, aber mit der Linken keinesfalls, weil die Linke steht für die SED. Darf ich mal sagen, ich war keinen Tag in der SED, das war Sahra Wagenknecht, die war in der SED. Ich war niemals Sprecher der Kommunistischen Plattform. Das war Frau Wagenknecht."
Auch Ramelow tourt in diesen Wahlkampf-Tagen unablässig durchs Land. Wir treffen ihn in Judenbach im Landkreis Sonneberg - einer AfD-Hochburg. Der Tross des Ministerpräsidenten besucht einen neu geschaffenen Dorfladen.
Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident Thüringen
"Im Moment wird über Thüringen immer nur über die 30 Prozent geredet, und die 70 Prozent werden dabei vergessen. Wir müssen die 70 Prozent in den Blick nehmen, damit die 70 Prozent wieder mehr werden."
Ramelows Strategie: Die Erfolge Thüringens herausstellen, an den Heimatstolz appellieren - selbst im Lebensmittelladen.
Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident Thüringen
"Jetzt machen wir mal einen Test: Wo kommt das her?"
"Ich muss passen."
"Apolda. Wo produziert Griesson? In Kahla. Die größte Keksfabrik Europas steht in Thüringen. Aber auf keinem der Produkte steht drauf: Made in Thüringen. Dieses Genöle, bei uns ist ja nichts los, ich wundere mich dann immer, auf dem Dorf ist nichts los. Dann sage ich, fahrt mal nach Heberndorf, und guckt euch mal die weltgrößte Fußleistenfabrik an."
Es wirkt, als klammere sich Ramelow an jede Fußleiste. Solche positiven Erzählungen kämen hier in der Region aber kaum an, sagt der Geschäftsführer des Ladens. Die Leute fühlten sich trotzdem als Wendeverlierer.
Jens Kaufmann, Geschäftsführer Dorfladen Judenbach
"Wir hatten hier im Ort zum Beispiel mal sechs Wirtschaften, sechs Gaststätten. Davon gibt es noch eine, und die hat alle zwei Wochen mal auf. Und ich gehe stark davon aus, dass die Leute halt so eine gewisse Unzufriedenheit in sich tragen und dann eher auf was Neuem aus sind."
Und neu ist Ramelow nicht. Vieles spricht dafür: Seine zweite Amtszeit könnte auch seine letzte sein.
Bodo Ramelow, DIE LINKE, Ministerpräsident Thüringen
"Ich höre natürlich die Skepsis von vielen, die sagen: Oh Gott, oh Gott, was passiert denn jetzt. Und ich sage mal, nach wie vor sind meine Umfragewerte , wenn es um mich persönlich geht, phänomenal. Aber ich kämpfe im Moment gegen ein Phantom, das nicht mal auf dem Wahlzettel steht, nämlich Sahra Wagenknecht."
Deren mögliches Bündnis mit der CDU könnte auf inhaltliche Schnittmengen setzen. In vielen Fragen wie Klima- oder Migrationspolitik scheint man sich nahe zu stehen. Knackpunkt ist die Außenpolitik.
Ausgerechnet mit der aber gehen Wolf und das BSW in Thüringen auf Stimmenfang. Am Wochenende in Oberhof, Wahlkampf am Infostand. "Diplomatie statt Kriegstreiberei" heißt es auf Wolfs Plakaten. Das Bündnis will ein Ende der Waffenhilfe für die Ukraine. Es wäre ein Freudenfest für Wladimir Putin. Hier gibt es dafür Zustimmung.
Besucherin
"Also was mich ganz sehr betrübt ist eigentlich der Krieg in der Ukraine und ich möchte, dass der aufhört. Und ich möchte auch das er aufhört, dass wir uns wieder an einen Tisch setzen und über Frieden diskutieren und nicht den Putin in die Enge treiben. Eigentlich wähle ich eher FDP oder Grüne, aber das sind ja Kriegstreiber in meinen Augen. Man kann es anders nicht sagen, oder?"
Katja Wolf, BSW-Spitzenkandidatin Thüringen
"Es ist schon tragisch, wie sehr man sich inzwischen rhetorisch überbietet in der Frage, welche Waffenlieferung jetzt gerade noch dazu muss."
Steffen Schütz
"Welche Waffengattung."
"Mir wird Himmel Angst.”
Katja Wolf, BSW-Spitzenkandidatin Thüringen
"Wir reden ja mehr tatsächlich über die Waffengattungen als über die Frage, wie kommt man raus aus dieser Spirale."
In der Inszenierung als Friedenspartei trifft man sich mit der AfD. "Frieden ist alles" plakatiert die in Thüringen. So manch einer hofft auf einen Schulterschluss der beiden Lager, so wie dieser AfD-Sympathisant:
VoXpop
"Die Sahra, also wirklich super Frau, also sehr intelligente Frau, also wirklich, ich schätze sie auch sehr, keine Frage, im Gegensatz zu vielen anderen Parteien. Aber sie sollte echt mal überlegen, ob sie nicht wirklich mal der AfD mal mit die Hand reicht, weil die zwei Parteien wären so stark. Also wirklich, die halt wirklich Geschichte schreiben könnten, auch für die Zukunft halt. Man kann es doch mal testen vier Jahre."
Aus dem BSW heißt es: man wolle nicht grundsätzlich AfD-Anträge ablehnen. Eine Koalition mit den Rechtsextremen schließen Wolf und auch Wagenknecht aber aus. In möglichen Verhandlungen mit der Union jedoch soll das Ukraine-Thema eine zentrale Rolle spielen.
Katja Wolf, BSW, Spitzenkandidatin Thüringen
"Wir werden uns die Frage Krieg und Frieden nicht weghandeln lassen. Das ist ein Markenkern des BSWs, und das muss sich selbstverständlich auch in einer Thüringer Politik wiederfinden. Das ist das Bekenntnis, dass in Thüringen keine Mittelstreckenraketen zum Beispiel stationiert werden. Das ist das Bekenntnis, dass Thüringen sich auf Bundesebene für eine diplomatische Lösung stark macht."
Martin Debes, Journalist, Der Stern
"Ich sage mal so: dieses Thema Frieden ist jetzt sowieso ein Thema, was auf Landesebene keine Rolle spielt, weil wir werden ja nicht Außenpolitik machen. Das wird dann irgendwo in der Präambel irgendein netter Satz sein: Man ist für die Ukraine, aber auch für den Frieden und damit ist die Sache dann geritzt. Also das lässt sich lösen."
An Mario Voigt soll es offenbar nicht scheitern. Trotz scharfer Kritik aus der Bundes-CDU forderte er kürzlich "Mehr Diplomatie im Ukrainekrieg". Eine Frage aber bleibt offen: Was passiert, sollte das BSW die CDU noch überflügeln? Beide liegen fast gleichauf – und 40 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen.
André Brodocz, Politikwissenschaftler, Universität Erfurt
"Ein solches Szenario wäre noch mal eine ganz besondere Herausforderung meines Erachtens. Ich erwarte nicht, dass die CDU bereit ist, als ein kleiner Partner in eine Koalition mit dem BSW zu gehen, also Katja Wolf zur Ministerpräsidentin zu wählen. Und dann haben wir eine ganz neue Thüringer Komplikation."
Denn dann droht Thüringen, was alle Parteien außer der AfD eigentlich vermeiden wollen.