Gegen alles und jeden -
Früher haben Protestwähler Linke oder NPD gewählt, heute profitiert die AfD. Was treibt die Wähler um, was wissen sie über die Partei? Kontraste war nach den Landtagswahlen im sachsen-anhaltinischen Merseburg, einst eine Hochburg der Linken, und im Wetterau-Kreis in Hessen nach dem Kommunalwahlerfolg der NPD auf Spurensuche.
Anmoderation: Nach dem großen Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen waren sich viele schnell einig: alles Protestwähler. Aber so einfach ist es nicht. Meine Kollegen Caroline Walter und Christoph Rosenthal haben genauer hingeschaut: Was treibt die Protestwähler wirklich um? Unsere Autoren waren in Sachsen-Anhalt, wo die AfD in den Landtag einzog - aber auch in Hessen. Dort schaffte es die rechtsextreme NPD in die Kommunalparlamente. Und bei unseren Recherchen stellten wir fest: Die Übergänge zwischen AfD und NPD sind fließend.
Wir sind in Merseburg, Sachsen-Anhalt. In der Stadt holte die AfD fast 30 Prozent der Wählerstimmen - mehr als alle anderen Parteien.
Früher war hier eine Hochburg der Linkspartei. Doch für diese Bürgerin waren die Linken keine Option.
Wählerin:
"Die sind doch dafür, dass die Deutschen ausgerottet werden sollen, mit. Das deutsche Volk soll ausgetauscht werden. Und damit bin ich absolut nicht einverstanden."
Reporterin:
"Was meinen Sie damit, ausgetauscht werden?"
Wählerin:
"Naja, dass hier Multikulti ist und dass die Deutschen in der Minderheit irgendwann sind. Und irgendwann vielleicht nicht mehr existieren, so wie früher die Majas mit einem Mal weg waren."
Sie hat AfD gewählt. In dem Viertel gibt es eine Flüchtlingsunterkunft - in einer ehemaligen Schule. Von Anfang an gab es dagegen massiven Widerstand.
Wir treffen auf Manja und Gerd D. - sie akzeptieren das Asylheim bis heute nicht.
Zuhause erzählt uns das Ehepaar, dass sie und der Freund der Familie aus Protest AfD gewählt haben.
Reporterin:
"Wo sagen Sie: Wir sind vernachlässigt, was ist sozusagen Ihr Frust?"
Manja D.:
"Frust habe ich eigentlich nicht. Ich fühle mich wohl hier in Deutschland, so wie es jetzt ist."
Reporterin:
"Gibt es denn irgendwas, wo Sie durch die Flüchtlinge beeinträchtigt wären?"
Manja D.:
"Ja, mit den Ärzten. Es ist... Wir haben es schon öfters beobachtet in den Krankenhäuern oder in den Arztpraxen. Die kommen eben dran, wir müssen lange auch einen Termin warten."
Gerd ist Frührentner. Manja war nach der Wende arbeitslos, sie hat Köchin gelernt, aber auf den Beruf hatte sie keine Lust. Seitdem hat sie Minijobs und will viel Zeit mit ihrem Mann verbringen. Für welchen Inhalt die AfD steht - das interessiert sie nicht.
Reporterin:
"Ist das nicht komisch? Man wählt eine Partei, deren Programm man nicht kennt und die auch das Programm vorher gar nicht vorstellt?"
Gerd D.:
"Na ja, wie gesagt: Es muss eben mal ein neuer Wind und wir werden sehen, was..."
Reporterin:
"Ja, aber wenn Sie den Wind gar nicht kennen, genau, wenn Sie das Programm vorher nicht..."
Gerd D.:
"Deswegen sage ich: Man muss es ja mal ausprobieren und abwarten, was passiert. Und man kann ja dann bei der nächsten Wahl, wenn uns die Partei nicht passen tut oder was weiß ich, sag ich: Ne, die brauchen wir nicht. Wir nehmen doch, machen wir doch wieder die CDU oder die SPD oder was."
Manja D.:
"Ja!"
Aber jetzt schimpft man erstmal auf "die da oben" - die man alle verachtet.
Freund der Familie:
"Was hört man von den Grünen? Pädophile, Kinderschänder, Drogen. CDU: Im Landtag genau das gleiche oder im Bundestag gibt es auch solche. Die setzen sich nicht mehr ein fürs Volk, sondern die setzen sich nur noch für ihre eigenen Interessen ein."
Er hat einen guten Job, eine Familie – eigentlich läuft bisher alles.
Reporterin:
"Gewählt aus Protest? Ich meine, wenn es Ihnen gut geht..."
Freund der Familie:
"Ich hab gesagt, ich bin zufrieden mit dem, was ich gerade habe. Ich hab nicht gesagt, dass es mir gut geht."
Reporterin:
"Aber zufrieden ist ja auch..."
Freund der Familie:
"Es könnte besser gehen, selbst, sicherlich. Aber aus Protest haben wir die AfD gewählt."
Reporterin:
"Wo könnte es Ihnen denn besser gehen. Also, wo sagen Sie: Ich werde vernachlässigt wegen der Flüchtlinge, zum Beispiel?"
Freund der Familie:
"Speziell schon wieder gesehen... gerade wie mit den Flüchtlingen umgegangen wird. Es kann nicht sein, wenn ich ein Flüchtling bin, wenn ich verfolgt werde, dass ich da solche großen Ansprüche stelle."
Alle drei gehören zum "Bürgertreff Merseburg West" - die Gruppe protestiert seit Monaten - fast täglich - gegen die Asylunterkunft.
Auch er ist in der Gruppe aktiv. Er hat AfD gewählt und mit Zweitstimme die rechtsextreme NPD.
Reporterin:
"Die NPD, was kann die denn sonst noch, außer dass sie gegen Ausländer ist, ist sie für den Nationalsozialismus?"
NPD-Wähler:
"Na ja, das ist so!"
Reporterin:
"Also wenn die sagen: Ja, Hitler war ein toller Staatsmann, oder wir sind eine Judenrepublik..."
NPD-Wähler:
"Das sagen sie ja in dem Sinne nicht, ja..."
Reporterin:
"Ne, wie steht man denn dann dazu, wenn man das wählt?"
NPD-Wähler:
"Wenn ich nicht dazu stehen würde, würde ich es nicht wählen. Also ich bin der Meinung, und da bringt mich auch keiner von ab."
Auch sein Nachbar ist AfD und NPD-Wähler zugleich.
Nachbar:
"Ich war in Buchenwald, ich war auch in Dachau. Ich hab keine Gaskammer gesehen. Es wird sowas gegeben haben, ne. Aber nicht in der Maße wie es dargestellt wird."
Die Gruppe regt sich maßlos auf, weil um das Heim eine Art Bannmeile errichtet wurde, in der nicht mehr demonstriert werden darf. Die besorgten Bürger behaupten, der Protest sei ja immer friedlich gewesen. Aber genau das war er nicht. Aggressiv wurde gegen die Asylunterkunft gehetzt - sogar Kinder brüllten rechte Slogans.
Die Polizei berichtet von Drohungen gegen das Heim.
Antje Hoppen, Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd:
"Hier sind in Richtung der Asylbewerberunterkunft Gegenstände, auch Böller, geworfen worden. Ein anderer Mann rief Parolen wie: 'Die Bude muss brennen'."
Deshalb zeigt die Polizei jetzt Präsenz und kontrolliert Personalien, wenn sich eine Gruppe versammelt. Doch das Ehepaar D. und die anderen fühlen sich nun vom Staat drangsaliert. NPD- und AfD Wähler verbindet hier ein Feindbild - das Fremde.
Doch ist das wieder typisch Ostdeutschland?
Wir fahren nach Hessen. Eine Stunde von Frankfurt entfernt liegt der Wetteraukreis. Hier fanden vor kurzem Kommunalwahlen statt – mit erschreckendem Ergebnis.
Die rechtsextreme NPD holte mancherorts fast 17 Prozent. Dort wo die AfD nicht angetreten ist – wie hier in einem Ortsteil der Stadt Büdingen. Idyllisch, viele Eigenheime.
Ehemann:
"Das sind Protestwähler. Hier von Diebach da ist keiner NPD, aber kein einer. Das sind nur Protestwähler."
Protestwahl hier wegen dieser Straße - sie soll saniert werden und die Anlieger müssten mitbezahlen. Deshalb das Kreuz bei der NPD.
Reporterin:
"Aber ist das nicht ein bisschen verrückt: Man wählt so eine rechtsextreme Partei, die Nationalsozialismus verherrlicht und solche Geschichten..."
Bürger:
"Die Politik ist sehr verrückt, also können wir auch verrückt sein."
Reporterin:
"Haben Sie es denn auch gewählt, NPD?"
Bürger:
"Nein, ich nicht, aber mein Sohn hat sie gewählt. Der ist auch kein NPD."
Ehefrau:
"Ne."
Reporterin:
"Und was hat Ihr Sohn gesagt, warum er sie gewählt hat?"
Bürger:
"Alles miteinander, das ganze System stimmt nicht mehr."
Der Sohn sei kränklich, er habe nur einen Zeitarbeitsjob. Und auf dem Land sei man eben radikal.
Bei der Wahl ging es natürlich auch um die Flüchtlinge - die in Büdingen in einer Kaserne untergebracht sind. Über die neuen Einwohner wurden viele falsche Gerüchte gestreut. Vor allem vom lokalen NPD-Politiker Daniel Lachmann. Der Biedermann schürte Ängste - mit Erfolg.
NPD-Wählerin:
"Die Asylanten die klauen, ja, und da heißt es dann: die Deutschen klauen mehr. Läuft... geht nicht!"
Reporterin:
"Jetzt ist zum Beispiel in Büdingen, sagt die Polizeistatistik, ist die Kriminalität sogar zurück gegangen im letzten Jahr."
NPD-Wählerin:
"Wo steht das? Das will ich sehen! Also das möchte ich sehen."
Reporterin:
"Das sind die Statistiken der Polizei, die neuen."
NPD-Wählerin:
"OK. Wir erleben es ja anders."
Reporterin:
"Haben Sie denn auch NPD gewählt?"
NPD-Wählerin:
"Ja."
Reporterin:
"Warum wählt man so eine rechtsextreme Partei?"
NPD-Wählerin:
"Das hat damit nichts zu tun, ob die rechts sind. Die sind einfach: Die setzen sich ein, dafür, dass quasi die Asylanten gehen."
Im Januar marschierte NPD-Vertreter Lachmann mit grölenden Neonazis durch die Stadt - just am Tag der Machtergreifung Hitlers. Die Parolen passend dazu: "Alles für Volk, Rasse und Nation".
In mehreren Orten hat fast jeder fünfte NPD gewählt - aber kaum jemand will es gewesen sein - so erleben wir es in vielen Gesprächen.
Im Stadtparlament sitzt Joachim Cott - die Wahlergebnisse haben ihn nicht überrascht. Denn seit den 90iger Jahren gebe es hier rechte Hochburgen mit NPD-Größen – die als nette Nachbarn auftreten.
Joachim Cott (Bündnis 90/Grüne):
"Ich glaube nicht, dass das alles Protestwähler sind. Das wird von vielen Leuten gerne so gesehen, auch unser Bürgermeister sieht das so, dass man diese Klientel in die Rolle der Protestwähler steckt. Damit hat man scheinbar ein Problem erledigt."
Die NPD triumphiert in Büdingen, und die Hemmschwelle sinkt.
Das musste jetzt Markus Reutzel erleben. Er will einen Spenden-Triathlon veranstalten - die Einnahmen gehen z.B. an Chronisch Kranke. Doch jetzt bekam er einen anonymen Drohbrief - weil Flüchtlinge kostenlos an der Veranstaltung teilnehmen dürfen.
"Kein Asylbetrüger Triathlon - wenn die starten gibt's auf die Fresse", hieß es da.
Markus Reutzel:
"Dieser Spendentriathlon ist eine Hilfsveranstaltung. Wenn ich selbst bei solchen Sachen behindert werde, oder man versucht das zu boykottieren oder in irgendeiner Form da Unfrieden zu stiften, dann weiß ich nicht, was man da noch machen soll. Es zeigt so ein bisschen die Verrohung in unserer Gesellschaft."
Die vermeintlichen Protestwähler haben eins auf jeden Fall erreicht - Rechtsextreme gestärkt - in Ost wie West.
Beitrag von Caroline Walter & Christoph Rosenthal